2A.35/2003 06.02.2003
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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
2A.35/2003 /bie 
 
Urteil vom 6. Februar 2003 
II. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Bundesrichter Wurzburger, Präsident, 
Bundesrichter Betschart, Hungerbühler, 
Gerichtsschreiber Klopfenstein. 
 
A.________, geb. 1971, alias B.________, zzt. Flughafengefängnis, Postfach, 8058 Zürich, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Antigone Schobinger, Gartenhofstrasse 15, Postfach 9819, 8036 Zürich, 
 
gegen 
 
Migrationsamt des Kantons Zürich, Berninastrasse 45, 8090 Zürich, 
Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, Wengistrasse 28, Postfach, 8026 Zürich. 
 
Fortsetzung der Ausschaffungshaft gemäss Art. 13b Abs. 2 ANAG
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich, Haftrichter, vom 15. Januar 2003. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Der nach eigenen Angaben aus der ehemaligen Sowjetunion emigrierte A.________ reiste am 15. Oktober 2002 ohne gültigen Reisepass und ohne Visum von Kopenhagen herkommend in die Schweiz ein. Für die Einreise benützte er einen gefälschten spanischen Reisepass, lautend auf B.________, welchen er in London gekauft haben will. Denselben gefälschten Reisepass wies er am 19. Oktober 2002 bei der Ausreise vor, als er in Zürich ein Flugzeug nach London bestieg. Aufgrund des auch dort benutzten falschen Reisepasses wurde er in England an der Einreise gehindert und in die Schweiz abgeschoben. Das Migrationsamt des Kantons Zürich wies A.________ daraufhin formlos aus der Schweiz weg (Verfügung vom 21. Oktober 2002) und ordnete gegen ihn gestützt auf Art. 13b Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20) Ausschaffungshaft an, welche vom Bezirksgericht Zürich, Haftrichter , zunächst bis zum 20. Januar 2003 bewilligt wurde. 
1.2 Mit Verfügung vom 15. Januar 2003 bewilligte die zuständige Haftrichterin des Bezirksgerichts Zürich (im Folgenden: "Haftrichterin") die vom Migrationsamt des Kantons Zürich beantragte Verlängerung der Haft bis zum 20. April 2003 
Gegen diese Verfügung führt A.________ mit Eingabe vom 27. Januar 2003 Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht. Er beantragt, die angefochtene Verfügung aufzuheben; ausserdem sei er unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Sodann ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
Das Migrationsamt des Kantons Zürich beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Die Haftrichterin hat auf Vernehmlassung verzichtet. Das Bundesamt für Flüchtlinge hat sich innert Frist nicht geäussert. Der Beschwerdeführer hat mit Eingabe vom 4. Februar 2003 (Posteingang beim Bundesgericht am 5. Februar 2003) an seinen Anträgen festgehalten. 
2. 
Wurde ein erstinstanzlicher, nicht notwendigerweise auch rechtskräftiger Weg- oder Ausweisungsentscheid eröffnet, so kann die zuständige kantonale Behörde (Art. 13c Abs. 1 ANAG) einen Ausländer zur Sicherstellung von dessen Vollzug in Ausschaffungshaft nehmen, wenn die Voraussetzungen von Art. 13b ANAG (s. auch Art. 13c Abs. 3 und 5 lit. c ANAG) erfüllt sind, insbesondere wenn ein gesetzlicher Haftgrund gemäss Art. 13b Abs. 1 ANAG vorliegt. Die Haft darf vorerst für höchstens drei Monate angeordnet werden; stehen dem Vollzug der Weg- oder Ausweisung besondere Hindernisse entgegen, so kann die Haft mit Zustimmung der richterlichen Behörde, welche aufgrund einer mündlichen Verhandlung über deren Rechtmässigkeit und Angemessenheit befindet (vgl. Art. 13c Abs. 2 ANAG), um höchstens sechs Monate verlängert werden (Art. 13b Abs. 2 ANAG); die Ausschaffungshaft darf damit maximal neun Monate dauern. Die Haft ist zu beenden, wenn sich sich erweist, dass der Vollzug der Wegweisung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen undurchführbar ist (Art. 13c Abs. 5 lit. a ANAG), d.h. wenn nicht mehr ernsthaft damit gerechnet werden kann, dass sich die Ausschaffung innert der maximal möglichen Haftdauer bewerkstelligen lässt. Die für den Vollzug der Weg- oder Ausweisung notwendigen Vorkehrungen sind umgehend zu treffen (Art. 13b Abs. 3 ANAG; Beschleunigungsgebot). 
3. 
3.1 Der Beschwerdeführer bestreitet zunächst das Vorhandensein eines gesetzlichen Haftgrundes. Sein gesamtes Verhalten zeige, dass er gewillt sei, nach Russland zurückzukehren; sämtliche Umstände sprächen gegen das Vorliegen der Untertauchensgefahr. 
3.1.1 Nach Art.13b Abs. 1 lit. c ANAG ist Ausschaffungshaft dann zulässig, wenn konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass der Ausländer sich der Ausschaffung entziehen will, insbesondere weil sein bisheriges Verhalten darauf schliessen lässt, dass er sich behördlichen Anordnungen widersetzt (Untertauchensgefahr). Erforderlich sind konkrete Anhaltspunkte, dass der Ausländer sich der Ausschaffung entziehen und untertauchen will. Der Vollzug der Wegweisung muss erheblich gefährdet erscheinen. Dies trifft namentlich zu, wenn der Ausländer bereits einmal untergetaucht ist, behördlichen Anordnungen keine Folge leistet oder durch erkennbar unglaubwürdige und widersprüchliche Angaben die Vollzugsbemühungen der Behörden erschwert. Der illegale Aufenthalt in der Schweiz, die Tatsache, dass der Betroffene keine Papiere besitzt und nur mangelhaft an deren Beschaffung mitwirkt, sowie das Fehlen eines festen Aufenthaltsorts oder Mittellosigkeit genügen für die Annahme einer Untertauchensgefahr für sich allein nicht, können diese jedoch gegebenenfalls zusammen mit weiteren Umständen indizieren (vgl. BGE 125 II 369 E. 3b/aa S. 375; 122 II 49 E. 2a S. 50 f.; 119 Ib 193 E. 2b S. 198). Die Ausschaffungshaft darf nicht einfach vorsorglich angeordnet werden, nur weil erfahrungsgemäss eine bestimmte Anzahl der zur Ausreise verpflichteten Ausländer untertaucht. Vielmehr muss die zuständige Behörde in jedem konkreten Fall eine Prognose stellen (Alain Wurzburger, La jurisprudence récente du Tribunal fédéral en matière de police des étrangers, in: RDAF I 53/1997, S. 267, S. 332 f.). Dabei muss sie das Verhalten des Ausländers in seiner Gesamtheit, unter Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse insgesamt, würdigen (Urteil 2A.94/2002 vom 7. März 2002, E. 3.1, mit Hinweisen). 
3.1.2 Die Haftrichterin hat entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht ausser Acht gelassen, dass dieser bei der Papierbeschaffung zu kooperieren scheint (indem er zum Beispiel am 6. Januar 2003 zwei Schreiben der russischen Behörden ins Recht gelegt hat, welche seine Identität bestätigen sollen). Nicht unberücksichtigt geblieben ist auch das Schreiben des englischen Immigration Service, das die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers an der Verhandlung vom 15. Januar 2003 eingereicht hat (vgl. Verhandlungsprotokoll S. 6), woraus sich ergibt, dass der Beschwerdeführer ab Ende Oktober 2001 in England geduldet war. Die Haftrichterin hat bei der Prüfung des Haftgrundes von Art. 13b Abs. 1 lit. c ANAG hingegen zu Recht hauptsächlich darauf abgestellt, dass der Beschwerdeführer bei seiner Ein- und Ausreise einen gefälschten Reisepass benutzt und den schweizerischen sowie den englischen Behörden falsche Angaben über seine Identität gemacht hat. Die vom Beschwerdeführer abgegebenen Erklärungen, weshalb er mit gefälschten Papieren gereist ist, erscheinen nicht stichhaltig. Besonders auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass er nach seiner Ausreise aus England im April 2002 offenbar mehrere Monate in Russland gelebt hat, im Oktober 2002 aber immer noch mit dem fraglichen gefälschten Pass unterwegs war. 
 
Wird das Verhalten des Beschwerdeführers in seiner Gesamtheit, unter Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse, insgesamt gewürdigt, so ist nach dem Gesagten der Haftgrund von Art. 13b Abs. 1 lit. c ANAG gegeben. 
3.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe vom ersten Tag der Haft an darauf hingewiesen, dass sich seine Dokumente in England befänden. Weil die kantonalen Behörden nur die russischen, nicht aber die englischen Behörden angefragt hätten, sei das Beschleunigungsgebot verletzt. 
 
Die Rüge ist unbegründet. Der Beschwerdeführer hat stets angegeben, er stamme aus Russland. Wohl trifft zu, dass er am 20. Oktober 2002 auf eine entsprechende Frage hin ausgesagt hat, seine "richtigen Ausweise" befänden sich "in England, beim Immigrations Büro". Gleichzeitig gab er aber zu Protokoll, die Dokumente seien, wie er glaube, "nicht mehr gültig" (vgl. Einvernahmeprotokoll der Kantonspolizei Zürich vom 20. Oktober 2002, Ziff. 15). Unter diesen Umständen ist es nicht zu beanstanden, wenn sich die Behörden in der Frage der Papierbeschaffung vorerst auf Russland konzentrierten, zumal das Migrationsamt bereits bei der Abwicklung des Rückübernahmeverfahrens mit England die nötigen Informationen bei den englischen Behörden eingeholt und allfällige für die Feststellung der Identität oder für die spätere Beschaffung von Reisepapieren relevanten Unterlagen - als fester Bestandteil einer Rückübernahme im Rahmen des Übereinkommens vom 7. Dezember 1944 über die internationale Zivilluftfahrt (ICAO-Abkommen, SR 0.748.0) - angefordert hatte (Aktennotiz des Migrationsamtes vom 30. Januar 2003). Für zusätzliche Abklärungen in England bestand damals kein Anlass. Dass es im Rahmen der Nachforschungen bei den russischen Behörden zu Verzögerungen gekommen ist, liegt nicht in der Verantwortung des Migrationsamtes, wie die Haftrichterin zutreffend festgestellt hat (S. 4 des angefochtenen Entscheides). Die schweizerischen Behörden haben vielmehr alles vorgekehrt, um die Papierbeschaffung bereits während den ersten drei Monaten der Ausschaffungshaft zu ermöglichen. Im Übrigen ist zu bemerken, dass die Abteilung Vollzugsunterstützung am 29. Januar 2003 nunmehr weitere Nachforschungen in England sowie in Deutschland, Dänemark und Belgien (eventuell auch in Israel ) in Aussicht gestellt hat. Sodann ist der Beschwerdeführer gleichentags ein zweites Mal bei der Vertretung der Russischen Föderation vorgeführt worden. 
 
Das Beschleunigungsgebot ist nach dem Gesagten nicht verletzt. 
3.3 Der Beschwerdeführer stellt schliesslich die Durchführbarkeit der Ausschaffung innert gesetzlicher Frist in Frage. 
 
Der Umstand allein, dass die Ausreise nur schwer organisiert werden kann, lässt die Haft nicht bereits dahinfallen oder die Ausschaffung als undurchführbar erscheinen. Gerade wegen solcher Schwierigkeiten und Ungewissheiten hat der Gesetzgeber die Haftdauer erheblich erhöht und die Möglichkeit der Haftverlängerung geschaffen (BBl 1994 I 305 ff. S. 316). Lediglich die vage und höchst unwahrscheinliche, rein theoretische Möglichkeit, den Vollzug noch innert absehbarer Frist durchführen zu können, begründet die Unzulässigkeit der Haft, nicht aber die entsprechende ernsthafte, wenn auch allenfalls nur geringfügige Möglichkeit (Urteil 2A. 318/2000 vom 9. August 2000, E. 4a). 
 
Vorliegend bestehen keine Anzeichen dafür, dass die Ausschaffung nicht in absehbarer Zeit vollzogen werden könnte bzw. sie rechtlich und tatsächlich nicht möglich wäre. Das vom Beschwerdeführer wiederholt erhobene Argument, er müsse sich persönlich vor Ort (in St. Petersburg) registrieren lassen, um einen gültigen Reisepass zu bekommen, mag zutreffen, ändert nichts, ist doch vom russischen Konsulat (im Rahmen der zweiten Vorführung des Beschwerdeführers am 29. Januar 2003) die Möglichkeit der Abgabe eines "Laissez-Passer" in Aussicht gestellt worden. 
4. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen. 
 
Der Beschwerdeführer hat um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung ersucht. Im Haftverlängerungsverfahren hat der (mittellose) Ausländer (auf Gesuch hin) Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand (BGE 122 I 49 E. 2c/cc S. 53). Dem Gesuch ist vorliegend zu entsprechen (Art. 152 Abs. 1 und 2 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen. 
2.1 Es werden keine Kosten erhoben. 
2.2 Rechtsanwältin Antigone Schobinger wird als amtliche Vertreterin des Beschwerdeführers bestellt, und es wird ihr für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse ein Honorar von Fr. 1'500.-- ausgerichtet. 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Migrationsamt des Kantons Zürich und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, sowie dem Bundesamt für Flüchtlinge schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 6. Februar 2003 
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: