2C_1002/2022 16.08.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
2C_1002/2022  
 
 
Urteil vom 16. August 2023  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin, 
Bundesrichter Donzallaz, Bundesrichterin Ryter, 
Gerichtsschreiberin Wortha. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwältin Ursula Weber, 
 
gegen  
 
Migrationsamt des Kantons Zürich, 
Berninastrasse 45, 8090 Zürich, 
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich, 
Neumühlequai 10, 8090 Zürich. 
 
Gegenstand 
Aufenthaltsbewilligung (Wiedererwägung), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts 
des Kantons Zürich, 2. Abteilung, vom 19. Oktober 2022 
(VB.2022.00484). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. A.________ (geb. 1981) ist Staatsangehöriger von Kenia. 1992 kam er im Rahmen des Familiennachzugs zu seiner Mutter in die Schweiz und erhielt eine Niederlassungsbewilligung für den Kanton Zürich. 2013 wurde er wegen Brandstiftung und mehrfacher sexueller Handlungen mit Kindern zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt, wobei der Vollzug der Strafe zugunsten einer stationären Massnahme zur Behandlung seiner psychischen Störungen aufgeschoben wurde.  
 
A.b. Am 5. Dezember 2014 widerrief das Migrationsamt des Kantons Zürich die Niederlassungsbewilligung infolge Straffälligkeit und ordnete an, er habe die Schweiz unverzüglich nach Entlassung aus der stationären Massnahme zu verlassen. Die Wegweisungsverfügung ist rechtskräftig, die dagegen erhobenen Rechtsmittel waren erfolglos. Am 20. September 2017 wurde A.________ aus der stationären Massnahme entlassen.  
 
B.  
Am 9. März 2022 stellte A.________ ein Wiedererwägungsgesuch betreffend die Wegweisungsverfügung vom 5. Dezember 2014 und beantragte die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Das Migrationsamt trat auf das Gesuch am 11. März 2022 nicht ein. Die dagegen erhobenen Rechtsmittel blieben erfolglos (Rekursentscheid der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich vom 16. Juni 2022; Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 19. Oktober 2022). 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 8. Dezember 2022 gelangt A.________ (nachfolgend Beschwerdeführer) an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und die Rückweisung zur Neubeurteilung. In prozessualer Hinsicht stellt er ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und -verbeiständung durch Rechtsanwältin Ursula Weber. 
Es wurden keine Instruktionsmassnahmen angeordnet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ausgeschlossen gegen Entscheide, welche Bewilligungen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumt, oder Abweichungen von den Zulassungsvoraussetzungen betreffen (Art. 83 lit. c Ziff. 2 und Ziff. 5 BGG).  
Für das Eintreten genügt, wenn der Betroffene in vertretbarer Weise dartun kann, dass ein potenzieller Anspruch auf die beantragte Bewilligung besteht (vgl. BGE 137 I 305 E. 2.5; 136 II 177 E. 1.1). Ist die Zulässigkeit eines Rechtsmittels zweifelhaft, umfasst die Begründungspflicht gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG grundsätzlich auch die Eintretensvoraussetzungen (vgl. BGE 134 II 45 E. 2.2.3; 133 II 249 E. 1.1; Urteil 2C_682/2021 vom 3. November 2021 E. 1.1). 
 
1.2. Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens war der Nichteintretensentscheid auf das Gesuch um Wiedererwägung der Wegweisungsverfügung vom 5. Dezember 2014 und das Gesuch um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Der Beschwerdeführer leitet einen Bewilligungsanspruch aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ab, da er seit mehr als 30 Jahren in der Schweiz lebe.  
 
