5A_217/2023 17.05.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5A_217/2023  
 
 
Urteil vom 17. Mai 2023  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Herrmann, Präsident, 
Bundesrichter Schöbi, 
Bundesrichterin De Rossa, 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Lienert, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Dünner, 
 
Beschwerdegegner, 
 
C.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Veronika Imthurn. 
 
Gegenstand 
Vollzug einer gerichtlichen Massnahme, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 6. Februar 2023 (KES.2023.2). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die rubrizierten Parteien sind die nicht verheirateten Eltern der 2013 geborenen C.________, die nach Auflösung des gemeinsamen Haushaltes bei der Mutter blieb. Der Vater sah die Tochter in der Folge jedes zweite Wochenende und holte sie ausserdem dienstags und donnerstags von der Kindertagesstätte ab. 
 
B.  
Mitte November 2017 ersuchte die Mutter die KESB Frauenfeld um sofortige Sistierung des Besuchsrechts. Im Zuge einer Besuchsrechtsmediation fanden die Besuchskontakte wieder statt und ab Juli 2018 verbrachte C.________ jedes zweite Wochenende von Freitagabend bis Sonntagabend beim Vater. Im Sommer 2019 verschlechterte sich die Situation zwischen den Eltern wieder und beide Elternteile gelangten im Herbst 2019 an die KESB; die Mutter verlangte eine Sistierung des Besuchsrechts und eine Therapierung der Tochter, der Vater verlangte die Umsetzung des Besuchsrechts. Unter Anleitung der Behörde konnte im Dezember 2019 ein begleiteter Besuchskontakt stattfinden; zu weiteren Besuchen kam es nicht mehr. 
Im Rahmen einer beim Bezirksgericht Frauenfeld anhängigen Unterhaltsklage verständigten sich die Eltern am 6. Juli 2021 mit gerichtlich genehmigter Vereinbarung auf ein neues Besuchsrecht; zudem wurde eine Beistandschaft nach Art. 308 Abs. 1 und 2 BGG errichtet. Im Anschluss konnte das Besuchsrecht aber nicht umgesetzt werden. 
In der Folgezeit kam es zu verschiedenen unabgesprochenen Schulwechseln und die Mutter beabsichtigte nach der Kündigung des Schulverhältnisses per Ende Oktober 2021 ein Homeschooling. Darauf ordnete die KESB Frauenfeld ein Erziehungsfähigkeitsgutachten an. Seitens der Schule ging eine Gefährdungsmeldung ein. Im Bericht vom 2. März 2022 betreffend Schulabsentismus diagnostizierte der KJPD bei C.________ u.a. eine emotionale Störung mit Trennungsangst und eine Störung mit sozialer Ängstlichkeit. Am 22. März 2022 zog die Mutter mit der Tochter vom Kanton Thurgau in den Kanton Solothurn. Nach Abklärungen und Schriftenwechsel entzog das Bezirksgericht Frauenfeld der Mutter mit Urteil vom 7. Juli 2022 vorläufig die Obhut und das Aufenthaltsbestimmungsrecht über C.________ und diese wurde am 16. August 2022 in einer sozialpädagogischen Pflegefamilie und Lebensgemeinschaft untergebracht. 
In einem parallel vor der KESB Frauenfeld hängigen Verfahren, in welchem der Vater um Erteilung der alleinigen Sorge und Obhut ersucht hatte und am 15. Juli 2022 ein kinder- und jugendpsychiatrisches sowie familienpsychologisches Gutachten erstattet worden war, entzog die KESB mit Entscheid vom 7. Oktober 2022 beiden Elternteilen das Aufenthaltsbestimmungsrecht über C.________ und brachte diese vorsorglich in einer sozialpädagogischen Pflegefamilie unter. 
 
C.  
Die Mutter legte gegen beide Entscheide Rechtsmittel beim Obergericht des Kantons Thurgau ein, ebenso die Kindesvertreterin gegen denjenigen der KESB. Im Rahmen eines über 50-seitigen Urteils vom 30. November 2022 erachtete es das Obergericht als vertretbar, C.________ unter Installation eines engmaschigen Settings in die Obhut der Mutter zurückzugeben; es vereinigte die beiden Rechtsmittelverfahren, hob den Entscheid des Bezirksgerichts in Gutheissung der diesbezüglichen mütterlichen Beschwerde auf und schützte die Beschwerden der Kindesvertreterin sowie der Mutter gegen denjenigen der KESB teilweise, soweit nicht gegenstandslos, u.a. unter Regelung des Besuchsrechts des Vaters, Anweisungen an die Mutter sowie Bestätigung der Beistandschaft für C.________ und Umschreibung des Aufgabenkreises der Beiständin. Auf die gegen dieses Urteil erhobene Beschwerde trat das Bundesgericht mit Urteil 5A_1/2023 vom 1. März 2023 nicht ein. 
 
D.  
Im Sinn eines Vollzugsentscheides vom 7. Dezember 2022 setzte die KESB Frauenfeld das obergerichtliche Urteil vom 30. November 2022 um; einer allfälligen Beschwerde entzog sie die aufschiebende Wirkung. Gegen diesen Entscheid erhob die Mutter wiederum Beschwerde, welche das Obergericht des Thurgau mit Urteil vom 6. Februar 2023 abwies, soweit es darauf eintrat. 
 
E.  
Mit auf den 15. März 2023 datierter Beschwerde (Erfassung durch die Post am 17. März 2023) gelangt die Mutter an das Bundesgericht. Sie stellt Begehren um Aufhebung des obergerichtlichen Entscheides, um Rückweisung der Sache an das Obergericht sowie um Anordnung eines zweiten Schriftenwechsels. Mit weiterer Eingabe (auf den 17. März 2023 datiert und von der Post am 18. März 2023 erfasst) äussert sie sich zur Fristeinhaltung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Weil die Angelegenheit sofort spruchreif ist, wurden keine Vernehmlassungen eingeholt; entsprechend ist der Antrag auf Durchführung eines zweiten Schriftenwechsels gegenstandslos. 
 
2.  
Das angefochtene Urteil wurde dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin - wie dieser in der Beschwerde selbst festhält und wie sich auch aus dem Zustellnachweis ergibt - am 14. Februar 2023 zugestellt. Die 30-tägige Beschwerdefrist (Art. 100 Abs. 1 BGG) begann somit am 15. Februar 2023 zu laufen (Art. 44 Abs. 1 BGG) und endete am 16. März 2023. Die Beschwerde ist zwar auf den 15. März 2023 datiert, aber das Einschreiben wurde von der Post erst mit Datum vom 17. März 2023 erfasst. 
Mit weiterer Eingabe erklärt die Beschwerdeführerin bzw. ihr Rechtsvertreter dies - unter Vorlage einer Erklärung zweier Zeugen vom 16. März 2023 sowie von Mailkorrespondenz mit der Post - damit, dass am Abend des 16. März 2023 weder bei der Sihlpost noch am Kreuzplatz noch in Zollikon eine Postaufgabe möglich gewesen sei, weil ein Systemausfall (Post-Service-Release) stattgefunden habe; die physische Übergabe sei um 21:40 Uhr erfolgt. 
Angesichts der Erklärung der beiden Zeugen und der Bestätigung seitens der Post kann von einem Einwurf am 16. März 2023 spätabends ausgegangen und die Frist als gewahrt erachtet werden. 
 
3.  
Das vorliegend angefochtene obergerichtliche Urteil vom 6. Februar 2023 betrifft einen Vollzugsentscheid der KESB Frauenfeld vom 7. Dezember 2022, mit welchem die im Urteil vom 30. November 2022 erfolgten Anordnungen umgesetzt wurden. Weil jenes Urteil vorsorgliche Massnahmen betraf (vgl. Urteil 5A_1/2023 vom 1. März 2023 E. 1), kommen auch im Zusammenhang mit der Anfechtung des vorliegenden Urteils die Einschränkungen von Art. 98 BGG zum Tragen (Urteile 5A_547/2007 vom 19. Dezember 2007 E. 2; 5A_627/2007 vom 28. Februar 2008 E. 1; 5A_1000/2019 vom 25. März 2020 E. 2.1; 5A_1049/2020 vom 28. Mai 2021 E. 1.4). Es können mithin nur Verfassungsrügen erhoben werden und es gilt hierfür das strenge Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG); das heisst, dass das Bundesgericht nur klar und detailliert erhobene und soweit möglich belegte Rügen prüft, während es auf ungenügend begründete Rügen und appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid nicht eintritt (BGE 134 II 244 E. 2.2; 142 III 364 E. 2.4) 
 
4.  
Das Obergericht hat erwogen, die beschwerdeweise erfolgende Kritik betreffe zu einem grossen Teil nicht den Gegenstand des angefochtenen KESB-Entscheides vom 7. Dezember 2022. Im Übrigen fehle es an einem schutzwürdigen Interesse an der Beschwerdeführung, weil der KESB-Entscheid der Umsetzung des obergerichtlichen Urteils vom 30. November 2022 gedient habe und er lediglich die obergerichtlichen Anordnungen wiederhole und in zwei Punkten ergänze, welche sich aber ohnehin aus dem Gesetz ergeben würden und durch welche die Beschwerdeführerin nicht belastet sei (Beiständin habe bei veränderten Tatsachen einen Antrag auf Abänderung zu stellen; Beiständin habe alle zwei Jahre einen Bericht einzureichen). Sodann gehe die Kritik, trotz Anfechtung des obergerichtlichen Urteils vom 30. November 2022 beim Bundesgericht sei nicht mit der Umsetzung zugewartet worden, an der Sache vorbei, weil dem betreffenden Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung zugekommen (Art. 103 Abs. 1 BGG) und der obergerichtliche Entscheid in Rechtskraft erwachsen sei (BGE 146 III 284 E. 2.3.4). Wenn schliesslich die KESB im umsetzenden Vollzugsentscheid einer erneuten Beschwerde die aufschiebende Wirkung entzogen habe, sei dies erklärtermassen mit dem Ziel erfolgt, die Rückführung des Kindes zur Mutter möglichst zeitnah zu ermöglichen. 
 
5.  
Der grösste Teil der Beschwerde besteht aus einer Schelte in Bezug auf frühere Verfahren bzw. Verfahrenshandlungen und Entscheide (das Kind sei am 16. August 2022 von einer Frau, die wohl der KESB angehört habe, unter Angst und Geschrei vom Pausenplatz gezerrt worden; die Exekution sei von einer CVP-Richterin des Kantons Thurgau in unverhältnismässigem Rahmen durchgeführt worden; das Kind sei aus einem funktionierenden Umfeld verschleppt und traumatisiert worden; der angerichtete Schaden werde von der KESB und den Gerichtsbehörden systematisch verschleiert; die Beschwerdeführerin sei am 6. Juli 2021 nicht vertreten gewesen und zusammen mit dem Kind vom Bezirksgericht übervorteilt worden; es sei nie über ein Verfahren zum Besuchsrecht informiert und aufgeklärt worden; das fallführende KESB-Mitglied und der gegnerische Anwalt hätten hinter dem Rücken der Beschwerdeführerin Absprachen getroffen; es sei eine nicht mehr angestellte Beiständin bestätigt und damit eine unbekannte Person eingeschleust worden; die Beiständin habe bei der Rückführung des Kindes gar nicht zugegen sein können, weil ihre Arbeitstätigkeit abgelaufen gewesen sei, und es bestehe der dringende Verdacht, dass der Sachverhalt amtsmissbräuchlich verfälscht worden sei; das Ergänzungsgutachten sei nicht abgewartet worden; es sei stets zum Nachteil des Kindes und zuungunsten der Beschwerdeführerin entschieden worden, obwohl der Vater nie fürsorglich gewesen sei). All diese Kritik, welche im Übrigen fast durchwegs in appellatorischer und damit prozessual ungenügender Weise vorgetragen wird, betrifft nicht den umsetzenden Vollzugsentscheid der KESB bzw. den durch das obergerichtliche Urteil vom 6. Februar 2023 umschriebenen Anfechtungsgegenstand; im Übrigen ist das Bundesgericht auch keine Aufsichtsbehörde über kantonale Instanzen, bei welchem Anzeigen über allgemeine Missstände deponiert werden könnten. 
 
6.  
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK sowie von Art. 6 und 9 BV, weil beim obergerichtlichen Urteil vom 6. Februar 2023 der Spruchkörper (inkl. Gerichtsschreiberin) bis auf ein Mitglied mit demjenigen des Urteils vom 30. November 2022 identisch gewesen sei; mithin habe ein weitgehend gleicher Spruchkörper das eigene Urteil überarbeitet und das Gericht sei deshalb nicht neutral gewesen. 
Sinngemäss wird damit eine Befangenheit von zwei der am Entscheid vom 6. Februar 2023 mitwirkenden Obergerichtsmitglieder und der Gerichtsschreiberin geltend gemacht. Das Vorbringen scheitert jedoch bereits daran, dass keine Ausstandsbegehren gestellt werden (Art. 42 Abs. 1 BGG). Ohnehin wäre aber kein Ausstandsgrund zu sehen, denn ein Richter ist nicht allein deshalb befangen, weil er in einem früheren Verfahren zwischen den gleichen Parteien geurteilt hat (BGE 129 III 445 E. 4.2.2.2; 143 IV 69 E. 3; für das bundesgerichtliche Verfahren ausdrücklich Art. 34 Abs. 2 BGG). 
Soweit anschliessend moniert wird, mit dem Urteil vom 30. November 2023 hätten nicht gleichzeitig zwei verschiedene erstinstanzliche Verfahren bzw. Entscheide (Bezirksgericht und KESB) beurteilt werden dürfen und das Urteil könne deshalb nicht rechtsgültig sein, betrifft dies nicht das vorliegend angefochtene Urteil, sondern jenes, das Gegenstand des bundesgerichtlichen Urteils 5A_1/2023 vom 1. März 2023 war. 
Ebenso wenig ist auf die abschliessende Polemik und die allgemeinen Vorwürfe einzutreten, zumal es bei appellatorischen Ausführungen bleibt und an Verfassungsrügen fehlt (der Spruchkörper habe sich in juristischem Geplänkel und in Floskeln verloren und den Blick auf das Kind verloren, indem von den wesentlichen Problemen abgelenkt werde; es hätte kein Regelungsvakuum gegeben und auch die Vorentscheide der KESB nicht gebraucht; es stelle sich die Frage, wie die Beschwerdeführerin all die Kosten bezahlen solle, auch hier hätten die Behörden versagt; es sei unerklärlich, wie ein Urteil vom 8. Februar 2023 bereits am 6. Februar 2023 habe verschickt werden können, da bestehe Verdacht auf Urkundenfälschung). 
 
7.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit überhaupt auf sie einzutreten ist. Bei diesem Verfahrensausgang sind die Kosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, der Kindesvertreterin und dem Obergericht des Kantons Thurgau mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 17. Mai 2023 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Herrmann 
 
Der Gerichtsschreiber: Möckli