1C_210/2023 05.12.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_210/2023  
 
 
Urteil vom 5. Dezember 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Chaix, Haag, 
Gerichtsschreiberin Hänni. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ AG, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Robert Hadorn, 
 
gegen  
 
Gemeinderat Niederwil, 
Hauptstrasse 4, 5524 Niederwil, 
vertreten durch Rechtsanwalt Alexander Rey. 
 
Gegenstand 
Vollstreckung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 3. Kammer, vom 15. März 2023 (WBE.2023.42 / ME / tm). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Entscheid vom 22. August 2016 verweigerte der Gemeinderat Niederwil der A.________ AG nachträglich die Baubewilligung für den Einbau von zwölf Zimmern in ihrer Liegenschaft auf der Parzelle Nr. 302 in Niederwil. Der Gemeinderat verpflichtete die A.________ AG zudem, den rechtmässigen Zustand bezüglich der Zimmer innert sechs Monaten seit Rechtskraft des Entscheids herzustellen, wozu ein Baugesuch einzureichen sei. Andernfalls sei ihr die Nutzung der zwölf eingebauten Zimmer zu Wohnzwecken nach Ablauf von vier Monaten nach Eintritt der Rechtskraft des Entscheids verboten. Sowohl das Departement Bau, Verkehr und Umwelt (BVU) des Kantons Aargau wie auch das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau wiesen Beschwerden gegen diesen Entscheid ab. Das Bundesgericht wies letztinstanzlich die von der A.________ AG erhobene Beschwerde ab, soweit es darauf eingetreten ist (Urteil 1C_328/2018 vom 12. April 2019). 
 
B.  
Am 29. August 2022 erliess der Gemeinderat Niederwil folgende Verfügung: 
 
"A. Abweisung des nachträglichen Baugesuchs 
1.Gebäudeumbau 
Das nachträgliche Baugesuch für den Gebäudeumbau mit dem Einbau von 12 Zimmern wird abgewiesen. (...) 
 
B. Vollstreckung des Beschlusses vom 22. August 2016 
4. Wiederherstellung des rechtmässigen baulichen Zustands betreffend die 12 eingebauten Zimmer 
Es wird festgestellt, dass die Frist zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands der Liegenschaft Haldenweg 6 gemäss dem Beschluss vom 22. August 2016 am 28. Februar 2020 unbenutzt abgelaufen ist. 
 
Der Gesuchstellerin wird eine letzte Frist zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands des Gebäudes Haldenweg 6 gemäss dem Beschluss vom 22. August 2016 bis zum 31. März 2023 gesetzt. Sollte diese Frist verstreichen, wird hiermit die Ersatzvornahme angedroht.  
 
Für den Fall, dass auch diese Frist unbenutzt ablaufen sollte, ist Folgendes anzuordnen: 
a) Es wird ein noch zu bestimmender Dritter für die Arbeiten zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands des Gebäudes Haldenweg 6 beigezogen. 
b) Das Datum des Beginns der Arbeiten zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands wird der Gesuchstellerin nach Ablauf der Frist mindestens 10 Tage im Voraus mitgeteilt. 
c) Die Kosten des Beizugs der Dritten, die notwendig sind, um den ursprünglichen baulichen Zustand des Gebäudes Haldenweg 6 wiederherzustellen, werden der Gesuchstellerin in Rechnung gestellt. 
 
5. Nutzungsverbot 
Es wird festgestellt, dass gemäss dem Beschluss vom 22. August 2016 seit dem 1. Juli 2020 ein Verbot der Nutzung der 12 Zimmer in der Liegenschaft Haldenweg 6 zu Wohnzwecken besteht. 
 
Der Gesuchstellerin wird eine letzte Frist zur Umsetzung des Nutzungsverbots gemäss dem Beschluss vom 22. August 2016 bis zum 31. Januar 2023 gesetzt. 
 
Sollte auch diese Frist unbenutzt ablaufen, werden hiermit eine polizeiliche Räumung der Liegenschaft Haldenweg 6 und deren Versiegelung angedroht. Dazu gilt: 
 
a) Der Gesuchstellerin wird die polizeiliche Räumung 10 Tage im Voraus angekündigt. 
b) Der Zugang zur Liegenschaft Haldenweg 6 wird durch bauliche Massnahmen vorläufig verunmöglicht. 
c) Die Kosten des Beizugs der Dritten, die notwendig sind, um das Nutzungsverbot des Gebäudes Haldenweg 6 umzusetzen, werden der Gesuchstellerin in Rechnung gestellt. 
 
C. Gebühren und Verwaltungsstrafe 
(...) 
 
Rechtsmittelbelehrung 
A. Entscheid Baubewilligungsverfahren 
1. Gegen Ziff. A und C dieses Beschlusses kann innert einer nicht erstreckbaren Frist von 30 Tagen seit Zustellung beim Departement Bau, Verkehr und Umwelt, Rechtsabteilung, Entfelderstrasse 22, 5000 Aarau, Beschwerde geführt werden. 
(...) 
 
B. Vollstreckungsentscheid 
1. Gegen Ziff. B dieses Beschlusses kann innert einer nicht erstreckbaren Frist von 10 Tagen seit Zustellung beim Verwaltungsgericht, Obere Vorstadt 40, 5000 Aarau, Beschwerde geführt werden. 
(...) 
 
Gegen diese Verfügung erhob die A.________ AG mit Eingabe vom 3. Oktober 2022 beim BVU Beschwerde und beantragte unter anderem deren vollumfängliche Aufhebung. 
 
C.  
Mit Schreiben vom 2. Februar 2023 übermittelte das BVU dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau zuständigkeitshalber die Akten des Beschwerdeverfahrens "zum Entscheid über das Beschwerdebegehren 1, soweit dieses gegen die gemeinderätlichen Vollstreckungsbeschlüsse B.4 und B.5 des angefochtenen Entscheids gerichtet ist". 
Mit Urteil vom 15. März 2023 trat das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau nicht auf die Beschwerde gegen den Vollstreckungsentscheid ein. 
 
D.  
Dagegen hat die A.________ AG am 8. Mai 2023 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht erhoben. Sie beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache sei an das BVU zum Entscheid, eventuell an das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau zum Neuentscheid, zurückzuweisen. 
Der Gemeinderat Niederwil beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden dürfe. Das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau verzichtet auf eine Vernehmlassung und verweist auf die Ausführungen im angefochtenen Entscheid. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde richtet sich gegen einen Nichteintretensentscheid einer letzten kantonalen Instanz in einer öffentlich-rechtlichen Angelegenheit. Dieser prozessuale Endentscheid bildet ein zulässiges Anfechtungsobjekt der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 lit. a i. V. m. Art. 86 Abs. 1 lit. d und Art. 90 BGG). Ein Ausschlussgrund nach Art. 83 BGG liegt nicht vor.  
 
1.2. Die Beschwerdeführerin hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und ist als Baugesuchstellerin sowie Adressatin des angefochtenen Urteils besonders berührt. Sie ist somit grundsätzlich nach Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde legitimiert.  
Gemäss übereinstimmenden Vernehmlassungen des Gemeinderats Niederwil und der Beschwerdeführerin hat diese das streitbetroffene Grundstück während des Beschwerdeverfahrens vor Bundesgericht veräussert. Die Veräusserung der im Streite liegenden Sache während der Rechtshängigkeit bleibt jedoch ohne Einfluss auf die Legitimation zur Sache (Art. 21 Abs. 2 BZP [SR 273] i.V.m. Art. 71 BGG). Die Partei, die den Streitgegenstand veräussert hat, ist daher befugt, das Verfahren in ihrem Namen in Prozessstandschaft für fremdes Recht fortzuführen, wenn - wie vorliegend - kein Parteiwechsel beantragt wurde (Urteil 1C_430/2019 vom 25. März 2021 E. 1.1; 1C_539/2017 vom 12. November 2018 E. 1.4.2, nicht publ. in: BGE 145 II 70). Die Beschwerdeführerin bleibt somit trotz Veräusserung des Grundstücks beschwerdelegitimiert. 
 
1.3. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist somit grundsätzlich einzutreten.  
 
1.4. Streitgegenstand ist im vorliegenden Verfahren einzig, ob die Vorinstanz zu Recht auf die bei ihr erhobene Beschwerde nicht eingetreten ist (vgl. Urteil 2C_142/2023 vom 3. August 2023 E. 1.2, zur Publikation vorgesehen; Urteil 9C_376/2023 vom 27. Juni 2023 E. 4.1). Trifft dies zu, so hat es bei diesem Nichteintretensentscheid sein Bewenden. Erweist er sich hingegen als bundesrechtswidrig, so ist die Sache an die Vorinstanz zu weiterer Beurteilung des Falles zurückzuweisen.  
Der Streitgegenstand umfasst überdies einzig den Vollstreckungsentscheid und nicht auch noch die in der Verfügung vom 29. August 2022 enthaltene Abweisung des nachträglichen Baugesuchs. Über den nachträglichen (negativen) Bauentscheid hatte die Vorinstanz nicht zu befinden, war diese Angelegenheit doch bei einer anderen Behörde hängig. Auf die von der Beschwerdeführerin diesbezüglich vorgebrachten Rügen der offensichtlich unrichtigen Sachverhaltsfeststellung (Art. 97 BGG), der Willkür (Art. 9 BV), des Verstosses gegen das Legalitätsprinzip (Art. 5 Abs. 1 BV), die Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns gemäss Art. 5 Abs. 2 BV, das Gebot des Handelns nach Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 BV), die Eigentumsgarantie (Art. 26 Abs. 1 BV), die allgemeinen Verfahrensgarantien (Art. 29 BV) und die Rechtsweggarantie (Art. 29a BV), sowie die Verletzung von Art. 25a und 33 Abs. 3 lit. b RPG kann nicht eingetreten werden. 
 
