8C_108/2023 16.08.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_108/2023  
 
 
Urteil vom 16. August 2023  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Métral, 
Gerichtsschreiber Jancar. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich, Zürcherstrasse 8 (Neuwiesen), 8400 Winterthur, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Natali Graule, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Arbeitslosenversicherung 
(Nachzahlung, Rückerstattung), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 19. Dezember 2022 (AL.2022.00064). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der 1978 geborene A.________ war seit 1. Juli 2012 als "Agent 24h Contact Center" bei der B.________ AG angestellt. Am 4. Februar 2013 erlitt er einen Unfall, der eine (Teil-) Arbeitsunfähigkeit zur Folge hatte. Am 24. Oktober 2013 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis per Ende Januar 2014 und vereinbarte mit A.________ eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses per sofort mit garantierter Lohnzahlung bis Ende Januar 2014. Am 1. November 2013 meldete er sich beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum Zürich zur Arbeitsvermittlung an und verlangte am 20. Dezember 2013 Arbeitslosenentschädigung (ALE) ab 1. Februar 2014, die er seither bezog. Für die Folgen des Unfalls vom 4. Februar 2013 richtete die Helsana Unfall AG (nachfolgend Helsana) Taggelder aus, die sie mit Verfügung vom 11. März 2014 bzw. Einspracheentscheid vom 8. Oktober 2014 per 1. April 2014 einstellte. Diesen Entscheid hob das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich (nachfolgend das kantonale Gericht oder die Vorinstanz) mit Urteil vom 20. Juni 2016 auf. Danach ermittelte die Helsana für die Zeit vom 1. April 2014 bis 31. März 2015 einen Nachzahlungsanspruch des Versicherten von Fr. 12'569.05.  
 
A.b. Mit Verfügung vom 19. November 2015 verneinte die IV-Stelle des Kantons Zürich den Rentenanspruch des Versicherten. Das kantonale Gericht hob diese Verfügung mit Urteil vom 20. Juni 2016 auf und ordnete weitere Abklärungen an. Mit Verfügung vom 17. Dezember 2018 sprach die IV-Stelle dem Versicherten ab 1. Februar 2014 bis 31. März 2015 eine halbe Invalidenrente zu.  
 
A.c. Mit Verfügung vom 14. November 2018 setzte die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich (nachfolgend ALK) den zuvor auf Fr. 6'500.-festgelegten versicherten Verdienst ab 1. Februar 2014 neu auf Fr. 3'900.- fest. Für die Zeit vom 1. Februar 2014 bis 31. März 2015 forderte sie zu viel ausbezahlte ALE von Fr. 23'763.90 zurück. Diese Rückforderung verrechnete sie im Umfang von Fr. 14'358.45 mit Leistungen der Invalidenversicherung und schrieb den Restbetrag von Fr. 9'405.45 zu Lasten des Ausgleichsfonds ab, letzteres unter dem Vorbehalt einer möglichen Verrechnung mit Leistungen der beruflichen Vorsorge. Nach einer wiedererwägungsweisen Abänderung mit Verfügung vom 24. Februar 2020 bekräftigte die ALK mit Einspracheentscheid vom 1. April 2021 die Rückforderung von Fr. 23'763.90 unter Verrechnung von Fr. 14'358.45 mit Leistungen der Invalidenversicherung und Abschreibung des Restbetrags von Fr. 9'405.45 zu Lasten des Ausgleichsfonds.  
 
A.d. Mit Verfügung vom 22. Juli 2021 bezifferte die ALK im Zusammenhang mit den von der Helsana erbrachten Taggeldern den Rückforderungsbetrag für zu viel bezogene ALE in der Zeit vom 1. April 2014 bis 31. März 2015 auf Fr. 24'666.15, wovon sie Fr. 12'569.05 mit den Nachzahlungen der Helsana verrechnete. Für den Restbetrag von Fr. 12'096.10 verpflichtete sie den Versicherten zur Rückzahlung. Dies bestätigte sie mit Einspracheentscheid vom 28. Januar 2022.  
 
