149 III 478
Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
Urteilskopf

149 III 478


57. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. Ltd. gegen B. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_559/2022 vom 3. August 2023

Regeste

Art. 5 Abs. 1 IPRG; Art. 958e Abs. 2 OR; anwendbares Recht bei der Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung; Beweismass für den Nachweis der Gläubigerstellung.
Enthält der Hauptvertrag sowohl eine Gerichtsstands- als auch eine Rechtswahlvereinbarung und haben die Parteien für die Gerichtsstandsvereinbarung keine abweichende Rechtswahl vereinbart, so ist die Gerichtsstandsvereinbarung nach dem auf den Hauptvertrag anwendbaren Recht auszulegen (E. 5.1.2).
Die Gläubigerstellung gemäss Art. 958e Abs. 2 OR ist mit dem Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu beweisen. Dies gilt auch für den Nachweis der Identität der als gesuchstellende Prozesspartei auftretenden juristischen Person mit der Gläubigerin (E. 6.3).

Sachverhalt ab Seite 479

BGE 149 III 478 S. 479

A.a Die B. (Gesuchstellerin, Beschwerdegegnerin) ist eine Versicherungsgesellschaft mit Sitz in U., Peru. Die A. Ltd. (Gesuchsgegnerin, Beschwerdeführerin) ist eine im Bereich der Rück- und Direktversicherungen tätige Gesellschaft mit Sitz in V., Schweiz.
Die Gesuchstellerin schloss im Sommer 2011 mit der Gesuchsgegnerin und weiteren Rückversicherern einen Rückversicherungsvertrag ab. Dieser diente nach Darstellung der Gesuchstellerin dazu, Rückversicherungsschutz für einen in Peru zwischen der Gesuchstellerin und dem Stromverteilungsunternehmen C. SA (nachfolgend: das Stromunternehmen) abgeschlossenen Erstversicherungsvertrag zu erhalten. Die Gesuchsgegnerin gewährte im Rahmen des Rückversicherungsvertrags eine Deckung von 25 % für die unter dem Erstversicherungsvertrag versicherten Ausfälle. Der Rückversicherungsvertrag enthielt sowohl eine Gerichtsstandsklausel zugunsten der Gerichte von Peru als auch eine Rechtswahlklausel zugunsten des peruanischen Rechts.

A.b Im September 2014 meldete das Stromunternehmen einen Schaden unter dem Erstversicherungsvertrag an. Im März 2022 wurde die Gesuchstellerin per Schiedsurteil verpflichtet, dem Stromunternehmen unter dem Erstversicherungsvertrag rund USD 14 Mio. zu bezahlen. Die Gesuchsgegnerin ist nach Ansicht der Gesuchstellerin verpflichtet, ihr unter dem Rückversicherungsvertrag einen Betrag von (mindestens) rund USD 4.6 Mio. zu ersetzen.

A.c Im Jahr 2015 kam es zwischen den Parteien zum Streit über geltend gemachte Deckungsansprüche aus dem Rückversicherungsvertrag. Die Gesuchstellerin hat deshalb im Mai 2017 in Peru einen Teil ihrer behaupteten Forderung aus dem Rückversicherungsvertrag von knapp USD 0.6 Mio. gegenüber der Gesuchsgegnerin
BGE 149 III 478 S. 480
gerichtlich eingeklagt. Dieses Verfahren ist zurzeit noch hängig und befindet sich in der Urteilsphase.

B.

B.a Mit Gesuch vom 27. Juni 2022 beantragte die Gesuchstellerin beim Handelsgericht des Kantons Zürich im Wesentlichen, die Gesuchsgegnerin sei zu verpflichten, ihr gestützt auf Art. 958e Abs. 2 OR Einsicht in den letzten Geschäfts- und Revisionsbericht zu gewähren.
Die Gesuchstellerin machte geltend, sie möchte abschätzen, ob sich die Fortsetzung des Verfahrens in Peru, eine allfällige Vollstreckung eines peruanischen Entscheids gegen die Gesuchsgegnerin in der Schweiz sowie die Geltendmachung weiterer Forderungen lohne, zumal Hinweise auf finanzielle Schwierigkeiten derselben vorlägen.