2.  
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz sei zu Unrecht nicht auf ihre Beschwerde eingetreten. 
 
2.1. Gemäss § 83 Abs. 1 des Gesetzes des Kantons Aargau vom 4. Dezember 2007 über die Verwaltungsrechtspflege (VRPG/AG; SAR 271.200) ist der Vollstreckungsentscheid mit Beschwerde innert 10 Tagen beim Verwaltungsgericht anfechtbar.  
Nach § 28 Abs. 1 VRPG/AG gilt für die Berechnung der Fristen, deren Unterbruch und die Wiederherstellung gegen die Folgen der Säumnis die Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (ZPO). Gemäss Art. 148 Abs. 1 ZPO kann das Gericht auf Gesuch einer säumigen Partei eine Nachfrist gewähren oder zu einem Termin erneut vorladen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie kein oder nur ein leichtes Verschulden trifft. Dieses Gesuch ist innert zehn Tagen seit Wegfall des Säumnisgrundes einzureichen (Abs. 2). 
 
2.2. Die Vorinstanz führt zur Begründung ihres Nichteintretensentscheids aus, der Beschwerdeführerin sei die Verfügung des Gemeinderats vom 29. August 2022 gemäss deren Aussage frühestens am 1. September 2022 zugestellt worden. Die am 3. Oktober 2022 der Post übergebene Beschwerde sei somit nicht innert 10 Tagen erfolgt und sei daher in Bezug auf den Vollstreckungsentscheid offenkundig verspätet.  
 
2.3. Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass sie die Frist von 10 Tagen nicht eingehalten hat. Sie macht überdies auch nicht geltend, sie trage kein oder nur ein leichtes Verschulden an der Säumnis der Rechtsmittelfrist oder habe ein Gesuch zur Wiederherstellung eingereicht.  
Sie macht jedoch geltend, die Vorinstanz habe nicht abgeklärt, ob dem Vollstreckungsentscheid ein rechtskräftiger Sachentscheid zugrunde liege. Die Anwendung einer 10-tägigen Frist verunmögliche jegliche Überprüfung der Gültigkeit des Sachentscheids. Wie die Vorinstanz richtig ausgeführt hat, übersieht die Beschwerdeführerin dabei jedoch, dass dieses Argument auf eine Überprüfung der materiellen Voraussetzungen des strittigen Vollstreckungsentscheids abzielt. Eine solche materielle Überprüfung wäre durch die Vorinstanz jedoch nur möglich gewesen, wenn die Eintretensvoraussetzungen und insbesondere die 10-tägige Frist eingehalten gewesen wären. Dies ist aber wie oben dargelegt vorliegend offensichtlich nicht der Fall. Soweit die Beschwerdeführerin dasselbe Argument vor dem Bundesgericht vorbringt, ist ihr entgegenzuhalten, dass im vorliegenden Verfahren nur überprüft werden kann, ob die Vorinstanz zu Recht einen Nichteintretensentscheid gefällt hat (vgl. oben E. 1.4). 
 
2.4. In dieser Situation ist noch zu prüfen, ob der Vollstreckungsentscheid nichtig ist. Dies ist zu verneinen, da kein besonders schwerer Mangel vorliegt, der offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar wäre (vgl. BGE 145 III 436 E. 4 mit Hinweisen). Die Beschwerdeführerin macht denn richtigerweise auch nicht geltend, der Entscheid sei nichtig.  
 
2.5. Zusammengefasst ist die Vorinstanz zu Recht nicht auf die Beschwerde gegen den Vollstreckungsentscheid eingetreten.  
 
3.  
Nach dem Ausgeführten erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist somit abzuweisen. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten der unterliegenden Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Es ist keine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1-3 BGG
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 5. Dezember 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Die Gerichtsschreiberin: Hänni