5A_955/2022 26.05.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5A_955/2022  
 
 
Urteil vom 26. Mai 2023  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Herrmann, Präsident, 
Bundesrichter von Werdt, Schöbi, Bovey, 
Bundesrichterin De Rossa, 
Gerichtsschreiberin Lang. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.A.________ und B.A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Werner Marti, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
C.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Christian Suter, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Privatrechtliche Baueinsprache (Näherbaurecht), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Glarus vom 4. November 2022 (OG.2021.00101). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. A.A.________ und B.A.________ sind seit dem 12. Februar 2015 je hälftige Miteigentümer der Liegenschaften U.________ Gbbl. Nrn. xxx, yyy und zzz; C.________ ist seit dem 1. Juni 2011 Eigentümer der Nachbarliegenschaft U.________ Gbbl. Nr. qqq. Im Grundbuch ist ein Näherbaurecht jeweils zugunsten und zulasten der Grundstücke Nrn. qqq, yyy und zzz eingetragen. Gemäss dem öffentlich beurkundeten Dienstbarkeitsvertrag vom 15. Februar 1990 umfasst dieses das Recht, bis auf einen Meter an die gemeinsame Grenze zu bauen. Sodann darf auf dem Grundstück Nr. qqq die Firsthöhe maximal 11,60 m erreichen.  
 
A.b. C.________ plant seit längerer Zeit, die bestehenden Gebäude auf seiner Liegenschaft Nr. qqq abzubrechen und unter Ausnützung des Näherbaurechts ein Mehrfamilienhaus zu erstellen. Am 15. Juli 2019 erteilte ihm der Gemeinderat Glarus Nord die Baubewilligung für ein Bauprojekt, gemäss welchem ein Grenzabstand von 110 cm eingehalten wird. Dieser Baubewilligungsentscheid wurde vom Departement Bau und Umwelt des Kantons Glarus bestätigt; er ist rechtskräftig.  
 
A.c. Am 24. Juli 2019 reichten A.A.________ und B.A.________ ein Schlichtungsgesuch bei der Schlichtungsbehörde des Kantons Glarus ein mit dem Begehren, es sei C.________ zivilrechtlich verbieten zu lassen, das öffentlich-rechtlich bewilligte Bauvorhaben auszuführen oder ausführen zu lassen. Am 19. August 2019 ersuchten sie das Kantonsgericht Glarus zudem, das beantragte Verbot bereits vorsorglich auszusprechen. Diesem Gesuch gab das Kantonsgericht mit Entscheid vom 23. Dezember 2019 statt. Nach Erhalt der Klagebewilligung erhoben A.A.________ und B.A.________ am 10. Dezember 2019 Klage beim Kantonsgericht. Mit Entscheid vom 5. November 2021 hiess dieses die Klage gut und untersagte C.________, das öffentlich-rechtlich bewilligte Bauvorhaben auszuführen bzw. ausführen zu lassen.  
 
B.  
Gegen diesen Entscheid erhob C.________ Berufung beim Obergericht des Kantons Glarus, welches das Rechtsmittel guthiess, den erstinstanzlichen Entscheid aufhob und die Klage vom 10. Dezember 2019 kostenfällig abwies (Entscheid vom 4. November 2022). 
 
C.  
Mit Eingabe vom 8. Dezember 2022 wenden sich A.A.________ und B.A.________ (Beschwerdeführer) an das Bundesgericht, dem sie beantragen, den Entscheid des Obergerichts vom 4. November 2022 aufzuheben und jenen des Kantonsgerichts vom 5. November 2021 zu bestätigen. 
Mit Verfügung vom 28. Dezember 2022 hat der Präsident der urteilenden Abteilung dem Gesuch um aufschiebende Wirkung, dem sich der Beschwerdegegner widersetzt hat, stattgegeben. 
Das Bundesgericht hat die kantonalen Akten, hingegen keine Vernehmlassungen eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Der Streit dreht sich um die Frage, ob eine auf seinem Grundstück lastende Grunddienstbarkeit den Beschwerdegegner daran hindert, ein öffentlich-rechtlich bewilligtes Bauvorhaben zu realisieren. Das ist eine Zivilsache (Art. 72 Abs. 1 BGG) vermögensrechtlicher Natur (Urteil 5A_998/2022 vom 18. April 2023 E. 1.1 mit Hinweisen). Den vorinstanzlichen Feststellungen zufolge übersteigt der Streitwert Fr. 30'000.--. Auf diese (unbestrittene) Streitwertschätzung ist abzustellen, zumal keine Gründe ersichtlich sind, den kantonalen Entscheid diesbezüglich in Frage zu stellen (Urteil 5A_272/2010 vom 30. November 2010 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 137 III 59). Die gesetzliche Streitwertgrenze von Fr. 30'000.-- (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG) ist also erreicht. Das Obergericht hat als obere kantonale Instanz auf Rechtsmittel hin entschieden (Art. 75 BGG). Der angefochtene Entscheid trifft die Beschwerdeführer in ihren schutzwürdigen Interessen (Art. 76 BGG) und schliesst das kantonale Verfahren ab (Art. 90 BGG). Auf die rechtzeitig (Art. 100 Abs. 1 BGG) eingereichte Beschwerde ist unter Vorbehalt des im Folgenden Ausgeführten einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Im ordentlichen Beschwerdeverfahren sind in rechtlicher Hinsicht alle Rügen gemäss Art. 95 f. BGG zulässig. Das Bundesgericht wendet das Recht grundsätzlich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG) und urteilt mit freier Kognition. Es ist weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden. Es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer Begründung abweisen, die von der Argumentation der Vorinstanz abweicht (BGE 141 III 426 E. 2.4). Das Bundesgericht befasst sich aber grundsätzlich nur mit formell ausreichend begründeten Einwänden. In der Beschwerde ist deshalb in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG), was eine Auseinandersetzung mit dessen Begründung erfordert (BGE 143 II 283 E. 1.2.2; 140 III 86 E. 2). Erhöhte Anforderungen gelten, wenn verfassungsmässige Rechte als verletzt gerügt werden. Das Bundesgericht prüft deren Verletzung nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; Rügeprinzip). Es prüft nur klar und detailliert erhobene und soweit möglich belegte Rügen (BGE 142 III 364 E. 2.4).  
 
2.2. Was den Sachverhalt angeht, legt das Bundesgericht seinem Urteil die vorinstanzlichen Feststellungen zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Diesbezüglich kann die rechtsuchende Partei nur vorbringen, die vorinstanzlichen Feststellungen seien offensichtlich unrichtig (Art. 97 Abs. 1 BGG), das heisst willkürlich (Art. 9 BV; BGE 147 I 73 E. 2.2 mit Hinweis), oder würden auf einer anderen Rechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG (z.B. Art. 29 Abs. 2 BV oder Art. 8 ZGB) beruhen (Urteil 5A_988/2022 vom 20. April 2023 E. 1.5). In der Beschwerde ist auch darzutun, inwiefern die Behebung der gerügten Mängel für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 137 III 226 E. 4.2; 135 I 19 E. 2.2.2). Zum Sachverhalt gehören sowohl die Feststellungen über den streitgegenständlichen Lebenssachverhalt als auch jene über den Ablauf des erst- und oberinstanzlichen Verfahrens, also über den Prozesssachverhalt. Zu Letzterem zählen insbesondere die Anträge der Parteien, ihre Tatsachenbehauptungen, rechtlichen Erörterungen, Prozesserklärungen und Beweisvorbringen, der Inhalt einer Zeugenaussage oder einer Expertise sowie die Feststellungen anlässlich eines Augenscheins (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 mit Hinweisen).  
Das Bundesgericht prüft nur klar und detailliert erhobene und wenn möglich belegte Rügen, während es auf ungenügend substanziierte Vorbringen und rein appellatorische Kritik am Sachverhalt nicht eintritt (BGE 143 I 310 E. 2.2; 141 IV 249 E. 1.3.2; 140 III 264 E. 2.3). Wer den Sachverhalt berichtigt oder ergänzt wissen will, hat die beanstandete Feststellung und die Aktenstelle, mit der sie in Widerspruch steht, genau anzugeben und im Falle unterbliebener Feststellungen mit Aktenhinweisen zu belegen, dass entsprechende Sachbehauptungen bereits im kantonalen Verfahren prozesskonform aufgestellt, von der Vorinstanz aber zu Unrecht für unerheblich gehalten oder übersehen worden sind (BGE 140 III 86 E. 2; Urteil 5A_677/2022 vom 20. Februar 2023 E. 2.2). 
 
