6B_379/2013 04.07.2013
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
6B_379/2013  
   
   
 
 
 
 
Urteil vom 4. Juli 2013  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Mathys, Präsident, 
Bundesrichter Schneider, Oberholzer, 
Gerichtsschreiberin Kratz-Ulmer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________,  
vertreten durch Advokat Dr. Nicolas Roulet, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
1.  Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, Postfach, 4001 Basel,  
2.  Y.________,  
vertreten durch Advokatin Kathrin Bichsel, 
Beschwerdegegnerinnen. 
 
Gegenstand 
Mehrfache Vergewaltigung, Verletzung des rechtlichen Gehörs, Verletzung des Akkusationsprinzips, Verletzung des Grundsatzes in dubio pro reo, Willkür, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, Ausschuss, vom 13. September 2012. 
 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
X.________ kam 1999 in die Schweiz und stellte ein Asylgesuch. Im Jahr 2004 wurde er als Flüchtling anerkannt. Zur selben Zeit lernte er Y.________ kennen. Sie versprach ihm, sich um ihn zu kümmern, da er an epileptischen Anfällen zu leiden begann. Später heirateten die beiden, Ende 2006 trennten sie sich wieder. Y.________ zeigte X.________ zu diesem Zeitpunkt zweimal bei der Polizei an. 
 
 Die Anklage wirft dem Beschuldigten mehrfache sexuelle Nötigung, mehrfache Vergewaltigung, mehrfache versuchte Vergewaltigung, mehrfache einfache Körperverletzung, Beschimpfung und Drohung zum Nachteil von Y.________ vor. 
 
B.  
Das Strafgericht Basel-Stadt sprach den Beschuldigten am 3. November 2010 anklagegemäss (mit Ausnahme des Vorwurfs der Beschimpfung) schuldig und verurteilte ihn zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von drei Jahren. Zwei Jahre des Vollzugs schob es bei einer Probezeit von zwei Jahren auf. Die von X.________ gegen dieses Urteil erhobene Appellation wies das Appellationsgericht Basel-Stadt am 13. September 2012 ab. 
 
C.  
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben, und er sei von den Anklagevorwürfen freizusprechen. Die Schadenersatz- und Genugtuungsforderungen seien vollumfänglich abzuweisen. Eventualiter sei die Angelegenheit zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ihm sei die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren. Der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen. 
 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Akkusationsprinzips, des Anspruchs auf rechtliches Gehör und des Grundsatzes des "fair trial". Die Anklageschrift genüge den rechtlichen Anforderungen nicht. Es müssten die wesentlichen Umstände, unter denen die Handlungen begangen worden sind, mit möglichst genauer Bezeichnung von Zeit und Ort wiedergegeben werden. Ihm werde in völlig unbestimmter Art mehrfache, teilweise versuchte Vergewaltigung und sexuelle Nötigung in einem Zeitraum von über einem Jahr vorgeworfen. Der Ort werde nicht festgelegt. Die Anklage nenne nicht, wieviele Fälle ihm vorgeworfen würden und welche davon lediglich als Versuche zu zählen seien. Es sei nicht erkennbar, um welche konkreten Vorfälle es gehe. Er könne daher nicht Anträge zur Befragung von Entlastungszeugen stellen oder Alibis benennen. Der pauschale Verweis, die sexuellen Handlungen hätten sich immer gleich zugetragen, lasse sich nicht auf seine Glaubhaftigkeit überprüfen (Beschwerde, S. 5 ff.).  
 
