1P.206/2004 04.10.2004
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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 1/2} 
1P.206/2004 /sta 
 
Urteil vom 4. Oktober 2004 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident, 
Bundesgerichtsvizepräsident Nay, 
Bundesrichter Aeschlimann, 
Gerichtsschreiber Kessler Coendet. 
 
Parteien 
Viktor Rüegg, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Stadt Luzern, vertreten durch den Stadtrat, 
Beschwerdegegnerin, 
Regierungsrat des Kantons Luzern, 6002 Luzern, vertreten durch das Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern, Bahnhofstrasse 15, Postfach 4168, 6002 Luzern. 
 
Gegenstand 
Art. 34 BV (Stadtratswahl Luzern), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Regierungsrats des Kantons Luzern vom 18. März 2004. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die Stadt Luzern gibt vier bis fünf Mal pro Jahr eine Informationszeitung mit dem Titel "brennpunkt" heraus. Die Nummer 1/2004 enthielt auf einer Doppelseite Interviews mit den fünf Mitgliedern des Stadtrats im Hinblick auf die Gesamterneuerungswahlen vom 28. März 2004, für die sie wieder kandidierten. 
 
Viktor Rüegg, der sich als Gegenkandidat ebenfalls um einen Stadtratssitz bewarb, erhielt diese Ausgabe anfangs Februar 2004. Er verfasste darüber am 2. Februar 2004 einen Leserbrief an eine Tageszeitung und verlangte vom Stadtrat am 4. Februar 2004, es sei ihm bis spätestens drei Wochen vor dem Wahltermin ein analoger Auftritt im nächsten "brennpunkt" einzuräumen. Andernfalls müsste er gegen die rechtsungleiche Behandlung eine Stimmrechtsbeschwerde einreichen. Am 13. Februar 2004 ersuchte er den Stadtrat mit einem weiteren Schreiben um eine anfechtbare Verfügung. 
 
Die Stadtkanzlei informierte Viktor Rüegg am 12. Februar 2004 brieflich, eine weitere Ausgabe des "brennpunkt" vor den Wahlen sei weder geplant noch durchführbar. Sie bot ihm - wie den anderen neuen Kandidaten für den Stadtrat - ersatzweise an, ein entsprechendes Interview im "Anzeiger Luzern" zu ermöglichen. Viktor Rüegg nahm von diesem Schreiben am 21. Februar 2004 Kenntnis. 
B. 
Am 24. Februar 2004 erhob Viktor Rüegg Stimmrechtsbeschwerde an den Regierungsrat mit dem Antrag, es sei festzustellen, dass die erwähnte Doppelseite im "brennpunkt" verfassungswidrig sei. Der Regierungsrat trat am 18. März 2004 auf die Beschwerde wegen verspäteter Einreichung nicht ein. 
C. 
Bei den Wahlen vom 28. März 2004 hat Viktor Rüegg - bei einem absoluten Mehr von 8348 Stimmen - 1355 Stimmen erzielt. Damit erhielt er von allen Kandidaten am wenigsten Stimmen. Gewählt worden sind die bisherigen Mitglieder des Stadtrates. Dabei gelang einem bisherigen Mitglied, welches das absolute Mehr knapp verfehlte, die Bestätigung erst in stiller Nachwahl. 
D. 
Gegen den Entscheid des Regierungsrates hat Viktor Rüegg am 5. April 2004 Stimmrechtsbeschwerde an das Bundesgericht eingelegt. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids. 
 
