6B_509/2022 05.10.2022
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_509/2022  
 
 
Urteil vom 5. Oktober 2022  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Denys, 
Bundesrichter Hurni, 
Gerichtsschreiber Clément. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Revisionsgesuch (versuchte schwere Körperverletzung), 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts 
des Kantons Bern, 1. Strafkammer, vom 8. April 2022 (SK 22 106). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 12. September 2010 hat A.________ B.________ hinterrücks mit einem hölzernen Baseballschläger wuchtig gegen den Hinterkopf geschlagen, wobei der Schläger zerbrach. A.C.________, der neben A.________ und mindestens vier anderen unbekannten Männern und Frauen B.________ gegenübergetreten war, fügte diesem daraufhin mit Faustschlägen in das Gesicht weitere Verletzungen zu. 
Das Regionalgericht Bern-Mittelland verurteilte A.________ am 18. März 2015 wegen versuchter schwerer Körperverletzung und belegte ihn mit einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 36 Monaten, setzte den aufgeschobenen Teil bei einer Probezeit von 5 Jahren auf 24 Monate fest und verzichtete auf den Vollzug einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, welche das Bezirksgericht Zürich am 15. Januar 2007 bedingt ausgesprochen hatte. Die dagegen angestrengte Berufung wies das Obergericht des Kantons Bern am 4. Dezember 2015 ab. Gegen dieses Urteil führte A.________ Beschwerde in Strafsachen, welche das Bundesgericht am 19. Januar 2017 abwies, soweit es auf diese eintrat. 
 
B.  
Am 21. Februar 2022 ersuchte A.________ das Obergericht des Kantons Bern um Revision seines Urteils vom 4. Dezember 2015, welches das Revisionsgesuch am 8. April 2022 abwies. 
 
C.  
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, der Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern vom 8. April 2022 sei aufzuheben und an die Vorinstanz zurückzuweisen, die neuen Beweise seien zu berücksichtigen, er sei von der versuchten schweren Körperverletzung freizusprechen und die Kosten seien der Staatskasse aufzuerlegen. Zudem sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen und sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Vorinstanz war als Berufungsgericht für die Behandlung des Revisionsgesuchs zuständig (Art. 411 Abs. 1 StPO) und ist darauf eingetreten (vgl. Art. 412 StPO). Ihre Abweisung des Revisionsgesuchs schliesst das Verfahren ab. Gegen den vorinstanzlichen Endentscheid ist die Beschwerde in Strafsachen zulässig (Art. 90 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer führt zusammenfassend aus, D.________ und A.C.________ hätten im Strafverfahren zu Beginn ausgesagt, er sei nicht am Delikt beteiligt gewesen. Im März 2016 habe D.________ dann seine Aussage zurückgezogen und ausgesagt, er wolle dass er, der Beschwerdeführer, härter bestraft werde. Die Vorinstanz stütze sich einzig darauf, dass diese Aussage von D.________ eine andere Straftat betreffe. Dies sei zwar so. Dennoch sei das Aussageverhalten von D.________ fünf Jahre zuvor ihm gegenüber arglistig und falsch gewesen. Seine Aussage beziehe sich darauf, dass er wohl alles unternommen hätte, um ihm zu schaden. Mit seinen Aussagen habe er die Behörden in die Irre geführt. Das Gericht habe bei seinem ursprünglichen Urteil nicht von den Aussagen von D.________ gewusst, weshalb ein Revisionsgrund vorliege. Auch A.C.________ habe zeitgleich seine Aussagen angepasst, dies allerdings nur um seinen Bruder zu entlasten. D.________ und A.C.________ würden "herumerzählen", sie hätten ihn reingelegt, was er mehrfach gehört habe, zuletzt von E.________. Es sei offensichtlich, dass D.________ ihn zu unrecht beschuldigt habe. Zudem habe sein damaliger Verteidiger "überhaupt nichts unternommen" um seine Unschuld zu beweisen. Aus seiner Sicht sei dies revisionsrechtlich beachtlich. Es müsse der Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" gelten. Das Tatopfer habe ihn weder im Strafverfahren noch vor Gericht erkannt, einzig A.C.________ und B.C.________. Ausser den beiden gebe es niemanden, der ihn als Täter bezeichne.  
 
