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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
4A_416/2021  
 
 
Urteil vom 14. Dezember 2021  
 
I. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin, 
Bundesrichterin Kiss, 
Bundesrichter Rüedi, 
Gerichtsschreiber Stähle. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ AG, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dominik Gasser,, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
B.________ AG, 
vertreten durch 
Rechtsanwalt Placidus Plattner und 
Rechtsanwältin Nicole Tschirky, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Vorsorgliche Beweisführung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 29. Juli 2021 (HE210064-O). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die A.________ AG (Gesuchstellerin, Beschwerdeführerin) war Eigentümerin der Grundstücke GB Nr. xxx und yyy in U.________. 
Am 28. Januar 2020 schloss sie mit der B.________ AG (Gesuchsgegnerin, Beschwerdegegnerin) einen öffentlich beurkundeten Kaufvertrag über diese beiden Grundstücke ab. Die Parteien vereinbarten einen Kaufpreis von Fr. 101'250'000.--, unter Einräumung eines bis am 28. Januar 2030 befristeten und auf einen Teil der verkauften Grundstücke bezogenen Kaufsrechts zugunsten der A.________ AG für Fr. 37'500'000.--. 
Für die A.________ AG handelte C.________. 
 
B.  
Am 12. April 2021 reichte die A.________ AG beim Handelsgericht des Kantons Zürich ein Gesuch um vorsorgliche Beweisführung ein. Sie ersuchte um Einholung eines Gutachtens, Einvernahme dreier Zeugen und um Parteibefragung, im Wesentlichen die Urteilsfähigkeit von C.________ am 28. Januar 2020 betreffend. In der Sache strebt sie die Ungültigerklärung des Grundstückkaufvertrags an; sie vertritt den Standpunkt, C.________ sei am Tag des Vertragsschlusses unter dem Einfluss von Medikamenten gestanden und deshalb - sowie aufgrund seiner gesundheitlichen Prädisposition - urteilsunfähig gewesen. 
Mit Urteil vom 29. Juli 2021 wies das Handelsgericht das Gesuch ab. Es erwog, die A.________ AG habe keinen Hauptsacheanspruch glaubhaft gemacht und ohnehin seien die beantragten Beweismittel in einem künftigen Hauptprozess "kaum beweisbildend". Ihr fehle es daher an einem schutzwürdigen Interesse an der vorsorglichen Beweisführung. 
 
C.  
Die A.________ AG verlangt mit Beschwerde in Zivilsachen, das Urteil des Handelsgerichts sei aufzuheben, das Gesuch um vorsorgliche Beweisführung sei gutzuheissen und die Vorinstanz sei anzuweisen, "die vorsorgliche Beweisführung gemäss Ziff. 1 bis 8 des Gesuchs vom 12. April 2021 durchzuführen". Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Handelsgericht zurückzuweisen. 
Die Vorinstanz verzichtete auf Vernehmlassung. Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Die Beschwerdeführerin replizierte. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Das angefochtene Urteil des Handelsgerichts ist ein Endentscheid (Art. 90 BGG; vgl. BGE 138 III 76 E. 1.2, 46 E. 1.1 S. 46) einer einzigen kantonalen Instanz im Sinne von Art. 75 Abs. 2 lit. b BGG. Dagegen steht grundsätzlich die Beschwerde in Zivilsachen offen, gemäss Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG unabhängig vom Streitwert (BGE 139 III 67 E. 1.2; siehe auch BGE 138 III 799 E. 1.1, 2 E. 1.2.2 S. 5).  
 
1.2. Urteile betreffend die vorsorgliche Beweisführung gemäss Art. 158 ZPO stellen nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung Entscheide über vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 98 BGG dar (BGE 138 III 555 E. 1, 46 E. 1.1 S. 46; zuletzt bestätigt mit Urteil 4A_165/2020 vom 14. Dezember 2020 E. 2.1-2.3 mit weiteren Hinweisen). Entsprechend kann in der Beschwerde an das Bundesgericht nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden. Davon geht auch die Beschwerdeführerin aus. Sie moniert eine Verletzung des Willkürverbots (Art. 9 BV).  
 
2.  
Macht die beschwerdeführende Partei eine Verletzung des Willkürverbots geltend, genügt es nicht, wenn sie einfach behauptet, der angefochtene Entscheid sei willkürlich (BGE 134 II 349 E. 3 S. 352; 133 I 1 E. 5.5). Willkür liegt nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls in Betracht zu ziehen oder gar vorzuziehen wäre, sondern bloss, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 141 III 564 E. 4.1; 140 III 16 E. 2.1; je mit Hinweisen). Erforderlich ist zudem, dass der Entscheid nicht nur in der Begründung, sondern auch im Ergebnis willkürlich ist, was von der beschwerdeführenden Partei aufzuzeigen ist (BGE 140 III 16 E. 2.1 S. 19 mit Hinweisen). 
 
