6B_63/2010 06.05.2010
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_63/2010 
 
Urteil vom 6. Mai 2010 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Favre, Präsident, 
Bundesrichter Schneider, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Gerichtsschreiberin Häne. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Dr. A.________, Rechtsanwalt, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden, Sennhofstrasse 17, 7001 Chur, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Parteientschädigung; Rechtsgleichheit; Willkür, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden, I. Strafkammer, vom 14. Dezember 2009. 
Sachverhalt: 
 
A. 
Der Bezirksgerichtsausschuss Maloja erklärte X.________, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. A.________, am 21. Juli 2009 der Nötigung und Drohung schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingt vollziehbaren Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu Fr. 60.-- sowie zu einer Busse von Fr. 700.--, bei einer Ersatzfreiheitsstrafe von 12 Tagen. Die Verfahrenskosten wurden X.________ auferlegt. 
 
B. 
Auf Berufung von X.________ hin sprach ihn das Kantonsgericht von Graubünden, I. Strafkammer, am 14. Dezember 2009 von den Vorwürfen der Nötigung und der Drohung frei. Es sprach ihm für das Untersuchungsverfahren zulasten des Kantons Graubünden eine Entschädigung von Fr. 2'044.40, für das erstinstanzliche Verfahren zulasten des Bezirks Maloja eine Entschädigung von Fr. 3'319.70 und für das Berufungsverfahren zulasten des Kantons Graubünden eine Entschädigung von Fr. 2'216.60 (jeweils inklusive Mehrwertsteuer) zu. 
 
C. 
Rechtsanwalt Dr. A.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, (1) in Abänderung von Ziff. 4 des Urteilsdispositivs des Kantonsgerichts sei die Entschädigung für die Verteidigung im Berufungsverfahren auf Fr. 2'646.95 (inklusive Mehrwertsteuer und Barauslagen) festzusetzen, (2) unter Kosten- und Entschädigungsfolge zulasten des Kantons Graubünden. 
 
D. 
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden verzichtet auf eine Vernehmlassung. Die Vorinstanz beantragt mit Eingabe vom 26. März 2010 die Abweisung der Beschwerde. 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Beschwerde richtet sich gegen die Höhe der für das Berufungsverfahren zugesprochenen Parteientschädigung. 
 
1.1 Die Vorinstanz erwägt, die Rechtsmittelinstanz könne dem Obsiegenden nach Art. 160 Abs. 4 des Gesetzes über die Strafrechtspflege des Kantons Graubünden vom 8. Juni 1958 (StPO/GR; Bündner Rechtsbuch 350.000) eine aussergerichtliche Entschädigung zulasten des Staats zusprechen. Sie erachtet den vom Beschwerdeführer für das Berufungsverfahren geltend gemachten zeitlichen Aufwand grundsätzlich als gerechtfertigt. Da es sich aber um eine amtliche Verteidigung gehandelt habe, sei der Stundenansatz von Fr. 240.-- auf Fr. 200.-- zu reduzieren. Des Weiteren werde anstatt 3 % Barauslagen eine Pauschale von Fr. 60.-- hinzugerechnet. Der Kanton Graubünden habe X.________ für das Berufungsverfahren mit Fr. 2'216.60 (inklusive Kosten von Fr. 60.-- und Mehrwertsteuer) anstatt mit dem geforderten Betrag von Fr. 2'659.85 aussergerichtlich zu entschädigen (angefochtenes Urteil S. 27). 
 
1.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe im Verfahren vor dem Bezirksgerichtsausschuss Maloja als privater Verteidiger mitgewirkt. Die Vorinstanz habe ihn im Rahmen ihres Urteils, mit welchem X.________ freigesprochen worden sei, antragsgemäss als amtlichen Verteidiger eingesetzt. Sie habe seinen Stundenansatz hinsichtlich des Berufungsverfahrens von Fr. 240.-- auf Fr. 200.-- gekürzt. Dies entspreche im Kanton Graubünden dem Stundenansatz für die unentgeltliche Verteidigung bei einer Verurteilung des Angeklagten. Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sei aber eine Kürzung des Stundenansatzes verboten, wenn der Angeklagte freigesprochen werde. Das Bundesgericht habe in BGE 121 I 113 entschieden, es sei willkürlich, dem amtlichen Verteidiger bei Obsiegen des Angeklagten lediglich drei Viertel des Anwaltshonorars zuzusprechen. In seinem Fall sei eine Kürzung auf fünf Sechstel des Honorars erfolgt. Wenn der Angeklagte freigesprochen werde, sei jedoch jede Kürzung des Honorars ausgeschlossen. Das kantonale Recht und Art. 161 StPO/GR gäben für den Fall eines Freispruchs keinen Hinweis darauf, dass gestützt auf die private oder amtliche Verteidigung eine unterschiedliche Entschädigung zugesprochen werden könne. Die Praxis der Vorinstanz bedeute bei einem Freispruch ohne Kostenfolge eine Ungleichbehandlung zwischen amtlichen und privaten Verteidigern sowie zwischen amtlichen Verteidigern und unentgeltlichen Rechtsvertretern im Zivilprozess und in der Verwaltungsrechtspflege, in welchen Verfahren die unterliegende Partei zu einem vollständigen Kostenersatz verpflichtet werde. Es liege eine Verletzung von Art. 8 Abs. 1 und Art. 9 BV vor. Die Kürzung der Barauslagen durch die Vorinstanz werde hingegen nicht beanstandet (Beschwerde S. 4). 
 
2. 
2.1 Das Bundesgericht prüft die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem Recht nur, soweit eine entsprechende Rüge vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Es gilt eine qualifizierte Rügepflicht (BGE 133 IV 286 E. 1.4 S. 287). Die Beschwerdeschrift muss die wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze inwiefern durch den angefochtenen Erlass oder Entscheid verletzt worden sind. Das Bundesgericht prüft nur klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen. Auf rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein. Wird eine Verletzung des Willkürverbots geltend gemacht, muss anhand der angefochtenen Subsumtion im Einzelnen dargelegt werden, inwiefern der Entscheid an einem qualifizierten und offensichtlichen Mangel leidet (BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246). 
Die Verlegung der Verfahrenskosten und die Ausrichtung einer Parteientschädigung im kantonalen Verfahren richten sich nach kantonalem Recht (Urteil des Bundesgerichts 6B_799/2007 vom 19. Juni 2008 E. 3.1). Die unrichtige Anwendung kantonalen Rechts kann im Verfahren der Beschwerde an das Bundesgericht nur soweit gerügt werden, als darin ein Verstoss gegen das Willkürverbot im Sinne von Art. 9 BV liegt (vgl. Art. 95 BGG). Bei der Bemessung der Parteientschädigung steht dem Richter ein weiter Spielraum des Ermessens zu (BGE 111 V 48 E. 4a S. 49 mit Hinweisen). Das Bundesgericht greift praxisgemäss nur ein bei willkürlicher Anwendung der kantonalen Bestimmungen, welche die Bemessungskriterien für Parteientschädigungen umschreiben, oder bei einer Überschreitung oder einem Missbrauch des Ermessens durch die kantonalen Behörden. Darüber hinaus hebt das Bundesgericht die Festsetzung eines Anwaltshonorars auf, wenn sie ausserhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zu den mit Blick auf den konkreten Fall notwendigen anwaltlichen Bemühungen steht und in krasser Weise gegen das Gerechtigkeitsgefühl verstösst (vgl. zur Entschädigung des amtlichen Verteidigers BGE 118 Ia 133 E. 2b S. 134 mit Hinweisen). 
Willkürlich ist ein Entscheid nicht schon, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre, sondern erst, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Willkür liegt nur vor, wenn nicht bloss die Begründung eines Entscheids, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (BGE 135 V 2 E. 1.3 S. 4 f. mit Hinweisen). 
 
2.2 Die Rechtsmittelinstanz kann dem Obsiegenden eine aussergerichtliche Entschädigung zulasten des Unterliegenden, der Vorinstanz oder des Staates zusprechen (Art. 160 Abs. 4 StPO/GR). 
Wird der Angeschuldigte freigesprochen, wird das gegen ihn geführte Verfahren eingestellt oder erweist sich eine ihm gegenüber durchgeführte Zwangsmassnahme als ungerechtfertigt, so ist ihm auf sein Begehren eine durch den Staat auszurichtende Entschädigung (Schadenersatz, Genugtuung) für Nachteile zuzusprechen, die er durch Untersuchungsmassnahmen erlitten hat. Die Entschädigung kann verweigert oder herabgesetzt werden, wenn er durch rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten die Untersuchung veranlasst oder erschwert hat (Art. 161 Abs. 1 StPO/GR). 
Nach Art. 5 der Verordnung über die Bemessung des Honorars der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte des Kantons Graubünden vom 17. März 2009 (HV/GR; Bündner Rechtsbuch 310.250) wird der Rechtsanwältin oder dem Rechtsanwalt für den berechtigten Aufwand der unentgeltlichen Vertretung und der amtlichen Verteidigung ein Honorar von 200 Franken pro Stunde zuzüglich notwendige Barauslagen und Mehrwertsteuer ausgerichtet. Zuschläge werden keine gewährt. Die Regierung passt den Stundenansatz periodisch der Teuerung an (Abs. 1). Ergänzend gelten die spezialgesetzlichen Regelungen in der Gesetzgebung über die Zivil-, die Straf- und die Verwaltungsrechtspflege (Abs. 2). 
 
2.3 Die Vorinstanz spricht dem Beschwerdeführer eine aussergerichtliche Entschädigung nach Art. 160 Abs. 4 StPO/GR zu. Der Beschwerdeführer macht zusammenfassend geltend, die Vorinstanz habe Art. 161 StPO/GR willkürlich angewandt. Er legt aber nicht dar, dass und inwiefern diese Art. 160 Abs. 4 StPO/GR willkürlich angewandt habe. Auch macht er nicht geltend, die Vorinstanz habe sich in willkürlicher Weise anstelle von Art. 161 auf Art. 160 Abs. 4 StPO/GR gestützt. Auf die Beschwerde kann insoweit nicht eingetreten werden. 
 
2.4 Der Beschwerdeführer rügt eine Ungleichbehandlung in Verletzung von Art. 8 Abs. 1 BV
Weder in Art. 160 Abs. 4 noch Art. 161 StPO/GR wird die Frage beantwortet, ob bei der Entschädigung an den amtlich verteidigten Freigesprochenen bzw. Obsiegenden im Berufungsverfahren von einem niedrigeren Stundenansatz ausgegangen werden kann als bei einem privat Verteidigten. Die Regelung nach Art. 5 HV/GR, gemäss welcher das Honorar des amtlichen Verteidigers Fr. 200.-- pro Stunde beträgt, differenziert nicht zwischen Freispruch und Schuldspruch respektive Obsiegen und Unterliegen. Die Bestimmung ist einschränkend dahingehend auszulegen (sog. teleologische Reduktion), dass sie nur im Fall des amtlichen Verteidigers des verurteilten Beschuldigten Anwendung findet, und nicht auch im Fall des freigesprochenen Angeschuldigten. Dazu ist festzuhalten, dass der Staat durch die Zahlung einer Entschädigung an den Freigesprochenen bzw. dessen Verteidiger keine Sonderleistung erbringt (im Gegensatz zur Zahlung einer Entschädigung an den amtlichen Anwalt des verurteilten Beschuldigten). Die Entschädigung durch den Staat ist wegen des Freispruchs geschuldet, ohne Rücksicht darauf, ob der Freigesprochene privat oder amtlich verteidigt war. 
Die Höhe des Entschädigungsanspruchs des obsiegenden Angeschuldigten ist mit Blick auf die Regelung in der StPO/GR unabhängig davon festzusetzen, ob er privat oder amtlich verteidigt war. Entgegen der Darstellung der Vorinstanz (Vernehmlassung S. 2) wird eine unterschiedliche Behandlung der amtlich und privat verteidigten obsiegenden Angeschuldigten nicht ausdrücklich in Art. 3 und Art. 5 HV/GR geregelt. Den kantonalen Bestimmungen lassen sich somit keine Anhaltspunkte entnehmen, die auf eine unterschiedliche Behandlung der Entschädigungsansprüche der amtlich oder privat verteidigten obsiegenden Angeschuldigten hinweisen würden. Dies hat zur Folge, dass die Verteidigungskosten nach dem Prinzip des Obsiegens und Unterliegens zu verlegen sind (BGE 121 I 113 E. 3d S. 116). Die von der Vorinstanz vertretene Ansicht führt zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung hinsichtlich der Entschädigungsansprüche der amtlich und privat verteidigten obsiegenden Angeschuldigten. 
 
2.5 Soweit der Beschwerdeführer eine Ungleichbehandlung zwischen amtlichen Verteidigern und unentgeltlichen Rechtsvertretern im Zivilprozess und in der Verwaltungsrechtspflege rügt, ist auf die Beschwerde mangels einer rechtsgenüglichen Begründung nicht einzutreten. 
 
2.6 Die Beschwerde ist gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist, das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Graubünden hat dem in eigener Sache um sein Honorar als amtlicher Anwalt streitenden Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG; BGE 125 II 518 E. 5b S. 519 f.; Urteil des Bundesgerichts 6B_136/2009 vom 12. Mai 2009 E. 5; je mit Hinweisen). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf eingetreten wird, das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden, I. Strafkammer, vom 14. Dezember 2009 wird aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3. 
Der Kanton Graubünden hat Rechtsanwalt Dr. A.________ für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 6. Mai 2010 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Favre Häne