9C_493/2023 06.12.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_493/2023  
 
 
Urteil vom 6. Dezember 2023  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, 
Bundesrichterin Scherrer Reber, 
Gerichtsschreiber Traub. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Atupri Gesundheitsversicherung, 
Zieglerstrasse 29, 3000 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Krankenversicherung, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 6. Juli 2023 (VBE.2023.215). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ erhob am 4. Mai 2023 Rechtsverweigerungsbeschwerde beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau. Darin machte er im Wesentlichen geltend, der Erbringer einer ärztlichen Leistung nach Art. 24 ff. KVG (B.________ AG) habe eine überhöhte Rechnung gestellt. Der Krankenversicherer habe die betreffende Rechnung als Tiers payant zu Unrecht in dieser Höhe beglichen. Die Beschwerdegegnerin sei anzuweisen, die Rechnung an den Leistungserbringer zurückzusenden und diesen aufzufordern, die Rechnung ihm - dem Beschwerdeführer - gegenüber zu substantiieren. Die Rechnung sei im System des Tiers garant zu stellen. Sollte der Krankenversicherer dies nicht wollen, so müsse er eine begründete Verfügung erlassen. Zudem beantragte der Beschwerdeführer u.a., die Beschwerdegegnerin sei "einstweilen - spätestens mit dem unverzüglichen Schriftenwechsel - anzuweisen, das Verfahren zum Inkasso [...] der Rechnung von B.________ mit der Nr. xxx [...] bis zur rechtskräftigen Klärung dieser Sache auszusetzen."  
Am 2. Juni 2023 erliess der Krankenversicherer eine Verfügung, in welcher er festhält, die umfänglich bestrittene Leistungsabrechnung überprüft und für gut befunden zu haben. Die Kostenübernahme und anschliessende Belastung der Kostenbeteiligung von Fr. 36.05 seien daher rechtens. Sofern die Bemühungen des Versicherungsnehmers zu einer späteren Korrektur der Rechnung führten, hätte dies auch eine Korrektur der Kostenbeteiligung zur Folge. 
Mit Eingabe vom 3. Juli 2023 erneuerte der Beschwerdeführer u.a. den Antrag, das kantonale Gericht habe den Krankenversicherer "einstweilen und unverzüglich anzuweisen, das Inkasso-Verfahren in Sachen der besagten Rechnung [...] bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Sache auszusetzen". 
 
B.  
Mit Verfügung vom 6. Juli 2023 wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau die Anträge des Beschwerdeführers auf vorsorgliche Massnahmen ab. 
 
C.  
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten u.a. mit dem Rechtsbegehren, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben. Ausserdem beantragt er die unentgeltliche Rechtspflege. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die (weiteren) Eintretensvoraussetzungen sowie diejenigen des vorinstanzlichen Verfahrens von Amtes wegen und mit freier Kognition (BGE 144 V 97 E. 1; 144 V 138 E. 4.1; Urteil 9C_456/2021 vom 22. Dezember 2021 E. 1.2). 
 
2.  
Zunächst stellt sich die Frage, ob auf die Beschwerde einzutreten ist, soweit sie sich in der Sache gegen den angefochtenen Entscheid über vorsorgliche Massnahmen richtet. 
 
2.1. In der kantonalen Rechtsverweigerungsbeschwerde beanstandete der Beschwerdeführer die damalige Auffassung des Krankenversicherers, angesichts der normativen Vorgaben zur Kostenkontrolle und zur Kostenbeteiligung des Versicherten im System des Tiers payant keine anfechtbare Verfügung erlassen zu müssen (Art. 49 Abs. 1 ATSG; Mitteilung vom 14. April 2023). Hinter der im kantonalen Prozess - unter Vorbehalt einer Gegenstandslosigkeit zufolge der am 2. Juni 2023 erlassenen Verfügung der Beschwerdegegnerin - zu beurteilenden Frage, ob die Beschwerdegegnerin bis dahin zu Recht nicht über die Richtigkeit einer Rechnung des Leistungserbringers im Bereich der obligatorischen Krankenpflegeversicherung verfügt hat, steht diejenige nach dem Umfang der Kostenbeteiligung und der entsprechenden Zahlungspflicht des Versicherten gegenüber dem Krankenversicherer (vgl. Art. 64 f. KVG).  
Die Beschwerde richtet sich gegen eine verfahrensleitende Verfügung, mit der die Vorinstanz u.a. das Gesuch des Beschwerdeführers ablehnt, die Beschwerdegegnerin sei vorsorglich zu verpflichten, das Inkassoverfahren (bezüglich der Kostenbeteiligung) bis zum Entscheid über die Rechtsverweigerungsbeschwerde auszusetzen. Weitere Vorbringen des Beschwerdeführers behandelt die Vorinstanz ebenfalls als Anträge auf vorsorgliche Massnahmen (Anweisung an die Beschwerdegegnerin, die Rechnung unverzüglich an den Leistungserbringer zurückzusenden; Anweisung, ohne Einwilligung des Beschwerdeführers keine weiteren Rechnungen dieses Leistungserbringers mehr zu bezahlen etc.; Prüfung, ob die Aufsichtsbehörde über die Krankenversicherer über den Vorgang zu informieren sei). Vorsorgliche Massnahmen bezwecken die Erhaltung des bestehenden Zustands oder die einstweilige Sicherstellung bedrohter Interessen (vgl. Art. 56 VwVG). 
 