3.  
Umstritten ist die Auslegung eines im Grundbuch eingetragenen (gegenseitigen) Näherbaurechts. 
 
3.1. Das Obergericht verwarf zunächst die Ansicht des Kantonsgerichts, wonach die Dienstbarkeit nur dann Wirkung entfalte, wenn es beiden Parteien aufgrund einer rechtskräftigen Baubewilligung möglich sei, von ihrem Näherbaurecht im gewünschten Umfang Gebrauch zu machen. Es liess sodann die Frage offen, ob nach Treu und Glauben angenommen werden müsse, dass das jeweilige Näherbaurecht mit einer Abrückungspflicht des belasteten Grundstücks ergänzt sei, so dass beide Grundeigentümer das Näherbaurecht in dem durch das öffentliche Baurecht vorgegebenen Rahmen im gleichen Umfang ausüben könnten, oder ob der zuerst bauende Grundeigentümer das Näherbaurecht vollständig ausschöpfen könne, der erst später bauende Grundeigentümer je nach öffentlicher Bauordnung nur noch teilweise oder gar nicht oder sogar weiter von der Grenze abrücken müsste. Es gelangte nämlich zur Erkenntnis, dass die Beschwerdeführer nicht rechtsgenüglich nachgewiesen hätten, dass es ihnen nicht mehr möglich wäre, das Näherbaurecht auszuüben, falls das Bauprojekt des Beschwerdegegners realisiert werde.  
 
3.2. Die Beschwerdeführer meinen, aus dem Grundbucheintrag ergebe sich eine gegenseitige Verbindung zwischen Rechten und Lasten. Damit sei die Gegenseitigkeit der beiden Näherbaurechte erstellt und diese werde vom Obergericht auch nicht infrage gestellt. Der Inhalt der Dienstbarkeit definiere sich deshalb so, dass jeder Eigentümer es zu dulden habe, dass der andere Eigentümer unter Einhaltung eines Grenzabstands von 1 m an seine Grenze baue, unter der Voraussetzung, dass auch der andere Eigentümer - dies folge aus der Gegenseitigkeit - die gleiche Duldungspflicht erfülle. Wenn beide Parteien gemeinsam dieser Duldungspflicht nachkämen, würden sie einen Zustand dulden, der rechtlich nicht zulässig sei, da sowohl nach dem im Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden wie auch nach dem heutigen Baurecht die Erstellung von zwei Bauten mit einer Höhe von mehr als 10 m mit einem minimalen Grenzabstand [recte: Gebäudeabstand] von 2 m rechtswidrig sei. Entgegen der Auffassung des Obergerichts werde diese Rechtswidrigkeit nicht dadurch beseitigt, dass ein Ausnahmegesuch gestellt werden könne.  
 
3.3.  
 
3.3.1. Für die Ermittlung von Inhalt und Umfang einer Dienstbarkeit gibt Art. 738 ZGB eine Stufenordnung vor. Ausgangspunkt ist der Grundbucheintrag. Soweit sich Rechte und Pflichten aus dem Eintrag deutlich ergeben, ist dieser für den Inhalt der Dienstbarkeit massgebend (Art. 738 Abs. 1 ZGB). Der gutgläubige Dritte darf sich auf einen klaren und deutlichen Eintrag verlassen, selbst wenn dieser Eintrag inhaltlich unrichtig ist - der Erwerber des belasteten Grundstücks darauf, dass die Dienstbarkeit nicht einen grösseren, der Erwerber des berechtigten Grundstücks darauf, dass sie nicht einen geringeren Inhalt und Umfang hat, als sich aus dem Eintrag ergibt (LIVER, Zürcher Kommentar, 2. Aufl. 1980, N. 20 zu Art. 738 ZGB). Nur wenn der Wortlaut des Grundbucheintrags unklar ist, darf im Rahmen dieses Eintrags auf den Erwerbsgrund zurückgegriffen werden (Art. 738 Abs. 2 ZGB), das heisst auf den Begründungsakt, der als Beleg beim Grundbuchamt aufbewahrt wird (Art. 948 Abs. 2 ZGB) und einen Bestandteil des Grundbuchs bildet (Art. 942 Abs. 2 ZGB). Ein Rückgriff auf den Erwerbsgrund ist insbesondere dann erforderlich und der Schutz des guten Glaubens in den Eintrag dem Dritterwerber abzusprechen, wenn der Eintrag die Dienstbarkeit nicht ausreichend zu spezifizieren vermag und sich infolgedessen Rechte und Pflichten daraus nicht eindeutig ergeben. Dieser Fall liegt vor, wenn sich der Eintrag ohne weitere Erklärungen in der blossen Benennung erschöpft und einfach ein "Durchleitungsrecht", ein "Quellenrecht", eine "Baubeschränkung" etc. erwähnt, da diese nach Inhalt und Umfang recht verschieden ausgestaltet sein können (LIVER, a.a.O., N. 31 f. zu Art. 738 ZGB). Ist auch der Erwerbsgrund nicht schlüssig, kann sich der Inhalt der Dienstbarkeit - im Rahmen des Eintrags - aus der Art ergeben, wie sie während längerer Zeit unangefochten und in gutem Glauben ausgeübt worden ist (Art. 738 Abs. 2 ZGB; BGE 138 III 650 E. 5.3; 130 III 554 E. 3.1; 128 III 169 E. 3a).  
 