3.  
Art. 158 ZPO regelt die vorsorgliche Beweisführung. Die Beschwerdeführerin berief sich vor Vorinstanz auf Abs. 1 lit. b dieser Bestimmung. Demnach nimmt das Gericht namentlich dann jederzeit Beweis ab, wenn die gesuchstellende Partei ein schutzwürdiges Interesse glaubhaft macht. 
Das Gesetz gibt damit die Möglichkeit, eine vorsorgliche Beweisabnahme zur Abklärung der Beweis- und Prozessaussichten durchzuführen. Das Bundesgericht hat in diesem Zusammenhang klargestellt, dass eine vorsorgliche Beweisführung nur mit Blick auf einen konkreten materiellrechtlichen Anspruch verlangt werden kann. Die Gesuchstellerin, die sich auf Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO stützt, muss daher glaubhaft machen, dass ein Sachverhalt vorliegt, (i) gestützt auf den ihr das materielle Recht einen Anspruch gegen die Gesuchsgegnerin gewährt, und - kumulativ - (ii) zu dessen Beweis das abzunehmende Beweismittel dienen kann (BGE 143 III 113 E. 4.4.1 S. 118; 142 III 40 E. 3.1.1; 140 III 16 E. 2.2.2 S. 19; 138 III 76 E. 2.4.2 S. 81; siehe zur Kritik aus der Lehre etwa SAMUEL BAUMGARTNER, in: ZPO, Oberhammer/ Domej/Haas [Hrsg.], 3. Aufl. 2021, N. 10 f. zu Art. 158 ZPO). 
Das angefochtene Urteil steht auf einem doppelt begründeten Fundament: Das Handelsgericht erachtete (i) das Bestehen eines Hauptsacheanspruchs als nicht glaubhaft gemacht und sprach (ii) den beantragten Beweismitteln die Eignung ab, den behaupteten Sachverhalt zu beweisen. Die Beschwerdeführerin müsste beide Begründungen, die je für sich allein das Urteil stützen, als willkürlich ausweisen, um die Gesuchsabweisung zu Fall zu bringen. 
 
4.  
Dies gelingt ihr zumindest hinsichtlich der Frage der Beweiskraft nicht: 
 
4.1.  
 
4.1.1. Das Handelsgericht untersuchte die beantragten Beweismittel auf ihre Tauglichkeit, die Urteilsunfähigkeit von C.________ am 28. Januar 2020 in Bezug auf den Abschluss des in Frage stehenden Grundstückkaufvertrags zu beweisen. Es erwog, die Parteibefragung von C.________ selbst könne wie auch eine Einvernahme seiner Lebenspartnerin "zwar nicht pauschal als untauglich abgetan werden", doch liege der Schwerpunkt im Zusammenhang mit der behaupteten Urteilsunfähigkeit auf anderen Beweismitteln (insbesondere auf Urkunden sowie anderen Zeugen, etwa der Befragung von Amtsnotar D.________ oder des an den Vertragsverhandlungen beteiligten Rechtsanwalts E.________). Die als Zeugen angerufenen F.________ und G.________ seien beim Abschluss des Grundstückkaufvertrags nicht involviert gewesen, weshalb deren Einvernahme "nicht im Vordergrund" stehe. Schliesslich sei auch ein Gutachten auf der von der Beschwerdeführerin beantragten Grundlage zum Beweis untauglich. Der Gutachter müsste sich - so schloss die Vorinstanz - praktisch ausschliesslich auf die Aussagen von C.________ selbst und seiner Lebenspartnerin stützen. Zuverlässige, objektivierbare, echtzeitliche Angaben, die eine aussagekräftige Begutachtung ermöglichten, lägen keine vor.  
 
4.1.2. Die Beschwerdeführerin wirft dem Handelsgericht im Wesentlichen vor, eine - unzulässige - antizipierte Beweiswürdigung vorgenommen zu haben. Eine solche sei im Verfahren der vorsorglichen Beweisführung nicht statthaft. Beantragte Beweise seien stets zu erheben, sofern die Beweismittel nicht "offensichtlich untauglich" seien. Es genüge deren "grundsätzliche Eignung", den Beweis zu erbringen. Dies sei vorliegend offenkundig der Fall.  
 
4.2. Das Bundesgericht hat betont, dass die vorsorgliche Beweisführung nach Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO nicht bloss eine vage Abschätzung der Prozesschancen ermöglichen soll, sondern eine eigentliche Abklärung der Prozessaussichten im Allgemeinen und der Beweisaussichten im Besonderen. Eine hinreichende Klärung der Prozessaussichten kann nur mit der vorsorglichen Abnahme von Beweismitteln erreicht werden, welche zum Beweis der anspruchsbegründenden Tatsache tauglich sind und sich auch eignen, im Beweisverfahren eines allfälligen Hauptprozesses eine tragende Rolle zu spielen (BGE 140 III 24 E. 3.3.3 S. 28, 16 E. 2.5 S. 23; Urteile 4A_165/2020 vom 14. Dezember 2020 E. 4.1.2; 4A_342/2014 vom 17. Oktober 2014 E. 5.1 f.).  
 
