9C_677/2023 01.02.2024
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_677/2023  
 
 
Urteil vom 1. Februar 2024  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichterinnen Moser-Szeless, Scherrer Reber, 
Gerichtsschreiberin Bögli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Gafner, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Pensionskasse der Zürich Versicherungs-Gruppe, 
Mythenquai 2, 8085 Zürich, 
vertreten durch Frau Dr. Isabelle Vetter-Schreiber, Hubatka Müller Vetter Rechtsanwälte, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Berufliche Vorsorge (Überentschädigung), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 26. September 2023 (200 23 430 BV). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. A.________ war als Versicherungsberater im Aussendienst bei der B.________ AG tätig und dadurch bei der Pensionskasse der Zürich Versicherungs-Gruppe berufsvorsorgeversichert. Nachdem ihm die Auflösung des Arbeitsverhältnisses per 30. September 2016 mitgeteilt worden war, war er ab Mai 2016 arbeitsunfähig und meldete sich am 8. Juli 2016 bei der IV-Stelle Bern zur Früherfassung an. Am 28. August 2016 erfolgte die Anmeldung bei der IV-Stelle zum Leistungsbezug aufgrund einer psychischen Erkrankung, Bluthochdruck und Diabetes. Mit Verfügung vom 23. Februar 2021 sprach ihm die IV-Stelle Bern nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens (Dr. med. C.________, FMH Psychiatrie und Psychotherapie, vom 7. September 2020) und einer das Gutachten ergänzenden Stellungnahme (Stellungnahme Dr. med. C.________ vom 15. Oktober 2020) eine ganze Invalidenrente ab 1. Mai 2017 zu, bei einem Invaliditätsgrad von 100 % respektive 73 % ab 1. Juli 2019.  
 
A.b. Mit Schreiben vom 18. Februar 2021 stellte die Pensionskasse der Zürich Versicherungs-Gruppe die Ausrichtung einer Invalidenrente ab 9. Mai 2018 in Aussicht, unter Anrechnung des zumutbarerweise noch erzielbaren Erwerbseinkommens von Fr. 41'002.- im Rahmen der Überentschädigungsberechnung. In der Folge fanden die Parteien keine Einigung.  
 
B.  
A.________ liess daraufhin am 1. Juni 2023 Klage beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern erheben. Die Pensionskasse habe die Invalidenrente ohne Anrechnung eines hypothetischen Erwerbseinkommens neu zu berechnen. Das Verwaltungsgericht wies die Klage am 26. September 2023 ab. 
 
C.  
A.________ lässt dagegen Beschwerde führen und die Ausrichtung einer Invalidenrente ohne Anrechnung eines hypothetischen Invalideneinkommens beantragen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
Die grundsätzliche Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin in Bezug auf eine Invalidenrente der beruflichen Vorsorge ab 9. Mai 2018 ist unbestritten. Streitig und zu prüfen ist einzig, ob im Rahmen der Überentschädigungsberechnung ein hypothetisches Erwerbseinkommen ab 1. Juli 2019 in der Höhe von Fr. 41'002.- berücksichtigt werden darf. 
 
3.  
 
3.1. Die Vorsorgeeinrichtung kann die Hinterlassenen- und Invalidenleistungen kürzen, soweit diese zusammen mit anderen Leistungen gleicher Art und Zweckbestimmung sowie weiteren anrechenbaren Einkünften 90 % des mutmasslich entgangenen Verdienstes übersteigen (Art. 34a Abs. 1 BVG; ebenso Art. 24 Abs. 1 der Verordnung vom 18. April 1984 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [BVV 2; SR 831.441.1] i.V.m. Art. 34a Abs. 1 BVG). Die Vorsorgeeinrichtung kann bei der Kürzung von Invalidenleistungen (vor Erreichen des ordentlichen Rentenalters) insbesondere das weiterhin erzielte oder zumutbarerweise noch erzielbare Erwerbs- oder Ersatzeinkommen anrechnen (Art. 24 Abs. 1 lit. d BVV 2 i.V.m. Art. 34a Abs. 5 lit. a BVG; ebenso Art. 24 Abs. 2 Satz 2 BVV 2 i.V.m. Art. 34a Abs. 1 BVG).  
 
3.2. Laut den reglementarischen Bestimmungen der Beschwerdegegnerin kürzt diese die Invalidenleistungen, soweit sie zusammen mit anderen anrechenbaren Einkünften 90 % des mutmasslich entgangenen Verdienstes übersteigen. Anrechenbar ist insbesondere das weiterhin erzielte oder zumutbarerweise noch erzielbare Erwerbs- oder Ersatzeinkommen (vgl. Art. 14 des Vorsorgereglements, gültig ab 1. Januar 2019).  
 
3.3. Im Bereich der obligatorischen beruflichen Vorsorge ist von einer grundsätzlichen Kongruenz von Valideneinkommen und mutmasslich entgangenem Verdienst im Sinne von Art. 34a Abs. 1 BVG (respektive Art. 24 Abs. 1 BVV 2) auszugehen. Dasselbe gilt für Invalideneinkommen und zumutbarerweise noch erzielbares Erwerbseinkommen nach Art. 24 Abs. 1 lit. d BVV 2, weshalb das von den IV-Organen festgelegte Invalideneinkommen dem Grundsatz nach auch in der berufsvorsorgerechtlichen Überentschädigungsberechnung zu berücksichtigen ist.  
Von der vermuteten Kongruenz des Invalideneinkommens mit dem zumutbarerweise noch erzielbaren Erwerbseinkommen ist insbesondere dann abzuweichen, wenn - seitens der versicherten Person nachzuweisende - persönliche Umstände und die tatsächliche Lage auf dem im Einzelfall relevanten Arbeitsmarkt die Verwertung der (invalidenversicherungsrechtlich festgestellten) Restarbeitsfähigkeit erschweren respektive verunmöglichen (BGE 144 V 166 E. 3.2.2 mit zahlreichen Hinweisen). 
 
3.4. Ein Entscheid der IV-Stelle ist für eine Einrichtung der beruflichen Vorsorge verbindlich, sofern sie in das invalidenversicherungsrechtliche Verfahren einbezogen wurde, die konkrete Fragestellung für die Beurteilung des Rentenanspruchs gegenüber der Invalidenversicherung entscheidend war und die invalidenversicherungsrechtliche Betrachtungsweise aufgrund einer gesamthaften Prüfung der Akten nicht als offensichtlich unhaltbar erscheint (BGE 143 V 434 E. 2.2; 133 V 67 E. 4.3.2; 130 V 270 E. 3.1). Diese Bindungswirkung findet gemäss Rechtsprechung ihre positivrechtliche Grundlage in den Art. 23, Art. 24 Abs. 1 und Art. 26 Abs. 1 BVG, welche an die Regelung des IVG anknüpfen oder diese übernehmen. Die Orientierung an der Invalidenversicherung bezieht sich insbesondere auf die sachbezüglichen Voraussetzungen des Rentenanspruchs, die Rentenhöhe und den Rentenbeginn (BGE 133 V 67 E. 4.3.2).  
 
 
4.  
 
4.1. Die Vorinstanz hält im angefochtenen Urteil, E. 3.1, fest, die IV-Stelle habe bei einem Beschäftigungsgrad von 100 % und einer Leistungsfähigkeit von 60 % in einer angepassten Tätigkeit (ohne Übernahme von Verantwortung, ohne Zeitdruck oder zeitliche Begrenzung) einen IV-Grad von 73 % ab 1. Juli 2019 ermittelt. Das Vorsorgereglement der Beschwerdegegnerin habe den Invaliditätsbegriff nicht eigenständig definiert, weshalb eine Bindungswirkung in Bezug auf die Feststellungen der IV-Stelle bestehe. Das Invalideneinkommen sei deshalb auch berufsvorsorgerechtlich auf Fr. 41'002.- festzulegen.  
 
4.2.  
 
4.2.1. Das kantonale Gericht begründet seine Sichtweise zum einen damit, die Berichte der behandelnden Psychiaterin Dr. med. D.________, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, und der behandelnden Psychologin E.________, Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, vom 30. November 2020, 1. März 2021 und 23. Januar 2023 vermöchten entgegen der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Auffassung die Vermutung der Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit nicht umzustossen. Die Erwerbsfähigkeit sei als abgeurteilte Sache nicht mehr zu überprüfen. Falls sich eine Verschlechterung des Gesundheitszustands eingestellt haben sollte, so sei dies im Rahmen eines Revisionsverfahrens geltend zu machen.  
 
4.2.2. Den Berichten ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer zwar theoretisch (teil-) arbeitsfähig, jedoch aufgrund seiner Persönlichkeit keinem Arbeitgeber zumutbar sei. Allerdings wurde im IV-Verfahren rechtskräftig ein IV-Grad von 73 % (ab 1. Juli 2019) festgehalten. Unverwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit ist im IV-Verfahren dann anzunehmen, wenn die zumutbare Tätigkeit in nur so eingeschränkter Form möglich ist, dass sie der ausgeglichene Arbeitsmarkt praktisch nicht kennt oder sie nur unter nicht realistischem Entgegenkommen eines durchschnittlichen Arbeitgebers möglich wäre und das Finden einer entsprechenden Stelle daher zum Vornherein als ausgeschlossen erscheint (Urteil 8C_346/2023 vom 21. Dezember 2023 E. 2.3 mit Hinweisen). Da die IV-Stelle in ihrer Verfügung vom 23. Februar 2021 einen IV-Grad von (nur) 73 % festgestellt hat, hat sie damit implizit festgestellt, die Restarbeitsfähigkeit sei - zumindest auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt - auch verwertbar. Die behandelnde Psychiaterin, die behandelnde Psychologin, der Job Coach und der Leiter des regionalen Arbeitsvermittlungszentrums (RAV) gehen zwar davon aus, die Restarbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers sei aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur nicht verwertbar, da er keinem (auch keinem besonders entgegenkommenden) Arbeitgeber zuzumuten sei. Damit widersprechen sie jedoch sowohl der Verfügung der IV-Stelle als auch dem dieser zugrundeliegenden psychiatrischen Gutachten des Dr. med. C.________ vom 7. September 2020 und der Stellungnahme vom 15. Oktober 2020, welche durch die Annahme einer Restarbeitsfähigkeit deren Verwertbarkeit implizit bejaht haben, ohne sich mit dieser abweichenden Meinung auseinanderzusetzen. Die genannten Berichte vermögen daher die Unverwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit nicht zu belegen.  
 
4.3.  
 
4.3.1. Weiter hält das kantonale Gericht fest, der Beschwerdeführer habe sich nur ungenügend um eine Arbeitsstelle bemüht. Er habe lediglich eine bis zwei Bewerbungen pro Monat getätigt, welche auch qualitativ ungenügend gewesen seien. Er habe sich überwiegend um Tätigkeiten im Personentransport bemüht, die nicht seinem Tätigkeitsprofil entsprächen, da sie zu hohe Anforderungen an die sozialen Kompetenzen, das Verantwortungsgefühl und die Eigeninitiative stellten. Die vom Leiter des RAV bestätigten geringen Marktchancen würden von diesem einzig mit der psychischen Beschwerdesituation, und somit krankheits- und nicht arbeitsmarktbezogen, begründet.  
 
4.3.2. Soweit die Vorinstanz festhält, der Leiter der RAV habe die Marktchancen des Beschwerdeführers lediglich krankheits-, jedoch nicht arbeitsmarktbezogen beurteilt, ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtsprechung zu Art. 34a Abs. 1 BVG respektive Art. 24 Abs. 1 BVV 2 keine rein arbeitsmarktbezogene Beurteilung voraussetzt, sondern auch persönliche Umstände dazu führen können, dass das Erzielen eines Invalideneinkommens trotz Teilarbeitsfähigkeit als unzumutbar erachtet wird (vgl. vorne, E. 3.3). Allerdings ist dem kantonalen Gericht zuzustimmen, dass eine bis zwei Stellenbewerbungen pro Monat nicht den Eindruck einer intensiven Stellensuche erwecken, auch wenn die Arbeitslosenkasse diese Arbeitsbemühungen offenbar als genügend bewertete. Rechtsprechungsgemäss dürfen von arbeitssuchenden Personen rund zehn bis zwölf Stellenbewerbungen pro Monat verlangt werden (BGE 141 V 365 E. 4.1; Urteil 9C_217/2023 vom 30. Mai 2023 E. 5.2.3). Aus welchen Gründen beim Beschwerdeführer von diesen Vorgaben abgewichen wurde, ist den Akten nicht zu entnehmen. Ein überwiegender Teil der Stellenbewerbungen scheint zudem in Form von Spontanbewerbungen erfolgt zu sein (Absagegrund: "Alle Stellen besetzt", "zurzeit keine Stelle frei" oder ähnliches). Ob die Konzentration auf Chauffeurstellen (insbesondere für Behinderten- und Schülertransporte) den Anforderungen an eine angepasste Tätigkeit (vgl. vorne, E. 4.1) genügt, erscheint ebenfalls fraglich. Dass er sich auch auf andere Stellen beworben habe, als auf den Nachweisblättern ersichtlich ist, macht der Beschwerdeführer nicht geltend. Er kann ferner auch aus dem Verweis auf das Urteil 9C_532/2021 vom 22. März 2022 (in: SVR, 2022 BVG Nr. 36 S. 126) nichts zu seinen Gunsten ableiten. Anders als im genannten Urteil, in dem die Beschwerdeführerin über 200 Bewerbungen getätigt hatte, sind in den Akten vorliegend lediglich 32 Bewerbungen zwischen Juli 2020 und November 2022 zu finden, was trotz der durchgehenden Ausrichtung von Arbeitslosentaggeldern nicht als ernsthafte und genügende Bemühungen um eine neue Arbeitsstelle gewertet werden kann. Unter diesen Umständen verletzt die Schlussfolgerung der Vorinstanz, die erfolglosen Arbeitsbemühungen vermöchten die Unverwertbarkeit seiner Restarbeitsfähigkeit nicht zu beweisen, kein Bundesrecht.  
 
5.  
Zusammenfassend gelingt es dem Beschwerdeführer weder durch die Berichte seiner behandelnden Psychiaterin noch durch die Einschätzung seines RAV-Beraters oder die erfolglose Stellensuche, die Vermutung der Verwertbarkeit seiner Restarbeitsfähigkeit umzustossen. Die Vorinstanz hat demnach kein Bundesrecht verletzt, indem sie ab 1. Juli 2019 ein hypothetisches Einkommen von Fr. 41'002.- berücksichtigt hat. 
 
6.  
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem Beschwerdeführer als unterliegender Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 1. Februar 2024 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Die Gerichtsschreiberin: Bögli