3.3.2. Soweit die Auslegung des Grunddienstbarkeitsvertrags in Frage steht, gelten grundsätzlich die allgemeinen obligationenrechtlichen Regeln der Vertragsauslegung (BGE 139 III 404 E. 7.1). Ziel dieser Auslegung ist es in erster Linie, den übereinstimmenden wirklichen Parteiwillen festzulegen (Art. 18 Abs. 1 OR). Diese subjektive Vertragsauslegung beruht auf Beweiswürdigung. Sie ist also eine Tatfrage, auf die das Bundesgericht nur unter den Voraussetzungen von Art. 97 Abs. 1 BGG zurückkommen kann (s. E. 2.2). Bleibt der tatsächliche Parteiwille unbewiesen, sind die Erklärungen und Verhaltensweisen der Parteien nach dem Vertrauensprinzip so auszulegen, wie sie nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang sowie nach den gesamten Umständen verstanden werden durften und mussten. Das Bundesgericht überprüft diese objektivierte (oder normative) Auslegung als Rechtsfrage frei. Es ist aber an die Feststellungen der kantonalen Vorinstanz über die äusseren Umstände sowie das Wissen und Wollen der Beteiligten grundsätzlich gebunden (zum Ganzen: BGE 142 III 239 E. 5.2.1; 132 III 626 E. 3.1; je mit Hinweisen).  
Diese allgemeinen Auslegungsgrundsätze gelten vorbehaltlos unter den ursprünglichen Vertragsparteien, im Verhältnis zu Dritten dagegen nur mit einer Einschränkung, die sich aus dem öffentlichen Glauben des Grundbuchs (Art. 973 ZGB) ergibt, zu dem auch der Dienstbarkeitsvertrag gehört. 
Bei der Auslegung dieses Vertrags können gegenüber Dritten, die an der Errichtung der Dienstbarkeit nicht beteiligt waren und im Vertrauen auf das Grundbuch das dingliche Recht erworben haben, individuelle persönliche Umstände und Motive nicht berücksichtigt werden, die für die Willensbildung der ursprünglichen Vertragsparteien bestimmend waren, aus dem Dienstbarkeitsvertrag selbst aber nicht hervorgehen und für einen unbeteiligten Dritten normalerweise auch nicht erkennbar sind. Im gezeigten Umfang wird der Vorrang der subjektiven vor der objektivierten Vertragsauslegung eingeschränkt (BGE 139 III 404 E. 7.1; 130 III 554 E. 3.1). Soweit die Rechte und Pflichten Dritter in Frage stehen, ist die Auslegung des Erwerbstitels mithin an die Schranken gebunden, die sich aus dem Eintrag ergeben, denn der gutgläubige Dritte wird im Vertrauen auf die Richtigkeit des Eintrages geschützt. Die beschriebene Objektivierung ist gegenüber einem Vertrag, dessen Zweck sich in der Begründung eines obligatorischen Schuldverhältnisses erschöpft, also noch verstärkt: Verlangt ist eine Auslegung nach den objektiv erkennbaren Umständen. In der Auslegung des Erwerbsgrundes nach dieser Maxime kommt dem Zweck der Dienstbarkeit die massgebende Bedeutung zu. Der Zweck bestimmt sich nach den Bedürfnissen des herrschenden Grundstücks. Die Dienstbarkeit hat denjenigen Inhalt und Umfang, den sie haben muss, um ihren Zweck mit der geringst möglichen Beschränkung des Eigentums am dienenden Grundstück bestmöglich zu erreichen (zum Ganzen Urteil 5A_1043/2021 vom 27. Juni 2022 E. 3.2.2; LIVER, a.a.O., N. 91 ff. zu Art. 738 ZGB). 
 
3.3.3. Unter den Mitteln der Auslegung des Dienstbarkeitsvertrags hat der klare Wortlaut den Vorrang, es sei denn, er erweise sich aufgrund anderer Vertragsbedingungen, dem von den Parteien verfolgten Zweck oder weiteren Umständen als nur scheinbar klar. Den wahren Sinn einer Vertragsklausel erschliesst zudem erst der Gesamtzusammenhang, in dem sie steht. Soweit sie für Dritte erkennbar sind, dürfen die Begleitumstände des Vertragsabschlusses oder die Interessenlage der Parteien in jenem Zeitpunkt ergänzend berücksichtigt werden (BGE 128 III 265 E. 3a; Urteil 5A_873/2018 vom 19. März 2020 E. 3.6.1). Bei alledem ist für den Regelfall anzunehmen, dass die (ursprünglichen) Vertragsparteien eine vernünftige, sachgerechte Regelung anstrebt haben (vgl. BGE 148 III 57 E. 2.2.1 mit Hinweisen).  
 
3.4.  
 
3.4.1. Das Bundesrecht regelt in vielerlei Hinsicht nachbarliche Verhältnisse. Soweit es um Grabungen oder Bauten auf dem eigenen Grundstück geht, beschränkt es sich auf die folgende Vorgabe: Der Eigentümer darf bei Grabungen und Bauten die nachbarlichen Grundstücke nicht dadurch schädigen, dass er ihr Erdreich in Bewegung bringt oder gefährdet oder vorhandene Vorrichtungen beeinträchtigt (Art. 685 Abs. 1 ZGB). Sodann räumt der Bundesgesetzgeber den Kantonen das Recht ein, die Abstände festzusetzen, die bei Grabungen und Bauten zu beobachten sind (Art. 686 Abs. 1 ZGB) und weitere Bauvorschriften aufzustellen (Art. 686 Abs. 2 ZGB). Es handelt sich um einen echten Rechtsetzungsvorbehalt im Sinn von Art. 5 Abs. 1 ZGB (BGE 132 III 49 E. 2.2; 129 III 161 E. 2.4; Urteil 5A_665/2022 vom 4. April 2023 E. 3.4, zur Publikation vorgesehen, mit Literaturhinweisen). Heute steht dem Bundeszivilrecht indessen in den meisten Fällen nicht mehr gestützt auf Art. 686 ZGB erlassenes kantonales Privatrecht, sondern öffentliches Recht der Kantone und des Bundes gegenüber. Was das kantonale öffentliche Baurecht anbelangt, werden die Kantone in ihren Befugnissen durch das Bundeszivilrecht nicht beschränkt (Art. 6 ZGB).  
 
3.4.2. Der Kanton Glarus regelt in seinem Raumentwicklungs- und Baugesetz vom 2. Mai 2010 (RBG; GS VII B/1/1) die Grenz- (Art. 51 RBG) und die Gebäudeabstände (Art. 52 RBG). Hinsichtlich des Grenzabstands ist Art. 51 Abs. 1 RBG/GL massgebend. Danach beträgt der Grenzabstand vorbehältlich anderer nachbarrechtlicher Vereinbarungen vier Meter. Mit Bezug auf den Gebäudeabstand lassen sich dem RBG folgende Bestimmungen entnehmen: Bei offener Bauweise muss der Abstand von Gebäuden unter sich mindestens drei Viertel der Fassadenhöhe des höheren Gebäudes entsprechen, darf aber nicht weniger als acht Meter betragen (Art. 52 Abs. 1 RBG/GL). Bei Gebäuden im bestehenden Dorfgebiet und im Rahmen von Sondernutzungsplänen kann der Gemeinderat Ausnahmen von diesen Abständen bewilligen, soweit kein öffentliches Interesse dagegen steht (Art. 52 Abs. 4 RBG/GL).  
 
3.5. Der Grundbucheintrag "Näherbaurecht" umfasst das Recht, in einem geringeren als dem gesetzlichen Abstand an die Grenze des Nachbargrundstücks zu bauen, d.h. auf oder unter der Bodenfläche ein Bauwerk zu errichten oder beizubehalten. Im Gegensatz zu den gewöhnlichen Baurechtsdienstbarkeiten (Art. 675 Abs. 1 und Art. 779 Abs. 1 ZGB) baut der aus einem Näherbaurecht berechtigte Eigentümer auf seinem eigenen Grundstück und nicht auf dem belasteten Grundstück, und dessen Eigentümer wiederum hat keinen Eingriff in die Substanz seines Grundstücks zu dulden, sondern die Unterschreitung des gesetzlichen Mindestgrenzabstandes durch den berechtigten Eigentümer auf dem Nachbargrundstück (Urteil 5A_377/2017 vom 27. Februar 2018 E. 2.3.2; RIEMER, Die beschränkten dinglichen Rechte, 2. Aufl. 2000, § 13 Rz. 15 S. 77).  
Bei einem gegenseitigen Näherbaurecht verpflichten sich die beteiligten Grundeigentümer gegenseitig, ein Gebäude oder einen Gebäudeteil des anderen im Abstandsbereich zu dulden (SCHÜPBACH SCHMID, Das Näherbaurecht in der zürcherischen baurechtlichen Praxis, 2001, S. 55).  
 
3.6. Je nach Ausgestaltung des gegenseitigen Näherbaurechts kann - wie vorliegend - ein baurechtlich vorgeschriebener Gebäudeabstand betroffen sein. Im Licht des Art. 6 Abs. 1 ZGB können Näherbaurechte von vornherein nur im Rahmen des öffentlich-rechtlich Zulässigen begründet werden (SCHÜPBACH SCHMID, a.a.O., S. 81). In diesem Sinn können öffentlich-rechtliche Gebäudeabstände die beidseitige Umsetzung des Näherbaurechts ausschliessen. Es gilt also, eine allfällige Kollision der gegenseitigen Rechte und Pflichten aufzulösen.  
 
3.6.1. Zunächst ist festzuhalten, dass der Grundbucheintrag zur Klärung der sich vorliegend stellenden Fragen keinen weiteren Erkenntniswert besitzt. Soweit die Beschwerdeführer sinngemäss anderes behaupten, dringen sie damit nicht durch.  
 
3.6.2. Die Sichtweise der Beschwerdeführer (vgl. E. 3.2) schliesst die beidseitige Umsetzung des Näherbaurechts aus. Damit hätten die seinerzeitigen Vertragsparteien eine unvernünftige, sachwidrige Regelung getroffen. Davon kann indes im Regelfall nicht ausgegangen werden. Der Wortlaut des Dienstbarkeitsvertrags ("räumen sich gegenseitig bezüglich der nachfolgend genannten Grundstücke das Recht ein, bis auf 1 m an die gemeinsame Grenze zu bauen") schliesst das Verständnis der Beschwerdeführer zwar nicht aus, legt es aber auch nicht nahe. Da für den Regelfall anzunehmen ist, dass die ursprünglichen Vertragsparteien eine vernünftige, sachgerechte Regelung angestrebt haben (vgl. E. 3.3.3 oben), müsste sich aus dem Dienstbarkeitsvertrag und/oder aus anderen (objektiv erkennbaren) Umständen ergeben, dass sie die Gegenseitigkeit der Einräumung der Näherbaurechte so verstanden haben wollten, wie sie die Beschwerdeführer zu verstehen vorgeben. Die von ihnen postulierte Abrückungspflicht müsste sich mit anderen Worten aus dem Dienstbarkeitsvertrag selber ableiten lassen. Derartiges ergibt sich indes weder aus dem Vertragstext noch aus den weiteren massgeblichen Umständen. Im Gegenteil: Wie sich aus dem Plan ergibt, der dem von den Beschwerdeführern mit ihrer Klage eingereichten Dienstbarkeitsvertrag vom 15. Februar 1990 angeheftet ist [kant. act. 33/5], stand im Zeitpunkt des Vertragsschlusses auf der Parzelle Nr. zzz der Beschwerdeführer das Gebäude Nr. rrr deutlich innerhalb des gesetzlichen Grenzabstands zur Parzelle Nr. qqq, und befanden sich auf der Parzelle Nr. qqq des Beschwerdegegners zwei Gebäudeteile deutlich innerhalb des gesetzlichen Grenzabstands zur Parzelle Nr. yyy bzw. Nr. zzz. Diese Umstände deuten auf ein Interesse der seinerzeitigen Vertragsparteien an der Regularisierung des bestehenden Zustandes hin, mehr nicht. So findet insbesondere die Behauptung der Beschwerdeführer, der Dienstbarkeitsvertrag sei zustande gekommen, weil sich die Liegenschaft Nr. qqq ohne Verkürzung des Grenzabstands praktisch nicht überbauen lasse, keine Grundlage im Vertrag. In diesem Zusammenhang sei der Vollständigkeit halber erwähnt, dass die Beschwerdeführer den Schluss der Vorinstanz, dass es sich um ein generelles - und nicht etwa projektspezifisches - Näherbaurecht handelt, nicht in Frage stellen.  
 
3.6.3. In der Lehre wird für die Auflösung der aus dem Widerspruch zwischen dem (gegenseitigen) Näherbaurecht und baurechtlichen Gebäudeabstandsvorschriften entstehenden Kollision der gegenseitigen Rechte und Pflichten die Ansicht vertreten, es profitiere der Erstbauende vom Abstandsprivileg und müsse der Zweitbauende weiter von der Grenze abrücken. Insofern präjudiziere der Erstbauende die baulichen Möglichkeiten des Zweitbauenden, weil er nicht nur Dienstbarkeitsbelasteter, sondern gleichzeitig auch Dienstbarkeitsberechtigter ist und somit ein ihm von der Gegenpartei eingeräumtes Recht ausübe (VALLATI, Dienstbarkeiten und Bauvorhaben, 2021, S. 75 Rz. 160; HÜRLIMANN-KAUP/HAGI, Einseitiges Grenzbaurecht: Pflichten des Belasteten, BR/DC 6/2016 S. 341; SIEGRIST, Tücken im Grenz- und Näherbaurecht, Wohnwirtschaft HEV Aargau Nr. 4/2017 S. 19). Dabei stützen sich die Autoren HÜRLIMANN-KAUP/HAGI und SIEGRIST auf kantonale Rechtsprechung. Dieser Sichtweise ist zu folgen. Ergibt sich weder aus dem Vertragstext selber noch aus den weiteren (objektiv erkennbaren) massgeblichen Umständen, dass die Vertragsparteien mit der Einräumung eines gegenseitigen Näherbaurechts eine Abrückungspflicht in dem Sinne vorgesehen haben, dass beide gleichermassen vom gegenseitig eingeräumten Näherbaurecht profitieren können, darf der Erstbauende von seinem Recht Gebrauch machen und kann der nichtbauende Dienstbarkeitsbelastete und -berechtigte die Realisierung der Baute nicht mit dem Argument verhindern, ihm sei wegen öffentlich-rechtlichen Gebäudeabstandsvorschriften die Nutzbarmachung "seines" Näherbaurechts verwehrt.  
 
3.7. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich die Prüfung der Frage, ob das Obergericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass die Beschwerdeführer nicht rechtsgenüglich nachgewiesen haben, dass es ihnen nicht mehr möglich wäre, das Näherbaurecht auszuüben, falls das Bauprojekt des Beschwerdegegners realisiert werde (siehe E. 3.1). Auf die in diesem Zusammenhang erhobenen Rügen der Beschwerdeführer ist mithin nicht einzugehen.  
 
4.  
Nach dem Ausgeführten erweist sich die Beschwerde als unbegründet; sie ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Beschwerdeführer unterliegen und werden kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführer tragen die ihnen auferlegten Kosten zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung (Art. 66 Abs. 5 BGG). Eine Parteientschädigung ist hingegen nicht geschuldet, zumal sich der Beschwerdegegner dem Gesuch um aufschiebende Wirkung erfolglos widersetzt hat, womit ihm diesbezüglich keine Entschädigung zusteht, und er sich zur Hauptsache nicht vernehmen lassen musste, ihm also insofern kein entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden ist (Art. 68 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 5'000.-- werden zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung den Beschwerdeführern auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Glarus mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 26. Mai 2023 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Herrmann 
 
Die Gerichtsschreiberin: Lang