2A.437/2000 22.12.2000
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[AZA 0/2] 
2A.437/2000/hzg 
 
II. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG *********************************** 
 
 
22. Dezember 2000 
 
Es wirken mit: Bundesrichter Wurzburger, Präsident der 
II. öffentlichrechtlichen Abteilung, Hartmann, Müller und 
Gerichtsschreiberin Müller. 
 
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In Sachen 
A.________, geb. 1957, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Robert Baumann, Brühlgasse 39, Postfach 22, St. Gallen, 
 
gegen 
Departement für Justiz und Sicherheit des KantonsThurgau, Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, 
 
betreffend 
Familiennachzug, hat sich ergeben: 
 
A.- Der 1957 geborene mazedonische Staatsangehörige A.________ reiste im März 1988 erstmals in die Schweiz ein und ist seit dem 23. Oktober 1995 im Besitze der Niederlassungsbewilligung. 
Am 8. September 1998 stellte er für seine Ehefrau B.________ (geb. 1956) sowie den Sohn C.________ (geb. 1981) und die Tochter D.________ (geb. 1983) ein Familiennachzugsgesuch. Mit Schreiben vom 9. Oktober 1998 teilte die Fremdenpolizei des Kantons Thurgau A.________ mit, er hätte schon lange die Möglichkeit gehabt, seine Familienangehörigen nachzuziehen; es sei diesen daher zuzumuten, in ihrem Heimatland zu bleiben. Hierauf verzichtete A.________ schriftlich auf den Nachzug von C.________ und D.________, hielt aber an seinem Gesuch betreffend die Ehefrau fest. In der Folge erteilte die Fremdenpolizei B.________ eine Aufenthaltsbewilligung. 
 
B.- Am 6. September 1999 stellte A.________ erneut ein Familiennachzugsgesuch, diesmal nur für die Tochter D.________. Dieses Gesuch lehnte die Fremdenpolizei am 30. November 1999 ab. Dagegen erhob A.________ erfolglos Rekurs beim Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau. Die gegen dessen Entscheid vom 20. April 2000 erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau am 5. Juli 2000 ab. 
 
 
C.- Dagegen hat A.________ am 21. September 2000 beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Er beantragt, den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 5. Juli 2000 und die Verfügung der Fremdenpolizei vom 30. November 1999 aufzuheben und D.________ eine Niederlassungsbewilligung zu erteilen. Eventualiter ersucht er darum, der Tochter D.________ eine ordentliche Aufenthaltsbewilligung zu erteilen; subeventualiter beantragt er Rückweisung an die Vorinstanz bzw. an die verfügende Behörde. 
 
Das Departement für Justiz und Sicherheit sowie das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Ausländerfragen beantragt, die Beschwerde insoweit gutzuheissen, als "die Aufhebung und Rückweisung der Streitsache beantragt" werde. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- a) Art. 100 lit. b Ziff. 3 OG schliesst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde aus gegen die Erteilung oder Verweigerung von fremdenpolizeilichen Bewilligungen, auf die das Bundesrecht keinen Anspruch einräumt. Gemäss Art. 4 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142. 20) entscheidet die zuständige Behörde, im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Verträge mit dem Ausland, nach freiem Ermessen über die Bewilligung von Aufenthalt und Niederlassung. Der Ausländer hat damit grundsätzlich keinen Anspruch auf Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung, und die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist ausgeschlossen, soweit er sich nicht auf eine Norm des Bundesrechts oder eines Staatsvertrags berufen kann, die ihm einen Anspruch auf eine solche Bewilligung einräumt (BGE 124 II 361 E. 1a S. 363 f., mit Hinweisen). 
 
Gemäss Art. 17 Abs. 2 Satz 3 ANAG haben ledige Kinder von Ausländern, die in der Schweiz niedergelassen sind, Anspruch auf Einbezug in die Niederlassungsbewilligung ihrer Eltern, wenn sie mit diesen zusammen wohnen und noch nicht 18 Jahre alt sind. D.________ war im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung, auf welchen es in diesem Zusammenhang ankommt (BGE 120 Ib 257 E. 1f S. 262), erst 16 1/2 Jahre alt. Sie hat damit grundsätzlich Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung; die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher zulässig. 
 
b) Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, sowie - unter Vorbehalt von Art. 105 Abs. 2 OG - die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes gerügt werden (Art. 104 lit. a und b OG). Das Bundesgericht wendet das Bundesrecht bei der Verwaltungsgerichtsbeschwerde von Amtes wegen an, ohne an die Begründung der Parteibegehren gebunden zu sein (Art. 114 Abs. 1 in fine OG). Es kann die Beschwerde daher auch aus andern als den geltend gemachten Gründen gutheissen oder den Entscheid mit einer Begründung bestätigen, die von jener der Vorinstanz abweicht (BGE 121 II 473 E. 1b S. 477, 117 Ib 114 E. 4a S. 117, mit Hinweis). 
 
2.- a) Zweck des so genannten Familiennachzugs gemäss Art. 17 Abs. 2 ANAG ist es, das Leben in der Familiengemeinschaft zu ermöglichen. Der Gesetzeswortlaut verdeutlicht, dass die rechtliche Absicherung des Zusammenlebens der Gesamtfamilie angestrebt wird: Verlangt ist ausdrücklich, dass die Kinder mit ihren Eltern (Plural) zusammen wohnen werden. 
Auch die innere Systematik von Art. 17 Abs. 2 ANAG geht vom Zusammenleben mit Mutter und Vater aus. Die Nachzugsregelung ist daher auf Familien zugeschnitten, in denen die (leiblichen) Eltern einen gemeinsamen ehelichen Haushalt führen (BGE 126 II 329 E. 2a S. 330). 
 
b) Die publizierte bundesgerichtliche Rechtsprechung befasst sich überwiegend mit Kindern geschiedener oder getrennt lebender Eltern (Zusammenfassung dieser Rechtsprechung in BGE 126 II 329 E. 2b S. 331). Die familiäre Situation, welche dieser Praxis zugrunde liegt, ist damit eine andere als jene von Kindern, deren Eltern sich beide in der Schweiz niedergelassen haben und einen gemeinsamen ehelichen Haushalt führen. Bei einem Kind getrennt lebender Eltern führt der Umzug in die Schweiz - namentlich dann, wenn das Kind bisher im Ausland vom andern Elternteil selbst betreut worden ist - nicht ohne weiteres zu einer engeren Einbindung in eine Familiengemeinschaft. Es wird lediglich die Obhut eines Elternteils durch jene des andern ersetzt, ohne dass die Familie als Ganzes näher zusammengeführt würde. In solchen Fällen setzt der nachträgliche Nachzug eines Kindes daher voraus, dass eine vorrangige Bindung des Kindes zum in der Schweiz lebenden Elternteil nachgewiesen ist und stichhaltige familiäre Gründe, zum Beispiel eine Änderung der Betreuungsmöglichkeiten, dieses Vorgehen rechtfertigen (BGE 126 II 329 E. 3a S. 332). 
 
c) Demgegenüber stellt der Familiennachzug bei Eltern, die in der Schweiz zusammenleben, jene Familienverhältnisse her, die durch Art. 17 Abs. 2 ANAG geschützt werden sollen: Sinn und Zweck dieser Bestimmung ist es, den Eltern zu ermöglichen, ihre gemeinsamen Kinder selbst zu erziehen und zu betreuen. Dem Schutz des Familienlebens (vgl. Art. 8 EMRK) ist für die Beurteilung des Nachzugsrechts entsprechend mehr Beachtung zu schenken, wenn sich beide Elternteile zusammen in der Schweiz aufhalten. Auch erscheint die Missbrauchsgefahr geringer, wenn ein Gesuch zu beurteilen ist, das verheiratete, zusammenlebende Eltern für ihre gemeinsamen Kinder stellen. Die Kriterien, nach denen praxisgemäss das Bestehen eines Nachzugsrechts eines Elternteils allein geprüft wird, können deshalb nicht ohne weiteres auf intakte Familien übertragen werden. 
 
Das Bundesgericht hat seine bisherige restriktive Praxis stets damit begründet, dass bei Kindern getrennt lebender Eltern nicht der von Art. 17 Abs. 2 ANAG verfolgte Schutz der Gesamtfamilie in Frage stehe. Damit hat es sich (implizit) vorbehalten, im Fall zusammenlebender Eltern andere Akzente zu setzen. Der nachträgliche Familiennachzug durch zusammenlebende Eltern ist deshalb möglich, ohne dass besondere stichhaltige Gründe die beabsichtigte Änderung der Betreuungsverhältnisse rechtfertigen müssen. Innerhalb der allgemeinen Schranken von Art. 17 Abs. 2 Satz 3 ANAG ist der Nachzug von gemeinsamen Kindern durch beide Elternteile grundsätzlich jederzeit zulässig; vorbehalten bleibt einzig das Rechtsmissbrauchsverbot. Je länger mit der Ausübung des Nachzugsrechts ohne sachlichen Grund zugewartet wird und je knapper die verbleibende Zeit bis zur Volljährigkeit ist, umso eher kann sich auch bei im Ausland verbliebenen gemeinsamen Kindern zusammenlebender Eltern die Frage stellen, ob wirklich die Herstellung der Familiengemeinschaft beabsichtigt ist oder ob die Ansprüche aus Art. 17 ANAG zweckwidrig für die blosse Verschaffung einer Niederlassungsbewilligung geltend gemacht werden (BGE 126 II 329 E. 3b S. 332 f.). 
 