 Nach dem aus Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV sowie aus Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. a und b EMRK abgeleiteten Anklagegrundsatz (vgl. auch die im vorliegenden Verfahren noch nicht anwendbare Bestimmung von Art. 9 StPO) bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens. Dies können nur Sachverhalte sein, die dem Angeklagten in der Anklageschrift vorgeworfen werden (Umgrenzungsfunktion). Letztere muss die Person des Angeklagten sowie die ihm zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise umschreiben, dass die Vorwürfe im objektiven und subjektiven Bereich genügend konkretisiert sind. Das Anklageprinzip bezweckt damit zugleich den Schutz der Verteidigungsrechte des Angeklagten und dient dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Informationsfunktion; BGE 133 IV 235 E. 6.2 f. mit Hinweisen). In der Anklage sind im Übrigen namentlich die Umstände aufzuführen, welche zum gesetzlichen Tatbestand gehören (Urteil des Bundesgerichts 6B_225/2008 vom 7. Oktober 2008 E. 1.1 mit Hinweisen; BGE 126 I 19 E. 2a; 120 IV 348 E. 2c). Kleinere Ungenauigkeiten in den Orts- und Zeitangaben führen nicht zur Unbeachtlichkeit der Anklage. 
 
1.2. Der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Verstoss gegen das Anklageprinzip ist unbegründet. Die Vorinstanz führt zutreffend aus (Urteil S. 5-9), bei den von einem Täter gehäuft und in regelmässiger Weise verübten Delikten werde dem Akkusationsprinzip Genüge getan, wenn Zeit und Ort der Handlungen lediglich approximativ umschrieben werden. Der Zeitraum ist dabei auf eine bestimmte Dauer einzugrenzen. Insbesondere bei Familiendelikten kann nicht erwartet werden, dass über jeden einzelnen Vorfall Buch geführt wird. Bei länger dauernder häuslicher Gewalt ist es typisch, dass eine minutiöse Aufarbeitung des Vorgefallenen für die betroffene Person schwierig ist. Den Anklagebehörden ist es entsprechend oft nicht möglich, die dem Angeschuldigten vorzuwerfenden Taten detailliert zu schildern. Die Vorinstanz folgert daraus, dass die Anforderungen an den Anklagegrundsatz in solchen Fällen nicht allzu hoch angesetzt werden dürfen. Im vorliegenden Fall ergibt sich die genaue Zahl der Übergriffe nicht aus der Anklageschrift. Es geht aber daraus mit genügender Bestimmtheit hervor, was dem Beschwerdeführer vorgeworfen wird. Die Anklage legt zunächst allgemein dar, welchen Handlungen der Angeklagte beschuldigt wird. Als Tatort wird der gemeinsame Haushalt bezeichnet. Die Tatumstände werden als Nötigungselemente wie Schläge, Fusstritte, Haare reissen und Ohrfeigen beschrieben. Dem Beschwerdeführer wurde erstinstanzlich zwar keine Gelegenheit geboten, zur Anzahl der ihm vorgeworfenen Übergriffe Stellung zu nehmen. Die Vorinstanz holte dies jedoch nach. Es ist nicht zu beanstanden, wenn sie die Einwände des Beschwerdeführers zu einem allfälligen Alibi verwirft, da er als Ehepartner bei gemeinsamem Wohnsitz grundsätzlich jederzeit und beliebig Gelegenheit zu den vorgeworfenen Taten hatte. Entscheidend ist, dass der Beschwerdeführer zu den Vorwürfen Stellung nehmen und sich verteidigen konnte. Die Vorinstanz verletzt den Anklagegrundsatz nicht.  
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo". Die Vorinstanz habe die vorhandenen Beweise willkürlich und einseitig zu seinen Lasten gewürdigt. Aus seiner Sicht beständen nicht überwindbare Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussagen von Y.________, die er im Einzelnen ausführt (Beschwerde, S. 8-17).  
 
