9C_280/2023 29.06.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_280/2023  
 
 
Urteil vom 29. Juni 2023  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, 
Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiber Nabold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Tomas Poledna, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Alters- und Hinterlassenenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 28. Februar 2023 (AK.2023.00001). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Verfügung vom 26. November 2021 verpflichtete die Ausgleichskasse des Kantons Zürich A.________ als ehemaliges Organ der konkursiten B.________ AG zur Zahlung von Fr. 272'752.15 als Schadenersatz für Sozialversicherungsbeiträge, die in Folge der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft nicht mehr erhoben werden konnten. Auf eine am 31. März 2022 gegen diese Verfügung erhobene Einsprache trat die Ausgleichskasse mit Einspracheentscheid vom 11. Oktober 2022 nicht ein. 
 
B.  
Eine am 14. Dezember 2022 zu Handen der Ausgleichskasse der Post übergebenen Eingabe des A.________ interpretierte diese als Beschwerde und leitete sie an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich weiter. Nachdem dieses dem Beschwerdeführer Gelegenheit geboten hatte, sich zur Frage der Rechtzeitigkeit der Beschwerde vernehmen zu lassen, trat es mit Beschluss vom 28. Februar 2023 nicht auf die Beschwerde ein, da diese verspätet erhoben worden sei. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, das kantonale Gericht sei unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zu verpflichten, auf die Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 11. Oktober 2022 einzutreten. Im Sinne einer vorsorglichen Massnahme sei die Beschwerdegegnerin zudem anzuweisen, während des Verfahrens auf eine Vollstreckung der Schadenersatzforderung zu verzichten. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Vor Bundesgericht kann der Streitgegenstand gegenüber dem vorinstanzlichen Verfahren weder geändert noch erweitert werden (Art. 99 Abs. 2 BGG). Ficht die beschwerdeführende Partei einen Nichteintretensentscheid oder einen Rechtsmittelentscheid an, der einen solchen bestätigt, haben sich ihre Rechtsbegehren und deren Begründung zwingend auf die vorinstanzlichen Erwägungen zu beziehen, die zum Nichteintreten bzw. zur Bestätigung des Nichteintretens geführt haben (Art. 42 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht prüft in einem solchen Fall nur, ob die betreffende Instanz zu Recht auf das Rechtsmittel nicht eingetreten ist. Ist dies zu bejahen, entscheidet es reformatorisch und bestätigt den Nichteintretensentscheid. Andernfalls urteilt es kassatorisch, weist die Sache an die Vorinstanz zurück und sieht von einer Beurteilung in der Sache selbst ab (Urteil 2C_694/2017 vom 13. Februar 2018 E. 1.3).  
 
1.2. Die Voraussetzungen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten sind gegeben (Art. 82 lit. a, Art. 83 e contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2, Art. 89 Abs. 1, Art. 90 und Art. 100 Abs. 1 BGG), insbesondere übersteigt der Streitwert die massgebliche Grenze von Fr. 30'000.- (Art. 85 Abs. 1 lit. a BGG; vgl. BGE 137 V 51 E. 4.3). Auf die Beschwerde ist somit einzutreten.  
 
1.3. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
1.4. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen gemäss Art. 99 Abs. 1 BGG im bundesgerichtlichen Verfahren nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt. Neue Begehren sind nach Art. 99 Abs. 2 BGG unzulässig.  
 
2.  
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, als es mit der Begründung, das Rechtsmittel sei verspätet erhoben worden, nicht auf die Beschwerde eintrat. 
 
3.  
 
3.1. Gegen Einspracheentscheide oder Verfügungen, gegen welche eine Einsprache ausgeschlossen ist, kann nach Art. 56 Abs. 1 ATSG Beschwerde erhoben werden. Die Beschwerde ist gemäss Art. 60 Abs. 1 ATSG innerhalb von 30 Tagen nach der Eröffnung des Einspracheentscheides oder der Verfügung, gegen welche eine Einsprache ausgeschlossen ist, einzureichen.  
 
3.2. Wird der Adressat einer eingeschriebenen Briefpostsendung oder Gerichtsurkunde nicht angetroffen und eine Abholungseinladung in seinen Briefkasten gelegt, wird die Sendung in jenem Zeitpunkt als zugestellt betrachtet, in welchem sie auf der Poststelle abgeholt wird. Geschieht dies nicht innert der siebentägigen Frist, wird angenommen, dass die Sendung am letzten Tag dieser Frist zugestellt wurde (Zustellfiktion). Dies gilt nur, sofern der Adressat mit der Zustellung rechnen musste (BGE 134 V 49 E. 4; 127 I 31 E. 2a/aa; 123 III 492 E. 1 S.; 115 Ia 12 E. 3a). Nach der Rechtsprechung tritt die Zustellfiktion immer sieben Tage nach dem erfolglosen Zustellungsversuch ein und markiert den Beginn der Rechtsmittelfrist, zu deren Berechnung unerheblich ist, ob sie an einem Werktag oder Samstag oder anerkannten Feiertag beginnt (BGE 127 I 31 E. 2b).  
 
3.3. Der Beweis der Tatsache und des Datums der Zustellung von Verfügungen und Entscheiden obliegt den Behörden (BGE 124 V 400 E. 2a). Bedienen sie sich dabei der Post und ist - infolge Unmöglichkeit der direkten Übergabe - eine Abholungseinladung auszustellen, gilt rechtsprechungsgemäss die Vermutung, dass das Postpersonal die nach einem ersten erfolglosen Zustellungsversuch auszustellende Abholungseinladung ordnungsgemäss in den Briefkasten oder das des Empfängers gelegt hat und das Zustellungsdatum korrekt registriert worden ist (vgl. auch Urteil 1C_131/2020 vom 17. Dezember 2020 E. 1.2). Der Adressat kann indessen diese Vermutung durch Nachweis von Fehlern in der Zustellung nach dem Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit widerlegen (Urteile 2C_38/2009 vom 5. Juni 2009 E. 3.2 und 4.1 sowie 9C_753/2007 vom 29. August 2008 E. 3, je mit Hinweisen). Behauptet ein Adressat ohne weitere Darlegungen, keine Abholungseinladung erhalten zu haben, so genügt dies nicht, um die Vermutung mit dem geforderten Beweismass zu widerlegen (vgl. Urteil 8C_374/2014 vom 13. August 2014 E. 3.2).  
 
4.  
 
4.1. Das kantonale Gericht hat im Wesentlichen erwogen, gemäss der Sendungsverfolgung der Post sei dem Beschwerdeführer die Abholungseinladung für den Einspracheentscheid vom 11. Oktober 2022 am 12. Oktober 2022 zugestellt worden. Der Beschwerdeführer habe am 31. März 2022 bei der Ausgleichskasse Einsprache gegen eine Verfügung erhoben. Damit habe er im Herbst 2022 mit der Zustellung einer eingeschriebenen Sendung rechnen müssen. Er habe im Weiteren zwar bestritten, die Abholungseinladung erhalten zu haben, jedoch nichts vorgebracht, was die Vermutung der korrekten Arbeitsweise der Post widerlegen konnte. Die am 14. Dezember 2022 der Post übergebene Beschwerde sei daher verspätet.  
 
4.2. Was der Beschwerdeführer gegen die vorinstanzlichen Erwägungen vorbringt, vermag diese nicht als bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen. Es mag zwar zutreffen, dass er nicht damit gerechnet hat, dass die Ausgleichskasse nicht auf seine Einsprache eintreten wird. Er musste sich aber auch als juristischer Laie durchaus bewusst sein, dass die Kasse ihm früher oder später einen Entscheid, und sei es einen gutheissenden, zustellen wird. Soweit er im letztinstanzlichen Verfahren erstmals geltend macht, die Abholungseinladung sei vom Briefträger irrtümlich in den Briefkasten des Nachbars eingelegt und von diesem - ohne ihn als Empfänger zu informieren - vernichtet worden, stellt dies mit Blick auf Art. 99 BGG eine unzulässige neue Tatsachenbehauptung dar. Diese ist entgegen seinen Ausführungen nicht im Sinne von Art. 99 Abs. 1 BGG erst durch den vorinstanzlichen Entscheid veranlasst, hatte ihn doch das kantonale Gericht vorgängig ausdrücklich aufgefordert, zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde Stellung zu nehmen. Anzumerken ist im Übrigen, dass ausweislich der Akten die Ausgleichskasse ihm den Einspracheentscheid am 28. Oktober 2022 noch einmal per A-Post zugesandt hat und er diese zweite Sendung unbestrittenermassen erhalten hat. Selbst wenn man die Rechtsmittelfrist zu seinen Gunsten erst ab dem mutmasslichen Zeitpunkt dieser zweiten Zustellung berechnen würde, so wäre die am 14. Dezember 2022 der Post übergebene Beschwerde offensichtlich verspätet. Das kantonale Gericht hat demnach kein Bundesrecht verletzt, als es auf die Beschwerde nicht eingetreten ist; die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen diesen Nichteintretensbeschluss ist somit abzuweisen.  
 
5.  
 
5.1. Mit diesem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um vorsorgliche Massnahmen gegenstandslos.  
 
5.2. Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 29. Juni 2023 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Der Gerichtsschreiber: Nabold