2C_406/2023 05.09.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
2C_406/2023  
 
 
Urteil vom 5. September 2023  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin, 
Gerichtsschreiberin Ivanov. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Amt für Bevölkerungsdienste des Kantons Bern (ABEV), Migrationsdienst, 
Ostermundigenstrasse 99B, 3006 Bern, 
Sicherheitsdirektion des Kantons Bern (SID), Kramgasse 20, 3011 Bern. 
 
Gegenstand 
Verweigerung einer Aufenthaltsbewilligung und Wegweisung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, 
vom 26. Juni 2023 (100.2023.96U). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der kanadische Staatsangehörige A.________ (geb. 1960) reiste am 11. Oktober 2020 in die Schweiz ein. Am 22. Dezember 2020 ersuchte er um Bewilligung des Aufenthalts mit dem Zweck "Visite" bzw. "stay with father". Sein Vater B.________ (geb. 1932) ist hier niederlassungsberechtigt und lebt in der Einwohnergemeinde U.________/BE.  
Mit Verfügung vom 9. Mai 2022 wies das Amt für Bevölkerungsdienste des Kantons Bern, Migrationsdienst, das Gesuch ab und wies A.________ unter Ansetzung einer Ausreisefrist aus der Schweiz weg. 
 
1.2. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies die Sicherheitsdirektion des Kantons Bern mit Entscheid vom 13. Februar 2023 ab.  
Mit Urteil vom 26. Juni 2023 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, die gegen den Entscheid der Sicherheitsdirektion gerichtete Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat, und setzte A.________ eine neue, am 10. August 2023 ablaufende Ausreisefrist an. 
 
1.3. A.________ gelangte mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und eventualiter subsidiärer Verfassungsbeschwerde vom 18. Juli 2023 (Postaufgabe) an das Bundesgericht und beantragte, es sei das Urteil vom 26. Juni 2023 aufzuheben und es sei die Sicherheitsdirektion anzuweisen, ihm eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Prozessual ersuchte er um Erteilung der aufschiebenden Wirkung sowie um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung. Zudem teilte er dem Bundesgericht mit, dass er innert laufender Beschwerdefrist weitere Beschwerdeergänzungen einreichen werde.  
Angesichts des Umstandes, dass die Vorinstanz angeordnet hatte, der Beschwerdeführer habe die Schweiz bis zum 10. August 2023 und somit vor Ablauf der Beschwerdefrist an das Bundesgericht zu verlassen, erkannte die Präsidentin der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts mit Verfügung vom 20. Juli 2023 der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu. 
Mit Eingabe vom 30. August 2023 (Postaufgabe) reichte der Beschwerdeführer eine Beschwerdeergänzung ein. 
Es wurden keine weiteren Instruktionsmassnahmen angeordnet. 
 
2.  
 
2.1. Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide ausgeschlossen, welche Bewilligungen betreffen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumen (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG). Für das Eintreten genügt, wenn der Betroffene in vertretbarer Weise dartun kann, dass ein potenzieller Anspruch auf die beantragte Bewilligung besteht; ob die jeweils erforderlichen Voraussetzungen tatsächlich gegeben sind, bildet Gegenstand der inhaltlichen Beurteilung (vgl. BGE 137 I 305 E. 2.5; 136 II 177 E. 1.1). Ist die Zulässigkeit eines Rechtsmittels zweifelhaft, umfasst die Begründungspflicht gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG grundsätzlich auch die Eintretensvoraussetzungen (vgl. BGE 134 II 45 E. 2.2.3; 133 II 249 E. 1.1; Urteil 2C_682/2021 vom 3. November 2021 E. 1.1).  
 
2.2. Der (erwachsene) Beschwerdeführer leitet einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung aus der Beziehung zu seinem in der Schweiz niederlassungsberechtigten Vater ab und beruft sich dabei auf Art. 8 Ziff. 1 EMRK bzw. Art. 13 Abs. 1 BV.  
 
2.3. Der Schutz des Familienlebens im Sinne von Art. 8 EMRK bezieht sich in erster Linie auf die Kernfamilie, d.h. auf die Gemeinschaft der Eltern mit ihren minderjährigen Kindern (vgl. BGE 144 I 266 E. 3.3; 144 II 1 E. 6.1; jeweils mit Hinweisen). Es besteht kein Anlass, den Begriff "Kernfamilie", wie vom Beschwerdeführer sinngemäss beantragt, anders zu definieren.  
Ist die Beziehung zwischen den Eltern und ihren volljährigen Kindern betroffen, muss zwischen der über ein gefestigtes Anwesenheitsrecht verfügenden Person und dem um die Bewilligung nachsuchenden Ausländer ein über die üblichen familiären Beziehungen bzw. emotionalen Bindungen hinausgehendes, besonderes Abhängigkeitsverhältnis bestehen. Nur dann kommt Art. 8 EMRK zum Tragen (BGE 147 I 268 E. 1.2.3 mit Hinweisen; BGE 144 II 1 E. 6.1; Urteile 2C_98/2018 vom 7. November 2018 E. 5.4; 2C_441/2018 vom 17. September 2018 E. 5.3). Erforderlich dazu wäre etwa eine eigentliche Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit oder eine schwerwiegende Krankheit (vgl. Urteile 2C_100/2018 vom 7. Februar 2018 E. 2.2; 2C_133/2016 vom 9. Februar 2016 E. 2.3). 
Der Beschwerdeführer weist auf familiäre Konflikte hin und bringt im Wesentlichen vor, seine Halbschwester und sein Halbbruder würden ihren gesundheitlich angeschlagenen Vater manipulieren, um ihn um sein Vermögen zu bringen. Die Anwesenheit des Beschwerdeführers in der Schweiz sei zwingend notwendig, damit er seinen Vater vor seinen Halbgeschwistern beschützen könne. 
Diese Behauptungen reichen indessen nicht aus, um in vertretbarer Weise ein Abhängigkeitsverhältnis im Sinne der genannten Rechtsprechung darzutun. Insbesondere wird nicht hinreichend dargetan, dass die Wahrung der Interessen des Vaters des Beschwerdeführers, sollten diese tatsächlich bedroht sein, die Anwesenheit des Beschwerdeführers in der Schweiz erforderlich macht. Folglich kann er aus seiner Beziehung zu seinem Vater keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung geltend machen. 
 
2.4. Ein anderweitiger potenzieller Bewilligungsanspruch ist nicht ersichtlich und wird nicht in vertretbarer Weise geltend gemacht (vgl. BGE 139 I 330 E. 1.1; 136 II 177 E. 1.1). Insbesondere kann der Beschwerdeführer aus seiner Anwesenheitsdauer in der Schweiz keinen Bewilligungsanspruch gestützt auf Art. 8 Ziff. 1 EMRK (Schutz des Privatlebens) ableiten, da sein knapp dreijähriger Aufenthalt lediglich geduldet wurde, was bereits ausschliesst, dass er als besonders integriert gelten könnte (vgl. zum Ganzen BGE 144 I 266 E. 3.5 und 3.9; Urteil 2C_734/2022 vom 3. Mai 2023 E. 5.3, zur Publ. vorgesehen).  
Nicht ersichtlich ist sodann, was der erwachsene Beschwerdeführer aus dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 (KRK; SR 0.107) zu seinen Gunsten ableiten will, zumal er kein Kind im Sinne des Abkommen ist (vgl. Art. 1 KRK) und sich aus der Kinderrechtskonvention ohnehin keine Bewilligungsansprüche ergeben (vgl. z.B. BGE 143 I 21 E. 5.5.2). 
Soweit er schliesslich pauschal auf nicht näher bezeichnete "internationale Menschenrechtsinstrumente" verweist, die festhalten sollen, dass Familien nicht willkürlich getrennt werden dürfen, bleiben seine Vorbringen gänzlich unsubstanziiert. 
 
2.5. Im Ergebnis ist auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nicht einzutreten.  
 
3.  
Der Beschwerdeführer beanstandet weiter die Nichterteilung einer Bewilligung gestützt auf Art. 28 AIG (Rentnerinnen und Rentner) sowie einer Härtefallbewilligung nach Art. 30 Abs. 1 lit. b AIG bzw. einer Bewilligung nach Art. 30 Abs. 1 lit. g AIG
 
3.1. Aufgrund der "Kann-Formulierung" handelt es sich bei Bewilligungen gemäss Art. 28 AIG um Ermessensbewilligungen, auf deren Erteilung kein Rechtsanspruch besteht (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG; vgl. Urteil 2D_24/2022 vom 16. Juni 2022 E. 4). Ebenfalls keinen Bewilligungsanspruch räumt Art. 30 Abs. 1 ein, da diese Bestimmung Abweichungen von den Zulassungsvoraussetzungen betrifft, die unter den Ausnahmetatbestand von Art. 83 lit. c Ziff. 5 BGG fallen (vgl. Urteile 2D_32/2022 vom 25. November 2022 E. 2.1; 2C_682/2021 vom 3. November 2021 E. 1.2.3; 2C_564/2021 vom 3. Mai 2022 E. 1.1). Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist daher ausgeschlossen.  
Zur Verfügung steht einzig die ebenfalls (eventualiter) erhobene subsidiäre Verfassungsbeschwerde (Art. 113 ff. BGG). Mangels Aufenthaltsanspruchs in der Schweiz sind in diesem Rahmen jedoch ausschliesslich Rügen bezüglich verfahrensrechtlicher Punkte zulässig, deren Verletzung einer formellen Rechtsverweigerung gleichkommt und die das Gericht von der Prüfung der Sache bzw. der Bewilligungsfrage getrennt beurteilen kann ("Star"-Praxis; vgl. BGE 141 IV 1 E. 1.1; 137 II 305 E. 2; Urteil 2D_24/2022 vom 16. Juni 2022 E. 5.2). 
 
3.2. Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz vor, sie habe sein rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verletzt, indem sie namentlich seine Verbundenheit zur Schweiz oder seine finanziellen Verhältnisse nicht hinreichend geprüft bzw. berücksichtigt habe. Seine Argumentation zielt indessen auf eine Überprüfung der Rechtmässigkeit der Verweigerung der beantragten Ermessensbewilligungen ab. Diese Rügen können nicht getrennt von der Bewilligungsfrage geprüft werden und sind somit unzulässig (vgl. auch Urteil 2D_32/2022 vom 25. November 2022 E. 2.4).  
Soweit er schliesslich in allgemeiner Weise die Dauer des Verfahrens beanstandet und dabei auf verschiedene Grundrechte, so namentlich auf den Anspruch auf ein faires Verfahren hinweist, genügen seine Ausführungen den qualifizierten Anforderungen an die Begründung von Verfassungsrügen nicht (Art. 106 Abs. 2 i.V.m. Art. 117 BGG; vgl. dazu u.a. BGE 148 I 104 E. 1.5; 143 II 283 E. 1.2.2). 
Demzufolge ist auf die eventualiter erhobene subsidiäre Verfassungsbeschwerde ebenfalls nicht einzutreten. 
 
4.  
 
4.1. Im Ergebnis erweist sich die Eingabe sowohl als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten als auch als subsidiäre Verfassungsbeschwerde als unzulässig. Es ist darauf mit Entscheid der Abteilungspräsidentin als Einzelrichterin im Verfahren nach Art. 108 BGG (Abs. 1 lit. a) nicht einzutreten.  
 
4.2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist zufolge Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Es sind keine Parteientschädigungen geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).  
 
 
 
 
Demnach erkennt die Präsidentin:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 5. September 2023 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin 
 
Die Gerichtsschreiberin: D. Ivanov