2.2. Entscheide über vorsorgliche Massnahmen gelten als Endentscheide im Sinn von Art. 90 BGG, wenn sie in einem eigenständigen Verfahren ergehen. Selbständig eröffnete Massnahmeentscheide, die vor oder während eines Hauptverfahrens erlassen werden und nur für die Dauer des Hauptverfahrens Bestand haben, stellen Zwischenentscheide nach Art. 93 BGG dar (BGE 137 III 324 E. 1.1). Bei der angefochtenen Verfügung, mit welcher die Vorinstanz - im Rahmen eines Verfahrens betreffend Rechtsverweigerung - Anträge des Beschwerdeführers auf Erlass vorsorglicher Massnahmen abweist, handelt es sich um einen solchen Zwischenentscheid.  
Gegen selbständig eröffnete Zwischenentscheide, die weder die Zuständigkeit noch den Ausstand betreffen (Art. 92 BGG), ist die Beschwerde - abgesehen vom hier nicht massgebenden Fall gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG - nur zulässig, wenn der angefochtene Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; vgl. BGE 138 III 333 E. 1.3; 137 III 589 E. 1.2.3). Irreparabel ist ein Nachteil, der nicht durch ein Endurteil oder einen anderen Entscheid zugunsten der beschwerdeführenden Partei behebbar ist. In der Regel muss er rechtlicher Natur sein; ein wirtschaftlicher oder rein faktischer Schaden genügt nicht (BGE 142 III 798 E. 2.2; 137 V 314 E. 2.2.1; Urteil 9C_246/2023 vom 30. Mai 2023 E. 2). 
Dass im konkreten Fall ein nicht wieder gutzumachender Nachteil droht, ist in der Beschwerdebegründung aufzuzeigen, soweit das betreffende Risiko nicht offensichtlich ist. Andernfalls ist auf die Beschwerde nicht einzutreten (FELIX UHLMANN, in: Basler Kommentar zum BGG, 3. Aufl. 2018, N. 11 zu Art. 93 BGG). Auch wenn der nicht wieder gutzumachende Nachteil bei Entscheiden über vorsorgliche Massnahmen regelmässig gegeben ist, gilt die Substantiierungsanforderung auch hier (BGE 144 III 475 E. 1.2; LAURENT MERZ, in: Basler Kommentar zum BGG, N. 76 zu Art. 42 BGG). 
 
2.3. Der Beschwerdeführer geht davon aus, ihm drohe ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Hinblick auf Betreibungsfolgen und eine allfällige Eintragung im Register der säumigen Versicherten (vgl. Art. 64a Abs. 7 KVG; § 19 Abs. 1 und 2 lit. d und § 20 Abs. 1 des aargauischen Gesetzes zum Bundesgesetz über die Krankenversicherung vom 15. Dezember 2015 [KVGG; SAR 837.200], wonach die Versicherer die Schuldnerinnen und Schuldner an die kantonale Sozialversicherungsanstalt melden, die wegen ausstehender Prämien oder Kostenbeteiligungen betrieben werden, sowie alle versicherten Personen, die von der Betreibung betroffen sind; BGE 149 V 108 E. 3). Ein irreparabler Nachteil wäre freilich vermeidbar, indem der Beschwerdeführer die Kostenbeteiligung unter Vorbehalt des Ausgangs des Rechtsverweigerungsverfahrens leistet und damit eine Betreibung und eine allfällige Eintragung im Register der säumigen Versicherten abwendet. Eine solche Zahlung könnte rückgängig gemacht werden, wenn das hängige Verfahren zu Gunsten des Beschwerdeführers ausgehen würde. Die Eintretensvoraussetzung von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG ist daher nicht erfüllt.  
 
