7B_128/2022 24.11.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_128/2022  
 
 
Urteil vom 24. November 2023  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Kölz, Hofmann, 
Gerichtsschreiber Schurtenberger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Pfister, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, I. Abteilung, Postfach 1356, 6301 Zug. 
 
Gegenstand 
Beschlagnahme / Aufrechterhaltung von Sicherstellungen, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts 
des Kantons Zug, I. Beschwerdeabteilung, 
vom 10. Januar 2022 (BS 2021 64). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug führt, gestützt auf eine gegen Unbekannt gerichtete Anzeige des Bundesamts für Gesundheit, ein Strafverfahren gegen A.________. Diesem wird vorgeworfen, auf der Webseite "B.________" Werbung für sogenannte "Miracle Mineral Support" (MMS) und deren angeblich gesundheitsfördernde Wirkung gemacht zu haben und damit gegen die Straftatbestände von Art. 49 f. des Bundesgesetzes über den Schutz vor gefährlichen Stoffen und Zubereitungen vom 15. Dezember 2000 (SR 813.1) und von Art. 87 des Bundesgesetzes über Arzneimittel und Medizinprodukte vom 15. Dezember 2000 (SR 812.2) verstossen zu haben. 
Im Rahmen dieses Strafverfahrens durchsuchte die Zuger Polizei in Anwesenheit von A.________ dessen Wohnhaus und stellte eine Reihe von Unterlagen und elektronischer Datenträger sicher. Sodann wurden in der Folge, ebenfalls in Anwesenheit von A.________, dessen Büroräumlichkeiten sowie ein von ihm gemieteter Lagerraum durchsucht. Dabei wurden eine Reihe von Unterlagen sowie zahlreiche Dosen mit Kapseln und Kaugummi sichergestellt. A.________ verlangte die Siegelung eines Teils der sichergestellten Unterlagen sowie der elektronischen Datenträger. Das sichergestellte Mobiltelefon wurde ihm nach erfolgter Spiegelung der sich darauf befindlichen Daten zurückgegeben. 
 
B.  
Mit Beschwerde vom 24. August 2020 gelangte A.________ an das Obergericht des Kantons Zug und beantragte im Wesentlichen die Feststellung der Nichtigkeit der durchgeführten Hausdurchsuchung und die Rückgabe der sichergestellten Gegenstände und Unterlagen. Mit Beschluss vom 6. Juli 2021 trat das Obergericht nicht auf die Beschwerde ein; auf eine dagegen erhobene Beschwerde in Strafsachen trat das Bundesgericht mit Urteil vom 23. Juni 2021 unter Hinweis auf Art. 93 BGG im vereinfachten Verfahren nach Art. 108 BGG ebenfalls nicht ein (Verfahren 1B_329/2021). 
Mit Verfügung vom 5. Juli 2021 beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft die anlässlich der Hausdurchsuchungen sichergestellten Gegenstände und Unterlagen und ordnete bezüglich derjenigen Gegenstände, für welche die Siegelung verlangt worden war, die Aufrechterhaltung der Sicherstellung an. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht mit Beschluss vom 10. Januar 2022 ab, soweit es darauf eintrat. 
 
C.  
Dagegen erhob A.________ mit Eingabe vom 8. Februar 2022 beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Gutheissung seiner vor der Vorinstanz gestellten Anträge, eventualiter die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur erneuten Beurteilung. 
Das Obergericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Staatsanwaltschaft hat mit Eingabe vom 24. Februar 2022 die Abweisung der Beschwerde beantragt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Gegenstand des angefochtenen Entscheids ist eine Beweismittelbeschlagnahme (Art. 263 Abs. 1 lit. a StPO) nach erfolgter Hausdurchsuchung. Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 Abs. 1 BGG gegeben. Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. 
 
2.  
 
2.1. Der angefochtene Entscheid schliesst das gegen den Beschwerdeführer laufende Strafverfahren nicht ab. Es handelt sich um einen selbstständig eröffneten Zwischenentscheid, der nur unter den Voraussetzungen von Art. 92 oder Art. 93 BGG angefochten werden kann. Der angefochtene Entscheid betrifft weder die Zuständigkeit noch den Ausstand (Art. 92 BGG). Es handelt sich somit um einen "anderen Zwischenentscheid" im Sinne von Art. 93 BGG. Gemäss Art. 93 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde gegen einen derartigen Zwischenentscheid zulässig, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (lit. a) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b). Die Variante nach Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG fällt hier ausser Betracht, weshalb einzig zu prüfen ist, ob der angefochtene Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken könnte.  
 
2.2. Nach der Rechtsprechung muss es sich beim nicht wieder gutzumachenden Nachteil gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG um einen solchen rechtlicher Natur handeln. Ein derartiger Nachteil liegt vor, wenn er auch durch einen für die beschwerdeführende Person günstigen späteren Entscheid nicht mehr behoben werden kann (BGE 144 IV 127 E. 1.3.1). Ein lediglich tatsächlicher Nachteil wie die Verteuerung oder Verlängerung des Verfahrens genügt nicht (BGE 142 III 798 E. 2.2). Denn die Beschwerdevoraussetzungen nach Art. 93 Abs. 1 BGG sollen das Bundesgericht entlasten; dieses soll sich wenn möglich nur einmal mit einer Sache befassen (BGE 135 II 30 E. 1.3.2). Die beschwerdeführende Person muss, wenn das nicht offensichtlich ist, im Einzelnen darlegen, inwiefern ihr ein nicht wieder gutzumachender Nachteil rechtlicher Natur drohen soll. Andernfalls kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden (BGE 142 III 798 E 2.2; 137 III 324 E. 1.1; je mit Hinweisen).  
 
2.3. Eine Beweismittelbeschlagnahme gemäss Art. 263 Abs. 1 lit. a BGG verursacht nach der Rechtsprechung grundsätzlich keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur (BGE 136 IV 92 E. 4.1; aus der jüngeren Rechtsprechung Urteil 7B_148/2023 vom 13. Juli 2023 E. 4.2 mit weiteren Hinweisen).  
Der Beschwerdeführer bringt nichts vor, was im vorliegenden Fall zu einer abweichenden Beurteilung führen würde. Er behauptet zwar, der nicht wieder gutzumachende Nachteil liege vorliegend darin, dass ihm Geschäftsunterlagen und Geräte entzogen worden seien, auf die er beruflich und privat angewiesen sei, und weiter, dadurch sei er in der Vertragsabwicklung und Geschäftstätigkeit generell eingeschränkt. Die Staatsanwaltschaft hat in ihrer Vernehmlassung vom 24. Februar 2022 jedoch festgehalten, sie habe dem Beschwerdeführer am 4. August 2021 Kopiersätze aller sichergestellten Akten zugestellt, weshalb nicht nachvollziehbar sei, inwiefern er nicht in der Lage sein soll, seinen Geschäftstätigkeiten nachzukommen. 
Der Beschwerdeführer bestreitet dies nicht und führt auch sonst nicht aus, inwiefern ihm dennoch ein nicht wieder gutzumachender Nachteil drohen soll. Demnach gelingt es ihm nicht, das Vorliegen der Eintretensvoraussetzung gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG darzutun. 
 
2.4. Der Beschwerdeführer bringt zudem vor, das Verhalten der Vorinstanz habe für das weitere Verfahren präjudizierende Wirkung, was ebenfalls einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirke. Stünde ihm vorliegend kein Rechtsmittel zur Verfügung, so könne die Rechtmässigkeit gar nie respektive erst im Zusammenhang mit einem allfälligen Entschädigungsbegehren gemäss Art. 431 StPO zur gerichtlichen Beurteilung gelangen. Dieses Vorbringen ist indessen von vornherein ungeeignet, einen drohenden nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG darzulegen, besteht der Sinn und Zweck dieser Norm doch gerade darin, dass sich das Bundesgericht grundsätzlich nur einmal mit einer Sache befassen muss (siehe E. 2.2 hiervor). Vor- und Zwischenentscheide sind durch Beschwerde gegen den Endentscheid anfechtbar, soweit sie sich auf dessen Inhalt auswirken (Art. 93 Abs. 3 BGG). Die vom Beschwerdeführer zitierte Rechtsprechung (BGE 137 I 296 E. 4.3) ist hier offensichtlich nicht einschlägig.  
 
2.5. Zusammengefasst ist das Erfordernis eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG vorliegend nicht erfüllt.  
 
3.  
Der Beschwerdeführer bringt weiter vor, ungeachtet des Vorliegens eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG sei vorliegend auch deshalb auf die Beschwerde einzutreten, weil er eine durch die Vorinstanz begangene Rechtsverweigerung rüge und diesfalls praxisgemäss auf das Erfordernis eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils verzichtet werde. 
Inwiefern dies zutrifft, kann dahingestellt bleiben, da seine Vorbringen ohnehin unbegründet sind. 
 