B.b Mit Urteil vom 4. November 2022 verpflichtete die Einzelrichterin des Handelsgerichts die Gesuchsgegnerin, der Gesuchstellerin innert 30 Tagen ab Zustellung des Urteils Einsicht in ihren im Zeitpunkt dieses Urteils letzten Geschäfts- und Revisionsbericht zu gewähren.
Die Vorinstanz erwog im Wesentlichen, sie sei zuständig zur Beurteilung des Einsichtsgesuchs, da es nicht von der Gerichtsstandsklausel des Rückversicherungsvertrages erfasst sei. Auf das Einsichtsgesuch sei gemäss Art. 154 Abs. 1 IPRG (SR 291) schweizerisches Recht anwendbar. Die Gesuchstellerin habe mit hoher Wahrscheinlichkeit dargetan, dass sie die Versicherungsnehmerin des Rückversicherungsvertrags sei und ihr ein Anspruch gegenüber der Gesuchsgegnerin zukomme. Die Gläubigereigenschaft sei somit nach dem Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt. Ferner sei auch ein schutzwürdiges Interesse der Gesuchstellerin an der Einsichtnahme nach Art. 958e Abs. 2 OR zu bejahen.

C. Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht, es sei das Urteil des Handelsgerichts aufzuheben, dessen Unzuständigkeit festzustellen und auf das Gesuch der Beschwerdegegnerin nicht einzutreten. Eventualiter sei das Einsichtsgesuch der Beschwerdegegnerin abzuweisen; subeventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Handelsgericht zurückzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

BGE 149 III 478 S. 481
Aus den Erwägungen:

5. (...)

5.1

5.1.1 Die sachliche Reichweite einer Gerichtsstandsklausel ist durch Auslegung zu ermitteln (Urteile 4A_112/2020 vom 1. Juli 2020 E. 3.1; 4A_433/2019 vom 14. April 2020 E. 4.2.5). Die Vorinstanz untersuchte zunächst (und zu Recht), nach welchem Recht diese Auslegung zu erfolgen hat. Sie liess allerdings offen, ob die Gerichtsstandsklausel nach der (schweizerischen) lex fori oder nach der (peruanischen) lex causae auszulegen sei, da die Auslegung nach peruanischem und schweizerischem Recht hier zum gleichen Ergebnis führe, nämlich dass das Einsichtsgesuch nicht von der Gerichtsstandsklausel erfasst sei. Diese Rechtsfrage ist jedoch für die Kognition des Bundesgerichts von wesentlicher Bedeutung. Währenddem das schweizerische Recht auf eine unrichtige Rechtsanwendung frei überprüft werden kann (Art. 95 lit. a BGG), ist dies beim peruanischen Recht nicht der Fall. In vermögensrechtlichen Streitigkeiten kann die Anwendung des ausländischen Rechts nur wegen willkürlicher Anwendung im Sinne von Art. 9 BV angefochten werden (BGE 143 II 350 E. 3.2; Art. 96 lit. b BGG e contrario). Es ist daher zu klären, nach welchem Recht die Gerichtsstandsvereinbarung auszulegen ist.

5.1.2 Nach welchem Recht die sachliche Tragweite einer Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 5 IPRG zu bestimmen ist, wurde bislang nicht abschliessend geklärt. Das Bundesgericht erachtete in einer älteren Entscheidung die Anwendung der lex fori als zumindest nicht willkürlich (BGE 122 III 442 E. 3b). Demgegenüber äusserte sich das Bundesgericht in einem nicht publizierten Entscheid dahingehend, dass sich die sachliche Tragweite der Gerichtsstandsvereinbarung nach dem auf den Hauptvertrag anwendbaren Recht bestimmt (Urteil 4A_345/2014 vom 20. Oktober 2014 E. 3). Entsprechendes hielt das Bundesgericht auch im Zusammenhang mit Gerichtstandsvereinbarungen im Sinne von Art. 23 LugÜ (SR 0.275.12) fest (vgl. BGE 143 III 558 E. 4.1; Urteil 4A_149/2013 vom 31. Juli 2013 E. 4). In einem späteren Urteil liess das Bundesgericht allerdings explizit offen, nach welchem Recht eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 5 IPRG auszulegen ist (Urteil 4A_112/2020 vom 1. Juli 2020 E. 3.2.3).
BGE 149 III 478 S. 482
In der Lehre ist diese Frage ebenfalls umstritten. Nach einer Auffassung habe die Auslegung nach dem Recht des gewählten Gerichtsstands ("lex fori prorogati") zu erfolgen (MARKUS MÜLLER-CHEN, in: Zürcher Kommentar zum IRPG, 3. Aufl. 2018, N. 15 zu Art. 5 IPRG). Nach einer anderen Auffassung unterstehen Gerichtsstandsvereinbarungen in analoger Anwendung der Bestimmung über die internationale Schiedsgerichtsbarkeit (Art. 178 Abs. 2 IPRG) alternativ dem von den Parteien gewählten Recht, dem Recht des Hauptvertrages oder der schweizerischen lex fori (KNOEPFLER/SCHWEIZER/OTHENIN-GIRARD, Droit international privé suisse, 3. Aufl. 2005, S. 346). Die herrschende Lehre vertritt hingegen, dass die Gerichtsstandsvereinbarung nach dem auf den Hauptvertrag anwendbaren Recht auszulegen sei (WALTER/DOMEJ, Internationales Zivilprozessrecht der Schweiz, 5. Aufl. 2012, S. 129; ALEXANDER R. MARKUS, Internationales Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2020, S. 104; GROLIMUND/ BACHOFNER, in: Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2021, N. 43 zu Art. 5 IPRG; SCHNYDER/LIATOWITSCH, Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl. 2011, S. 325 Rz. 94; JOLANTA KREN KOSTKIEWICZ, IPRG/LugÜ, Kommentar, 2. Aufl. 2019, N. 19 zu Art. 5 IPRG; für vertragliche Streitigkeiten auch ANDREAS BUCHER, in: Commentaire romand, Loi sur le droit international privé, Convention de Lugano, 2011, N. 19 zu Art. 5 IPRG).
Die Anwendung der lex causae (anstatt der lex fori) rechtfertigt sich insofern, als die sachliche Reichweite der Gerichtsstandsklausel den Inhalt der Vereinbarung betrifft, der sich nach dem Parteiwillen bestimmt (MARKUS, a.a.O., S. 105). Die sachliche Reichweite richtet sich mit anderen Worten nach dem Umfang des Parteikonsenses und betrifft im Ergebnis auch die Frage, ob für den entsprechenden Rechtsstreit eine Gerichtsstandsvereinbarung zustandegekommen ist (vgl. WALTER/DOMEJ, a.a.O., S. 129; HAIMO SCHACK, Internationales Zivilverfahrensrecht mit internationalem Insolvenz- und Schiedsverfahrensrecht, 7. Aufl. 2017, S. 202; MARKUS, a.a.O., S. 97). Das Zustandekommen der Vereinbarung und deren sachliche Tragweite bildet (im Unterschied zu deren Zulässigkeit) eine Frage des materiellen Rechts, die sich nach der lex causae richtet, und nicht eine Frage des Prozessrechts, die sich nach der lex fori richtet (vgl. SPÜHLER/RODRIGUEZ, Internationales Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2022, S. 38; MÜLLER-CHEN, a.a.O., N. 12 zu Art. 5 IPRG; MARKUS, a.a.O., S. 97 f.). Sofern für die Gerichtsstandsvereinbarung keine separate Rechtswahlklausel vereinbart wurde, entspricht es
BGE 149 III 478 S. 483
gerade dann, wenn der Hauptvertrag neben der Gerichtsstandsvereinbarung eine Rechtswahlklausel enthält, am ehesten dem Parteiwillen, die Gerichtsstandsvereinbarung nach dem auf den Hauptvertrag anwendbaren Recht auszulegen. Denn die Gerichtsstandsklausel ist in der Regel Teil des Hauptvertrages, weshalb die akzessorische Anknüpfung an das Recht des Hauptvertrages den Erwartungen der Parteien am ehesten entsprechen dürfte (GROLIMUND/BACHOFNER, a.a.O., N. 43 zu Art. 5 IPRG; WALTER/DOMEJ, a.a.O., S. 127 und 129).
Enthält daher der Hauptvertrag sowohl eine Gerichtsstands- als auch eine Rechtswahlklausel und haben die Parteien spezifisch für die Gerichtsstandsklausel keine abweichende Rechtswahlklausel vereinbart, so ist die Gerichtsstandsklausel nach dem auf den Hauptvertrag anwendbaren Recht auszulegen.

5.1.3 Die Gerichtsstandsvereinbarung ist aufgrund der im Rückversicherungsvertrag enthaltenen Rechtswahlklausel (Art. 116 Abs. 1 IPRG) nach peruanischem Recht auszulegen. Im Übrigen ist auch kein anderer Grund ersichtlich, weshalb für die Auslegung der Gerichtsstandsklausel schweizerisches Recht (und nicht peruanisches Recht) zur Anwendung gelangen sollte. Insbesondere kann aufgrund des Verhaltens der Parteien im vorliegenden Fall keine stillschweigende Rechtswahl zugunsten des schweizerischen Rechts angenommen werden.
Das Bundesgericht hat zwar in verschiedenen Fällen aufgrund der Parteieingaben eine stillschweigende, aber bewusste Rechtswahl zugunsten des schweizerischen Rechts angenommen (Urteile 4A_158/ 2014 vom 26. August 2014 E. 2; 4A_255/2013 vom 4. November 2013 E. 2; 4A_191/2013 vom 5. August 2013 E. 2). Allerdings lagen in diesen Fällen jeweils weitere Anhaltspunkte vor, aufgrund derer auf einen impliziten Rechtswahlwillen der Parteien geschlossen werden konnte. So hatten sich in diesen Fällen die (anwaltlich vertretenen) Parteien und die Vorinstanzen im kantonalen Verfahren (ohne nähere Auseinandersetzung mit der Frage des anwendbaren Rechts) jeweils auf dieselbe Rechtsordnung bezogen. Hiervon ist der vorliegend zu beurteilende Fall abzugrenzen. Die Vorinstanz liess zwar die Frage offen, nach welchem Recht die Gerichtsstandsvereinbarung auszulegen sei. Dies jedoch nur, weil aus ihrer Sicht die Auslegung nach beiden Rechtsordnungen zum selben Ergebnis führen würde. Sie hat daher die Frage des anwendbaren Rechts erkannt und die sachliche Tragweite der Gerichtsstandsvereinbarung sowohl nach schweizerischem als auch nach peruanischem Recht
BGE 149 III 478 S. 484
bestimmt. Ferner haben beide Parteien in ihren Eingaben ans Bundesgericht explizit offengelassen, ob die Gerichtsstandsvereinbarungnach schweizerischem oder nach peruanischem Recht auszulegen sei. In einem derart gelagerten Fall kann nicht von einem stillschweigenden Rechtswahlwillen ausgegangen werden. So genügt allein der Umstand, dass sich die beiden (anwaltlich vertretenen) Parteien in ihren Eingaben an die Vorinstanz ausschliesslich auf schweizerisches Recht bezogen haben, nicht, um von einer stillschweigenden Rechtswahl auszugehen (vgl. BGE 130 III 417 E. 2.2.1).

5.1.4 Die sachliche Reichweite der Gerichtsstandsklausel bestimmt sich nach peruanischem Recht.
(...)

6. (...)

6.3 Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe Bundesrecht verletzt, indem sie die Aktivlegitimation der Beschwerdegegnerin nicht nach dem Regelbeweismass geprüft habe. Im Einzelnen macht sie geltend, die Vorinstanz habe zu Unrecht festgehalten, dass sowohl die Aktivlegitimation als auch das Bestehen der Forderung nach dem Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu prüfen seien. So gehöre der Nachweis der eigenen Identität bzw. der Aktivlegitimation nicht zu den typischerweise schwer zu beweisenden Sachverhaltskonstellationen.

6.3.1 Die Beschwerdeführerin unterscheidet in ihrer Beschwerde zwischen der Frage der Identität der Beschwerdegegnerin mit der Rückversicherungsnehmerin (bzw. der Aktivlegitimation) einerseits und der Gläubigerstellung andererseits. In der besonderen Konstellation des vorliegenden Falles ist diese Identitätsfrage jedoch derart eng mit der Beurteilung der Gläubigerstellung und damit auch der Aktivlegitimation verbunden, dass eine klare Trennung dieser beiden Fragenkomplexe kaum möglich ist. So ergibt sich die Aktivlegitimation für den Einsichtsanspruch nach Art. 958e Abs. 2 OR aus der Gläubigerstellung. Nur der Gläubiger ist berechtigt, Einsicht in die Gesellschaftsunterlagen zu verlangen (INGRID JENT-SØRENSEN, in: ZPO, 3. Aufl. 2021, N. 26 zu Art. 250 ZPO; FRANCESCA PESENTI, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], 3. Aufl. 2016, N. 5 zu Art. 250 ZPO; LAZOPOULOS/LEIMGRUBER, in: ZPO Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Gehri/Jent-Sørensen/Sarbach [Hrsg.], 2. Aufl. 2015, N. 32 zu Art. 250 ZPO).
BGE 149 III 478 S. 485
Für die Prüfung der Gläubigerstellung ist im vorliegenden Fall zu klären, ob es sich bei der Beschwerdegegnerin und der Rückversicherungsnehmerin um dieselbe juristische Person handelt. Wäre dies zu verneinen, hätte die Beschwerdegegnerin keine Berechtigung an der geltend gemachten Forderung und damit keine Gläubigerstellung. Diese Frage bildet daher im vorliegenden Fall einen untrennbaren Bestandteil der Beurteilung der Gläubigerstellung und damit der Aktivlegitimation. Wenn das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung zum Nachweis der Gläubigerstellung eine typische Beweisnotkonstellation anerkennt (BGE 137 III 255 E. 4.1.2 mit Hinweisen), muss das Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit in diesem Zusammenhang auch für den vorliegend zu erbringenden Nachweis der Identität gelten. Die Vorinstanz wies daher zu Recht darauf hin, dass die Frage der Identität der Beschwerdegegnerin mit der Rückversicherungsnehmerin für den Nachweis ihrer Gläubigerstellung relevant und damit ebenfalls mit dem Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu beweisen sei.

6.3.2 Die Beanstandung der Beschwerdeführerin, es liege bei der Aktivlegitimation keine typische Konstellation der Beweisnot vor, greift in diesem Zusammenhang nicht. Die für den Nachweis der Gläubigerstellung vorgesehene Beweismassreduktion ist vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte von Art. 958e Abs. 2 OR zu sehen.
Ursprünglich hatte nach aArt. 704 OR der Handelsregisterführer (und kein Gericht) über das Einsichtsrecht des Gläubigers zu urteilen. Infolge der mangelnden Befugnis des Handelsregisterführers, ein eigentliches Beweisverfahren durchzuführen, hätte ein strikter Nachweis der Gläubigerstellung die praktische Nichtanwendbarkeit des aArt. 704 OR zur Folge gehabt. Das Bundesgericht erachtete deshalb eine Beweismassreduktion als erforderlich (BGE 78 I 165 E. 4). Es hielt fest, die Gläubigerstellung sei zwar zu beweisen, aber es seien daran keine allzu strengen Anforderungen zu stellen (BGE 111 II 281 E. 2).
Dennoch bewährte sich aArt. 704 OR aus Sicht des Gesetzgebers nicht, da die Bestimmung weitestgehend toter Buchstabe geblieben war (Botschaft vom 23. Februar 1983 über die Revision des Aktienrechts, BBl 1983 II 809 Ziff. 209.1). Im Fokus der Revision von aArt. 704 OR stand namentlich auch die Stärkung der Einsichtsrechte der Gläubiger (vgl. BBl 1983 II 767 Ziff. 132.2). Folglich
BGE 149 III 478 S. 486
wurde mit Einführung des aArt. 697h Abs. 2 OR (der Nachfolgebestimmung zu aArt. 704 OR) die Zuständigkeit zur Beurteilung eines Einsichtsgesuchs im Streitfall neu dem Gericht (anstatt dem Handelsregister) zugewiesen (Urteil 4C.244/1995 vom 17. November 1995 E. 3a; BBl 1983 II 767 Ziff. 132.2). Zugleich beabsichtigte der Gesetzgeber für den Nachweis der Gläubigerstellung kein Regelbeweismass. Dies lässt sich der Botschaft zu aArt. 697h Abs. 2 OR entnehmen, wonach der "Kläger seine Gläubigereigenschaften zumindest glaubhaft" zu machen habe und jedenfalls seine Forderung nicht zu beweisen habe (BBl 1983 II 913 Ziff. 329).
Im summarischen Einsichtsverfahren wird allerdings abschliessend über das Einsichtsgesuch geurteilt, da nach erteilter Einsicht kein Raum mehr für ein ordentliches Verfahren über diesen Anspruch besteht. Entsprechend rechtfertigt sich das Beweismass der Glaubhaftmachung nicht (BGE 120 II 352 E. 2b und Urteil 4C.222/1994 vom 1. Dezember 1994 E. 4a, nicht publ. in: BGE 120 II 352; FABIENNE HOHL, Procédure civile, Bd. II, 2. Aufl. 2010, S. 295; FLORIAN ZIHLER, in: Rechnungslegung nach Obligationenrecht, Pfaff/Glanz/ Stenz/Zihler [Hrsg.], 2. Aufl. 2019, N. 33 f. zu Art. 958e OR). Folglich wurde die vom Gesetzgeber vorgesehene Beweismassreduktionfür den Nachweis der Gläubigerstellung durch das Bundesgericht inFortführung seiner Rechtsprechung dahingehend umgesetzt, dass derNachweis der Gläubigerstellung mit dem Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu beweisen ist (BGE 137 III 255 E. 4.1.2mit Hinweisen).
Das Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit für den Nachweis der Gläubigerstellung rechtfertigt sich auch aufgrund des vom Gesetzgeber und der Rechtsprechung als schutzwürdig anerkannten Einsichtsinteresses. Der Gesetzgeber erachtet das Einsichtsrecht des Gläubigers, der einen nicht offensichtlich aussichtslosen Prozess gegen die Gesellschaft führt, als schutzwürdig (BBl 1983 II 745, 913). Dies hat auch das Bundesgericht anerkannt und dem Gläubiger grundsätzlich ein schutzwürdiges Interesse zuerkannt, zunächst die Zahlungsfähigkeit der schuldnerischen Gesellschaft zu prüfen, bevor er allenfalls weitere Mittel zur Durchsetzung seiner Forderung aufwendet (BGE 137 III 255 E. 4.1.3). Zwar handelt es sich beim schutzwürdigen Interesse - wie die Beschwerdeführerin zu Recht geltend macht - um eine von der Gläubigerstellung unabhängige Voraussetzung. Dennoch wirkt sich das als schutzwürdig anerkannte Interesse auf die Voraussetzung der Gläubigerstellung
BGE 149 III 478 S. 487
aus und kann nicht völlig losgelöst von ihr betrachtet werden. So wäre es widersprüchlich, potenziellen Gläubigern, die einen nicht offensichtlich aussichtslosen Prozess gegen die Gesellschaft führen, zwar ein schutzwürdiges Interesse zuzuerkennen, aber zugleich ihr Einsichtsrecht am fehlenden strikten Nachweis ihrer Gläubigerstellung scheitern zu lassen. Die Rechtsprechung des Bundesgerichts sieht denn auch vor, dass für den Nachweis des schutzwürdigen Interesses und der Gläubigerstellung dasselbe Beweismass gilt (BGE 137 III 255 E. 4.1.2 mit Hinweisen). Entsprechend ergibt sich aus dem als schutzwürdig anerkannten Interesse zugleich ein bestimmter Adressatenkreis, den der Gesetzgeber als zur Einsichtnahme berechtigt ansieht. Hieraus folgt auch, dass der Gesetzgeber und die Rechtsprechung Gläubigern, deren Gläubigerstellung streitig und im Rahmen eines Forderungsprozesses noch nachzuweisen ist, ebenso die Einsicht ermöglichen wollen (vgl. auch WOLFHART BÜRGI, Zürcher Kommentar, 1969, N. 6 zu aArt. 704 OR).
Solchen Gläubigern wird es indessen oft nicht möglich sein, bereits im Zeitpunkt des Einsichtsgesuchs den strikten Beweis für ihre Gläubigerstellung zu erbringen, wird doch gerade hierüber im eingeleiteten Forderungsprozess noch gestritten. Die Voraussetzung eines strikten Beweises der Gläubigerstellung würde daher oft dazu führen, dass die Rechtsdurchsetzung an Beweisschwierigkeiten scheitern könnte. Der Gläubiger wäre gezwungen, entweder zunächst den Forderungsprozess gegen die Gesellschaft abzuschliessen, um ein Urteil über seine Gläubigerstellung zu erlangen, oder aber im summarischen Einsichtsverfahren ein vollwertiges Beweisverfahren über seine Gläubigereigenschaften zu führen. Dies erscheint unzumutbar und würde dazu führen, dass Gläubiger, welche die Solvenz einer Gesellschaft prüfen wollen, bevor sie zusätzlichen finanziellen Aufwand in den Forderungsprozess investieren, vom Einsichtsrecht keinen Gebrauch mehr machen könnten. Da eine Beweismassreduktion auch gerechtfertigt ist, wenn die geltend gemachte Anspruchsnorm andernfalls nicht durchgängig umzusetzen wäre (HANS PETER WALTER, in: Berner Kommentar, 2012, N. 142 zu Art. 8 ZGB; vgl. auch Urteil 5C.97/2005 vom 15. September 2005 E. 4.4.2; ISABELLE BERGER-STEINER, Das Beweismass im Privatrecht, 2008, S. 300; FABIENNE HOHL, Procédure civile, Bd. I, 2. Aufl. 2016, S. 313), rechtfertigt sich die Anwendung des Beweismasses der überwiegenden Wahrscheinlichkeit beim Nachweis der Gläubigerstellung.
BGE 149 III 478 S. 488

6.3.3 Die Vorinstanz hat kein Bundesrecht verletzt, indem sie die Aktivlegitimation der Beschwerdegegnerin mit dem Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit geprüft hat.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 5 6

Referenzen

BGE: 137 III 255, 120 II 352, 143 II 350, 122 III 442 mehr...

Artikel: Art. 5 IPRG, Art. 958e Abs. 2 OR, Art. 250 ZPO, Art. 5 Abs. 1 IPRG mehr...