2.2. Die Vorinstanz erwägt, die Revision könne sich nur gegen materielle Urteilsgrundlagen richten, weshalb namentlich die nachträgliche Erkenntnis über eine ungenügende Verteidigung als solche keine Tatsache im Sinne von Art. 410 Abs. 1 Bst. a StPO und die vom Beschwerdeführer angeführte ungenügende Verteidigung nicht revisionsrelevant sei. Dabei gelte es zu beachten, dass er in keiner Weise dargelegt habe, inwiefern die angeblich unzureichende Verteidigung den materiell rechtserheblichen Sachverhalt wesentlich kompromittiert haben könnte. Insbesondere sei nicht erkennbar, weshalb der Umstand, dass der damalige amtliche Verteidiger angeblich keine Akteneinsicht verlangt und keine Beweisanträge gestellt habe, geeignet seien, das Beweisergebnis zu erschüttern. Die Vorbringen des Beschwerdeführers, dass die Aussagen gewisser Personen nicht bzw. falsch "gewertet" worden seien, liefen auf eine Kritik an der Beweiswürdigung im Strafverfahren hinaus, was unzulässig sei. Ein Revisionsverfahren dürfe nicht dazu dienen, ein als unrichtig erachtetes Urteil in Wiedererwägung zu ziehen. Die vom Beschwerdeführer geltend gemachten neuen "Erkenntnisse" könnten die im Urteil vom 4. Dezember 2015 vorgenommene Beweiswürdigung schliesslich nicht erschüttern. Die Einvernahme von D.________ bei der Staatsanwaltschaft Thurgau vom 7. März 2016 habe einen anderen Sachverhalt betroffen (Handyverträge). Auch habe dieser nicht zugegeben, in Bezug auf den Vorfall vom 12. September 2010 gelogen zu haben. Zudem sei im Urteil vom 4. Dezember 2015 nicht auf die Aussagen von D.________ abgestellt, sondern vielmehr festgestellt worden, dass dieser das Tatgeschehen nicht selbst beobachtet habe. Soweit der Beschwerdeführer alsdann einen "Freund" bzw. "verschiedene Personen" anführe, die bestätigen könnten, dass er von D.________, A.C.________ und F.________ zu Unrecht beschuldigt worden sei, habe er neue Tatsachen oder Beweismittel nicht einmal ansatzweise glaubhaft gemacht. Der Beschwerdeführer verkenne, dass er nicht einzig von D.________, A.C.________ und F.________ belastet wurde. Zudem sei nicht auf die Aussage von F.________ abgestellt worden und bei der Würdigung der Aussage von A.C.________ sei berücksichtigt worden, dass dieser den Beschwerdeführer nur soweit belastet habe, als dies nötig war, um seinen Bruder zu schützen. Es sei daher nicht ersichtlich, inwiefern eine abweichende Würdigung der Aussagen von F.________ und A.C.________ die Erkenntnisse im Urteil vom 4. Dezember 2015 zu erschüttern vermögen. Die eingebrachten neuen Beweismittel seien in keiner Weise geeignet, das Beweisergebnis im Urteil zu erschüttern. Ein Revisionsgrund nach Art. 410 Abs. 1 Bst. a StPO sei daher offensichtlich nicht gegeben.  
 