B.  
Die gegen den letztgenannten Einspracheentscheid von A.________ erhobene Beschwerde hiess das kantonale Gericht teilweise gut und hob ihn insofern auf, als der Versicherte über die angeordnete Verrechnung der Nachzahlung der Helsana Unfall AG von Fr. 12'569.05 hinaus zur Rückerstattung von Fr. 12'096.10 verpflichtet wurde. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab (Urteil vom 19. Dezember 2022). 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die ALK die Aufhebung des kantonalen Urteils. 
Der Versicherte schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Streitig ist, ob die vorinstanzliche Verneinung des Rückforderungsanspruchs der Beschwerdeführerin im Umfang von Fr. 12'096.10 Bundesrecht verletzt.  
 
2.2. Die Vorinstanz hat die rechtlichen Grundlagen und die Rechtsprechung betreffend die Vermittlungsfähigkeit der versicherten Person (Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AVIG; Art. 15 Abs. 3 AVIV; BGE 146 V 210 E. 3.1), die Taggeldregelung bei vorübergehend fehlender oder verminderter Arbeitsfähigkeit (Art. 28 Abs. 2 und Abs. 4 AVIG; Art. 25 Abs. 3 UVV; BGE 135 V 185 E. 9.1) und die Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung (Art. 70 Abs. 2 lit. b ATSG; BGE 145 V 399 E. 2.4, 142 V 380 E. 3.2) richtig dargelegt. Gleiches gilt bezüglich der Voraussetzungen zur Rückerstattung von unrechtmässig bezogenen Arbeitslosenentschädigungen (Art. 95 Abs. 1 bis AVIG in Verbindung mit Art. 25 Abs. 1 und Abs. 2 ATSG; BGE 142 V 448 E. 5.3, 136 V 195 E. 7.2; Urteil C 42/05 vom 16. Mai 2006 E. 2.2). Darauf wird verwiesen.  
 
3.  
Die Vorinstanz erwog im Wesentlichen, der Rückforderung lägen Taggeldnachzahlungen der Helsana als Unfallversicherer vom 1. April 2014 bis 31. März 2015 zu Grunde. In diesem Zeitraum habe die ALK insgesamt Fr. 50'577.50 ALE ausgerichtet und die Helsana nachträglich Taggelder in Höhe von Fr. 12'569.05 ausbezahlt, wobei Letztere ihrer Leistung eine 20%ige Arbeitsunfähigkeit zu Grund gelegt habe. Die ALK vertrete die Auffassung, bei der Berechnung der Rückerstattung zufolge der Taggeldnachzahlung der Helsana sei nicht das ausbezahlte Taggeld basierend auf einer Arbeitsunfähigkeit von 20 % massgebend, sondern effektiv ein solches basierend auf einer Arbeitsunfähigkeit von 50 %, weshalb Unfalltaggelder in entsprechend höherem Umfang zu berücksichtigen seien. Effektiv habe - so die Vorinstanz weiter - bis Ende März 2015 eine Arbeitsunfähigkeit von 50 % bestanden. Die Vorleistungspflicht, welche die ALK vom 1. April 2014 bis 31. März 2015 erfüllt habe, habe zur Folge, dass sich die ALE im Umfang des Anspruchs auf Taggelder der Unfallversicherung verringere. Die ALK habe somit Anspruch auf eine Rückerstattung, soweit die obligatorische Unfallversicherung sachlich kongruente Leistungen für diesen Zeitraum zu erbringen habe. Vorliegend gelte analog Urteil SVR 2021 ALV Nr. 6 S. 18, 8C_385/2020 E. 6.3.3, wonach die in Art. 28 Abs. 2 AVIG statuierte Subsidiaritätsordnung unabhängig von der Frage einer Überentschädigung greife. Die ALK habe die Rückerstattung basierend auf Taggeldern der Unfallversicherung entsprechend einer 50%igen Arbeitsunfähigkeit beziffert und für die hier massgebliche Zeit einen Taggeldbetrag von Fr. 27'257.65 errechnet. Den Rückerstattungsbetrag von Fr. 24'666.15 habe sie basierend auf einer Neuberechnung des ALE-Anspruchs für jede der betreffenden Konrollperioden (April 2014 bis und mit März 2015) unter jeweiliger Berücksichtigung des auf die Kontrollperiode entfallenden Versicherungseinkommens ermittelt. Dem vorausgegangen sei eine Neuberechnung des ALE-Anspruchs unter Berücksichtigung der nachträglich ausgerichteten Leistungen der Invalidenversicherung. Die Berechnung der ALK lasse ausser Acht, dass sich die Rückforderungssumme gemäss Art. 95 Abs. 1 bis AVIG in Abweichung von Art. 25 Abs. 1 ATSG auf die Höhe der von der Unfallversicherung für denselben Zeitraum ausgerichteten Leistungen zu beschränken habe. Die von der Helsana als Unfallversicherer tatsächlich ausgerichtete Taggeldnachzahlung für die Zeit vom 1. April 2014 bis 31. März 2015 beschränke sich gemäss ihrem Schreiben an die ALK vom 1. Februar 2022 auf Fr. 12'569.05. Die Verpflichtung des Beschwerdegegners zur Rückerstattung des darüber hinausgehenden Betrags von Fr. 12'096.10 (richtig: Fr. 12'097.10 [Fr. 24'666.15 - Fr. 12'569.05]) mit der Begründung, die von der Helsana geleistete Nachzahlung sei geringer als die dem Beschwerdegegner aufgrund der seinerzeitigen Arbeitsunfähigkeit effektiv zustehenden Taggelder der obligatorischen Unfallversicherung, falle ausser Betracht.  
 