2.4. Selbst wenn die angefochtene Verfügung einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken könnte, wäre überdies Folgendes zu beachten: Richtet sich die Beschwerde gegen einen Entscheid über vorsorgliche Massnahmen, kann nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden (Art. 98 BGG). Die Verletzung von Grundrechten prüft das Bundesgericht indes nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Das bedeutet, dass anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids klar und detailliert darzulegen ist, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen (BGE 134 I 83 E. 3.2; Urteil 9C_256/2023 vom 18. Juli 2023 E. 1.1.2).  
Der Beschwerdeführer macht insofern ein verfassungsmässiges Recht geltend, als er rügt, die angefochtene Ablehnung der beantragten vorsorglichen Massnahmen komme ihrerseits einer Rechtsverweigerung (Art. 29 Abs. 1 BV) gleich (vgl. zur gerügten Rechtsverweigerung im vorinstanzlichen Verfahren nachfolgend E. 3). Damit ruft er zwar ein verfassungsmässiges Recht an. Dieses wird in den Beschwerdeschriften jedoch nicht anforderungsgemäss substantiiert; namentlich ist nicht ersichtlich, inwiefern der angefochtene Entscheid unabwendbare Konsequenzen rechtlicher Art für den Beschwerdeführer zeitigen soll (vgl. oben E. 2.3). 
 
2.5. In der Sache ist nach dem Gesagten nicht auf die Beschwerde einzutreten.  
 
3.  
Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz vor, sie habe sich mit der Art und Weise, wie sie sich mit seinen Anträgen auf Erlass von vorsorglichen Massnahmen auseinandergesetzt habe, ihrerseits rechtsverweigernd verhalten und die Rechtsweggarantie (Art. 29a BV) verletzt. Dazu gilt Folgendes: 
Gegen das unrechtmässige Verweigern oder Verzögern eines anfechtbaren Entscheids kann Beschwerde geführt werden (Art. 94 und Art. 100 Abs. 7 BGG). Eine Beschwerde wegen Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung nach Art. 94 BGG untersteht als solche zwar nicht den Regeln für Beschwerden gegen Zwischenentscheide. Jedoch ist darauf unter denjenigen Voraussetzungen einzutreten, wie sie auch für eine Anfechtung des verweigerten oder verzögerten kantonalen Beschwerdeentscheids gelten (würden) (zur amtlichen Publikation vorgesehenes Urteil 1C_648/2022 vom 10. Mai 2023 E. 1.2.1 mit Hinweisen). Der Entscheid über vorsorgliche Massnahmen vom 6. Juli 2023 ist ein Zwischenentscheid (oben E. 2.2). Wie eine Beschwerde in der Sache selbst ist mithin auch die Rechtsverweigerungsbeschwerde nur unter den Vorgaben von Art. 93 Abs. 1 BGG zulässig. Ein irreparabler Nachteil (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG) fehlt aus den gleichen Gründen wie im Zusammenhang mit der Beschwerde gegen den Entscheid über vorsorgliche Massnahmen (oben E. 2.3). Demnach kann auch auf die Rechtsverweigerungsbeschwerde nicht eingetreten werden. 
 
4.  
 
4.1. Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz zudem Rechtsverzögerung vor. Dabei bezieht er sich jedoch nicht auf das vorliegende Verfahren (betreffend Beschwerde gegen die vorinstanzliche Verfügung vom 6. Juli 2023), sondern auf eine Beschwerdesache betreffend die Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 2. Juni 2023, die er nach eigenem Bekunden - anstelle einer Einsprache beim Krankenversicherer - direkt beim kantonalen Gericht anhängig gemacht hat. Die behauptete Rechtsverzögerung betrifft mithin nicht den Gegenstand des vorliegenden Prozesses.  
 
4.2. Ebenfalls auf einen ausserhalb des Verfahrensgegenstands liegenden Umstand zielt die Rüge, die Vorinstanz habe dem Antrag, es sei der Beschwerdegegnerin zu verbieten, in der Sache mit dem Leistungserbringer zu korrespondieren, nicht entsprochen, was einer Rechtsverweigerung gleichkomme. Der betreffende Antrag wurde erst durch die Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 2. Juni 2023 veranlasst; darin führt der Krankenversicherer aus, der Leistungserbringer habe ihm gegenüber bestätigt, dass die Rechnung den erbrachten Leistungen entspreche (Ziff. 5 der Verfügung).  
 
4.3. In diesen Punkten ist auf die Beschwerde ebenfalls nicht einzutreten.  
 
5.  
Der Beschwerdeführer beantragt im Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht die gleiche vorsorgliche Massnahme wie im vorinstanzlichen Verfahren (vgl. Art. 104 BGG). Der Antrag ist angesichts dieses Entscheids gegenstandslos. 
 
6.  
Auf die Erhebung von Gerichtskosten wird umständehalber verzichtet (Art. 66 Abs. 1 zweiter Satz BGG). Der Antrag des Beschwerdeführers auf unentgeltliche Rechtspflege ist damit gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 6. Dezember 2023 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Der Gerichtsschreiber: Traub