1C_298/2022 20.06.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_298/2022  
 
 
Urteil vom 20. Juni 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Müller, Merz, 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.________, 
2. B.________, 
Beschwerdeführer, 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Michael Fretz, 
 
gegen  
 
Sunrise GmbH, 
Beschwerdegegnerin, 
vertreten durch Rechtsanwälte 
Dr. Mischa Morgenbesser und/oder Dr. John Trachsel, 
 
Baudirektion der Stadt Luzern, 
Hirschengraben 17, 6002 Luzern. 
 
Gegenstand 
Bau- und Planungsrecht; Neubau Mobilfunkanlage, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 4. Abteilung, vom 11. April 2022 (7H 20 164/7H 20 167). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Sunrise Communications AG (heute: Sunrise UPC GmbH) reichte bei der Baudirektion der Stadt Luzern ein Baugesuch für den Neubau einer Mobilfunkanlage auf dem mit einem Mehrfamilienhaus überbauten Grundstück Nr. 3458 (Grundbuch Luzern, linkes Ufer) ein. Die Mobilfunklage ist an der Südostseite eines Dachausstiegs geplant. Sie besteht aus neun Antennen: drei im Frequenzband von 700-900 MHz, drei im Frequenzband von 1'400-2'600 MHz und drei im Frequenzbereich von 3'600 MHz. Bei den letzteren drei handelt es sich um adaptive Antennen. 
Nach der öffentlichen Auflage wurde das Baugesuch zweimal überarbeitet und wiederum öffentlich aufgelegt. Mit Entscheid vom 13. Juli 2020 bewilligte die Baudirektion das Gesuch unter Auflagen und Bedingungen. Die dagegen erhobenen Einsprachen wies es ab, soweit ihnen nicht durch die verfügten Auflagen entsprochen wurde. 
Gegen diesen Entscheid erhoben zum einen C.________ und zum anderen A.________, B.________ und sieben weitere Personen Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Kantonsgericht Luzern vereinigte mit Urteil vom 11. April 2022 die beiden Verfahren und wies die Beschwerden ab, soweit es darauf eintrat. 
 
B.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht vom 23. Mai 2022 beantragen A.________ und B.________, das Urteil des Kantonsgerichts sei aufzuheben. 
Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das Kantonsgericht beantragt deren Abweisung. Die Baudirektion verweist auf das angefochtene Urteil und verzichtet im Übrigen auf eine Stellungnahme. Das ebenfalls zur Vernehmlassung eingeladene Bundesamt für Umwelt (BAFU) ist der Auffassung, das Urteil des Kantonsgerichts stehe mit der Umweltschutzgesetzgebung des Bundes im Einklang. Die Beschwerdeführer halten in ihrer Replik an ihrem Antrag in der Sache fest, während die weiteren Verfahrensbeteiligten entweder ausdrücklich auf eine weitere Stellungnahme verzichtet haben oder sich gar nicht mehr haben vernehmen lassen. 
Mit Präsidialverfügung vom 15. Juni 2022 hat das Bundesgericht der Beschwerde zwar nicht in Bezug auf den Bau, jedoch in Bezug auf die Inbetriebnahme der Mobilfunkanlage aufschiebende Wirkung beigelegt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Gegen den angefochtenen, kantonal letztinstanzlichen Endentscheid aus dem Bereich des Bau- und Umweltschutzrechts steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten grundsätzlich offen (Art. 82 ff. BGG). Die Beschwerdeführer wohnen in grosser Nähe zum Standort der geplanten Mobilfunkantenne und sind ohne Weiteres zur Beschwerde berechtigt (Art. 89 Abs. 1 BGG). Auf ihre Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Die Beschwerdeführer machen geltend, das Kantonsgericht habe zwei Eingaben zu Unrecht aus dem Recht gewiesen. Eine erste, datiert vom 25. Januar 2022, sei von D.________ eingereicht worden, wobei er sich mit Vollmacht als Vertreter von A.________ ausgewiesen habe. Nachdem das Kantonsgericht dieses Schreiben zurückgeschickt habe, habe A.________ eine ähnlich lautende Eingabe, datiert vom 15. Februar 2022, in eigenem Namen und als Vertreter der übrigen Beschwerdeführenden eingereicht. Mit Verfügung vom 22. Februar 2022 habe das Kantonsgericht auch diese Eingabe aus dem Recht gewiesen, weil es sie als "Umgehung", die keinen Rechtsschutz verdiene, qualifiziert habe. Beide Male habe es Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 29 Abs. 1 und 2 BV verletzt. Die erste Eingabe hätte behandelt werden müssen, weil D.________ nicht als berufsmässiger Vertreter im Sinne von § 23 Abs. 1 des Gesetzes des Kantons Luzern vom 3. Juli 1972 über die Verwaltungsrechtspflege (VRG; SRL Nr. 40) gehandelt habe, die zweite, weil es sich dabei offensichtlich nicht um eine Umgehung gehandelt habe.  
 
2.2. § 23 Abs. 2 VRG hat folgenden Wortlaut (Fussnoten weggelassen) :  
 
"Zur berufsmässigen Parteivertretung vor dem Kantonsgericht sind nur die nach dem Gesetz über das Anwaltspatent und die Parteivertretung (Anwaltsgesetz) vom 4. März 2002 zur Parteivertretung zugelassenen Anwälte berechtigt, ausgenommen in Streitsachen, welche öffentlich-rechtliche Abgaben, Schatzungen oder die Sozialversicherung betreffen." 
 
2.3. Aus den Akten ergibt sich, dass das Kantonsgericht D.________ am 28. Januar 2022 schrieb, gemäss der zitierten Bestimmung seien grundsätzlich nur nach dem Anwaltsgesetz zur Parteivertretung zugelassene Anwälte berechtigt und er erfülle diese Voraussetzung nicht. Er sei zudem nicht Partei und könne dem Verfahren auch nicht mehr beitreten, weshalb seine Eingabe vom 25. Januar 2022 aus dem Recht zu weisen und ihm zurückzusenden sei.  
Wie das Kantonsgericht zur Annahme kam, D.________ handle berufsmässig, ist nicht erkennbar (zum Kriterium der Berufsmässigkeit der Vertretung vgl. LGVE 1993 II Nr. 27 E. 2). In seiner Stellungnahme ans Bundesgericht räumt es denn auch ein, es werde zutreffen, dass er keine berufsmässigen Parteivertretungen ausübe. Allerdings hält es neu ergänzend fest, es gehe nicht an, dass sich ein beruflicher Parteivertreter (gemeint ist Rechtsanwalt A.________) punktuell seinerseits vertreten lasse, notabene durch einen juristischen Laien, um diesem de facto einen nachträglichen Prozessbeitritt zu ermöglichen. Weshalb es nicht angeht bzw. weshalb es rechtlich unzulässig sein sollte, dass sich ein beruflicher Parteivertreter punktuell seinerseits vertreten lässt, begründet es freilich nicht. Die Gesetzesbestimmungen, auf die es sich stützt, nennt es nicht (vgl. Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG). 
Die zweite Eingabe sendete das Kantonsgericht an Rechtsanwalt A.________ zurück, wobei es dies in seinem Schreiben vom 22. Februar 2022 wie folgt begründete: "Indem Sie lic. phil. D.________s Eingabe als ihre eigene einreichen, versuchen Sie, die unumstössliche Tatsache zu umgehen, dass lic. phil. D.________ weder Partei noch Parteivertreter im vorliegenden Prozess ist, weshalb seine Eingaben gänzlich aus dem Recht zu weisen sind. Diese Umgehung verdient keinen Rechtsschutz. Aus diesem Grund senden wir Ihnen die uns zugestellten Unterlagen wiederum zurück." 
Eine Angabe von Gesetzesbestimmungen fehlt auch in dieser Hinsicht. Soweit mit dem vagen Begriff "Umgehung" gemeint sein sollte, die Eingabe sei rechtsmissbräuchlich, wäre ein solcher Vorwurf unbegründet. Rechtsmissbräuchlich ist eine Eingabe beispielsweise, wenn damit nicht oder kaum die Interessen der Beschwerdeführerschaft, sondern diejenigen von Dritten verfolgt werden (zur missbräuchlichen Prozessführung s. BGE 138 III 542 E. 1.3.1 und Urteil 1C_590/2013 vom 26. November 2014 E. 7.3; je mit Hinweisen; s. auch den Anwendungsfall in Urteil 1C_16/2017 vom 20. April 2018). Dies trifft hier offensichtlich nicht zu. 
In seiner Stellungnahme zu Handen des Bundesgerichts schiebt das Kantonsgericht schliesslich noch nach, dass Rügen grundsätzlich in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde selbst enthalten sein müssten und die Voraussetzungen für eine nachträgliche Noveneingabe kaum erfüllt gewesen seien. Mit den anwendbaren Rechtsgrundlagen, etwa mit § 145 VRG, wonach die Parteien im Beschwerdeverfahren neue Tatsachen geltend machen und neue Anträge stellen können, setzt es sich indessen auch insoweit nicht auseinander. Ebensowenig legt es dar, was es mit "grundsätzlich" und "kaum" meint - Begriffe, die nahelegen, dass es Ausnahmen gibt und dass es sich um einen Grenzfall handelt. 
 
2.4. Das Kantonsgericht hat somit ohne nachvollziehbare rechtliche Begründung zwei Eingaben aus dem Recht gewiesen. Damit hat es den Anspruch der Beschwerdeführer auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Abs. 1 EMRK) verletzt.  
 
3.  
Der angefochtene Entscheid ist deshalb aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eine Auseinandersetzung mit den weiteren Vorbringen der Beschwerdeführer erübrigt sich. 
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese hat die Beschwerdeführer angemessen zu entschädigen (Art 68 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführer mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, der Baudirektion der Stadt Luzern, dem Kantonsgericht Luzern, 4. Abteilung, und dem Bundesamt für Umwelt schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 20. Juni 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Der Gerichtsschreiber: Dold