12T_2/2022 23.12.2022
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
12T_2/2022  
 
Entscheid vom 23. Dezember 2022 
Verwaltungskommission 
 
Besetzung 
Bundesrichterin Niquille, Präsidentin, 
Bundesrichter Donzallaz, Chaix, 
Generalsekretär Lüscher. 
 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Max Imfeld, 
Anzeiger, 
 
gegen  
 
1. Bundesverwaltungsgericht, Verwaltungskommission, Kreuzackerstrasse 12, 9000 St. Gallen, 
2. B.________, 
3. C.________, 
4. D.________, 
5. E.________, 
6. F.________, 
7. G.________, 
8. H.________, 
9. I.________, 
Angezeigte. 
 
Gegenstand 
Aufsichtsanzeige gemäss Art. 9 Abs. 1 AufRBGer
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Eingabe vom 7. Oktober 2022 reichte Rechtsanwalt Max Imfeld für seinen Klienten A.________ (nachfolgend: Anzeiger) beim Bundesgericht eine Aufsichtsanzeige ein. Er beantragt, es sei gestützt auf Art. 9 Abs. 1 und Art. 7 des Aufsichtsreglements des Bundesgerichts (SR 173.110.132, AufRBGer) eine Untersuchung zu eröffnen gegen die ehemaligen Präsidien der Abteilung V sowie deren Vize- bzw. Kammerpräsidenten (die im Rubrum namentlich genannten Personen) und gegen die damaligen und aktuellen Mitglieder der Verwaltungskommission des Bundesverwaltungsgerichts (VK-BVGer). 
Das Bundesverwaltungsgericht wurde zur Vernehmlassung eingeladen und beantragt mit Schreiben vom 23. November 2022, der Anzeige sei keine Folge zu geben. Der Anzeiger hat am 15. Dezember 2022 eine ergänzende Stellungnahme eingereicht. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Der Anzeiger nennt die betroffenen Präsidien und Vizepräsidien der Abteilung V, gegen die sich seine Eingabe richtet, namentlich. Demgegenüber spricht er nur von den damaligen und aktuellen Mitgliedern der VK-BVGer. Aus dem Zusammenhang ergibt sich, dass mit "damaligen" jene Mitglieder gemeint sind, die im Frühling 2021 im Amt waren. Entsprechend wurde im Rubrum B.________, die nicht mehr der Verwaltungskommission angehört, zusätzlich aufgeführt. 
 
2.  
 
2.1. Die Anzeige vom 7. Oktober 2022 ist zu verstehen vor dem Hintergrund der von der Verwaltungskommission des Bundesgerichts (VK-BGer) am 17. März 2021 gemachten Meldung an die Gerichtskommission. Die VK-BGer stellte fest, dass der Anzeiger in einem asylrechtlichen Revisionsverfahren (E-5711/2019) eine unzulässige Veränderung des Spruchkörpers vorgenommen hatte und schloss aufgrund verschiedener Indizien, dass dies absichtlich geschehen sei. Der Anzeiger hatte in diesem Verfahren geltend gemacht, dass er lediglich einen Fehler bei der von der Abteilungskanzlei vorgenommenen automatisierten Spruchkörperbildung (durch den sog. Bandlimat) korrigiert habe.  
 
2.2. Der Anzeiger macht vorliegend im Wesentlichen geltend, in jenem Verfahren sei die fehlerhafte Spruchkörperbildung durch das Kanzleipersonal nur unzureichend abgeklärt worden. Die verantwortlichen Präsidien in der Abteilung V hätten bis Frühling 2021 in rechtswidriger Weise auf eine Nachkontrolle der an die Abteilungskanzlei delegierten Spruchkörperbildung verzichtet. Erst per 22. März 2021 hätten die Abteilungs- und Kammerpräsidien damit begonnen, die Zuteilungen einer systematischen Überprüfung auf ihre Übereinstimmung mit den Reglementen zu unterziehen. Durch die sog. gestaffelte Spruchkörperbildung (zwischen dem 1. Januar 2019 und dem 7. November 2019) sei das Risiko von Fehlern beim Kanzleipersonal noch erhöht worden, weshalb die ausgebliebene Kontrolle durch die Präsidien nicht vertretbar gewesen sei. Auch die Verwaltungskommission des Bundesverwaltungsgerichts (VK-BVGer) trage eine Mitverantwortung für dieses Kontrollversagen. Die von der damaligen Abteilungspräsidentin am 13. August 2020 an den Asylbewerber gemachte Mitteilung, dass die Umstände der Entscheidfindung in seinem Revisionsverfahren möglicherweise einen Revisionsgrund darstellten, werfe sodann die Frage auf, ob diese damit nicht eine Amtsgeheimnisverletzung begangen habe. Schliesslich thematisiert der Anzeiger erneut bereits im Verfahren 12T_1/2022 aufgeworfene Vorwürfe, die dort abgehandelt worden sind und auf die daher zum vorneherein nicht mehr einzugehen ist.  
 
