1C_218/2014 25.06.2015
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
1C_218/2014  
   
   
 
 
 
Urteil vom 25. Juni 2015  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident, 
Bundesrichter Karlen, Chaix, 
Gerichtsschreiber Härri. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatssekretariat für Migration, 
Quellenweg 6, 3003 Bern. 
 
Gegenstand 
Asyl, 
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 21. März 2014 des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung V. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der ukrainische Staatsangehörige A.________ lebt seit Februar 2009 in der Schweiz. 
Am 30. März 2012 ersuchten A.________, seine Ehefrau und seine drei Kinder in der Schweiz um Asyl. 
Mit Verfügung vom 28. Mai 2013 stellte das Bundesamt für Migration (BFM; heute: Staatssekretariat für Migration) fest, die Gesuchsteller erfüllten die Flüchtlingseigenschaft nicht. Es lehnte die Asylgesuche ab und ordnete die Wegweisung aus der Schweiz an. Den Vollzug der Wegweisung schob es wegen Unzulässigkeit zugunsten einer vorläufigen Aufnahme aus. 
Die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (Abteilung V) am 21. März 2014 ab. 
 
B.   
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufzuheben; es sei ihm in der Schweiz Asyl zu gewähren. Eventualiter sei das Verfahren an das Bundesverwaltungsgericht zur Ergänzung des Sachverhalts zurückzuweisen. Subeventualiter sei das Verfahren bis zum Entscheid über die Auslieferung zu sistieren. 
 
C.   
Das Bundesverwaltungsgericht und das BFM haben auf Gegenbemerkungen verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Am 1. April 2011 trat das Bundesgesetz vom 1. Oktober 2010 über die Koordination des Asyl- und des Auslieferungsverfahrens (Koordinationsgesetz; AS 2011 925 ff.) in Kraft. Dieses stellt einen Mantelerlass dar. Damit wurden ausschliesslich das Bundesgerichtsgesetz, das Asylgesetz (AsylG; SR 142.31) und das Rechtshilfegesetz (IRSG SR 351.1) geändert. Das Koordinationsgesetz bezweckt die Behebung der Probleme, die bei parallelen Auslieferungs- und Asylverfahren auftraten. Diese Verfahren werden nunmehr auf der Stufe des Bundesgerichts zusammengeführt. Das gewährleistet eine widerspruchsfreie Rechtsprechung unter Beachtung des Gebots des Non-Refoulement (näher dazu BGE 138 II 513 E. 1.2.1 S. 515 f. mit Hinweisen).  
Am 20. September 2013 ersuchte die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine die Schweiz um die Auslieferung des Beschwerdeführers zur Strafverfolgung wegen des Verdachts des wiederholten Betrugs und der Urkundenfälschung. Mit Verfügung vom 27. Oktober 2014 bewilligte das Bundesamt für Justiz die Auslieferung. Die vom Beschwerdeführer hiergegen erhobene Beschwerde hiess das Bundesstrafgericht (Beschwerdekammer) am 23. April 2015 teilweise gut. Es bewilligte die Auslieferung unter Vorbehalt der Abgabe einer wortgetreuen Garantieerklärung der zuständigen ukrainischen Behörde im Sinne seiner Erwägungen. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab. Gegen den bundesstrafgerichtlichen Entscheid erhob der Beschwerdeführer am 7. Mai 2015 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Darüber entscheidet das Bundesgericht mit separatem Urteil vom heutigen Tag (Urteil 1C_245/2015). Die Koordination des Asyl- und des Auslieferungsverfahrens ist damit sichergestellt. 
 
1.2. Mit Verfügung vom 16. Juni 2014 setzte der bundesgerichtliche Instruktionsrichter das vorliegende Verfahren betreffend Asyl (1C_218/2014) antragsgemäss aus, bis Klarheit darüber bestehe, ob sich das Bundesgericht auch mit der Auslieferungsfrage zu befassen haben werde. Da dies nunmehr zutrifft, ist das ausgesetzte Verfahren wieder aufzunehmen.  
 
1.3. Die Akten des Auslieferungsverfahrens liegen dem Bundesgericht vor. Art. 108a AsylG, der ihren Beizug vorschreibt, ist damit Genüge getan.  
 
2.   
Gegen den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts ist nach Art. 82 lit. a BGG die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegeben. 
 
Gemäss Art. 83 lit. d Ziff. 1 BGG ist die Beschwerde unzulässig gegen Entscheide auf dem Gebiet des Asyls, die vom Bundesverwaltungsgericht getroffen worden sind, ausser sie betreffen Personen, gegen die ein Auslieferungsersuchen des Staates vorliegt, vor welchem sie Schutz suchen. Gegen den Beschwerdeführer liegt ein ukrainisches Auslieferungsersuchen vor. Die Beschwerde ist daher zulässig. 
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung. Er ist nach Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde befugt. 
 
Der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts stellt einen nach Art. 90 BGG anfechtbaren Endentscheid dar. 
 
Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist - unter Vorbehalt der folgenden Erwägungen - einzutreten. 
 
3.  
 
3.1. Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen auf Gesuch hin Asyl.  
Nach Art. 3 AsylG sind Flüchtlinge Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden (Abs. 1). Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken (Abs. 2 Satz 1). 
Wer um Asyl nachsucht, muss gemäss Art. 7 AsylG die Flüchtlingseigenschaft nachweisen oder zumindest glaubhaft machen (Abs. 1). Glaubhaft gemacht ist die Flüchtlingseigenschaft, wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für gegeben hält (Abs. 2). Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen, die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden (Abs. 3). 
 
3.2. Der Beschwerdeführer brachte zur Begründung des Asylgesuchs vor, er habe in der Ukraine im Immobilienbereich ein Unternehmen betrieben, das sich mit grossen Projekten befasst habe. Im Jahr 2010 habe in der Ukraine ein Machtwechsel stattgefunden. Danach habe er Probleme mit seinem Unternehmen bekommen. Er sei aufgefordert worden, dieses aufzugeben. Man habe von ihm sogar verlangt, das Unternehmen zu verschenken. Nachdem er sich geweigert habe, dem nachzukommen, sei ihm im September 2010 mit Gewalt und behördlicher Verfolgung gedroht worden.  
 
3.3. Wie sich aus dem Reisepass des Beschwerdeführers ergibt, hat er sich seit Oktober 2009 nicht mehr in der Ukraine aufgehalten. Dies verträgt sich schlecht mit dem Vorbringen, er habe dort ein bedeutendes Unternehmen geleitet. Mit der Vorinstanz ist davon auszugehen, dass eine derartige Tätigkeit mindestens seine zeitweise Anwesenheit in der Ukraine erfordert hätte. Seine Angaben zu seinen Geschäften in der Ukraine waren zudem ausweichend und dürftig.  
Hätte er dort ein bedeutendes Unternehmen betrieben, wäre es zudem naheliegend gewesen, dass er dieses allmählich in die Schweiz ausdehnt. Das tat er jedoch nicht. Vielmehr begann er hier neu. 
Wäre er in der Ukraine ein erfolgreicher und vermögender Geschäftsmann gewesen, wäre überdies zu erwarten gewesen, dass er auch in der Schweiz ein bedeutenderes Unternehmen aufbaut und hier Arbeitsplätze schafft. Das tat er jedoch nicht, obwohl die wirtschaftlichen Bedingungen dafür im Raum Zürich, wo er tätig war, günstig gewesen wären. 
In Anbetracht dessen ist es nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz das Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe in der Ukraine ein bedeutendes Unternehmen betrieben, als nicht glaubhaft beurteilt hat. Hatte er kein solches Unternehmen, konnte es ihm auch niemand wegnehmen. 
Die vom Beschwerdeführer im Dezember 2012 gegen einen Landsmann eingereichte Strafanzeige wegen falscher Anschuldigung und Nötigung hat die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat durch Nichtanhandnahme erledigt. Aus der Strafanzeige, die blosse Behauptungen enthält, ergibt sich daher nichts zu Gunsten des Beschwerdeführers. 
Gegen die Glaubhaftigkeit einer politischen Verfolgung in der Ukraine sprechen sodann die Umstände der Einreichung des Asylgesuchs. Der Beschwerdeführer stellte dieses erst, nachdem die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine ein erstes Mal um seine Auslieferung ersucht und das BFM die Zustimmung zur Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung verweigert hatte. 
In der Beschwerde an die Vorinstanz verwickelte sich der Beschwerdeführer ausserdem in Widersprüche. Hatte er vorher geltend gemacht, er werde seit dem Machtwechsel im Jahr 2010 in der Ukraine politisch verfolgt, brachte er in jener Beschwerde (S. 12 Ziff. 44) vor, schon im Jahr 2009 von der dortigen Regierung und mit dieser verbundenen Unternehmen in seiner wirtschaftlichen Tätigkeit behindert und schikaniert worden zu sein. 
Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die dem Beschwerdeführer in der Ukraine vorgeworfenen gemeinrechtlichen Straftaten lediglich vorgeschoben wären, um ihn aus politischen Gründen zu verfolgen, bestehen nicht. Wie der Beschwerdeführer selber ausführt, war er politisch nicht aktiv (Beschwerde S. 9 Ziff. 24). Weshalb damit die ukrainischen Behörden ein Interesse an seiner politischen Verfolgung haben könnten, ist nicht erkennbar. 
Bei einer Gesamtwürdigung dieser Umstände verletzt es kein Bundesrecht, wenn die Vorinstanz in Übereinstimmung mit dem BFM zum Schluss gekommen ist, der Beschwerdeführer habe eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen nicht glaubhaft machen können. 
 
4.   
Dass die Vorinstanz den rechtserheblichen Sachverhalt nach Art. 97 Abs. 1 BGG offensichtlich unrichtig oder unvollständig festgestellt habe, legt der Beschwerdeführer nicht in einer den qualifizierten Begründungsanforderungen von Art. 106 Abs. 2 BGG genügenden Weise dar. Er beschränkt sich insoweit auf appellatorische Kritik. Darauf ist nicht einzutreten (BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266 mit Hinweisen). 
 
5.   
Die Vorinstanz hat ihren Entscheid eingehend und nachvollziehbar begründet. Soweit der Beschwerdeführer sinngemäss eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) rügt, da die Vorinstanz ihren Entscheid ungenügend begründet habe, ist die Beschwerde offensichtlich unbehelflich. 
 
6.  
 
6.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, die Vorinstanz habe die gesetzliche Behandlungsfrist nach Art. 109 Abs. 4 AsylG bei weitem nicht eingehalten und das Beschleunigungsgebot (Art. 29 Abs. 1 BV) verletzt.  
 
6.2. Gemäss Art. 29 Abs. 1 BV hat jede Person im Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist.  
Besteht eine gesetzliche Behandlungsfrist, ist darauf bei der Beurteilung der Frage der Verletzung des Beschleunigungsgebots abzustellen (BGE 130 I 312 E. 5.1 S. 332 mit Hinweisen; Urteil 1C_65/2007 vom 11. September 2007 E. 5.2). 
Für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht sieht das Gesetz Behandlungsfristen vor. Gemäss Art. 109 Abs. 4 AsylG in der Fassung gemäss Bundesgesetz vom 14. Dezember 2012, in Kraft seit dem 1. Februar 2014, beträgt die Frist in einem Fall wie hier in der Regel 20 Tage. Nach der alten Fassung betrug die Behandlungsfrist in der Regel 2 Monate. 
Ob im vorliegenden Fall die neue oder alte Fassung von Art. 109 Abs. 4 AsylG anwendbar ist, braucht nicht näher untersucht zu werden, da dies im Ergebnis keine Rolle spielt. 
 
6.3. Die Beschwerde an die Vorinstanz ging bei dieser am 28. Juni 2013 ein. Knapp 9 Monate später fällte sie ihr Urteil. Vom Abschluss des Schriftenwechsels am 11. September 2013 bis zum vorinstanzlichen Urteil verstrichen mehr als 6 Monate.  
Die Vorinstanz hat somit die gesetzliche Behandlungsfrist - selbst wenn sie nicht 20 Tage, sondern 2 Monate betragen sollte - weit überschritten. Gemäss Art. 109 Abs. 4 AsylG gilt die Frist in der Regel. Ein Grund dafür, weshalb hier die Frist ausnahmsweise hätte überschritten werden dürfen, ist nicht erkennbar, da der Fall weder in tatsächlicher noch rechtlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten bot. Die Verletzung des Beschleunigungsgebots ist deshalb zu bejahen. 
Diese ist im Dispositiv des vorliegenden Urteils festzustellen. Damit und in Verbindung mit der für den Beschwerdeführer vorteilhaften Kostenregelung wird ihm eine hinreichende Wiedergutmachung verschafft (BGE 138 I 513 E. 6.5 S. 518 f. mit Hinweisen). 
 
7.   
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden kann, teilweise gutzuheissen und festzustellen, dass die Vorinstanz das Beschleunigungsgebot verletzt hat. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen. 
Der Beschwerdeführer unterliegt zur Hauptsache. Unter den gegebenen Umständen (oben E. 6.3) werden jedoch keine Kosten erhoben (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). Die Eidgenossenschaft hat dem Beschwerdeführer wegen dessen teilweisen Obsiegens eine Entschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Diese wird auf Fr. 2'500.-- festgesetzt. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird, soweit darauf eingetreten werden kann, teilweise gutgeheissen und festgestellt, dass das Bundesverwaltungsgericht das Beschleunigungsgebot verletzt hat. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.   
Die Eidgenossenschaft (Bundesverwaltungsgericht) hat dem Beschwerdeführer eine Entschädigung von Fr. 2'500.-- zu bezahlen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Staatssekretariat für Migration und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung V, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 25. Juni 2015 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Fonjallaz 
 
Der Gerichtsschreiber: Härri