2.2. Die Vorinstanz erwägt, die Aussagen von Y.________ seien differenziert, konstant und wiesen zahlreiche Realitätskriterien auf. So habe sie auch den Beschwerdeführer entlastende Momente erwähnt. Es fänden sich in ihren Schilderungen mehrfach auch selbstbelastende Momente, wie etwa, dass sie mit dem Pantoffel zurückgeschlagen und sich immer weniger um ihn gekümmert habe. Zudem habe sie sich gewünscht, dass er unters Tram komme. Zahlreiche Detailschilderungen erhöhten die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen. Auffallend sei ihre Zurückhaltung bei der Schilderung der Sexualkontakte. Dies sei dem Umstand zuzuschreiben, dass Opfer länger dauernder häuslicher Gewalt häufig Mühe hätten, die einzelnen Ereignisse klar voneinander zu unterscheiden. Zudem habe die erstinstanzliche Hauptverhandlung erst gut vier Jahre nach dem Ende der inkriminierten Vorfälle stattgefunden. An manche Ereignisse und Vorfälle möchte sie nicht mehr erinnert werden, was mit einem opfertypischen Selbstschutz- und Verdrängungsmechanismus bei traumatischen Erlebnissen erklärbar sei. Schliesslich sei eine gewisse Zurückhaltung bei der Schilderung sexueller Handlungen, namentlich bei Frauen aus muslimischen Ländern, gerichtsnotorisch und dürfe nicht zu ihren Ungunsten gewertet werden.  
 
 Der Beschwerdeführer habe im Zusammenhang mit der Glaubwürdigkeit von Y.________ die Befragung weiterer Zeugen beantragt. Keiner sei erschienen. Y.________ habe denn auch bereits im Vorverfahren darauf hingewiesen, dass alle Freunde und Kollegen, die gesehen hätten, wie der Beschwerdeführer sie geschlagen habe, nicht bereit seien, dies vor Gericht zu bezeugen. Insgesamt schade das Nichterscheinen der Zeugen der Glaubwürdigkeit von Y.________ nicht. Es sei bekannt, dass Personen aus ländlichen Gebieten der Türkei, insbesondere kurdischstämmige Personen, unter starker gemeinschaftlicher Kontrolle stünden. Würde jemand gegen den Beschwerdeführer aussagen, hätte er oder sie mit Retorsionsmassnahmen zu rechnen (Urteil, S. 8 ff.). Die Vorinstanz nimmt in der Folge zu den einzelnen Anklagepunkten Stellung (Urteil, S. 12-14) und gelangt mit der ersten Instanz zum Schluss, dass der Beschwerdeführer Y.________ mindestens einmal pro Woche zum vaginalen, analen oder oralen Sex genötigt habe, wobei es teilweise beim blossen Versuch geblieben sei. Es müsse daher von mindestens 50 Übergriffen ausgegangen werden (Urteil, S. 14). 
 
2.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; Art. 105 Abs. 2 BGG). Offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 137 III 226 E. 4.2 mit Hinweisen; zum Begriff der Willkür BGE 138 I 49 E. 7.1; 136 III 552 E. 4.2; je mit Hinweisen). Eine entsprechende Rüge muss klar und substantiiert begründet werden (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 137 IV 1 E. 4.2.3; 136 I 65 E. 1.3.1; je mit Hinweisen). Auf blosse appellatorische Kritik ist nicht einzutreten (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3 mit Hinweisen).  
 
2.4. Der Beschwerdeführer legt in seiner Sachverhaltsrüge lediglich die eigene Sicht der Dinge dar. Er zeigt nicht auf, inwiefern die vorinstanzlichen Erwägungen geradezu unhaltbar wären. Dies betrifft etwa seine Vorbringen, Y.________ habe nicht konstant ausgesagt und die von ihr genannten Zeugen hätten die behaupteten Übergriffe nicht bestätigen können (Beschwerde, S. 10). Auf die sorgfältigen Erwägungen der Vorinstanz kann verwiesen werden. Sie stellt den Sachverhalt nachvollziehbar fest und leitet daraus ein willkürfreies Beweisergebnis ab, das der Beschwerdeführer mit seiner appellatorischen Kritik nicht in Frage stellen kann. Auf seine Vorbringen zur vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung ist nicht einzutreten.  
 
3.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist abzuweisen, da die Beschwerde von vornherein aussichtslos erschien. Seiner finanziellen Lage ist mit herabgesetzten Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). Mit dem Entscheid in der Sache wird sein Antrag um aufschiebende Wirkung gegenstandslos. 
 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Ausschuss, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 4. Juli 2013 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Mathys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Kratz-Ulmer