3.  
 
3.1. Die Aufsicht des Bundesgerichts über die erstinstanzlichen Gerichte ist eine Organaufsicht und bezweckt die gesetzmässige, zweckmässige und haushälterische Aufgabenerfüllung der beaufsichtigten Gerichte (Art. 2 Abs. 3 AufRBGer). Raum für aufsichtsrechtliche Feststellungen oder gar weitergehende Massnahmen besteht nach feststehender Praxis nur unter der Voraussetzung struktureller Mängel organisatorischer oder administrativer Natur (BGE 144 II 56 E. 2; 144 II 486 E. 3.1; Entscheid 12T_3/2019 E. 2). Auch wenn die Praxis zur Aufsicht hauptsächlich Fälle betrifft, in denen ein Anzeiger in seinem am Bundesverwaltungsgericht hängigen oder entschiedenen Verfahren Mängel geltend macht und Kritik am entsprechenden Spruchkörper übt, trifft Gleiches auch zu, wenn die Kritik die Gerichtsleitung und damit eine Verwaltungsmassnahme betrifft. Gegenstand der Aufsicht ist nicht das Überprüfen einer einzelnen Verwaltungsmassnahme. Vielmehr ergibt sich der Inhalt der Aufsicht des Bundesgerichts stets aus der damit verbundenen Zielsetzung, der Sicherstellung einer funktionsfähigen, unabhängigen Justiz (vgl. auch Heinrich Koller, in: Basler Kommentar Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2018, N. 94 zu Art. 1 BGG). Die Aufsichts anzeige ist keine Aufsichtsbeschwerde; sie dient nicht dem Individualrechtschutz (Stefan Vogel, in: Christoph Auer/Markus Müller/Benjamin Schindler [Hrsg.], Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren, Kommentar, N. 6 zu Art. 71 VwVG; Oliver Zibung, in: Bernhard Waldmann/Philippe Weissenberger [Hrsg.], Praxiskommentar Verwaltungsverfahrensgesetz [VwVG], 2. Aufl. 2016, N. 18 zu Art. 71 VwVG). Ob der Geschäftsgang generell den Anforderungen entspricht, ist zwar anhand der beanstandeten konkreten Fälle zu beleuchten. Diese müssen aber klare Anhaltspunkte enthalten, dass es sich nicht um einen Einzelfall, sondern um ein allgemeines Problem handelt. Auch besteht kein Anlass zum Einschreiten, wenn das beaufsichtigte Gericht die nötigen organisatorischen oder administrativen Massnahmen getroffen hat (Paul Tschümperlin, Calame/Hess-Blumer/Stieger [Hrsg.], Patentgerichtsgesetz [PatGG], Kommentar, 2013, N. 53 zu Art. 3 BPatGG) (vgl. zum Ganzen Entscheid 12T_1/2022 vom 26. September 2022 E. 2.1).  
 
3.2. Gerade letzteres verkennt der Anzeiger. Er führt selbst wiederholt aus, dass per 22. März 2021 die Abteilungspräsidien damit begonnen hätten, die Zuteilungen einer systematischen Überprüfung zu unterziehen. Ob dies eine Reaktion auf eine entsprechende Intervention der VK-BVGer war, wie er vermutet, ist irrelevant. Massgebend ist, dass der von ihm zentral gerügte Organisationsfehler in der Aufsichtstätigkeit (Nachkontrolle) - so es denn ein solcher war, was offen bleiben kann - beseitigt wurde. Zu Recht kritisiert der Anzeiger nicht die grundsätzliche Möglichkeit der Delegation, dass also die Kanzlei das Computerprogramm (Bandlimat) aufgrund vorgegebener Regeln bedient. Auch damit ist das Erfordernis, dass der Kammerpräsident oder die Kammerpräsidentin das zweite und dritte Mitglied des Spruchkörpers bestimmt (Art. 32 Abs. 1 Geschäftsreglement für das Bundesverwaltungsgericht, VGR, SR 173.320.1) erfüllt. Das Bundesgericht hat dies denn auch bereits in einem früheren Verfahren nicht beanstandet (Urteil 12T_3/2018 vom 22. Mai 2018 E. 2.4.2).  
Der Anzeiger kritisiert jedoch die Delegation im Bereich der spezifischen Regel gemäss Art. 10 Abs. 4quater des Reglements über die Zusammenarbeit der Abteilungen IV und V des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. August 2013 (ZASAR) als strukturellen Mangel. Gemäss Art. 10 Abs. 4quater ZASAR wird ein Beschwerdeverfahren nach einer zuvor erfolgten Kassation "in der Regel" vorzeitig demselben Spruchgremium zugeteilt. Diese Zuteilungsregel dient der zweckmässigen und effizienten Erledigung von Verfahren, in welchen bereits eine materielle Vorbefassung durch ein Spruchgremium stattgefunden hat. Die Formulierung "in der Regel" bedeutet, dass diesbezüglich ein Spielraum bei der Zuteilung für das Abteilungs- respektive das Kammerpräsidium besteht. Der Anzeiger macht geltend, es stelle sich die Frage, ob hier nicht ein Ermessensspielraum vorliege, der eine - zumal vollständige - Delegation der Handhabung der "Kassationsregel" an das Kanzleipersonal von vornherein verbieten würde. Damit behauptet er aber selber nicht, dass die Ausübung des mit Art. 10 Abs. 4quater ZASAR eingeräumten Ermessens in der Praxis des Bundesverwaltungsgerichts an die Kanzleien delegiert werde, dass also diese - grundsätzlich - darüber entscheiden würden, ob gemäss der Regel der bisherige Spruchkörper eingesetzt wird oder dieser ausnahmsweise durch das Computerprogramm bestimmt wird. Geht es aber nicht um eine grundsätzliche Praxis, steht auch kein struktureller auf dem Wege der Aufsicht zu beanstandender Fehler zur Diskussion. 
 
3.3. Das Bundesverwaltungsgericht verweist in seiner Vernehmlassung zu Recht darauf, dass die individuelle Spruchkörperbildung im Einzelfall nicht Gegenstand der Aufsicht ist, sondern Gegenstand der Rechtsprechung. Dass im Revisionsverfahren, welches der Meldung des Bundesgerichts vom 17. März 2021 an die Gerichtskommission zugrunde lag (E-5711/2019), die Abteilungskanzlei bei der Einsetzung der Zweitrichterin einen Fehler machte, begründet daher kein aufsichtsrechtliches Einschreiten. Im Übrigen ist festzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht in seinem Revisions-Urteil vom 15. November 2022 (E-4459/2020), in welchem es das Vorgehen des Anzeigers im seinerzeitigen Revisionsverfahren zu beurteilen hatte, darin mit zutreffender Begründung eine Verletzung von Art. 30 Abs. 1 BV durch den Anzeiger erkannte (E. 6). Damit fällt auch der Vorwurf des Anzeigers, die damalige Abteilungspräsidentin habe mit ihrer Mitteilung vom 13. August 2020 an den Beschwerdeführer, wonach möglicherweise ein Revisionsgrund bestehe, allenfalls eine Amtspflichtverletzung begangen, in sich zusammen.  
Der Anzeiger beruft sich in seiner nachträglichen Stellungnahme schliesslich auf ein "generelles Dysfunktionieren" der Abteilungspräsidien bzw. der Verwaltungskommission, welches ein aufsichtsrechtliches Einschreiten verlange, auch wenn die Aufsicht grundsätzlich keine disziplinarischen Möglichkeiten habe. Ausgangspunkt dieses Vorwurfs ist aber wiederum die seinerzeitige Veränderung des Spruchkörpers und die in der Folge vom Abteilungspräsidium eingeleiteten Schritte. Hat das Abteilungspräsidium aber die damalige Abänderung des Spruchskörpers zu Recht als unzulässig eingestuft, kann auch aus den folgenden Schritten kein "generelles Dysfunktionieren" abgeleitet werden. Wenn der Anzeiger in diesem Zusammenhang auch die Ablehnung seines Gesuchs um Kostengutsprache durch "dieselbe Personengruppe" rügt, ist ihm schliesslich entgegenzuhalten, dass gegen solche Entscheide ein Rechtsmittel und nicht das Aufsichtsrecht zur Verfügung steht. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Der Aufsichtsanzeige wird keine Folge gegeben. 
 
2.  
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3.  
Dieser Entscheid wird dem Bundesverwaltungsgericht, Verwaltungskommission, B.________, C.________, D.________, E.________, F.________, G.________, H.________, und I.________ schriftlich mitgeteilt. Dem Anzeiger wird eine Orientierungskopie zugestellt. 
 
 
Lausanne, 23. Dezember 2022 
 
Im Namen der Verwaltungskommission 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Niquille 
 
Der Generalsekretär: Lüscher