2.3. Die durch ein rechtskräftiges Urteil beschwerte Person kann dessen Revision u.a. dann verlangen, wenn neue, vor dem Entscheid eingetretene Tatsachen oder neue Beweismittel vorliegen, die geeignet sind, einen Freispruch, eine wesentlich mildere oder wesentlich strengere Bestrafung der verurteilten Person oder eine Verurteilung der freigesprochenen Person herbeizuführen (Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO). Vorbestehende Tatsachen und Beweismittel sind neu, wenn das Gericht zum Zeitpunkt der Urteilsfällung keine Kenntnis von ihnen hatte, sie ihm also nicht bereits in anderer Form unterbreitet worden sind (BGE 137 IV 59 E. 5.1.2; 130 IV 72 E. 1). Möglich ist eine Änderung des früheren Urteils aber nur dann, wenn sie sicher, höchstwahrscheinlich oder wahrscheinlich ist (BGE 120 IV 246 E. 2b; 116 IV 353 E. 5a; Urteil 6B_442/2021 vom 30. September 2021 E. 3.1). Das Rechtsmittel der Revision steht nicht zur Verfügung, um rechtskräftige Entscheide immer wieder infrage zu stellen, frühere prozessuale Versäumnisse zu beheben oder um Tatsachen vorzubringen, die im ursprünglichen Verfahren aufgrund von Nachlässigkeiten nicht vorgebracht worden waren (vgl. BGE 130 IV 72 E. 2.2; 127 I 133 E. 6; 125 IV 298 E. 2b).  
Ob eine Tatsache (zum Begriff BGE 141 IV 93 E. 2.3) oder ein Beweismittel neu und geeignet ist, die tatsächlichen Grundlagen des zu revidierenden Urteils zu erschüttern, stellt eine Tatfrage dar, die das Bundesgericht nur auf Willkür überprüft (vgl. BGE 130 IV 72 E. 1; Urteil 6B_1101/2021 vom 25. August 2022 E. 2.3; 6B_763/2021 vom 15. September 2021 E. 3; 6B_22/2018 vom 15. März 2018 E. 2; zum Begriff der Willkür und zu den qualifizierten Begründungsanforderungen gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG siehe BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 114 E. 2.1; 141 I 49 E. 3.4). 
 
2.4. Zu Recht ist die Vorinstanz auf das Revisionsgesuch eingetreten. Dieses war materiell zu behandeln, da es sich auf grundsätzlich beweistaugliche Tatsachen bezog, die nicht schon dem ersten Anschein nach revisionsunerheblich sind (vgl. Art. 412 Abs. 2 StPO; BGE 143 IV 122 E. 3.5; Urteil 6B_1451/2019 vom 11. Juni 2020 E. 2.5). Der angerufene Revisionsgrund von Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO ist gegeben, wenn ein Zeuge oder eine Auskunftsperson eingesteht, einen Verurteilten zu Unrecht belastet zu haben.  
Der Beschwerdeführer verkennt, dass sich die Vorinstanz sehr wohl mit dem Vorbringen auseinandergesetzt hat, es habe bei seinem ursprünglichen Urteil nicht von den Aussagen von D.________ gewusst, weshalb ein Revisionsgrund vorliege. Sie legt namentlich in der erforderlichen Begründungsdichte nachvollziehbar dar, weshalb die Aussage von D.________ für seine Verurteilung nicht massgeblich war. Daran vermag von vornherein der Umstand nichts zu ändern, dass eine Aussage von D.________ in einem späteren Strafverfahren am 7. März 2016 nicht im Urteil vom 4. Dezember 2015 Berücksichtigung gefunden haben kann. 
Soweit der Beschwerdeführer vor Bundesgericht dasselbe vorträgt wie schon im vorinstanzlichen Verfahren (vgl. nur die Zusammenfassung seiner Vorbringen im angefochtenen Urteil E. 9 S. 3 f.) und sich nicht mit dem vorinstanzlichen Urteil auseinandersetzt, ist auf seine Beschwerde nicht einzutreten ( vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG), zumal die Begründungsanforderungen gleichsam auf die Eingabe eines Laien Anwendung finden (Urteil 6B_1046/2021 vom 2. August 2022 E. 2.2.1 in fine). 
Nicht zu hören ist die nachgeschobene Begründung des Beschwerdeführers, er habe von E.________ erfahren, dass D.________ und A.C.________ ihn "reingelegt" hätten. Er hätte dies bereits vor Vorinstanz vorbringen können und müssen. Dieses Novum ist unzulässig, zumal der Beschwerdeführer nicht darlegt, weshalb die Voraussetzungen für dessen Zulassung vorliegend erfüllt sein sollen (vgl. Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 139 III 120 E. 3.1.2; 133 III 393 E. 3). 
 
3.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Dem Beschwerdeführer sind die Kosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist infolge Aussichtslosigkeit der Beschwerde abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist bei der Festsetzung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
Mit dem Urteil in der Sache wird im Übrigen das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 5. Oktober 2022 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Der Gerichtsschreiber: Clément