1C_604/2023 17.11.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_604/2023  
 
 
Urteil vom 17. November 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Haag, Merz, 
Gerichtsschreiberin Gerber. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Konrad Jeker, 
 
gegen  
 
Bundesanwaltschaft, 
Guisanplatz 1, 3003 Bern. 
 
Gegenstand 
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen an die Ukraine; Parteistellung im Rechtshilfeverfahren, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Bundesstrafgerichts, Beschwerdekammer, 
vom 27. Oktober 2023 (RR.2023.119). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Das Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine ist mit Rechtshilfeersuchen vom 25. November 2020 und Ergänzungen vom 29. September und 12. Oktober 2022 an die Schweiz gelangt und hat in einer Strafuntersuchung gegen Unbekannt u.a. um die Herausgabe von Bankunterlagen ersucht. Mit Verfügung vom 11. April 2023 ordnete die Bundesanwaltschaft bei der B.________ AG in Bern die Herausgabe verschiedener Unterlagen und Informationen zu bestimmten Geschäftsbeziehungen an. 
 
B.  
Die B.________ AG kam der Editionsaufforderung am 25. April 2023 nach und stellte gleichzeitig das Gesuch, die Namen aller Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auf den zugestellten Unterlagen vor Weiterleitung an die rechtshilfeersuchende Behörde zu schwärzen. Die Bundesanwaltschaft lehnte das Gesuch am 2. Mai 2023 ab. Die dagegen erhobene Beschwerde der B.________ AG wies die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts am 7. September 2023 ab. 
 
C.  
Mit Schreiben vom 23. Juni 2023 hatte auch A.________, Mitarbeiterin der B.________ AG, die Schwärzung ihres Namens auf den rechtshilfeweise herauszugebenden Unterlagen beantragt. Die Bundesanwaltschaft verneinte die Teilnahmeberechtigung A.________s am Rechtshilfeverfahren und wies das Ersuchen am 7. Juli 2023 ab. 
 
D.  
Dagegen erhob A.________ am 9. August 2023 Beschwerde an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts. Sie beantragte die Aufhebung des Entscheids der Bundesanwaltschaft; diese sei anzuweisen, sie als Partei im Rechtshilfeverfahren anzuerkennen. Die Beschwerdekammer wies die Beschwerde am 27. Oktober 2023 ab. 
 
E.  
Dagegen hat A.________ am 9. November 2023 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht erhoben. Sie beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Bundesanwaltschaft sei anzuweisen, sie als Partei anzuerkennen und ihr Gesuch um Schwärzung ihres Namens zu behandeln. 
 
 
F.  
Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Beschwerde gegen Entscheide des Bundesstrafgerichts auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen ist nur zulässig, wenn diese eine Auslieferung, eine Beschlagnahme, eine Herausgabe von Gegenständen oder Vermögenswerten oder eine Übermittlung von Informationen aus dem Geheimbereich betrifft und es sich um einen besonders bedeutenden Fall handelt (Art. 84 Abs. 1 und Art. 86 Abs. 1 lit. b BGG). 
Das Rechtshilfeverfahren betrifft die Herausgabe von Bankunterlagen und damit von Informationen aus dem Geheimbereich. Inwiefern auch der Name von Bankangestellten zum Geheimbereich in diesem Sinne gehört, kann offenbleiben, wenn auf die Beschwerde schon mangels besonderer Bedeutung des Falls nicht eingetreten werden kann. 
 
2.  
Ein besonders bedeutender Fall liegt nach Art. 84 Abs. 2 BGG "insbesondere" vor, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass elementare Verfahrensgrundsätze verletzt worden sind oder das Verfahren im Ausland schwere Mängel aufweist. Das Gesetz enthält eine nicht abschliessende, nur beispielhafte Aufzählung von möglichen besonders bedeutenden Fällen. Darunter fallen nicht nur Beschwerdesachen, die Rechtsfragen von grundsätzlicher Tragweite aufwerfen, sondern auch solche, die aus anderen Gründen besonders bedeutsam sind (BGE 145 IV 99 E. 1.1 mit Hinweisen). 
Nach der Praxis des Bundesgerichts kann auch die Verletzung elementarer Verfahrensgrundsätze im schweizerischen Rechtshilfeverfahren (und nicht nur im ausländischen Verfahren) einen besonders bedeutenden Fall begründen (BGE 145 IV 99 E. 1.3). Indessen genügt das pauschale Vorbringen der beschwerdeführenden Partei, die Behörden hätten ihr rechtliches Gehör oder andere elementare Verfahrensgrundsätze verletzt, nicht, um einen Rechtshilfefall als besonders bedeutend erscheinen zu lassen. Vielmehr müssen dafür ernsthafte Anhaltspunkte objektiv vorliegen (BGE 145 IV 99 E. 1.4; 133 IV 125 E. 1.4; je mit Hinweisen; vgl. dazu MARC FORSTER, in: Basler Kommentar zum BGG, 3. Aufl., 2 018, Art. 84 N. 31). 
Art. 84 BGG bezweckt die wirksame Begrenzung des Zugangs zum Bundesgericht im Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen. Bei der Beantwortung der Frage, ob ein besonders bedeutender Fall gegeben ist, steht dem Bundesgericht ein weiter Ermessensspielraum zu. Gerade im Bereich der sogenannten "kleinen" (akzessorischen) Rechtshilfe kann ein besonders bedeutender Fall nur ausnahmsweise angenommen werden (BGE 145 IV 99 E. 1.2 mit Hinweisen). Die besondere Bedeutung des Falles ist in der Beschwerdeschrift darzulegen; hierfür gilt eine qualifizierte Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 2 Satz 2 BGG; FORSTER, a.a.O., Art. 84 N. 33). 
 
3.  
Die Beschwerdeführerin rügt, durch die bundesrechtswidrige Anwendung von Art. 80h des Bundesgesetzes vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz, IRSG; SR 351.1) i.V.m. Art. 9a lit. a der dazugehörigen Verordnung vom 24. Februar 1982 (IRSV; SR 351.11) sei ihr die Parteistellung im Rechtshilfeverfahren zu Unrecht verweigert und ihr Recht auf eine wirksame Beschwerde verletzt worden (Art. 29 BV und Art. 13 EMRK). Die Übermittlung ihres Namens stelle einen unverhältnismässigen Eingriff in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung und in den Schutz ihrer Privatsphäre dar (Art. 13 Abs. 2 BV, Art. 8 EMRK, Art. 17 UNO-Pakt II), gegen den Rechtsschutz gewährleistet werden müsse. Sie macht damit eine Verletzung elementarer Verfahrensgrundsätze im schweizerischen Rechtshilfeverfahren geltend. 
 
3.1. Die Vorinstanz führte aus, nach Art. 80h lit. b IRSG i.V.m. Art. 9a lit. a IRSV sei einzig der Kontoinhaber bzw. die Kontoinhaberin befugt, Beschwerde gegen die Herausgabe von Kontoinformationen zu erheben. Die Beschwerdeführerin bringe auch keine Gründe vor, die es rechtfertigen würden, von der langjährigen, konstanten Rechtsprechung, die dem klaren Willen des Gesetzgebers nach Einschränkung der Beschwerdelegitimation und Straffung des Rechtshilfeverfahrens entspreche, abzuweichen. Ihre Befürchtungen, im ersuchenden Staat in strafrechtliche Ermittlungen involviert zu werden oder andere Nachteile zu erleiden, seien rein hypothetischer Natur; dafür lägen keine objektiven Anhaltspunkte vor. Die Ukraine sei Vertragspartei des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen (EueR; RS 0.351.1) und der EMRK und es bestehe kein Grund zur Annahme, dass sie sich nicht an rechtsstaatliche Grundsätze halten würde. Auch allfällige datenschutzrechtliche Erwägungen vermöchten vorliegend nicht zu einer Erweiterung des Kreises der Beschwerdeberechtigten führen. Art. 11f Abs. 1 IRSG komme gegenüber Staaten, die mit der Schweiz durch ein Rechtshilfeabkommen verbunden seien, nicht zur Anwendung, da das innerstaatliche Recht nach ständiger Praxis keine restriktiveren Bedingungen als das Vertragsrecht vorsehen könne (Urteil 1C_550/2019 vom 26. November 2019 E. 2.2 und 2.3. in: SJ 2020 I 31). Im Übrigen wäre die in Art. 11f Abs. 3 IRSG vorgesehene Ausnahmeregelung anwendbar.  
Schliesslich rechtfertige auch die Anrufung des Verhältnismässigkeitsprinzips nicht, die Beschwerdeführerin vorliegend ausnahmsweise als Partei im Rechtshilfeverfahren zuzulassen: Die Rechtshilfe erfolgt aufgrund eines prima vista legitimen Interesses des ersuchenden Staates zur Verfolgung und Bestrafung von schweren Wirtschaftsstraftaten. Die Feststellung der Bundesanwaltschaft, dass auch der Name der auf den Kontounterlagen aufgeführten Bankmitarbeitenden für die ersuchende Behörde von zentraler Bedeutung sein könne, nicht zuletzt im Hinblick auf allfällige Einvernahmen derselben, sei nicht zu beanstanden. Gleiches gelte für die Schlussfolgerung, wonach ein Interesse daran bestehen könne zu erfahren, wer, in welcher Form, wann, wo, wie und weshalb mit Bankkunden Kontakt hatte und aus welchen Gründen im Kundendossier Aktennotizen oder Vermerke vorgenommen oder Abklärungen getätigt oder nicht getätigt worden seien. 
 
3.2. Die Erwägungen der Vorinstanz können sich auf die gesetzliche Regelung in Art. 80h lit. b IRSG und Art. 21 Abs. 3 IRSG stützen, wonach zur Beschwerde gegen eine Schlussverfügung nur befugt ist, wer persönlich und direkt von einer Rechtshilfemassnahme betroffen ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Art. 9a IRSV präzisiert, welche Personen als persönlich und direkt betroffen im Sinne der Art. 21 Abs. 3 und 80h lit. b des Rechtshilfegesetzes gelten; dies ist bei der Erhebung von Kontoinformationen der Kontoinhaber bzw. -inhaberin (lit. a). Nur diese sind grundsätzlich befugt, die Herausgabe von Bankunterlagen anzufechten oder die Schwärzung gewisser Passagen oder Namen zu verlangen (vgl. Urteil 1C_550/2019 vom 26. November 2019 E. 1.3). Die Bestimmungen über die Beschwerdelegitimation sind auch für die Parteistellung im erstinstanzlichen Verfahren massgeblich (vgl. Art. 6 VwVG).  
Es entspricht dem Willen des Gesetzgebers und der ständigen Rechtsprechung, die Parteistellung im Rechtshilfeverfahren restriktiv zu handhaben und auf Personen zu beschränken, die direkt von der Sicherstellung bzw. Edition und Herausgabe von Urkunden betroffen sind. Der Umstand allein, dass eine Person in den Urkunden genannt wird oder sich darin Informationen zu ihren Aktivitäten befinden, genügt nicht (vgl. BGE 137 IV 134 E. 5.2.3; 130 II 162 E. 1.2 und 1.3; Urteil 1C_701/2020 vom 29. Januar 2021 E. 3.3; je mit Hinweisen; ADRIAN BUSSMANN, in: Niggli/Heimgartner [Hrsg.], Basler Kommentar Internationales Strafrecht, IRSG, GwÜ, Basel 2015, N. 25-29 zu Art. 80h IRSG; FORSTER, a.a.O., Art. 84 N. 36; ROBERT ZIMMERMANN, La coopération judiciaire internationale en matière pénale, 5. Aufl., Bern 2019, Rz. 524, 526, 532, 533). 
Im Urteil 1C_701/2020 vom 29. Januar 2021 E. 3.5 hat das Bundesgericht in Erwägung gezogen, ausnahmsweise von der dargelegten Praxis abzuweichen, wenn ein besonders schutzwürdiges Interesse an der Wahrung von sensiblen, vertraulichen Privatgeheimnissen bestehe; dies war jedoch von der Beschwerdeführerin nicht nachvollziehbar dargetan worden. 
Im vorliegenden Fall hat das Bundesstrafgericht geprüft, ob besondere Gründe vorliegen, die es ausnahmsweise rechtfertigen würden, der Beschwerdeführerin Parteistellung im Rechtshilfeverfahren einzuräumen (vgl. oben E. 3.1). Dabei berücksichtigte sie neben allfällig drohenden Nachteilen im ersuchenden Staat insbesondere auch die Verhältnismässigkeit der Datenübermittlung. 
Die Beschwerdeführerin bestreitet die Verhältnismässigkeit der Bekanntgabe ihrer Daten, ohne sich jedoch näher mit den diesbezüglichen Erwägungen der Vorinstanz auseinanderzusetzen. Soweit sie befürchtet, sie könne als Zeugin in das ausländische Strafverfahren involviert werden, begründet dies kein besonders schutzwürdiges Interesse: Die Zeugenpflicht ist eine Bürgerpflicht (Art. 163 Abs. 2 StPO); im Übrigen müsste eine allfällige Einvernahme rechtshilfeweise in der Schweiz durchgeführt werden. Für andere ihr drohende Nachteile (Missbrauch ihrer Daten, Unannehmlichkeiten bei Einreise, Aufenthalt etc.) nennt sie keine konkreten Anhaltspunkte. 
 
3.3. Insgesamt liegen daher keine objektiven Anhaltspunkte für eine Rechtsverweigerung im schweizerischen Rechtshilfeverfahren vor.  
 
4.  
Die Beschwerdeführerin ist im Übrigen der Auffassung, dem Fall komme grundsätzliche Bedeutung zu, um zu klären, ob Bankangestellte im Rechtshilfeverfahren berechtigt seien, die Schwärzung ihrer Namen zu beantragen. 
 
Wie dargelegt, haben Bankangestellte, die in den Kontounterlagen erwähnt werden, als nur mittelbar Betroffene grundsätzlich keine Parteistellung. Ob ein besonders schutzwürdiges Interesse ausnahmsweise ein Abweichen von diesem Grundsatz rechtfertigt, ist anhand der besonderen Verhältnisse des Einzelfalls zu prüfen. Dem vorliegenden Entscheid kommt insofern keine über den konkreten Fall hinausgehende, grundsätzliche Bedeutung zu. 
 
5.  
Nach dem Gesagten ist mangels besonderer Bedeutung des Falls auf die Beschwerde nicht einzutreten (Art. 84 Abs. 2 BGG). Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 BGG) und hat keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Bundesanwaltschaft, dem Bundesstrafgericht, Beschwerdekammer, und dem Bundesamt für Justiz, Fachbereich Rechtshilfe, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 17. November 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Die Gerichtsschreiberin: Gerber