3.- a) Das erste Gesuch um Familiennachzug stellte der Beschwerdeführer, als C.________ 17 und D.________ 15 1/2 Jahre alt waren. In ihrem Schreiben vom 9. Oktober 1998 lehnte die Fremdenpolizei das Gesuch ab, weil der Beschwerdeführer, der seit Herbst 1995 im Besitz der Niederlassungsbewilligung sei, dieses früher hätte stellen können. 
Ob diese Sichtweise der Fremdenpolizei angesichts der oben ausgeführten Rechtsprechung letztinstanzlich vor Bundesgericht Bestand gehabt hätte, ist nicht zu entscheiden, hat der Beschwerdeführer doch damals auf den Nachzug dieser beiden Kinder verzichtet, bevor die Fremdenpolizei eine formelle beschwerdefähige Verfügung erlassen hatte. 
 
b) Zu prüfen ist, ob das neue Familiennachzugsgesuch für die Tochter rechtsmissbräuchlich gestellt wird; trifft dies nicht zu, so ist sie in die Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers einzubeziehen. 
 
Nachdem die Fremdenpolizei mit Schreiben vom 12. Oktober 1999 erneut einen negativen Entscheid in Aussicht gestellt hatte, wandte sich der am 16. Dezember 1979 geborene ältere Bruder von D.________, E.________, im Namen der Familie an die Fremdenpolizei und begründete das Familiennachzugsgesuch vor allem damit, dass die Mutter aufgrund ihrer Nierenkrankheit auf die Hilfe ihrer Tochter angewiesen sei. Er machte zudem darauf aufmerksam, dass er in Konstanz lebe, und dass auch C.________ bald nach Konstanz kommen werde. 
 
 
Dass das Nachzugsgesuch hauptsächlich mit der Nierenkrankheit der Mutter begründet wird, lässt dieses nicht als rechtsmissbräuchlich erscheinen. Im Übrigen fällt auf, dass die Vorinstanz nicht genügend abgeklärt hat, in welcher Betreuungssituation sich D.________ heute befindet. 
Bekannt ist nur, dass der Beschwerdeführer geltend macht, die Grosseltern "seien schon alt". Die Vorinstanz hat, in Unkenntnis des neuesten - zu diesem Zeitpunkt noch nicht ergangenen - Leitentscheids des Bundesgerichts (BGE 126 II 329) das Nachzugsgesuch mit einer Begründung abgelehnt, die auf die Problematik des Familiennachzugs durch einen einzelnen Elternteil zugeschnitten ist, statt sich darauf zu beschränken, zu prüfen, ob das Nachzugsgesuch für D.________ im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung allenfalls rechtsmissbräuchlich ist. 
 
4.- a) Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher gutzuheissen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuem Entscheid über das Familiennachzugsgesuch an die kantonale Femdenpolizei zurückzuweisen (Art. 114 Abs. 2, 2. Teilsatz OG). Zwar scheint der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs nach erster Prüfung kaum begründet zu sein, doch lassen die vorhandenen Akten eine abschliessende Beurteilung durch das Bundesgericht nicht zu. 
 
b) Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG). Der Kanton Thurgau hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG). Die Sache ist im Übrigen zur Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen für das kantonale Verfahren an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen (vgl. Art. 159 Abs. 6OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 5. Juli 2000 aufgehoben. 
 
2.- Die Sache wird zu neuer Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Fremdenpolizei des Kantons Thurgau zurückgewiesen. 
 
3.- Es werden keine Kosten erhoben. 
 
4.- Der Kanton Thurgau hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
 
5.- Zur Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens wird die Sache an das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau zurückgewiesen. 
 
6.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Departement für Justiz und Sicherheit und dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau sowie dem Bundesamt für Ausländerfragen schriftlich mitgeteilt. 
 
______________ 
Lausanne, 22. Dezember 2000 
 
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS 
Der Präsident: 
 
Die Gerichtsschreiberin: