H 230/01 10.01.2003
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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
H 230/01 
 
Urteil vom 10. Januar 2003 
I. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Schön, Bundesrichter Borella, Meyer, Lustenberger und Ferrari; Gerichtsschreiber Arnold 
 
Parteien 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 
9016 St. Gallen, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
K.________, 1917, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen 
 
(Entscheid vom 22. Mai 2001) 
 
Sachverhalt: 
A. 
K.________, geb. am 10. August 1917, wurde ab 28. Juli 1969 durch die Eidgenössische Invalidenversicherung mit einem monauralen Hörgerät ausgestattet. Wegen des progredienten Verlaufs der Behinderung - bereits der Bericht des Spitals X.________ vom 8. Dezember 1988 weist für das linke Ohr Taubheit und für das rechte Ohr eine hochgradige Schwerhörigkeit aus - wurde die Hilfsmittelversorgung wiederholt angepasst. Die Hörmittelabgaben vom 12. Juni 1991 und 14. Oktober 1994 erfolgten mit dem Hinweis, die Leistungszusprechung geschehe nunmehr in Anwendung des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) gestützt auf die Besitzstandsgarantie. 
 
Mit Verfügung vom 3. März 1999 lehnte es die IV-Stelle des Kantons St. Gallen ab, der nunmehr beidseitig gehörlosen, seit Januar 1999 verwitweten Versicherten für die Herstellung des Kontakts mit der Umwelt Kostenbeiträge an eine Signalanlage und zwei Faxgeräte zuzusprechen. Sie begründete dies damit, diese seien nicht in der Liste der Hilfsmittel der Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Altersversicherung (HVA) aufgeführt. 
B. 
In Gutheissung der dagegen eingereichten Beschwerde hob das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen die Verwaltungsverfügung vom 3. März 1999 auf und wies die Sache an die IV-Stelle zurück, damit diese nach Abklärungen im Sinne der Erwägungen neu verfüge (Entscheid vom 22. Mai 2001). 
C. 
Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben. 
 
K.________ reicht keine Stellungnahme ein. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Das dem Rechtsstreit zu Grunde liegende Leistungsgesuch datiert vom 2. Februar 1999, mithin nachdem die Beschwerdegegnerin am 10. August 1979 das AHV-Rentenalter (gemäss Art. 21 Abs. 1 lit. b AHVG in der bis 31. Dezember 1996 geltend gewesenen Fassung) erreicht hatte. Ein Hilfsmittelanspruch im Rahmen der Invalidenversicherung entfällt daher (Art. 10 Abs. 1 IVG), und es ist lediglich zu prüfen, ob ein Anspruch auf Grund der AHV-rechtlichen Hilfsmittelregelung gegeben ist. Die Verfahrensbeteiligten stimmen dabei zu Recht darin überein, dass als Anspruchsgrundlage einzig Art. 4 HVA in Frage kommt, weil die beantragten Hilfsmittel Signalanlage und Faxgeräte im Anhang zur Verordnung "Liste der Hilfsmittel" nicht aufgeführt sind. 
2. 
Strittig und zu beurteilen ist der Umfang der in Art. 4 HVA normierten Besitzstandsgarantie (vgl. Kreisschreiben über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Altersversicherung, gültig ab 1. Januar 1993, Rz 1003; statt vieler: BGE 119 V 225). Das kantonale Gericht vertritt die Auffassung, diese knüpfe, zumindest im Zusammenhang mit der Beeinträchtigung des Hörvermögens, nicht an die konkrete Hilfsmittelversorgung, sondern an die den Hilfsmittelbedarf auslösende Gesundheitsbeeinträchtigung an. Als Folge der integralen Anwendung des Hilfsmittelrechts der Invalidenversicherung umfasse die Besitzstandsgarantie eine der Entwicklung des Gesundheitsschadens sich anpassende adäquate Hilfsmittelversorgung. Die Beschwerde führende IV-Stelle macht demgegenüber geltend, Art. 4 HVA sichere nur die Anspruchsberechtigung auf Hilfsmittel, welche die versicherte Person vor dem Erreichen des AHV-Rentenalters gegenüber der Invalidenversicherung - tatsächlich oder zumindest rechtlich (BGE 107 V 76) - erworben hatte. 
2.1 Der deutsche Text des Art. 4 HVA (in der seit 1. Januar 1983 geltenden Fassung, AS 1982 1930) sieht vor, dass "für in der Schweiz wohnhafte Bezüger von Altersrenten, die bis zum Entstehen des Anspruchs auf Altersrente Hilfsmittel oder Ersatzleistungen nach den Artikeln 21 oder 21bis des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG) erhalten haben, (...) der Anspruch auf diese Leistungen in Art und Umfang bestehen (bleibt), solange die massgebenden Voraussetzungen weiterhin erfüllt sind ...". Der Wortlaut, insbesondere die Formulierungen "... erhalten haben ..." (französische Fassung: "... bénéficient ..."; italienischer Gesetzestext: "... assegnatari ...") und "... diese Leistungen in Art und Umfang ..." ("... continuent d'avoir droit à ces prestations dans la même mesure ..."; "... continuano ad averne diritto nella medesima misura ...") spricht dafür, dass die AHV einzig diejenigen Hilfsmittel weiter zu erbringen hat, welche bereits die Invalidenversicherung zugesprochen hatte und die in der Liste der Hilfsmittel nach HVA (im Unterschied zu jener nach HVI) nicht enthalten sind. 
2.2 Die drei sprachlichen Fassungen stimmen überein und weisen einen hohen Indizwert für die Richtigkeit der von der Beschwerdeführerin vertretenen Interpretation aus. Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, u.a. dann nämlich, wenn triftige Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe entstehungsgeschichtlicher, teleologischer oder systematischer Natur (BGE 125 II 196 Erw. 3a, 244 Erw. 5a, 125 V 130 Erw. 5, 180 Erw. 2a, je mit Hinweisen) liegen indes keine vor. Vielmehr deutet insbesondere der Sinn und Zweck der unter der Marginale "Anspruch bei vorangehender Abgabe von Hilfsmitteln durch die IV" stehenden Norm darauf hin, dass die versicherte Person im AHV-Rentenalter mit denjenigen Hilfsmitteln, einschliesslich Reparaturen, teilweisen Ersatz etc. derselben, ausgestattet sein soll, die sie bereits vorgängig erhalten hat. Die ratio legis des Art. 4 HVA besteht demnach darin, dass über das Erreichen des AHV-Rentenalters hinaus der frühere leistungsmässige Status zugesichert werden soll. Die Besitzstandsgarantie knüpft demnach an die konkrete, unter dem zeitlichen Regime von Art. 10 Abs. 1 IVG bestehende Hilfsmittelversorgung an. Der Umstand, dass gemäss ZAK 1984 S. 227 bei erheblicher Verschlechterung des Hörvermögens Anspruch auf eine binaurale Hörapparateversorgung bestehen kann, auch wenn vor Eintritt des AHV-Rentenalters nur ein monaurales Gerät abgegeben worden ist, ändert daran grundsätzlich nichts. Diese für die versicherten Personen bis zu einem gewissen Grade günstige Ausnahme bei der Hörgeräteversorgung lässt sich damit rechtfertigen, dass beim Ohr als paarigem Organ die bilaterale Versorgung nicht losgelöst von der bisherigen monauralen Hilfsmittelabgabe betrachtet werden kann. Zwecks Erreichen eines insgesamt möglichst guten (Rest-)Hörvermögens ist im Rahmen der nunmehr indizierten bilateralen Versorgung die bisherige monaurale Ausstattung zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Es besteht insofern ein enger Konnex. Monaurale und bilaterale Hörmittelversorgung gehören sodann zur gleichen Art der Hilfsmittelausstattung gemäss Art. 4 HVA, wogegen die hier beanspruchte Versorgung mit Signalanlage und Faxgeräten näher bei einer anderen Hilfsmittelkategorie liegt. Die übergangsrechtlichen Erwägungen der Vorinstanz sind allgemeiner Natur und daher nicht geeignet, den dargelegten speziellen Rechtssinn von Art. 4 HVA zu verändern. 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 22. Mai 2001 aufgehoben. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, der Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 10. Januar 2003 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Der Präsident der I. Kammer: Der Gerichtsschreiber: 
i.V.