2C_762/2022 23.09.2022
Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
2C_762/2022  
 
 
Urteil vom 23. September 2022  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin, 
Bundesrichterin Hänni, 
Bundesrichter Hartmann, 
Gerichtsschreiber Zollinger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Gesellschaft A.________, 
B.________, 
Beschwerdeführerinnen, 
beide vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Natalie Peter, 
 
gegen  
 
Eidgenössische Steuerverwaltung, Dienst für Informationsaustausch in Steuersachen SEI, 
Eigerstrasse 65, 3003 Bern. 
 
Gegenstand 
Amtshilfe (DBA CH-AT), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung I, 
vom 1. September 2022 (A-2914/2021). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 16. Februar 2017 richtete das Central Liaison Office for International Cooperation (nachfolgend: ersuchende Behörde) des Bundesministeriums für Finanzen der Republik Österreich gestützt auf Art. 26 des Abkommens vom 30. Januar 1974 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Österreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (DBA CH-AT; SR 0.672.916.31) ein Amtshilfeersuchen an die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV). 
 
A.a. Als vom Ersuchen betroffene Personen nannte die ersuchende Behörde mutmasslich in Österreich steuerpflichtige Personen, die anhand von Kundenstammnummern gemäss einer dem Ersuchen beigelegten Liste identifizierbar seien. Aus der Liste gehe hervor, dass diese Bankverbindungen und Vermögensdaten Personen zuzuordnen seien, die einen steuerlichen Bezug zu Österreich hätten (Domizilcode). Die Aufstellung enthalte 8'312 eindeutig zuordenbare Kundennummern, jedoch keine Namen oder sonstigen Daten der betroffenen Personen. Damit sei eine weitere Ermittlungstätigkeit gegenüber den betroffenen Personen ohne Mithilfe der Schweiz nicht möglich. Als Informationsinhaberin in der Schweiz wurde die C.________ AG (nachfolgend: Informationsinhaberin) genannt. Die Informationen würden für die Erhebung der Einkommenssteuer, die Kapitalertragssteuer und der Körperschaftssteuer für die Steuerperioden 2012 bis 2015 benötigt. Mit Schreiben vom 20. Juni 2017 erklärte die Gesellschaft A.________ ihre Verfahrensteilnahme als vom Amtshilfeersuchen betroffene Person.  
 
A.b. In Erwartung eines Grundsatzurteils des Bundesgerichts bezüglich eines ähnlichen Amtshilfeersuchens der französischen Behörden, das auf Daten derselben Quelle basierte, setzte die ESTV die Bearbeitung der auf dem Amtshilfeersuchen der ersuchenden Behörde vom 16. Februar 2017 basierenden Verfahren vorübergehend aus. Im Anschluss an das (teilweise) amtlich publizierte Bundesgerichtsurteil 2C_653/2018 vom 26. Juli 2019 (BGE 146 II 150) informierte die ESTV mit Schreiben vom 16. Januar 2020 die ersuchende Behörde über die neusten Entwicklungen in der Rechtsprechung. Mit Schreiben vom 24. Januar 2020 wies die ersuchende Behörde auf die innerstaatliche Verjährungsfrist von zehn Jahren für die Abgabefestsetzung hin. Allerdings sei eine Verlängerung dieser Festsetzungsverjährung gewährleistet, wenn die Abgabefestsetzung von der Erledigung einer Beschwerde abhänge.  
 
A.c. Mit Schreiben vom 15. September 2020 gewährte die ESTV der Gesellschaft A.________ Akteneinsicht und informierte sie über die zur Übermittlung beabsichtigten Informationen. Am 24. September 2020 teilte diese der ESTV mit, dass der wirtschaftlich Berechtigte an den von ihr gehaltenen Bankkonten bereits im Jahr 2013 verstorben sei. Die ESTV fragte in der Folge bei der Informationsinhaberin nach, ob der an den betroffenen Bankkonten wirtschaftlich Berechtigte verstorben sei bzw. gewechselt habe, was die Informationsinhaberin am 17. Februar 2021 telefonisch und am 24. Februar 2021 schriftlich bestätigte. Am 15. März 2021 informierte die ESTV die Rechtsnachfolgerin des wirtschaftlich Berechtigten, B.________, über das Amtshilfeverfahren. Am 25. März 2021 teilte die Rechtsanwältin der Gesellschaft A.________ mit, dass sie auch B.________ vertrete. Am 10. Mai 2021 nahmen die beiden betroffenen Personen je zur beabsichtigten Übermittlung der Informationen Stellung.  
 
B.  
Mit Schlussverfügungen vom 26. Mai 2021 qualifizierte die ESTV das Amtshilfeersuchen der ersuchenden Behörde als zulässig und ordnete die Amtshilfeleistung in Bezug auf die von der ersuchenden Behörde erfragten und von der Informationsinhaberin edierten Bankkundeninformationen betreffend die Gesellschaft A.________ und B.________ an. 
Gegen die Schlussverfügungen vom 26. Mai 2021 erhoben die Gesellschaft A.________ und B.________ am 23. Juni 2021 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Sie beantragten, die Schlussverfügungen vom 26. Mai 2021 seien aufzuheben und die ersuchte Amtshilfe zu verweigern. Eventualiter sei lediglich mitzuteilen, dass keine voraussichtlich erheblichen Informationen übermittelt werden könnten und die Steuerpflicht im ersuchenden Staat vollständig ausgeschlossen werden könne. 
Mit Urteil vom 1. September 2022 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 19. September 2022 gelangen die Gesellschaft A.________ und B.________ an das Bundesgericht. Sie beantragen die Aufhebung des Urteils vom 1. September 2022. Es sei festzustellen, dass die Voraussetzungen für die in den Schlussverfügungen vom 26. Mai 2021 vorgesehene Amtshilfe nicht erfüllt seien. Es seien die Schlussverfügungen vom 26. Mai 2021 aufzuheben und die ersuchte Amtshilfe zu verweigern. Eventualiter sei lediglich mitzuteilen, dass keine voraussichtlich erheblichen Informationen übermittelt werden könnten und die Steuerpflicht im ersuchenden Staat vollständig ausgeschlossen werden könne. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die weiteren Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen (Art. 29 Abs. 1 BGG) und mit freier Kognition (vgl. BGE 146 II 276 E. 1; 141 II 113 E. 1). 
 
1.1. Art. 83 lit. h BGG sieht vor, dass die Beschwerde an das Bundesgericht gegen Entscheide auf dem Gebiet der internationalen Amtshilfe mit Ausnahme der Amtshilfe in Steuersachen unzulässig ist. Gegen einen Entscheid auf dem Gebiet der internationalen Amtshilfe in Steuersachen ist die Beschwerde gemäss Art. 84a BGG zulässig, wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt oder wenn es sich aus anderen Gründen um einen besonders bedeutenden Fall im Sinne von Art. 84 Abs. 2 BGG handelt. Die beschwerdeführende Partei hat in der Begründung darzulegen, warum die jeweilige Voraussetzung erfüllt ist, es sei denn, dies treffe ganz offensichtlich zu (Art. 42 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 146 II 276 E. 1.2.1; 133 IV 131 E. 3).  
Das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist regelmässig zu bejahen, wenn der Entscheid für die Praxis wegleitend sein kann - namentlich wenn von unteren Instanzen viele gleichartige Fälle zu beurteilen sein werden. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist unter Umständen auch anzunehmen, wenn es sich um eine erstmals zu beurteilende Frage handelt, die einer Klärung durch das Bundesgericht bedarf. Es muss sich allerdings um eine Rechtsfrage handeln, deren Entscheid von ihrem Gewicht her nach einer höchstrichterlichen Klärung ruft. Aber auch eine vom Bundesgericht bereits entschiedene Rechtsfrage kann von grundsätzlicher Bedeutung sein, wenn sich die erneute Überprüfung aufdrängt (vgl. BGE 139 II 404 E. 1.3; 139 II 340 E. 4; Urteil 2C_1037/2019 vom 27. August 2020 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 147 II 116). 
 
1.2. Die Beschwerdeführerinnen bringen vor, der im Jahr 2013 verstorbene, wirtschaftlich Berechtigte an den Bankkonten habe zu keinem Zeitpunkt in Österreich gelebt. Er habe seinen Wohnsitz sowie gewöhnlichen Aufenthalt stets in Slowenien gehabt. Da er der Informationsinhaberin für seine Bankkorrespondenz die Adresse seiner angemieteten Wohnung in Österreich angegeben habe, sei er bis im Mai 2010 mit dem Domizilcode Österreich im bankinternen System geführt worden. Per Mai 2010 seien die Angaben bei der Informationsinhaberin angepasst worden. Anlässlich der Hausdurchsuchung bei der Informationsinhaberin sei aber bekanntlich eine Liste aus dem Jahr 2008 sichergestellt worden. Das vorliegende Amtshilfeersuchen basiere auf dieser Liste. Der wirtschaftlich Berechtigte sei nur deshalb auf dieser Liste, da die Korrektur seiner Angaben erst im Jahr 2010 erfolgt sei. Es liege nachweislich ein falscher Domizilcode vor. Es sei daher die Frage zu klären, ob ein offenkundig falscher Domizilcode als Anknüpfungspunkt für ein Amtshilfeverfahren dienen könne.  
 
1.3. Das Bundesgericht hat bereits mehrfach bestätigt, dass im Zusammenhang mit den Listen der Informationsinhaberin der Domizilcode einen hinreichenden Anknüpfungspunkt für eine potenzielle Steuerpflicht darstellt (vgl. BGE 146 II 150 E. 6.2.5 f.; Urteile 2C_674/2022 vom 1. September 2022 E. 1.3.1; 2C_622/2022 vom 29. Juli 2022 E. 1.2.1; 2C_552/2022 vom 14. Juli 2022 E. 1.3; 2C_56/2022 vom 27. Januar 2022 E. 1.3.2; 2C_55/2022 vom 27. Januar 2022 E. 1.3.2). Überdies gilt nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung, dass die Bestimmung des Steuerwohnsitzes der betroffenen Person im internationalen Kontext eine materielle Frage darstellt, die von der ESTV nicht im Rahmen des Amtshilfeverfahrens zu klären ist, sondern in die Zuständigkeit der Behörden des ersuchenden Staats fällt (vgl. BGE 145 II 112 E. 2.2.2; 142 II 218 E. 3.6 f.; 142 II 161 E. 2.2.2). Die Konstellation, in der sich die beschwerdeführende Person auf eine (unbeschränkte) Steuerpflicht in einem anderen Land beruft, ist in der Rechtsprechung bereits behandelt worden (vgl. BGE 142 II 161 E. 2.2 ff.). Die Frage, ob ein - mangels Wohnsitz im ersuchenden Staat - falsch hinterlegter Domizilcode als Anknüpfungspunkt für ein Amtshilfeverfahren dienen könne, ist höchstrichterlich geklärt. Es liegt somit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von Art. 84a BGG vor.  
 
2.  
Im Ergebnis ist auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nicht einzutreten. Bei diesem Verfahrensausgang werden die Beschwerdeführerinnen zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Abs. 5 BGG). Parteientschädigungen sind nicht geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden den Beschwerdeführerinnen zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung I, mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 23. September 2022 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin 
 
Der Gerichtsschreiber: M. Zollinger