Das Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern namens des Regierungsrates und der Stadtrat von Luzern ersuchen um Abweisung der Beschwerde. Im zweiten Schriftenwechsel haben die Parteien an ihren Anträgen festgehalten. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob und inwieweit auf eine Beschwerde einzutreten ist (BGE 130 I 226 E. 1 S. 228, mit Hinweisen). 
1.1 Gemäss Art. 85 lit. a OG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger und betreffend kantonale Wahlen und Abstimmungen. Als kantonal gelten auch Wahlen und Abstimmungen in den Gemeinden (BGE 129 I 185 E. 1.1 S. 188, mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer ist in der Stadt Luzern stimmberechtigt und daher befugt, die Vorbereitung und Durchführung der Erneuerungswahlen der Stadtbehörden vom 28. März 2004 wegen Verletzung seines Stimmrechts anzufechten. Der angefochtene Entscheid des Regierungsrates unterliegt keinem kantonalen Rechtsmittel (Art. 86 Abs. 1 OG). Hiergegen steht die Stimmrechtsbeschwerde ans Bundesgericht zur Verfügung. 
1.2 Das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses gilt auch bei der Stimmrechtsbeschwerde. Beschwerden gegen Vorbereitungshandlungen, die erst nach der Abstimmung bzw. der Wahl beurteilt werden, versteht das Bundesgericht so, dass damit sinngemäss der Antrag auf Aufhebung der Abstimmung bzw. Wahl gestellt wird (BGE 113 Ia 46 E. 1c S. 50). Anders verhält es sich, wenn die Beschwerde an das Bundesgericht gegen eine Vorbereitungshandlung nach dem Abstimmungstag eingereicht wird. Verlangt der Beschwerdeführer in einem solchen Fall keine Aufhebung des Abstimmungs- bzw. Wahlergebnisses, so hat das Bundesgericht gefolgert, dieses Ergebnis sei nicht angefochten (BGE 116 Ia 359 E. 2c S. 364). 
Im vorliegenden Fall ist die Beschwerde an das Bundesgericht eine Woche nach dem Wahltag eingereicht worden. Eine Aufhebung des Wahlresultates wird nicht beantragt. Der Beschwerdeführer nimmt in der Beschwerdeschrift zum Wahlergebnis keine Stellung. In der Replik bringt er vor, die Wahlergebnisse seien für die beantragte Feststellung der gerügten Verfassungsverletzung ohne Relevanz. Unter diesen Umständen kann nicht angenommen werden, der Beschwerdeführer habe vor Bundesgericht mit der Aufhebung des angefochtenen Entscheides sinngemäss auch die Aufhebung der Wahl beantragt. Demnach ist im Lichte der genannten Rechtsprechung fraglich, ob auf die Beschwerde eingetreten werden kann. Die Frage kann indessen offen bleiben, weil sich die Beschwerde ohnehin als unbegründet erweist. 
2. 
2.1 Bei Stimmrechtsbeschwerden prüft das Bundesgericht nicht nur die Auslegung von Bundesrecht und kantonalem Verfassungsrecht frei, sondern auch diejenige anderer kantonaler Vorschriften, welche den Inhalt des Stimmrechts umschreiben oder mit diesem in engem Zusammenhang stehen (BGE 129 I 185 E. 2 S. 190, mit Hinweisen). In ausgesprochenen Zweifelsfällen schliesst es sich der vom obersten kantonalen Organ vertretenen Auffassung an; als solche anerkennt das Bundesgericht Volk und Parlament. Die Anwendung anderer kantonaler Vorschriften und die Feststellung des Sachverhaltes prüft das Bundesgericht nur unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbotes (BGE 123 I 175 E. 2d/aa S. 178, mit Hinweisen). Hier geht es um die Frage, ob der Beschwerdeführer die Frist von § 160 Abs. 2 des Stimmrechtsgesetzes des Kantons Luzern vom 25. Oktober 1988 (StRG) eingehalten hat. Die Auslegung und Anwendung dieser Norm prüft das Bundesgericht im Rahmen der Stimmrechtsbeschwerde grundsätzlich mit freier Kognition (BGE 121 I 1 E. 2 S. 3 f.). 
2.2 Gemäss § 160 Abs. 2 StRG ist die Stimmrechtsbeschwerde von einer hier nicht gegebenen Ausnahme abgesehen - innert drei Tagen seit der Entdeckung einzureichen, wenn der Beschwerdegrund vor dem Abstimmungs- bzw. Wahltag eintritt. In diesen Fällen besteht ein erhebliches öffentliches Interesse daran, den Mangel wenn möglich noch vor dem Abstimmungstag beheben zu können, um eine unverfälschte Willensäusserung aller Stimmberechtigten zu ermöglichen und eine nachträgliche Wiederholung der Abstimmung bzw. Wahl zu verhindern. Daher hat das Bundesgericht die Verfassungsmässigkeit dieser kurzen Rechtsmittelfrist bejaht. Allerdings müsse die Beschwerdefrist sinnvoll gehandhabt werden, um dem Stimmbürger eine Beschwerdeerhebung nicht praktisch unmöglich zu machen; so dürften etwa keine zu geringen Anforderungen an die Erkennbarkeit von Verfahrensmängeln oder Unregelmässigkeiten bzw. keine übertriebenen Anforderungen an die Beschwerdebegründung gestellt werden (BGE 121 I 1 E. 3b S. 5 f.). 
2.3 Im angefochtenen Entscheid wird erwogen, der Beschwerdeführer werfe der Doppelseite der "brennpunkt"-Ausgabe 1/2004 mit den Interviews der Stadtratsmitglieder zu den Erneuerungswahlen vor, es handle sich dabei um ungerechtfertigte Wahlwerbung. Dieser Zeitungsinhalt bilde deshalb den Beschwerdegrund. Demgegenüber hält der Beschwerdeführer dafür, der Beschwerdegrund sei erst durch die Ablehnung seines Begehrens vom 4. Februar 2004 entstanden. Bis dahin habe er darauf vertrauen dürfen, dass ihm die Möglichkeit zu einem entsprechenden Auftritt ebenfalls gewährt würde und der behauptete Mangel auf diese Weise hätte behoben werden können. Deshalb sei es angezeigt gewesen, dass er zuerst an den Stadtrat gelangt sei und eine entsprechende Publikation verlangt habe, bevor er den Rechtsweg beschritten habe. 
2.4 Anlass dieses Verfahrens bildet unbestrittenermassen die Frage, ob das Gebot der Chancengleichheit der Wahlbewerber verletzt wurde. Diese Rüge hat der Beschwerdeführer - nach der Lektüre der "brennpunkt"-Ausgabe 1/2004 anfangs Februar - erstmals mit dem Leserbrief vom 2. Februar 2004 formuliert und in der Eingabe an den Stadtrat vom 4. Februar 2004 wiederholt. Zwar verlangte er dort auch, es sei ihm rechtzeitig eine analoge Plattform zu gewähren. Die spätere Behandlung des Begehrens kann aber für die Bestimmung des Zeitpunkts, an dem der Beschwerdegrund entdeckt wurde, keine Rolle spielen. Der Beschwerdeführer berief sich damals zur Begründung dieses Anliegens einzig auf die bereits gerügte Verletzung seines Stimmrechts. Mit dem angefochtenen Entscheid ist somit zu erkennen, dass der fristauslösende Beschwerdegrund bei der Kenntnisnahme des Zeitungsinhalts entdeckt wurde. 
 
Als Eingabe, mit der die Beschwerdefrist von § 160 Abs. 2 StRG eingehalten worden wäre, käme lediglich das Schreiben vom 4. Februar 2004 in Frage. Das weitere Schreiben vom 13. Februar 2004 und die Stimmrechtsbeschwerde vom 24. Februar 2004 an den Regierungsrat erweisen sich ohnehin als verspätet. Die Eingabe vom 4. Februar 2004 kann jedoch unabhängig davon, dass sie an den Stadtrat von Luzern und nicht an den Regierungsrat gerichtet war, offensichtlich nicht als Stimmrechtsbeschwerde eingestuft werden, nachdem dort eine solche ausdrücklich erst für anfangs März 2004 in Aussicht gestellt wurde. 
3. 
Die staatsrechtliche Beschwerde ist nach dem Gesagten als unbegründet abzuweisen, soweit überhaupt auf sie einzutreten ist. Praxisgemäss werden bei der Stimmrechtsbeschwerde keine Kosten erhoben. Eine Parteientschädigung steht der Stadt Luzern nicht zu (Art. 159 Abs. 2 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben und keine Parteientschädigungen zugesprochen. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Regierungsrat des Kantons Luzern schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 4. Oktober 2004 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: