6B_368/2022 29.06.2022
Avis important:
Les versions anciennes du navigateur Netscape affichent cette page sans éléments graphiques. La page conserve cependant sa fonctionnalité. Si vous utilisez fréquemment cette page, nous vous recommandons l'installation d'un navigateur plus récent.
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_368/2022  
 
 
Urteil vom 29. Juni 2022  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, als präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Muschietti, 
Bundesrichterin Koch, 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Nichtanhandnahme (Drohung usw.), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 24. Januar 2022 (SBK.2021.382). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Nach Strafanzeigen der Beschwerdeführerin gegen ihren Vermieter erliess die Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm am 1. Dezember 2021 eine Nichtanhandnahmeverfügung u.a. betreffend die Tatbestände der Drohung, Nötigung und Ehrverletzung, des Hausfriedensbruchs, der Körperverletzung, des Betrugs und der falschen Anschuldigung, welche am 2. Dezember 2021 von der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau genehmigt wurde. Auf die dagegen gerichtete Beschwerde vom 17. Dezember 2021 trat das Obergericht des Kantons Aargau mangels Leistung der Prozesskaution mit Entscheid vom 24. Januar 2022 nicht ein. Die Beschwerdeführerin wendet sich mit Beschwerde an das Bundesgericht. 
 
2.  
Anfechtungs- und Beschwerdeobjekt im bundesgerichtlichen Verfahren ist einzig der vorinstanzliche Nichteintretensentscheid (Art. 80 Abs. 1 BGG). Nicht zum Verfahrensgegenstand gehört die materielle Seite der Angelegenheit, zu der sich das Bundesgericht folglich auch nicht äussern kann. Auf die diesbezüglichen Ausführungen in der Beschwerde kann daher nicht eingetreten werden. 
 
3.  
Nach Art. 383 Abs. 1 StPO kann die Verfahrensleitung der Rechtsmittelinstanz die Privatklägerschaft verpflichten, innert einer Frist für allfällige Kosten und Entschädigungen Sicherheit zu leisten. Art. 136 StPO bleibt vorbehalten (Art. 383 Abs. 1 Satz 2 StPO). Wird die Sicherheit nicht fristgerecht geleistet, so tritt die Rechtsmittelinstanz auf das Rechtsmittel nicht ein (Art. 383 Abs. 2 StPO). 
Die Zustellung einer eingeschriebenen Postsendung, die nicht abgeholt worden ist, gilt am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als erfolgt, sofern die Person mit einer Zustellung rechnen musste (Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO). Die Begründung eines Prozessrechtsverhältnisses verpflichtet die Parteien, sich nach Treu und Glauben zu verhalten und unter anderem dafür zu sorgen, dass ihnen behördliche Akten zugestellt werden können, welche das Verfahren betreffen (BGE 141 II 429 E. 3.1; 138 III 225 E. 3.1; Urteil 6B_110/2016 vom 27. Juli 2016 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 142 IV 286 mit Hinweisen). Von einem Verfahrensbeteiligten ist zu verlangen, dass er um die Nachsendung der an die bisherige Adresse gelangenden Korrespondenz besorgt ist, allenfalls längere Ortsabwesenheiten der Behörde mitteilt oder einen Stellvertreter ernennt (vgl. Urteil 6B_110/2016 vom 27. Juli 2016 E. 1.2, nicht publiziert in BGE 142 IV 286; Urteil 6B_704/2015 vom 16. Februar 2016 E. 2.2 und 2.3). Die Verpflichtung der Parteien, dafür zu sorgen, dass behördliche Akte zugestellt werden können, dauert nicht unbeschränkt lange. Als Zeitraum, während dem die Zustellfiktion aufrechterhalten werden darf, ohne dass verfahrensbezogene Handlungen erfolgen, werden in der Literatur mehrere Monate bis etwa ein Jahr genannt. Das Bundesgericht erachtete in einem Steuerverfahren einen Zeitraum bis zu einem Jahr seit der letzten verfahrensbezogenen Handlung noch als vertretbar (vgl. Urteil 6B_110/2016 vom 27. Juli 2016 E. 1.2, nicht publiziert in BGE 142 IV 286; Urteil 6B_377/2016 vom 7. November 2016 E. 3.3.2). 
 
4.  
Die Vorinstanz führt aus, die Beschwerdeführerin sei mit Verfügung vom 23. Dezember 2021 gestützt auf Art. 383 Abs. 1 StPO aufgefordert worden, innert 10 Tagen eine Sicherheit in Höhe von Fr. 800.-- zu leisten, unter der Androhung, dass auf die Beschwerde nicht eingetreten werde, falls die Sicherheit innert Frist nicht bezahlt werde. Die Verfügung sei der Beschwerdeführerin am 28. Dezember 2021 zur Abholung gemeldet, jedoch nicht innert 7 Tagen abgeholt worden. Da die Beschwerdeführerin aufgrund des von ihr initiierten Beschwerdeverfahrens mit Zustellungen seitens der Vorinstanz habe rechnen müssen, gelte die Verfügung als zugestellt. Die 10-tägige Frist zur Bezahlung der Sicherheit von Fr. 800.-- habe am 5. Januar 2022 begonnen und am 14. Januar 2022 geendet. Mangels Bezahlung der Sicherheitsleistung sei auf die Beschwerde nicht einzutreten. 
 
5.  
Die gegen den vorinstanzlichen Entscheid vor Bundesgericht erhobene Kritik ist unbegründet, soweit sie den gesetzlichen Begründungsanforderungen überhaupt genügt (Art. 42 Abs. 2 BGG). 
Die Beschwerdeführerin beanstandet die Auferlegung einer Sicherheit, weil es sich bei den angezeigten Straftaten um Offizialdelikte handle. Sie legt indessen nicht weiter dar, weshalb im Rechtsmittelverfahren bei angezeigten Offizialdelikten die in Art. 383 StPO für die Privatklägerschaft vorgesehene Sicherheitsleistung rechtswidrig sein sollte. Solches ist auch nicht ersichtlich. Art. 383 StPO kennt die Unterscheidung zwischen Offizial- und Antragsdelikten als Kriterium für die Erhebung einer Sicherheitsleistung nicht. Die Auferlegung einer Prozesskaution ist folglich, anders als die Beschwerdeführerin meint, auch in Fällen von Offizialdelikten möglich. Dass und inwiefern die in der Verfügung vom 23. Dezember 2021 bei Nichtbezahlung der Sicherheitsleistung innert angesetzter Zahlungfrist angedrohte Rechtsfolge des Nichteintretens auf das Rechtsmittel gemäss Art. 382 Abs. 2 StPO gegen eine "faire Verfahrensführung" sprechen könnte, ist im Übrigen weder dargetan noch ersichtlich. 
Die Beschwerdeführerin macht weiter geltend, die Kautionsverfügung vom 23. Dezember 2021 nicht erhalten zu haben, weil sie sich dannzumal im Ausland bei ihrer Tochter in den Ferien befunden habe. Zudem habe sie nach Treu und Glauben auch nicht davon ausgehen müssen, dass ihr eine kostenabhängige Verfügung über die Feiertage Weihnachten/Neujahr zugestellt werde. Bei ihrer Kritik verkennt die Beschwerdeführerin, dass sie aufgrund ihrer Beschwerdeeinreichung vom 17. Dezember 2021 ein Prozessrechtsverhältnis begründete und daher mit gerichtlicher Post der Vorinstanz rechnen musste. Sie hätte daher dafür besorgt sein müssen, dass ihr (oder einem Stellvertreter) behördliche Akte zugestellt werden können. Angesichts ihrer Pflicht, die Entgegennahme von gerichtlichen Sendungen sicherzustellen, genügt der blosse Hinweis in ihrer Beschwerde auf ihren Ferienaufenthalt im Ausland nicht, um die Zustellfiktion von Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO dahinfallen zu lassen, mit der Folge, dass die Kautionsverfügung vom 23. Dezember 2021 entgegen ihrer Auffassung als rechtsgültig zugestellt gilt. Daran vermag auch nichts zu ändern, dass die Zustellung über die Weihnachts- und Neujahrszeit erfolgte, da die StPO keine Gerichtsferien und damit auch keinen Fristenstillstand kennt (vgl. Art. 89 Abs. 2 BGG). Weshalb die Beschwerdeführerin einfach und ohne Weiteres davon hätte ausgehen dürfen, sie müsse in der Zeit um Weihnachten und Neujahr nicht mit einer behördlichen Zustellung rechnen, bleibt unerfindlich. Nach der oben dargestellten Rechtsprechung muss sie den Zustellversuch vom Dezember 2021, der nur wenige Tage nach ihrer Beschwerdeerhebung erfolgte, gegen sich gelten lassen. 
Der vorinstanzliche Nichteintretensentscheid ist damit nicht zu beanstanden. Die Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
 
6.  
Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist in Anwendung von Art. 64 BGG abzuweisen, weil die Rechtsbegehren aussichtslos erschienen. Der finanziellen Lage der Beschwerdeführerin ist durch eine herabgesetzte Gerichtsgebühr Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 29. Juni 2022 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Denys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill