7B_115/2022 23.10.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_115/2022  
 
 
Urteil vom 23. Oktober 2023  
 
II. Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichterin Koch, Bundesrichter Kölz, 
Gerichtsschreiber Caprara. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Erben der A.________ sel., 
verstorben am 16. Oktober 2022, nämlich: 
 
1. B.________, 
2. C.________, 
3. D.________, 
alle drei vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Monika Gattiker, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl, 
Postfach, 8036 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Verfahrenseinstellung (aussergewöhnlicher Todesfall), 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 6. April 2022 (UE210233-O/BEE). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 15. Mai 2020 verstarb F.________, geboren 1929, an ihrem Wohnort in U.________ Zunächst bescheinigte die Hausärztin einen natürlichen Todesfall, worauf noch am selben Tag aufgrund eines Hinweises aus der Verwandtschaft der Verstorbenen ein aussergewöhnlicher Todefall polizeilich rapportiert wurde. Der Hinweis betraf verdächtige Zahlungsanweisungen kurz vor dem Tod von F.________ zugunsten eines Kontos der Betreuungsperson der Verstorbenen, E.________, sowie zugunsten eines Kontos der Verstorbenen selbst, auf welches E.________ Zugriff hatte. Diese Zahlungsanweisungen wurden von der Bank jedoch nicht ausgeführt. 
 
B.  
A.________, die Schwester der verstorbenen F.________, konstituierte sich als Privatklägerin im von der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl eröffneten Strafverfahren wegen eines aussergewöhnlichen Todesfalls von F.________. 
Die Staatsanwaltschaft stellte die Untersuchung mit Verfügung vom 21. Juli 2021 ein. Gegen diese Verfügung führte A.________ Beschwerde. 
Das Obergericht des Kantons Zürich wies die Beschwerde mit Beschluss vom 6. April 2022 ab. 
 
C.  
Gegen diesen Beschluss führte A.________ Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Sie beantragte, der Beschluss des Obergerichts vom 6. April 2022 sei aufzuheben und die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl sei anzuweisen, die Untersuchung des aussergewöhnlichen Todesfalls weiterzuführen. Insbesondere sei die Staatsanwaltschaft anzuweisen, folgende Beweise zu erheben: ergänzende Befragungen von Dr. med. G.________ und E.________ als Auskunftspersonen, bzw. von H.________ als Zeugen; Erstellung eines Gutachtens durch die kantonale Heilmittelkontrolle; soweit aufgrund der genannten Beweiserhebungen notwendig, Erstellung eines Gutachtens durch das Institut für Rechtsmedizin Zürich; alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl. 
 
 
D.  
A.________ verstarb am 16. Oktober 2022. Das bundesgerichtliche Verfahren wurde in der Folge vorläufig sistiert. Mit Eingabe vom 28. Juni 2023 (Eingang beim Bundesgericht) teilten die drei Kinder als einzige Erben der Verstorbenen mit, dass sie das Verfahren fortsetzen möchten. Folglich wurde die vorläufige Sistierung aufgehoben und das Verfahren fortgesetzt. 
Die kantonalen Akten wurden beigezogen. Vernehmlassungen wurden keine eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde gegen einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid betreffend eine Strafsache ist unter Vorbehalt der nachfolgenden Ausführungen grundsätzlich einzutreten (Art. 42, Art. 78 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1, Art. 90, Art. 100 Abs. 1 BGG).  
 
1.2. Die Abhebung von Fr. 500.-- durch E.________ am 15. Mai 2020 nach dem Tod der Verstorbenen (Beschwerde S. 4 Ziff. 15) bildet nicht Gegenstand des angefochtenen Beschlusses. Diesbezüglich mangelt es an einem letztinstanzlichen kantonalen Entscheid (Art. 80 Abs. 1 BGG). Insoweit ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.  
 
2.  
 
2.1. Die Beschwerdeführer verlangen abzuklären, ob ihre verstorbene Tante F.________ Opfer einer Tötung geworden sei. Zur Legitimation berufen sie sich auf die Eigenschaft als Erben ihrer verstorbenen Mutter A.________, welche ihrerseits die Schwester und (soweit bekannt) die einzige Erbin von F.________ war.  
 
2.2. Nach Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG ist zur Beschwerde in Strafsachen berechtigt, wer ein rechtliches Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat. Dies gilt für die Privatklägerschaft, wenn sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG). Könnten die Beschwerdeführer bei einer bundesgerichtlichen Rückweisung (vgl. Art. 107 Abs. 2 BGG) im kantonalen Verfahren keine Zivilansprüche geltend machen, so fehlt es an dem in Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG verlangten rechtlich geschützten Interesse (vgl. dazu BGE 148 IV 256 E. 3.1 und E. 3.7). Insoweit stellt sich die Frage, ob die Beschwerdeführer in einem Rückweisungsverfahren Zivilansprüche geltend machen könnten. Dies ist anhand der einschlägigen Bestimmungen der StPO zu prüfen.  
 
2.3.  
 
2.3.1. Gemäss Art. 118 Abs. 1 StPO gilt als Privatklägerschaft die geschädigte Person, die ausdrücklich erklärt, sich am Strafverfahren als Straf- oder Zivilklägerin zu beteiligen. Als geschädigte Person gilt die Person, die durch die Straftat in ihren Rechten unmittelbar verletzt worden ist (Art. 115 Abs. 1 StPO). Als Opfer gilt die geschädigte Person, die durch die Straftat in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist (Art. 116 Abs. 1 StPO). Machen die Angehörigen eines Opfers Zivilansprüche geltend, so stehen ihnen die gleichen Rechte zu wie dem Opfer (Art. 117 Abs. 3 StPO). Als Angehörige des Opfers gelten seine Ehegattin oder sein Ehegatte, seine Kinder und Eltern sowie die Personen, die ihm in ähnlicher Weise nahe stehen (Art. 116 Abs. 2 StPO).  
 
2.3.2. Beim geltend gemachten Tötungsdelikt ist das potentielle Opfer F.________ unmittelbar geschädigt (im Sinne von Art. 115 Abs. 1 StPO), nicht hingegen die Hinterbliebenen. Weder die verstorbene Schwester von F.________, A.________, noch die Beschwerdeführer als Nichte und Neffen der verstorbenen F.________ sind durch das geltend gemachte Delikt unmittelbar geschädigt. Weiter machen die Beschwerdeführer nichts geltend, was auf eine besondere Nähe (im Sinne von Art. 116 Abs. 2 StPO) zu ihrer Tante als mutmassliches Opfer einer Straftat schliessen lässt (vgl. Urteil 7B_153/2022 vom 20. Juli 2023 E. 2.1 mit Hinweisen). Insoweit liesse sich aus Art. 117 Abs. 3 StPO, selbst im Falle einer bundesgerichtlichen Rückweisung, keine Legitimation der Beschwerdeführer zur Geltendmachung einer Zivilforderung vor den kantonalen Instanzen ableiten.  
 
3.  
 
3.1. Zu prüfen ist sodann die Legitimation der Beschwerdeführer als Hinterbliebene einer geschädigten Person zur Geltendmachung einer Zivilforderung.  
 
3.2.  
 
3.2.1. Art. 121 StPO regelt die strafprozessualen Folgen, wenn die mit der Straftat zusammenhängenden privatrechtlichen Ansprüche auf Personen übergehen, die nicht unmittelbar geschädigt im Sinne von Art. 115 Abs. 1 StPO sind (BGE 140 IV 155 E. 3.4.5; vgl. hierzu auch BGE 148 IV 256 E. 3.1). Rechtsnachfolger einer geschädigten natürlichen oder juristischen Person sind gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung als mittelbar Geschädigte einzustufen, die sich grundsätzlich, vorbehältlich der Ausnahmefälle von Art. 121 Abs. 1 und 2 StPO, nicht als Privatkläger im Strafverfahren konstituieren können (BGE 148 IV 256 E. 3.1; 146 IV 76 E. 2.2.1; 140 IV 162 E. 4.4; je mit Hinweis[en]).  
 
3.2.2. Stirbt die geschädigte Person, ohne auf ihre Verfahrensrechte als Privatklägerschaft verzichtet zu haben, so gehen ihre Rechte auf die Angehörigen im Sinne von Artikel 110 Absatz 1 StGB in der Reihenfolge der Erbberechtigung über (Art. 121 Abs. 1 StPO). Als Angehörige einer geschädigten Person gelten ihr Ehegatte, ihre eingetragene Partnerin oder ihr eingetragener Partner, ihre Verwandten in gerader Linie, ihre vollbürtigen oder halbbürtigen Geschwister, ihre Adoptiveltern, ihre Adoptivgeschwister und Adoptivkinder (Art. 110 Abs. 1 StGB). Die Aufzählung in Art. 110 Abs. 1 StGB ist abschliessend und restriktiv auszulegen (BGE 148 IV 256 E. 3.1 mit Hinweis).  
Art. 121 Abs. 1 StPO ist nur auf natürliche Personen anwendbar (BGE 140 IV 162 E. 4.7.1; Urteil 6B_549/2013 vom 24. Februar 2014 E. 3.2.2). Die vom Gesetzgeber in Abs. 1 angestrebte Privilegierung der engsten Angehörigen eines verstorbenen Geschädigten (als rechtsnachfolgende Privatkläger im Straf- und Zivilpunkt) rechtfertigt sich sachlich aufgrund der verwandtschaftlichen bzw. lebenspartnerschaftlichen affektiven Nähe und Solidarität der betroffenen natürlichen Personen untereinander. Damit führt Abs. 1 nicht zu einer stossenden Ungleichbehandlung natürlicher und juristischer Personen (BGE 140 IV 162 E. 4.9.3 und Regeste). 
 
3.3. Die Beschwerdeführer als Nichte und Neffen der Verstorbenen F.________ sind keine nahen Angehörigen im Sinne von Art. 110 Abs. 1 StGB. Insoweit können sie sich zur Begründung ihrer Legitimation nicht auf Art. 121 Abs. 1 StPO berufen. Hingegen stellt sich die Frage, ob die Beschwerdeführer ihre Legitimation auf Art. 121 Abs. 2 StPO stützen können und von Gesetzes wegen in die Rechtsposition ihrer verstorbenen Tante F.________ eingetreten sind.  
 
4.  
 
4.1. Wer von Gesetzes wegen in die Ansprüche der geschädigten Person eingetreten ist, ist nur zur Zivilklage berechtigt und hat nur jene Verfahrensrechte, die sich unmittelbar auf die Durchsetzung der Zivilklage beziehen (Art. 121 Abs. 2 StPO). Mit Art. 121 Abs. 2 StPO bezweckte der Gesetzgeber die (teilweise) Privilegierung von (nicht selbst geschädigten) natürlichen und juristischen Personen, welche von Gesetzes wegen in die Ansprüche der geschädigten Person eingetreten sind (sogenannte gesetzliche Subrogation bzw. Legalzession von zivilrechtlichen Ansprüchen). Art. 121 Abs. 2 StPO sieht eine zweite Ausnahme vom Grundsatz vor, dass Rechtsnachfolger (als bloss indirekt Geschädigte) keine Parteistellung im Strafprozess haben. Diese Personen können zwar nicht zum Strafpunkt plädieren. Sie sind jedoch zur adhäsionsweisen Zivilklage (Art. 122-126 StPO) berechtigt und können jene Verfahrensrechte beanspruchen, die sich unmittelbar auf die Durchsetzung der Zivilklage beziehen (BGE 148 IV 256 E. 3.8; 145 IV 351 E. 4.2; 140 IV 162 E. 4.9.4 und Regeste). Konkret bedeutet dies etwa, dass bei der Gewährung von Akteneinsicht (vgl. Art. 107 Abs. 1 lit. a StPO) nur jene Akten eingesehen werden können, die zur Begründung der Zivilklage notwendig sind (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1172 Ziff. 2.3.3.3). Unter die gesetzliche Subrogation im Sinne von Art. 121 Abs. 2 StPO fallen insbesondere staatliche Regressansprüche gegen Beschuldigte nach Entschädigungs- und Genugtuungszahlungen an Opfer von Straftaten (Art. 7 Abs. 1 OHG [SR 312.5]) sowie privat- und sozialversicherungsrechtliche, privathaftpflicht- bzw. staatshaftungsrechtliche oder konkursrechtliche Regressansprüche (vgl. BGE 140 IV 162 E. 4.9.4; Urteile 1B_537/2021 vom 13. Januar 2022 E. 2.3.1; 6B_671/2014 vom 22. Dezember 2017 E. 1.4.2; 6B_549/2013 vom 24. Februar 2014 E. 3.2.1).  
 
4.2.  
 
4.2.1. Die Frage, ob die erbrechtliche Nachfolge einen Fall der gesetzlichen Subrogation gemäss Art. 121 Abs. 2 StPO darstellt, wurde bisher vom Bundesgericht offengelassen (BGE 148 IV 256 E. 3.8). Indes drängt sich eine Beantwortung dieser Frage vorliegend aus nachfolgenden Gründen nicht auf.  
 
4.2.2. Im vorliegenden Fall kritisieren die Beschwerdeführer die von der Vorinstanz geschützte Verfahrenseinstellung der Staatsanwaltschaft. Sie rügen eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro duriore" und bringen zur Begründung im Wesentlichen vor, die Vorinstanz gehe zu Unrecht davon aus, dass keine Hinweise auf eine strafbare Handlung gegen das Leben der Verstorbenen im Sinne von Art. 111 ff. StGB vorlägen. Insoweit richtet sich ihre Kritik gegen die erfolgte Verfahrenseinstellung, respektive betrifft diese den Strafpunkt. Selbst bei einer allfälligen Anwendung von Art. 121 Abs. 2 StPO im vorliegenden Fall wäre die Legitimation der Beschwerdeführer hinsichtlich des Strafpunktes zu verneinen (vgl. BGE 148 IV 256 E. 3.8; JEANDIN/FONTANET, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2. Aufl. 2019, N. 15 zu Art. 121 StPO), da sie gestützt auf diese Norm nur befugt wären, jene Verfahrensrechte zu beanspruchen, die sich unmittelbar auf die Durchsetzung ihrer Zivilklage beziehen (vgl. oben E. 4.1). Indessen machen die Beschwerdeführer vorliegend solche Verfahrensrechte nicht geltend. Bei dieser Sachlage ist die Beschwerdelegitimation der Beschwerdeführer gestützt auf Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG zu verneinen (vgl. BGE 148 IV 256 E. 3.8).  
 
5.  
Die Beschwerdeführer machen keine verfahrensrechtlichen Rügen geltend, die sich von der materiellen Beurteilung der Sache trennen liessen und vom Bundesgericht unabhängig von der Beschwerdelegitimation in der Sache beurteilt werden könnten (sog. Star-Praxis; BGE 149 I 72 E. 3.1; 146 IV 76 E. 2). Auf ihre Beschwerde ist nicht einzutreten. Die Kosten des Verfahrens sind den unterliegenden Beschwerdeführern unter solidarischer Haftbarkeit aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 und Abs. 5 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden den Beschwerdeführern unter solidarischer Haftbarkeit auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 23. Oktober 2023 
 
Im Namen der II. Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Caprara