1.3. Rechtsprechungsgemäss kann sich eine Person nach zehnjährigem rechtmässigen Aufenthalt auf einen Aufenthaltsanspruch aus Art. 8 Abs. 1 EMRK (Achtung des Privatlebens) stützen. Das Bundesgericht betonte, nach zehnjährigem rechtmässigen Aufenthalt könne ein potenzieller Bewilligungsanspruch gestützt auf das Recht auf Achtung des Privatlebens, wie er in BGE 144 I 266 umschrieben wurde, angenommen werden, wenn es um die Verlängerung oder Erneuerung des Aufenthaltstitels geht. Ausgenommen sind jene Fälle, in denen es um die Neuerteilung des Aufenthaltstitels geht, namentlich nachdem ein Ausländer ohne Aufenthaltsrecht in der Schweiz gelebt oder sich geweigert hat, das Land zu verlassen, obwohl seine Bewilligung rechtskräftig widerrufen oder nicht verlängert worden ist (BGE 149 I 72 E. 2.1.3). Das Bundesgericht hat kürzlich präzisiert, dass in solchen Situationen lediglich die in BGE 144 I 266 aufgestellte Vermutung, nach zehnjährigem Aufenthalt bestünden genügend enge Bindungen zum Land, nicht greife. Hingegen ist es auch nach dem definitiven Verlust des Aufenthaltstitels und nachdem der Betroffene untergetaucht ist, möglich, sich auf das Recht auf Achtung des Privatlebens gemäss Art. 8 Abs. 1 EMRK zu berufen. Dies setzt allerdings eine besonders ausgeprägte Integration voraus (Urteil 2C_734/2022 vom 3. Mai 2023 E. 5.3, zur Publikation vorgesehen).  
 
1.4. Die Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers wurde rechtskräftig widerrufen und die Wegweisung nach Entlassung aus der stationären Massnahme angeordnet. Er kann daher aus seiner bis 2014 legalen Anwesenheit keinen Aufenthaltsanspruch gestützt auf Art. 8 Abs. 1 EMRK ableiten, da dieser Aufenthalt (rechtskräftig) beendet wurde und die Dauer nicht anzurechnen ist. Seit seiner Entlassung aus der stationären Massnahme am 20. September 2017 hält er sich illegal im Land auf. Daraus kann er nichts zu seinen Gunsten ableiten. Dass in seinem Fall eine besonders ausgeprägte Integration vorliege, die - trotz der unter zehnjährigen legalen Anwesenheitsdauer - ausnahmsweise einen Bewilligungsanspruch begründen könnte, legt der Beschwerdeführer nicht ansatzweise dar und entsprechende Hinweise sind auch nicht ersichtlich.  
 
1.5. Ein anderweitiger potenzieller Bewilligungsanspruch, namentlich gestützt auf das Recht auf Achtung des Familienlebens, ist ebenso wenig ersichtlich und wird nicht in vertretbarer Weise geltend gemacht (vgl. BGE 139 I 330 E. 1.1; 136 II 177 E. 1.1).  
 
1.6. Im Ergebnis tut der Beschwerdeführer nicht in vertretbarer Weise dar, inwiefern er einen potenziellen Bewilligungsanspruch habe und ein solcher ist auch nicht offensichtlich. Folglich ist das Rechtsmittel als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unzulässig.  
 
2.  
Auf die Eingabe kann auch nicht als subsidiäre Verfassungsbeschwerde (Art. 113 ff. BGG) eingetreten werden. Mangels Aufenthaltsanspruchs in der Schweiz sind in diesem Rahmen ausschliesslich Rügen bezüglich verfahrensrechtlicher Punkte zulässig, deren Verletzung einer formellen Rechtsverweigerung gleichkommt und die das Gericht von der Bewilligungsfrage getrennt beurteilen kann ("Star"-Praxis; vgl. BGE 141 IV 1 E. 1.1; 137 II 305 E. 2). Solche bringt der Beschwerdeführer nicht vor. 
Mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde könnte sich der Beschwerdeführer zudem gegen den kantonalen Wegweisungsentscheid bzw. das Verneinen von Vollzugshindernissen durch die kantonalen Behörden wehren. Dies gilt indessen nur, wenn sich seine Beschwerde in vertretbarer Weise auf besondere verfassungsmässige Rechte stützt (Schutz des Lebens [Art. 2 EMRK/Art. 10 Abs. 1 BV]; Verbot jeder Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung [Art. 3 EMRK/Art. 10 Abs. 3 BV und Art. 25 Abs. 3 BV], Non-Refoulement [Art. 25 Abs. 2 BV] usw.; BGE 137 II 305 E. 3.3; Urteil 2C_658/2021 vom 3. März 2022 E. 1.2). Solche macht der Beschwerdeführer aber ebenfalls nicht geltend. 
 
3.  
Das gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird zufolge Aussichtslosigkeit der Beschwerde abgewiesen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Der Beschwerdeführer trägt die umständehalber reduzierten Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). Es sind keine Parteientschädigungen geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 2. Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 16. August 2023 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin 
 
Die Gerichtsschreiberin: A. Wortha