1C_130/2023 11.01.2024
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_130/2023  
 
 
Urteil vom 11. Januar 2024  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Haag, Merz, 
Gerichtsschreiber Poffet. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
B.________, 
Beschwerdegegner, 
 
Staatsanwaltschaft See/Oberland, 
Weiherallee 15, Postfach, 8610 Uster, 
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich. 
 
Gegenstand 
Ermächtigung, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 6. Februar 2023 (TB220144-O). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 9. August 2022 wurde A.________ in U.________ einer polizeilichen Personen- und Effektenkontrolle unterzogen. Er erstattete am 9. November 2022 Anzeige gegen den an der Kontrolle beteiligten Polizisten B.________ wegen Amtsmissbrauchs, einfacher Körperverletzung, Nötigung sowie Sachbeschädigung und stellte die entsprechenden Strafanträge. Die Staatsanwaltschaft See/Oberland überwies die Akten auf dem Dienstweg via Oberstaatsanwaltschaft an das Obergericht des Kantons Zürich, das mit Beschluss vom 6. Februar 2023 die Ermächtigung zur Strafverfolgung verweigerte. 
 
B.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 16. März 2023 beantragt A.________ dem Bundesgericht, es sei der Staatsanwaltschaft die Ermächtigung zur Strafverfolgung zu erteilen. Zudem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege. 
Die Oberstaatsanwaltschaft hat sich vernehmen lassen, ohne Anträge in der Sache zu stellen. Das Obergericht verzichtet auf eine Stellungnahme. Der Beschwerdeführer hat repliziert. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Der angefochtene kantonal letztinstanzliche Entscheid (Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 BGG) betrifft die Verweigerung der Ermächtigung zur Strafverfolgung gegen einen Polizeibeamten gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO i.V.m. § 148 des Gesetzes des Kantons Zürich vom 10. Mai 2010 über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess (GOG; LS 211.1). Da es damit an einer Prozessvoraussetzung für die Durchführung des Strafverfahrens fehlt, liegt ein Endentscheid vor (Art. 90 BGG), gegen den rechtsprechungsgemäss die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig ist (BGE 137 IV 269 E. 1.3.1; Urteil 1C_402/2023 vom 14. Dezember 2023 E. 1.1). Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und ist im Lichte der angezeigten Straftaten, hinsichtlich derer er voraussichtlich als geschädigte Person im Sinne von Art. 115 StPO gelten würde, zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG; Urteil 1C_70/2023 vom 28. März 2023 E. 2.2 mit Hinweisen). 
Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten. 
 
2.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Dieses wendet das Bundesgericht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dabei legt es seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz von Amtes wegen oder auf Rüge hin berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Ar. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Die Verletzung von Grundrechten einschliesslich der willkürlichen Sachverhaltsfeststellung ist in der Beschwerde klar und detailliert aufzuzeigen (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 149 III 81 E. 1.3; 148 IV 39 E. 2.3.5; je mit Hinweisen). Mit ungenügend begründeten Rügen und rein appellatorischer Kritik am angefochtenen Entscheid setzt sich das Bundesgericht nicht auseinander (BGE 148 I 104 E. 1.5; 145 I 26 E. 1.3; 143 II 283 E. 1.2.2; je mit Hinweisen). 
 
3.  
Im Ermächtigungsverfahren dürfen - ausser bei obersten Vollziehungs- und Gerichtsbehörden - nur strafrechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden (BGE 149 IV 183 E. 2.2 mit Hinweis). Allerdings begründet nicht jeder behördliche Fehler die Pflicht zur Ermächtigungserteilung. Erforderlich ist vielmehr ein Mindestmass an Hinweisen auf ein strafrechtlich relevantes Verhalten; ein solches muss in minimaler Weise glaubhaft erscheinen. Der Entscheid über die Erteilung der Ermächtigung zur Strafuntersuchung ist demjenigen über die Anhandnahme eines Strafverfahrens bzw. über die Einstellung eines eröffneten Strafverfahrens vorangestellt. Die Ermächtigung muss daher bereits bei einer geringeren Wahrscheinlichkeit der strafrechtlichen Verantwortlichkeit erteilt werden, als sie für die Anhandnahme eines Strafverfahrens erforderlich ist. Sie ist nur bei offensichtlich und klarerweise unbegründeten Strafanzeigen zu verweigern (vgl. BGE 149 IV 183 E. 2.3; 147 I 494 E. 3.1; je mit Hinweisen). 
 
4.  
Die Vorinstanz setzte sich sowohl mit den Angaben des Beschwerdeführers als auch mit dem Polizeiprotokoll des Vorfalls vom 9. August 2022 auseinander. Sie gelangte zum Schluss, die späteren Aussagen des Beschwerdeführers seien widersprüchlich und damit nicht glaubhaft. So habe er anlässlich der polizeilichen Einvernahme unter anderem ausgesagt, er sei unzulässigerweise im Intimbereich abgetastet und hart zu Boden gedrückt worden; von einem harten Schlag gegen die Brust mit dem Taser sei keine Rede gewesen. Einen Schockzustand verneinte die Vorinstanz gestützt auf das trotzige Auftreten des Beschwerdeführers anlässlich der Einvernahme. Anlässlich der medizinischen Untersuchung, der sich der Beschwerdeführer am Folgetag unterzogen habe, sei lediglich eine Rippenprellung diagnostiziert worden. Vor diesem Hintergrund verwarf die Vorinstanz die Sachverhaltsdarstellung des Beschwerdeführers und stellte auf den Polizeirapport ab. Sie hielt fest, der Beschwerdeführer sei während laufender Polizeikontrolle weggerannt, um im nahen Bach die mitgeführten Betäubungsmittel zu entsorgen. Bei der anschliessenden Festnahme sei er von den Polizeibeamten mit Gewalt fixiert worden. Letzteres dürfte der vom Beschwerdeführer in seiner Anzeige beschriebenen Handlung entsprechen, wonach der Beschwerdegegner beim Anbringen der Handschellen mit vollem Körpergewicht auf ihm gekniet sei. 
Ausgehend von einem Fluchtversuch während laufender Polizeikontrolle zur Entledigung mitgeführter Betäubungsmittel erachtete die Vorinstanz das Vorgehen des Beschwerdegegners, den Beschwerdeführer zu ergreifen, ihn mit gewisser Gewalteinwirkung zu Boden zu führen und ihn dort zu fixieren, um die Handschellen anzulegen, als verhältnismässig. Eine Prellung gehe nicht über das hinaus, was an körperlichen Folgen zu erwarten sei, wenn sich eine Person einer Polizeikontrolle entziehe und danach verfolgt bzw. ergriffen werden müsse. Im Ergebnis deute nichts darauf hin, dass der Beschwerdegegner anlässlich der Verhaftung das erlaubte Mass an Zwang überschritten hätte. Sein Vorgehen sei gerechtfertigt gewesen und die Anzeige des Beschwerdeführers erweise sich somit als haltlos. 
 
5.  
Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, verfängt nicht. 
 
5.1. Die Kritik an der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung bleibt unsubstanziiert. Der Beschwerdeführer macht in appellatorischer Weise geltend, das Protokoll der Einvernahme vermittle einen komplett falschen Eindruck und der Vorfall habe ihn psychisch massiv mitgenommen. Soweit er der Vorinstanz vorwirft, diese klammere aus, dass er den Tathergang nach der Entlassung durch die Polizei wie in der Anzeige auch den Ärzten geschildert habe, lässt er seinerseits unerwähnt, dass er anlässlich des ersten Arztbesuchs am Folgetag des Ereignisses die Umstände der tätlichen Auseinandersetzung gerade nicht erwähnt hatte. Erst neun Tage später begab er sich erneut in die Notaufnahme und gab nun an, er sei anlässlich einer polizeilichen Festnahme mutmasslich mit einem Taser geschlagen worden und leide seither unter Angstzuständen sowie Schlafstörungen. Beim eingereichten Einvernahmeprotokoll vom 7. März 2023 handelt es sich sodann um ein neues und damit grundsätzlich unzulässiges Beweismittel. Der Beschwerdeführer legt nicht dar, inwiefern erst der angefochtene Entscheid Anlass zu dessen Einreichung gegeben hätte (vgl. Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 143 V 19 E. 1.2).  
 
5.2. Ob die Vorinstanz zu Unrecht einen Rechtfertigungsgrund annimmt und das Vorgehen des Beschwerdegegners als verhältnismässig qualifiziert, ist demgegenüber Rechts- und nicht Tatfrage. Der Beschwerdeführer macht diesbezüglich geltend, das erlaubte Mass an Zwang sei überschritten worden. Es lägen hinreichende Anhaltspunkte für eine Strafbarkeit des Beschwerdegegners vor. Auch dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Der Beschwerdeführer floh während laufender Polizeikontrolle, um die mitgeführten Betäubungsmittel im Bach verschwinden zu lassen. Aufgrund seines Verhaltens bot er Anlass für den erfolgten körperlichen Zwang. Der Beschwerdegegner war mit anderen Worten befugt, den bereits einmal geflohenen tatverdächtigen Beschwerdeführer festzunehmen, um einen weiteren Fluchtversuch zu verhindern. Dass es beim Anlegen der Handschellen zu einer Rippenprellung kam, bietet unter diesen Umständen keinen Anhaltspunkt für ein strafbares Verhalten. Von Folter oder unmenschlicher Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK kann keine Rede sein.  
 
5.3. Die Vorinstanz hat demnach nicht gegen Bundesrecht verstossen, indem sie die Ermächtigung zur Strafverfolgung verweigerte.  
 
6.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. 
Der Beschwerdeführer hat ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt. Dieses ist zufolge Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Umständehalber kann auf die Erhebung von Gerichtskosten verzichtet werden (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft See/Oberland, der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 11. Januar 2024 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Der Gerichtsschreiber: Poffet