4.  
 
4.1. Unbestritten ist, dass die Beschwerdeführerin Anspruch auf Rückerstattung der für die Zeit vom 1. April 2014 bis 31. März 2015 erfolgten Taggeldnachzahlung der Helsana vom 1. Februar 2022 im Betrag von Fr. 12'569.05 hat.  
 
4.2.  
 
4.2.1. Wie die Beschwerdeführerin indessen zu Recht vorbringt, ergibt sich aus den Akten, dass die Helsana dem Beschwerdegegner - zusätzlich zum Taggeld von Fr. 12'569.05 - gemäss Schreiben vom 24. Mai 2018 aufgrund einer Vereinbarung mit ihm bereits am 27. August 2018 Taggelder im Betrag von Fr. 12'096.10 nachbezahlt hat. Dies war der Vorinstanz - entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners - im Rahmen der Sachverhaltsfeststellung bekannt. Unrichtig ist mithin die vorinstanzliche Feststellung, die von der Helsana als Unfallversicherer tatsächlich ausgerichtete Taggeldnachzahlung für die Zeit vom 1. April 2014 bis 31. März 2015 habe sich gemäss ihrem Schreiben an die ALK vom 1. Februar 2022 auf Fr. 12'569.05 beschränkt.  
 
4.2.2. Da die Helsana dem Beschwerdegegner den Taggeldbetrag von Fr. 12'096.10 am 27. August 2018 tatsächlich ausgerichtet hat, ist er bei der Rückforderung zu berücksichtigen (Art. 95 Abs. 1 bis AVIG). Unbehelflich ist daher sein pauschales Vorbringen, mit der Zugrundelegung einer 20%igen Arbeitsunfähigkeit bei der Ermittlung dieses Taggeldbetrags habe die Helsana bereits im Zeitpunkt der Nachzahlung dem Aspekt der Koordinierung Rechnung tragen wollen. Insbesondere macht er nicht geltend und es ist auch nicht ersichtlich, dass er insgesamt für den nicht durch die Verrechnung gedeckten Teil der Rückforderung rückerstattungspflichtig wird (vgl. BGE 142 V 448 E. 5.3).  
 
4.2.3. Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz Art. 28 Abs. 2 und Art. 95 Abs. 1 bis AVIG verletzt, indem sie bei der Berechnung des Rückforderungsanpruchs nur die Nachzahlung der Helsana vom 1. Februar 2022 von Fr. 12'569.05, nicht aber diejenige vom 27. August 2018 von Fr. 12'096.10 berücksichtigt hat. Folglich ist die Beschwerde gutzuheissen und das angefochtene Urteil wegen Verletzung von Bundesrecht aufzuheben.  
 
5.  
Der unterliegende Beschwerdegegner trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Die in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegende ALK hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 19. Dezember 2022 wird aufgehoben und der Einspracheentscheid der Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich vom 28. Januar 2022 wird bestätigt. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) und dem Amt für Wirtschaft und Arbeit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 16. August 2023 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Der Gerichtsschreiber: Jancar