4.3. Im Schrifttum scheint Uneinigkeit zu bestehen, wie weit das Erfordernis, das beantragte Beweismittel müsse im Hauptprozess voraussichtlich eine "tragende Rolle" spielen, effektiv geht (eher restriktiv: PETER GUYAN, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2017, N. 5 zu Art. 158 ZPO; eher liberal: BAUMGARTNER, a.a.O., N. 12 zu Art. 158 ZPO; siehe auch TANJA DOMEJ, Art. 158 ZPO in der Praxis - Ende einer Hoffnung?, Haftpflichtprozess 2014, S. 81 f.; ISAAK MEIER, Vorsorgliche Beweisführung zur Wahrung eines schutzwürdigen Interesses, SJZ 2014, S. 313-316). Das Handelsgericht ist jedenfalls nicht in Willkür verfallen, wenn es - zumindest sinngemäss - verlangte, die beantragten Beweismittel müssten geeignet sein, im Hauptverfahren entscheidende Beweiskraft zu entwickeln:  
Es geht im Verfahren nach Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO (zwecks Abklärung der Verfahrensaussichten) darum, eine möglichst verlässliche Grundlage für die Beurteilung der Prozesschancen zu schaffen, letztlich auch mit dem Ziel, aussichtslose Prozesse zu vermeiden (BGE 143 III 113 E. 4.4.1 S. 118 mit Hinweisen). Aus diesem Grund durfte die Vorinstanz willkürfrei annehmen, die im vorsorglichen Beweisverfahren abzunehmenden Beweise müssten auch im Hinblick auf die Erhebung anderer Beweismittel Bestand haben können. Bei dieser Ausgangslage ist es unter Willkürgesichtspunkten aber nicht zu beanstanden, wenn das Handelsgericht von der vorsorglichen Abnahme der beantragten Beweismittel mit dem Argument absah, diese hätten in Relation zu anderen, bedeutsameren Beweismitteln "kaum relevanten Beweiswert". Die Vorinstanz hat sich mit anderen Worten an der bundesgerichtlichen Praxis orientiert, wonach die vorsorgliche Beweisführung auf die Klärung - und nicht auf die blosse Abschätzung - der Beweis- und Prozesschancen zielt, und entsprechend in zumindest vertretbarer Weise darauf abgestellt, ob die beantragten Beweismittel die Ungewissheit über die Prozesschancen tatsächlich beseitigen. 
Mit der Behauptung, eine derartige "antizipierte Beweiswürdigung" sei im Verfahren der vorsorglichen Beweisführung nicht zulässig, weist die Beschwerdeführerin das angefochtene Urteil nicht als offensichtlich unrichtig aus. Nichts anderes gilt, soweit sie einzelne ihrer Behauptungen zum Sachverhalt herausgreift (wie etwa betreffend den Opioidkonsum von C.________ oder dessen "geistige Verfassung" in den Tagen "vor" dem Vertragsschluss) und versichert, diese könnten nur mit den von ihr beantragten Beweismitteln nachgewiesen werden: Die Beschwerdeführerin tut nicht dar, dass diesen Beweismitteln mit Blick auf den Gegenstand des Hauptprozesses - die Urteilsunfähigkeit von C.________ am 28. Januar 2020 - insofern eine tragende Rolle zukäme, als sie (im eben dargestellten Sinn) hinreichende Gewissheit über das Beweisthema verschaffen könnten. Dass im Übrigen im Verfahren nach Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO (zwecks Abklärung der Verfahrensaussichten) ein voraussetzungsloser Anspruch auf Abnahme sämtlicher Beweismittel besteht, die nicht geradezu objektiv untauglich sind, trifft entgegen der Beschwerdeführerin nicht zu und ergibt sich auch nicht aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (siehe etwa Urteile 4A_165/2020 vom 14. Dezember 2020 E. 4.3.2; 4A_342/2014 vom 17. Oktober 2014 E. 5.2; 4A_604/2013 vom 25. April 2014 E. 2.5; 5A_832/2012 vom 25. Januar 2013 E. 7.2; ferner auch Urteil 4A_118/2012 vom 19. Juni 2012 E. 2.2). 
 
4.4. Die Vorinstanz hat Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO somit nicht willkürlich angewendet, wenn sie die vorsorglich beantragten Beweismittel für ungeeignet hielt, in einem allfälligen Hauptprozess eine tragende Rolle zu spielen, und folglich ein schutzwürdiges Interesse an der vorsorglichen Beweisführung für nicht glaubhaft gemacht erachtete. Wie es sich mit der vorinstanzlichen Alternativbegründung (keine Glaubhaftmachung des Hauptsacheanspruchs) verhält, kann bei diesem Ergebnis offenbleiben.  
 
4.5. Über die Erfolgsaussichten einer allfälligen Klage in der Hauptsache ist damit nichts gesagt.  
 
5.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig (siehe Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 17'500.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 19'500.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Handelsgericht des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 14. Dezember 2021 
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Hohl 
 
Der Gerichtsschreiber: Stähle