1C_134/2022 14.09.2022
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_134/2022  
 
 
Urteil vom 14. September 2022  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Müller und 
nebenamtlicher Bundesrichter Weber, 
Gerichtsschreiber Störi. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen, 
Oberer Graben 32, 9001 St. Gallen. 
 
Gegenstand 
Fernhaltung und Wegweisung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen, Abteilung II, vom 27. Januar 2022 (B 2021/211). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit am 30. März 2021 publiziertem Entscheid lehnte der Stadtrat von Rapperswil-Jona/SG das Gesuch des Vereins "Stiller Protest" ab, am 24. April 2021 in Rapperswil einen "Corona-Protestmarsch" durchzuführen. Davon ausgehend, dass sich viele Demonstrationswillige von diesem Verbot nicht vom Demonstrieren abhalten lassen würden, führte die St. Galler Kantonspolizei in und um die Stadt Fahrzeug- und Personenkontrollen durch und traf gegenüber 45 Personen Wegweisungs- und Fernhaltemassnahmen. 
A.________, einzelzeichnungsberechtigter Verwaltungsrat der B.________ AG mit Sitz in Märstetten/TG, welche die Organisation und Durchführung von Carreisen bezweckt, chauffierte am 24. April 2021 die Reisegruppe "Wandervögel Thurgau" in Richtung Rapperswil-Jona. Um 10:30 Uhr wurde er in Wattwil/SG von der Polizei angehalten; diese kam zum Schluss, seine Passagiere beabsichtigten, an der unbewilligten Demo teilzunehmen und befahl A.________, sich für die nächsten 24 Stunden vom Gebiet der Gemeinde Rapperswil-Jona fernzuhalten. A.________ setzte seine Fahrt fort und geriet um 11:50 Uhr auf dem Gebiet der Stadt Rapperswil-Jona erneut in eine Polizeikontrolle; dabei wurde er für die Dauer von 24 Stunden aus dem Gebiet des Kantons St. Gallen weggewiesen. A.________ setzte daraufhin die Reisegruppe in Dürnten/ZH in unmittelbarer Nähe von Rapperswil-Jona ab. 
 
B.  
Am 13. September 2021 wies das Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen den Rekurs von A.________ gegen die beiden Wegweisungs- und Fernhalteverfügungen ab, soweit es darauf eintrat. 
Am 27. Januar 2022 hiess das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen die von A.________ gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde teilweise gut, soweit es darauf eintrat, und stellte fest, dass die zweite, um 11:50 Uhr erlassene Wegweisungsverfügung rechtswidrig gewesen sei. Die Gerichtskosten auferlegte es A.________ zu zwei Dritteln. 
 
C.  
Mit Beschwerde vom 25. Februar 2022 beantragt A.________ sinngemäss, diesen Entscheid des Verwaltungsgerichts aufzuheben, soweit es die erste Wegweisungs- und Fernhalteverfügung von 10:30 Uhr geschützt und ihm 2/3 der Verfahrenskosten auferlegt hatte. 
 
D.  
Das Verwaltungsgericht und das Sicherheits- und Justizdepartement beantragen unter Verweis auf den angefochtenen Entscheid, die Beschwerde abzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Beim angefochtenen Urteil des Verwaltungsgerichts über eine Wegweisungs- bzw. Fernhalteverfügung handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen Entscheid in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG). Es liegt keine Ausnahme im Sinn von Art. 83 BGG vor. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist damit zulässig. Der Beschwerdeführer hat am kantonalen Verfahren als Partei teilgenommen; als Adressat einer belastenden Verfügung ist er vom angefochtenen Entscheid besonders berührt und hat - zumindest was den vorinstanzlichen Kostenschluss angeht - ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung (Art. 89 Abs. 1 BGG). Zwar ist die angefochtene Fernhalteverfügung längst abgelaufen, womit der Beschwerdeführer insoweit kein aktuelles Interesse an der Behandlung der Beschwerde mehr hat. Indes verzichtet das Bundesgericht ausnahmsweise auf dieses Erfordernis, wenn sich die aufgeworfenen Fragen unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellen könnten, ohne dass im Einzelfall rechtzeitig eine höchstrichterliche Prüfung möglich wäre (BGE 138 II 42 E. 1.3). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist.  
 
1.2. Nach Art. 109 Abs. 2 BGG entscheidet die Abteilung in Dreierbesetzung über die Abweisung offensichtlich unbegründeter und die Gutheissung offensichtlich begründeter Beschwerden. Der Entscheid wird summarisch begründet, wobei auf den angefochtenen Entscheid verwiesen werden kann (Abs. 3).  
 
2.  
Im Streit liegt einzig die Rechtmässigkeit der ersten, um 10:30 Uhr erlassenen Wegweisungs- und Fernhalteverfügung sowie die Verlegung der Gerichtskosten. In der Sache hält es der Beschwerdeführer für unzulässig, dass gegen ihn als Chauffeur eine solche Verfügung erlassen wurde, während seine Passagiere, deren Teilnahme an der unbewilligten Demonstration die Polizei habe verhindern wollen, unbehelligt geblieben seien. In Bezug auf die Verlegung der Kosten leuchtet dem Beschwerdeführer nicht ein, dass er diese zu zwei Dritteln zu tragen hat, obwohl doch seine gegen zwei Verfügungen gerichtete Beschwerde in Bezug auf eine von ihnen gutgeheissen worden sei, er somit zur Hälfte obsiegt habe und zur Hälfte unterlegen sei. 
 
3.  
 
3.1. In tatsächlicher Hinsicht ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer am 24. April 2021 den Auftrag hatte, die Reisegruppe "Wandervögel Thurgau" nach Rapperswil zu chauffieren, welche dort an einer unbewilligten Corona-Demonstration teilnehmen wollte. Auf dem Weg nach Rapperswil wurde der Bus in Wattwil von der Polizei gestoppt und kontrolliert. Anhand der Aufmachung und des Auftretens der Passagiere ging die Polizei davon aus, dass die Reisegruppe an der unbewilligten Demonstration teilnehmen wollte; sie nahm die Personalien der Organisatorin der Reisegruppe auf, ergriff ihr gegenüber indessen keine Wegweisungs- bzw. Fernhaltemassnahmen. Eine solche verfügte sie einzig gegenüber dem Beschwerdeführer.  
 
3.2. In rechtlicher Hinsicht ist unbestritten, dass die Polizei befugt war, gestützt auf das Polizeigesetz und unter Beachtung der einschlägigen verfassungsmässigen Prinzipien wie etwa dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz Personen, die erkennbar an der unbewilligten Demonstration teilnehmen wollten, vom Kundgebungsort fernzuhalten; es wird auf den angefochtenen Entscheid E. 4 S. 6 ff. verwiesen.  
 
3.3. Fraglich erscheint, ob der Erlass der Fernhalte- bzw. Wegweisungsverfügung gegen den Beschwerdeführer verhältnismässig war. Wie sich aus ihrer Vernehmlassung vom 27. Mai 2021 ans Sicherheits- und Justizdepartement ergibt, stand für die Polizei fest, dass die Passagiere an der unbewilligten Demonstration teilnehmen wollten und dies auch dem Beschwerdeführer als Chauffeur nicht verborgen geblieben sein konnte. Sie ging aber nicht davon aus, dass dieser selber auch demonstrieren wollte. Das Verwaltungsgericht hält dazu grundsätzlich zutreffend fest, dass sich polizeiliche Massnahmen auch gegen den Zweckveranlasser, der bewirkt oder bewusst in Kauf nimmt, dass andere Personen Polizeigüter gefährden - indem er z.B. potentielle Demonstranten an den Kundgebungsort einer unbewilligten Demonstration führt - richten können (E. 4.3.1 S. 7). Das setzt aber voraus, dass auch gegen die primär ins Recht zu fassenden Verhaltensstörer -die demonstrationswilligen Passagiere- polizeiliche Massnahmen ergriffen werden, soweit dies möglich und zumutbar ist. Das war vorliegend ohne weiteres der Fall, nachdem sich nach der unwidersprochen gebliebenen Darstellung des Beschwerdeführers eine Passagierin als Organisatorin der Gruppe zu erkennen gab und von der Polizei einer Personenkontrolle unterzogen worden war; bei dieser Gelegenheit hätte man ohne weiteres eine Wegweisungs- und Fernhalteverfügung gegen sie und ihre Gruppe erlassen können. Unter diesen Umständen erscheint es widersprüchlich und unbillig, dem Beschwerdeführer die Einfahrt nach Rapperswil-Jona zu verbieten, um seine von der Polizei als potentielle Störer eingestuften, aber unbehelligt gelassenen Passagiere vom Kundgebungsort fernzuhalten. Es fragt sich zudem, ob die verfügte Fernhalteverfügung überhaupt geeignet war, den angestrebten Zweck zu erreichen. Rapperswil-Jona ist von den umliegenden, zum Teil im Kanton Zürich liegenden Nachbargemeinden mit dem öffentlichen Nahverkehr in kurzer Zeit erreichbar. Der Beschwerdeführer hätte somit auch unter Respektierung der gegen ihn verhängten Fernhalteverfügung seine Passagiere in einer von ihnen ausladen können, um ihnen die Teilnahme an der unbewilligten Demonstration zu ermöglichen. Er hat dies denn auch in der nahe gelegenen Zürcher Gemeinde Dürnten getan, was ihm durch keine der beiden Fernhalte- bzw. Wegweisungsverfügungen verboten war.  
Die angefochtene Fernhalte- bzw. Wegweisungsverfügung erweist sich damit als unverhältnismässig, weil die Polizei nur den Beschwerdeführer ins Recht fasste und die demonstrationswilligen Passagiere, die sie damit eigentlich vom Kundgebungsort fernhalten wollte, unbehelligt liess, obwohl ihr die Organisatorin der Gruppe bekannt und sie damit in der Lage war, polizeiliche Massnahme direkt gegen diese zu erlassen. Dazu kommt, dass die Eignung der Massnahme zur Erreichung des Zwecks - ihre Teilnahme an der unbewilligten Demo zu verhindern - fraglich ist. Die Beschwerde ist begründet. 
 
4.  
Die Beschwerde ist gutzuheissen und der angefochtene Entscheid, soweit er den Beschwerdeführer belastet, aufzuheben, womit auch die angefochtene Kostenverlegung hinfällig wird. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben. Einen Anspruch auf eine Parteientschädigung hat der nicht anwaltlich vertretene Beschwerdeführer dagegen nicht. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen und die Dispositiv-Ziffern 1 und 3 des angefochtenen Entscheids des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 27. Januar 2022 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die am 24. April 2021, um 10:30 Uhr, von Kantonspolizei St. Gallen gegen den Beschwerdeführer erlassene Fernhalteverfügung rechtswidrig war. 
 
2.  
Es werden keine Kosten erhoben. Der vom Beschwerdeführer zur Deckung allfälliger Kosten eingereichte Goldbarren ist ihm zurück-zuerstatten. 
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen und dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen, Abteilung II, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 14. September 2022 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Chaix 
 
Der Gerichtsschreiber: Störi