1C_365/2023 25.07.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_365/2023  
 
 
Urteil vom 25. Juli 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Müller, Merz, 
Gerichtsschreiberin Gerber. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ AG, 
vertreten durch Rechtsanwälte Patrik Odermatt und Marve Or, Kaiser, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, 
An der Aa 4, 6300 Zug. 
 
Gegenstand 
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen an Deutschland; Herausgabe von Beweismitteln, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Bundesstrafgerichts, Beschwerdekammer, vom 6. Juli 2023 (RR.2023.37-38). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft Osnabrück (Deutschland) führt ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen gewerbsmässigen Betrugs zum Nachteil von B.________ Eine bislang unbekannte Täterschaft, die unter dem Namen "A.________ AG/C.________-Team" handle, habe über verschiedene Zahlungsdienstleister wie D.________, E.________ Ltd.,F.________ BV vom Konto B.________s allein zwischen dem 30. Juni 2018 und dem 29. August 2019 in 40 Fällen Beträge zu je EUR 96.-- abgebucht. Dabei hätten sie der Bank vorgespiegelt, zu den Abbuchungen vertraglich berechtigt zu sein. 
Mit Rechtshilfeersuchen vom 30. Dezember 2022 ersuchte die Staatsanwaltschaft Osnabrück die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug (nachfolgend: ersuchte Behörde), ihr Bankunterlagen der A.________ AG (zuvor: G.________ AG bzw. H.________ AG) sowie Auskünfte zum Pass ihres Geschäftsführers I.________ herauszugeben. In vier Fällen (Juli-Oktober 2019) seien erhebliche Beträge vom Zahlungsdienstleister E.________ Ltd. auf das Konto der A.________ AG bei der Bank J.________ geflossen. 
Die ersuchte Behörde liess sich die Bankunterlagen der A.________ AG von der Bank J.________ mit Eintretensverfügung vom 18. Januar 2023 edieren. Mit Schlussverfügung vom 9. März 2023 ordnete sie die Herausgabe der erhobenen Bankunterlagen an. 
 
B.  
Dagegen erhoben die A.________ AG und I.________ am 11. April 2023 Beschwerde an das Bundesstrafgericht mit dem Antrag, eine Reihe von nicht ersuchten Dokumenten und Beweismittel seien nicht bzw. in einem Fall nur geschwärzt herauszugeben. Am 6. Juli 2023 wies die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts die Beschwerde ab, soweit sie darauf eintrat. 
 
C.  
Dagegen gelangte die A.________ AG am 20. Juli 2023 mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Sie beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und dem Rechtshilfeersuchen sei gemäss Antrag der Staatsanwaltschaft Osnabrück zu entsprechen. Die Herausgabe der (im einzelnen bezeichneten) nicht beantragten Dokumente und Beweismittel sei zu unterlassen und gewisse beantragte Dokumente seien nur geschwärzt herauszugeben. Ziff. 2 der Schlussverfügung der Staatsanwaltschaft vom 9. März 2023 sei entsprechend anzupassen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht beantragt sie die Gewährung der aufschiebenden Wirkung. 
 
 
Erwägungen:  
 
 
1.  
Angefochten ist ein Endentscheid des Bundesstrafgerichts auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, d.h. einer öffentlich-rechtlichen Angelegenheit, der die Übermittlung von Bankunterlagen und damit von Informationen aus dem Geheimbereich betrifft. Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gemäss Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. b, Art. 90 und Art. 84 Abs. 1 BGG offen, sofern es sich um einen besonders bedeutenden Fall handelt. 
 
1.1. Ein besonders bedeutender Fall liegt nach Art. 84 Abs. 2 BGG "insbesondere" vor, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass elementare Verfahrensgrundsätze verletzt worden sind oder das Verfahren im Ausland schwere Mängel aufweist. Das Gesetz enthält eine nicht abschliessende, nur beispielhafte Aufzählung von möglichen besonders bedeutenden Fällen. Darunter fallen nicht nur Beschwerdesachen, die Rechtsfragen von grundsätzlicher Tragweite aufwerfen, sondern auch solche, die aus anderen Gründen besonders bedeutsam sind (BGE 145 IV 99 E. 1.1 mit Hinweisen).  
Art. 84 BGG bezweckt die wirksame Begrenzung des Zugangs zum Bundesgericht im Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen. Bei der Beantwortung der Frage, ob ein besonders bedeutender Fall gegeben ist, steht dem Bundesgericht ein weiter Ermessensspielraum zu. Gerade im Bereich der sogenannten "kleinen" (akzessorischen) Rechtshilfe kann ein besonders bedeutender Fall nur ausnahmsweise angenommen werden (BGE 145 IV 99 E. 1.2 mit Hinweisen). Die besondere Bedeutung des Falles ist in der Beschwerdeschrift darzulegen; hierfür gilt eine qualifizierte Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 2 Satz 2 BGG; MARC FORSTER, in: Basler Kommentar zum BGG, 3. Aufl., 2018, Art. 84 N. 33). 
 
1.2. Nach der Praxis des Bundesgerichtes kann auch die Verletzung elementarer Verfahrensgrundsätze im schweizerischen Rechtshilfeverfahren (und nicht nur im ausländischen Verfahren) einen besonders bedeutenden Fall begründen (BGE 145 IV 99 E. 1.3). Indessen genügt das pauschale Vorbringen der beschwerdeführenden Partei, die Behörden hätten ihr rechtliches Gehör oder andere elementare Verfahrensgrundsätze verletzt, nicht, um einen Rechtshilfefall als besonders bedeutend erscheinen zu lassen. Vielmehr müssen dafür ernsthafte Anhaltspunkte objektiv vorliegen (BGE 145 IV 99 E. 1.4; 133 IV 125 E. 1.4 S. 129; je mit Hinweisen; vgl. dazu FORSTER, a.a.O., Art. 84 N. 31).  
Vorliegend macht die Beschwerdeführerin geltend, es würden mehr Dokumente ausgeliefert, als dies von der ersuchenden Behörde verlangt worden sei, was offensichtlich und augenscheinlich eine Verletzung des Legalitätsprinzips, des Erfordernisses eines öffentlichen Interesses und des Verhältnismässigkeitsprinzips bedeute. In diesem Zusammenhang wirft sie der ersuchten Behörde und der Beschwerdekammer eine Verletzung der Begründungspflicht und damit des rechtlichen Gehörs vor, weil diese nicht im einzelnen begründet hätten, welche Dokumente und Beweismittel weshalb, insbesondere ausserhalb des erfragten Zeitraums zwischen dem 1. Juli 2019 und dem 15. Oktober 2019, herauszugeben seien. 
 
1.3. Zwar verlangt das Übermassverbot grundsätzlich, nicht über die im Rechtshilfeersuchen gestellten Begehren hinauszugehen. Wie die Vorinstanz jedoch zutreffend dargelegt hat (E. 5.2 des angefochtenen Entscheids), kann das Rechtshilfeersuchen nach Massgabe des Zwecks der angestrebten Rechtshilfe weit ausgelegt werden, solange alle Voraussetzungen für die Gewährung der Rechtshilfe erfüllt sind; auf diese Weise kann eine andernfalls notwendige Ergänzung des Rechtshilfeersuchens vermieden werden (vgl. BGE 136 IV 82 E. 4.1; 121 II 241 E. 3a; ständige Rechtsprechung).  
Die Beschwerdekammer hat das Rechtshilfeersuchen, gestützt auf den darin geschilderten Sachverhalt (E. 4 des angefochtenen Entscheids), anhand seines Wortlauts und Zwecks ausgelegt (in E. 5.3.1). Es führte aus, dass zwischen dem 1. Juli und dem 15. Oktober 2019 insgesamt zehn Gutschriften der im Rechtshilfeersuchen ausdrücklich genannten Zahlungsdienstleister auf dem Konto der Beschwerdeführerin eingegangen seien, weshalb die Bankbeziehung für die deutsche Strafuntersuchung potenziell erheblich sei (E. 5.3.2). Es begründete sodann (in E. 5.3.3), weshalb neben den im Rechtshilfeersuchen ausdrücklich erwähnten Postenauszügen vom 1. Juli 2019 bis 15. Oktober 2019 auch die weiteren erhobenen Unterlagen erforderlich seien, um die Verantwortlichen zu eruieren, die wirtschaftlichen Zusammenhänge einzuordnen, die Herkunft der Unterlagen zu dokumentieren und herauszufinden, wohin die Gelder vom Konto abgeflossen seien. 
Auch wenn sich die Vorinstanz nicht zu jedem einzelnen Dokument äusserte, sondern diese gruppierte (z.B. Eröffnungsunterlagen, Kontakte zwischen Bank und Kunde, Kontoabflüsse), war damit für die Beschwerdeführerin erkennbar, weshalb die herauszugebenden Unterlagen für die deutsche Strafuntersuchung relevant und vom Rechtshilfeersuchen abgedeckt sind, auch soweit sie vor dem 1. Juli 2019 oder nach dem 15. Oktober 2019 datieren. Weshalb dies für einzelne Dokumente nicht zutreffen soll bzw. insoweit eine Begründung fehle, wird von der Beschwerdeführerin nicht substanziiert dargelegt. 
Eine allfällige Verletzung der Begründungspflicht durch die Staatsanwaltschaft konnte von der Beschwerdekammer geheilt werden. 
 
1.4. Nach dem Gesagten liegen objektiv keine ernsthaften Anhaltspunkte für die Verletzung elementarer Verfahrensgrundsätze im schweizerischen Rechtshilfeverfahren vor, die einen besonders bedeutenden Fall begründen könnten.  
 
2.  
Da der Fall auch nicht anderweitig als besonders bedeutsam erscheint, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Damit wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos. Im Übrigen kommt der Beschwerde im vorliegenden Fall schon von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zu (Art. 103 Abs. 2 lit. c BGG). 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1-3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, dem Bundesstrafgericht, Beschwerdekammer, und dem Bundesamt für Justiz, Fachbereich Rechtshilfe II, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 25. Juli 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Die Gerichtsschreiberin: Gerber