1C_626/2023 28.11.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_626/2023  
 
 
Urteil vom 28. November 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Haag, Merz, 
Gerichtsschreiberin Gerber. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Alexander Troller, 
 
gegen  
 
Bundesanwaltschaft, 
Guisanplatz 1, 3003 Bern. 
 
Gegenstand 
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen an die Ukraine; Teilnahme am Verfahren, vorsorgliche Massnahmen, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid 
des Bundesstrafgerichts, Beschwerdekammer, 
vom 7. November 2023 (RR.2023.157). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Eingabe vom 25. November 2022 wandte sich die ukrainische Staatsbürgerin A.________ an die Bundesanwaltschaft (BA). Sie nahm Bezug auf eine vom Nationalen Antikorruptionsbüro der Ukraine (NABU) geführte Strafuntersuchung und auf die auf Rechtshilfegesuch der Ukraine im schweizerischen Rechtshilfeverfahren xxx durchgeführte Zeugeneinvernahme von B.________ vom 13. September 2019. Sie verlangte u.a. Akteneinsicht und beantragte, der Ukraine sei die Rechtshilfe zu verweigern. 
Die BA teilte am 30. November 2022 mit, das Rechtshilfeverfahren xxx sei abgeschlossen. A.________ sei diesbezüglich keine Parteistellung zugekommen, weshalb ihr auch kein Akteneinsichtsrecht zustehe. 
 
B.  
Am 15. Mai 2023 übermittelte das NABU dem Bundesamt für Justiz (BJ) ein neuerliches Rechtshilfeersuchen, im Rahmen der Strafuntersuchung Nr. yyy, die u.a. gegen A.________ geführt wird. 
A.________ wandte sich mit Eingabe vom 22. Juni 2023 an die BA. Sie habe durch ihre ukrainischen Rechtsvertreter vom neuerlichen Rechtshilfeersuchen erfahren, welches auch den Antrag enthalte, B.________ erneut zu befragen. A.________ beantragte, die Rechtshilfe an die Ukraine sei zu verweigern und es sei ihr Einsicht in die Akten des Rechtshilfeverfahrens zu gewähren. 
Am 20. September 2023 entschied die BA, A.________ komme keine Parteistellung im Rechtshilfeverfahren zu, und lehnte den Antrag auf Akteneinsicht ab. 
 
C.  
Dagegen gelangte A.________ am 12. und 23. Oktober 2023 mit Beschwerde und einem Gesuch um vorsorgliche Massnahmen an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts. Dieses wies die Beschwerde am 7. November 2023 ab. 
 
D.  
Dagegen hat A.________ am 21. November 2023 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht erhoben. Sie beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und ihr sei im Rechtshilfeverfahren zzz Parteistellung und Akteneinsicht zu gewähren. Vorsorglich sei festzustellen, dass die BA bis zum bundesgerichtlichen Entscheid nicht über die rechtshilfeweise Übermittlung von Informationen oder Unterlagen an die ersuchende Behörde entscheiden dürfe bzw. keine Informationen oder Unterlagen an die ersuchende Behörde übermitteln dürfe. 
 
E.  
Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Verfahren wird praxisgemäss in der Sprache des angefochtenen Entscheids geführt (Art. 54 Abs. 1 BGG), vorliegend also auf deutsch. Die Beschwerdeführerin, deren Eingabe ans Bundesgericht auf französisch verfasst ist, macht nicht geltend, dadurch einen Nachteil zu erleiden. 
 
2.  
Grundsätzlich ist die Beschwerdeführerin zur Beschwerde gegen die Aberkennung ihrer Parteistellung im Rechtshilfeverfahren legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Der diesbezügliche Entscheid des Bundesstrafgerichts, einer Vorinstanz des Bundesgerichts (Art. 86 Abs. 1 lit. b BGG) ist als Endentscheid zu qualifizieren (Art. 90 Abs. 1 BGG). 
Die Beschwerde auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen ist allerdings nur zulässig, wenn diese eine Auslieferung, eine Beschlagnahme, eine Herausgabe von Gegenständen oder Vermögenswerten oder eine Übermittlung von Informationen aus dem Geheimbereich betrifft und es sich um einen besonders bedeutenden Fall handelt (Art. 84 BGG). 
 
3.  
Ein besonders bedeutender Fall liegt nach Art. 84 Abs. 2 BGG "insbesondere" vor, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass elementare Verfahrensgrundsätze verletzt worden sind oder das Verfahren im Ausland schwere Mängel aufweist. Das Gesetz enthält eine nicht abschliessende, nur beispielhafte Aufzählung von möglichen besonders bedeutenden Fällen. Darunter fallen nicht nur Beschwerdesachen, die Rechtsfragen von grundsätzlicher Tragweite aufwerfen, sondern auch solche, die aus anderen Gründen besonders bedeutsam sind (BGE 145 IV 99 E. 1.1 mit Hinweisen). 
Nach der Praxis des Bundesgerichts kann auch die Verletzung elementarer Verfahrensgrundsätze im schweizerischen Rechtshilfeverfahren (und nicht nur im ausländischen Verfahren) einen besonders bedeutenden Fall begründen (BGE 145 IV 99 E. 1.3). Indessen genügt das pauschale Vorbringen der beschwerdeführenden Partei, die Behörden hätten ihr rechtliches Gehör oder andere elementare Verfahrensgrundsätze verletzt, nicht, um einen Rechtshilfefall als besonders bedeutend erscheinen zu lassen. Vielmehr müssen dafür ernsthafte Anhaltspunkte objektiv vorliegen (BGE 145 IV 99 E. 1.4; 133 IV 125 E. 1.4; je mit Hinweisen; vgl. dazu MARC FORSTER, in: Basler Kommentar zum BGG, 3. Aufl., 2 018, Art. 84 N. 31). 
Art. 84 BGG bezweckt die wirksame Begrenzung des Zugangs zum Bundesgericht im Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen. Bei der Beantwortung der Frage, ob ein besonders bedeutender Fall gegeben ist, steht dem Bundesgericht ein weiter Ermessensspielraum zu. Gerade im Bereich der sogenannten "kleinen" (akzessorischen) Rechtshilfe kann ein besonders bedeutender Fall nur ausnahmsweise angenommen werden (BGE 145 IV 99 E. 1.2 mit Hinweisen). Die besondere Bedeutung des Falles ist in der Beschwerdeschrift darzulegen; hierfür gilt eine qualifizierte Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 2 Satz 2 BGG; FORSTER, a.a.O., Art. 84 N. 33). 
 
4.  
Die Beschwerdeführerin begründet die besondere Bedeutung des Falles mit der Verletzung grundlegender Verfahrensrechte in dem gegen sie geführten (Abwesenheits-) Strafverfahren in der Ukraine, weshalb dem Rechtshilfeverfahren nach Art. 2 des Bundesgesetzes vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG; SR 351.1) nicht zu entsprechen sei. Zur Geltendmachung dieses Rechtshilfehindernisses müsse ihr Parteistellung im Rechtshilfeverfahren eingeräumt werden, sei sie doch von den Aussagen des Zeugen B.________ unmittelbar betroffen: Dessen erste Einvernahme sei vom NABU verwendet worden, um gegen sie einen Haftbefehl und die Fortsetzung des Strafverfahrens zu erwirken. Es sei stossend, dass der beschuldigten Person die Parteistellung gegen die Übermittlung von Einvernahmeprotokollen verwehrt werde bzw. nur ausnahmsweise eingeräumt werde, wenn die Einvernahme die schweizerischen Bankkonten des oder der Beschuldigten betreffe. Dabei handle es sich um eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung. 
 
4.1. Gemäss Art. 21 Abs. 3 IRSG können Personen, gegen die sich das ausländische Strafverfahren richtet, Verfügungen nur anfechten, wenn eine Rechtshilfemassnahme sie persönlich und direkt betrifft und sie ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung haben (so auch Art. 80h lit. b IRSG). In der Botschaft betreffend die Änderung des Rechtshilfegesetzes vom 29. März 1995 (S. 18 f. zu Art. 21 IRSG) wurde dazu ausgeführt, Parteistellung und Rechtsmittelbefugnis habe nur eine Person, die persönlich und unmittelbar von einer Rechtshilfemassnahme betroffen sei, indem sie sich konkret einer Zwangsmassnahme (z.B. Hausdurchsuchung oder Beschlagnahme von Dokumenten) unterwerfen müsse, und die ein Rechtsschutzbedürfnis an deren Änderung oder Aufhebung habe. Es genüge somit nicht, dass eine Rechtshilfehandlung das im Ausland hängige Strafverfahren vorantreibe.  
Vorliegend ist die Beschwerdeführerin von der erneuten Einvernahme des Zeugen B.________ nicht direkt betroffen, sondern lediglich indirekt, weil sie befürchtet, dessen Aussage könne im ukrainischen Strafverfahren gegen sie verwendet werden. Personen, die nicht selbst einvernommen werden, sondern lediglich in den protokollierten Zeugenaussagen erwähnt werden, steht nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung keine Beschwerdebefugnis und daher auch keine Parteistellung zu (BGE 137 IV 134 E. 5.2.4 mit Hinweisen; Urteil 1C_189/2013 vom 27. März 2013 E. 1.3.2; SABINE GLESS/DANIEL SCHAFFNER, in: Niggli/Heimgartner [Hrsg.], Basler Kommentar Internationales Strafrecht, IRSG, GwÜ [BSK-ISTR], Basel 2015, N. 61 und 64 zu Art. 21 IRSG; ADRIAN BUSSMANN, BSK-ISTR, N. 25-29, 45 und 51 zu Art. 80h IRSG; FORSTER, a.a.O., Art. 84 N. 36; ROBERT ZIMMERMANN, La coopération judiciaire internationale en matière pénale, 5. Aufl., Bern 2019, Rz. 526 S. 558 f. und Rz. 530 S. 565 ff.). 
Eine Ausnahme wird einzig zugunsten des Kontoinhabers gemacht, wenn und soweit die Protokolle von Zeugeneinvernahmen Informationen enthalten, die einer Übermittlung von Kontounterlagen gleichkommen (BGE 124 II 180 E. 2c). Die Vorinstanz hielt fest, beim einvernommenen Zeugen B.________ handle es sich um den ehemaligen Geschäftsführer von in der Schweiz domizilierten und im C.________handel tätigen Gesellschaften; Gegenstand der Einvernahme bildeten deren Geschäftsbeziehungen zum ukrainischen Staatsunternehmen, deren Verwaltungsratsmitglied die Beschwerdeführerin gewesen sei, und nicht deren Kontounterlagen. Dies wird von der Beschwerdeführerin nicht bestritten. 
Die Beschwerde wirft auch keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zur Parteistellung im Rechtshilfeverfahren auf. Zwar wird in der Literatur z.T. eine Anpassung von Art. 21 Abs. 3 IRSG verlangt, um die Parteistellung des Beschuldigten im Rechtshilfeverfahren auszuweiten (vgl. z.B. GLESS/SCHAFFNER, a.a.O., N. 69 zu Art. 21 IRSG; MARTA STELZER-WIECKOWSKA, Die kleine Rechtshilfe in Strafsachen: grundrechtliche Stellung der betroffenen Person, 2022, S. 307 ff). Daraus ergibt sich jedoch kein Überprüfungsbedarf für die bundesgerichtliche Praxis, die sich auf die geltende Fassung von Art. 21 Abs. 3 IRSG stützt und, wie aufgezeigt, den gesetzgeberischen Intentionen entspricht. 
 
4.2. Kommt der Beschwerdeführerin keine Parteistellung zu, kann sie auch nicht geltend machen, die Rechtshilfe müsse wegen der Verletzung elementarer Verfahrensgrundsätze im ukrainischen Strafverfahren verweigert werden.  
 
5.  
Weiter rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und des Akteneinsichtsrechts im schweizerischen Rechtshilfeverfahren, weil sie keine Gelegenheit erhalten habe, das ukrainische Rechtshilfeersuchen einzusehen. Ohne diese Akteneinsicht wisse sie nicht, welche Informationen und Unterlagen übermittelt werden sollen und könne damit nicht überprüfen, ob sie selbst direkt betroffen sei. Diesbezüglich bestehe Klärungsbedarf, weshalb es sich um eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung handle. 
Wie die Vorinstanz zutreffend festgehalten hat, ergibt sich die Berechtigung zur Akteneinsicht aus der Parteistellung: Art. 80b Abs. 1 IRSG gewährt den "Berechtigten" das Recht auf Teilnahme am Rechtshilfeverfahren. Wer "Berechtigter" ist, ergibt sich aus Art. 80h IRSG: Nur wer zur Beschwerdeführung befugt ist, hat auch Anspruch auf Akteneinsicht (vgl. Urteile 1A.95/2002 vom 16. Juli 2002, E. 2.2; 1A.314/2000 vom 5. März 2001 E. 3a; 1A.313/1997 vom 27. Februar 1998 E. 2c; STEFAN HEIMGARTNER/MARCEL ALEXANDER NIGGLI, in: BSK-ISTR, N. 3 und 4 zu Art. 80b IRSG; ZIMMERMANN, a.a.O., Rz. 477 und 478 S. 516 f.). 
Der vorliegende Fall wirft diesbezüglich keine grundsätzlichen Fragen auf. Zwar ist es denkbar, dass neben der Einvernahme des Zeugen B.________ weitere Rechtshilfemassnahmen beantragt worden sind. Soweit diese die Beschwerdeführerin unmittelbar betreffen (z.B. Erhebung ihrer Kontounterlagen, Einvernahme als Beschuldigte), wird sie zwangsläufig davon erfahren. Es erscheint daher nicht erforderlich, ihr Einsicht in das Rechtshilfeersuchen zu gewähren, um ihre Parteistellung überprüfen zu können. 
 
6.  
Liegt kein besonders bedeutsamer Fall vor, so ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Damit werden die Gesuche um vorsorgliche Massnahmen gegenstandslos. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 BGG) und hat keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Bundesanwaltschaft, dem Bundesstrafgericht, Beschwerdekammer, und dem Bundesamt für Justiz, Fachbereich Rechtshilfe, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 28. November 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Die Gerichtsschreiberin: Gerber