3.1. Der Beschwerdeführer rügt zunächst, er habe vor der Vorinstanz unter anderem eine Verletzung von Art. 8 EMRK geltend gemacht. Diesbezüglich habe die Vorinstanz lediglich ausgeführt, es sei (bereits) rechtskräftig festgestellt worden, dass keine Verletzung von Art. 8 EMRK vorliege. Dies - so der Beschwerdeführer weiter - sei jedoch unzutreffend. Der entsprechende Beschluss (der Vorinstanz) vom 6. März 2021 sei nicht rechtskräftig, da das Bundesgericht auf die dagegen gerichtete Beschwerde nicht eingetreten sei.  
Dieser Einwand ist unbehelflich. Zwar kann der Beschluss der Vorinstanz vom 6. März 2021 allenfalls durch eine spätere Beschwerde gegen den Endentscheid vor Bundesgericht mitangefochten werden (Art. 93 Abs. 3 BGG). Dies ändert jedoch nichts am Umstand, dass die Vorinstanz grundsätzlich nicht gehalten war, die gerügte Verletzung von Art. 8 EMRK erneut zu prüfen, sondern diesbezüglich auf ihren früheren Entscheid in der gleichen Sache verweisen durfte. Der Beschwerdeführer bringt nicht vor, er hätte im vorinstanzlichen Verfahren neue tatsächliche oder rechtliche Vorbringen eingebracht, die eine erneute Auseinandersetzung mit dieser Frage erfordert hätten (vgl. Urteile 7B_389/2023 vom 6. September 2023 E. 5; 6B_716/2015 vom 17. November 2015 E. 3.2). 
 
3.2. Der Beschwerdeführer rügt weiter, die Vorinstanz sei bezüglich der Asservate A7, A9 und A10 (für welche die Siegelung verlangt wurde) nicht auf seine Beschwerde eingetreten. Sie habe dies damit begründet, die Unzulässigkeit der Hausdurchsuchung könne im Entsiegelungsverfahren geltend gemacht werden. Dies sei jedoch unzutreffend, da dort der Entscheid wiederum dem Sachrichter weitergereicht werde, weshalb der Rechtsschutz hier zu erfolgen habe. Überdies sei es überspitzt formalistisch, auf seine Beschwerde bloss deswegen nicht einzutreten, weil betreffend die gesiegelten Gegenstände gar keine Beschlagnahme (sondern lediglich eine vorläufige Sicherstellung) vorliege.  
Nach konstanter Rechtsprechung ist für entsiegelungsrelevante (zu durchsuchende und grundsätzlich dem Geheimnisschutz zugängliche) Unterlagen das gesetzliche Entsiegelungsverfahren durchzuführen (Art. 248 StPO). Die kantonale Beschwerde ist in diesem Bereich gesetzlich ausgeschlossen (Art. 248 Abs. 3 i.V.m. Art. 380 StPO und Art. 80 Abs. 2 Satz. 3 BGG). Die von einer provisorischen Sicherstellung betroffene Person hat grundsätzlich sämtliche Einwände im Entsiegelungsverfahren vorzubringen (BGE 144 IV 74 E. 2.3 und 2.7; statt vieler Urteil 7B_253/2023 vom 31. August 2023 E. 3). 
Der Beschwerdeführer kritisiert das Vorgehen der Vorinstanz, die sich auf die vorzitierte Rechtsprechung zu stützen vermag, zwar als "unbehilflich und gar willkürlich". Er versäumt es indessen, sich näher mit dieser Rechtsprechung auseinanderzusetzen, weshalb darauf nicht zurückzukommen ist. Die Beschwerde ist auch in diesem Punkt unbegründet. 
 
3.3. Der Beschwerdeführer sieht schliesslich auch darin eine formelle Rechtsverweigerung, dass die Vorinstanz seine detaillierten Vorbringen, namentlich es fehle an einem hinreichenden Tatverdacht und an der Verhältnismässigkeit, übergangen habe.  
Die Vorinstanz war nach ständiger Rechtsprechung nicht gehalten, sich mit all seinen Parteistandpunkten einlässlich auseinanderzusetzen und jedes einzelne seiner Vorbringen ausdrücklich zu widerlegen. Stattdessen durfte sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken (BGE 146 II 335 E. 5.1). 
Mit seinen diesbezüglichen Vorbringen, etwa, die Vorinstanz habe sich "über das aktenkundige Vorbringen bzw. Entlastungen hinweggesetzt", zielt der Beschwerdeführer im Ergebnis auf eine materielle Überprüfung des angefochtenen Entscheids ab. Wird auf eine Beschwerde indessen einzig deshalb eingetreten, weil eine formelle Rechtsverweigerung gerügt wird, sind derartige Rügen von vornherein unzulässig und dürfen nur Rügen formeller Natur erhoben werden, die von einer Prüfung der Sache getrennt werden können (vgl. BGE 141 IV 1 E. 1.1 mit Hinweisen). 
 
4.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Verfahrensausgang wird der unterliegende Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG) und sind keine Parteientschädigungen zuzusprechen (Art. 68 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, I. Abteilung, und dem Obergericht des Kantons Zug, I. Beschwerdeabteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 24. November 2023 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Schurtenberger