7B_304/2023 06.05.2024
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_304/2023  
 
 
Urteil vom 6. Mai 2023  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Hurni, Kölz, 
Gerichtsschreiber Stadler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Abteilung 2 Emmen, 
Rüeggisingerstrasse 29, 6020 Emmenbrücke, 
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Postfach 3439, 6002 Luzern, 
 
B.________, 
 
Gegenstand 
Wechsel der amtlichen Verteidigung, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Kantonsgerichts Luzern, 1. Abteilung, vom 19. April 2023 (2N 23 12). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
In einem Strafverfahren der Staatsanwaltschaft Abteilung 2 Emmen wegen mehrfacher Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, mehrfachen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung, Verleumdung und übler Nachrede erhob der Beschuldigte A.________ am 3. Februar 2023 Einsprache gegen den Strafbefehl vom 24. Januar 2023. Am 6. Februar 2023 erhob auch der Privatkläger C.________ Einsprache, womit er die Fortsetzung der Untersuchung gegen A.________ beantragte; zudem erhob er je eine Beschwerde gegen den erwähnten Strafbefehl und gegen eine Teileinstellungsverfügung vom 23. Januar 2023 an das Kantonsgericht Luzern. 
 
B.  
Mit Verfügung vom 25. Januar 2023 wies die Staatsanwaltschaft die von A.________ verlangte Entlassung seines amtlichen Verteidigers, Rechtsanwalt B.________, ab. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Kantonsgericht am 19. April 2023 ab, soweit es darauf eintrat. 
 
C.  
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht und beantragt sinngemäss, der Entscheid des Kantonsgerichts vom 19. April 2023 sei aufzuheben und sein Antrag auf Wechsel der amtlichen Verteidigung sei gutzuheissen. Weiter verlangt er, dass ihm "all die involvierten Gegenseiten die beantragten Akten im gesamten Zusammenhang zur Verfügung zu stellen haben", und "die Abweisung jeglicher Anschuldigungen, Strafanzeigen, belastende Akten, von [denen] ich keine Kenntnis besitze, mir verschwiegen wurden". Ausserdem ersucht er sinngemäss um unentgeltliche Rechtspflege. 
Das Kantonsgericht beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. A.________ hat eine Replik eingereicht. Die Staatsanwaltschaft Abteilung 2 Emmen, die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern sowie B.________ haben sich nicht vernehmen lassen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid, mit dem ein Wechsel der amtlichen Verteidigung verweigert wurde. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen grundsätzlich offen (Art. 78 Abs. 1 und Art. 80 Abs. 1 BGG). Gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG ist die Beschwerde gegen einen Zwischenentscheid unter anderem dann zulässig, wenn dieser einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann. Der Beschwerdeführer behauptet sinngemäss, der amtliche Verteidiger habe seine Pflichten erheblich vernachlässigt. Durch die Abweisung seines Gesuchs um Wechsel der amtlichen Verteidigung droht dem Beschwerdeführer deshalb ein nicht wieder gutzumachender Rechtsnachteil im Sinne dieser Bestimmung (vgl. BGE 139 IV 113 E. 1.1; Urteile 7B_141/2022 vom 2. November 2023 E. 1; 1B_479/2022 vom 21. März 2023 E. 1; 1B_115/2021 vom 3. Mai 2021 E. 1.1; je mit Hinweisen). Auf die diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers ist - unter Vorbehalt nachfolgender Ausführungen - grundsätzlich einzutreten.  
 
1.2. Soweit sich der Beschwerdeführer indes zur Strafsache selbst sowie zur Beschlagnahme seiner Gegenstände äussert, ist darauf mangels Erheblichkeit für den vorliegenden Streitgegenstand nicht weiter einzugehen (vgl. Art. 78 Abs. 1 und Art. 80 Abs. 1 BGG).  
 
2.  
 
2.1. Die Verfahrensleitung ordnet eine amtliche Verteidigung an, wenn in Fällen der notwendigen Verteidigung gemäss Art. 130 StPO die beschuldigte Person trotz Aufforderung der Verfahrensleitung keine Wahlverteidigung bestimmt (Art. 132 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 StPO). Die amtliche Verteidigung wird von der im jeweiligen Verfahrensstadium zuständigen Verfahrensleitung bestellt (Art. 133 Abs. 1 StPO). Die Verfahrensleitung berücksichtigt bei der Bestellung der amtlichen Verteidigung nach Möglichkeit die Wünsche der beschuldigten Person (Art. 133 Abs. 2 StPO). Ist das Vertrauensverhältnis zwischen der beschuldigten Person und ihrer amtlichen Verteidigung erheblich gestört oder eine wirksame Verteidigung aus anderen Gründen nicht mehr gewährleistet, so überträgt die Verfahrensleitung die amtliche Verteidigung einer anderen Person (Art. 134 Abs. 2 StPO).  
Die Vorschrift von Art. 134 Abs. 2 StPO trägt dem Umstand Rechnung, dass eine engagierte und effiziente Verteidigung nicht nur bei objektiver Pflichtverletzung der Verteidigung, sondern bereits bei erheblich gestörtem Vertrauensverhältnis beeinträchtigt sein kann. Dahinter steht die Idee, dass eine amtliche Verteidigung in jenen Fällen auszuwechseln ist, in denen auch eine privat verteidigte beschuldigte Person einen Wechsel der Verteidigung vornehmen würde. Wird die subjektive Sichtweise der beschuldigten Person in den Vordergrund gestellt, bedeutet dies aber nicht, dass allein deren Empfinden für einen Wechsel der Rechtsvertretung ausreicht. Vielmehr muss die Störung des Vertrauensverhältnisses mit konkreten Hinweisen belegt und objektiviert werden (BGE 138 IV 161 E. 2.4; Urteil 7B_141/2022 vom 2. November 2023 E. 2). In den Grenzen einer sorgfältigen und effizienten Ausübung des Offizialmandates ist die Wahl der Verteidigungsstrategie grundsätzlich Aufgabe der amtlichen Verteidigung. Zwar hat sie die objektiven Interessen der beschuldigten Person möglichst im gegenseitigen Einvernehmen und in Absprache mit dieser zu wahren. Die amtliche Verteidigung agiert jedoch im Strafprozess nicht als blosses unkritisches "Sprachrohr" ihrer Mandantschaft. Insbesondere liegt es in ihrem pflichtgemässen Ermessen, zu entscheiden, welche Prozessvorkehren und juristischen Standpunkte sie (im Zweifelsfall) als sachgerecht und geboten erachtet (vgl. BGE 126 I 26 E. 4b/aa; 194 E. 3d; 116 Ia 102 E. 4b/bb; Urteile 1B_450/2022 vom 30. Mai 2023 E. 4.2; 1B_479/2022 vom 21. März 2023 E. 2.2; 1B_398/2013 vom 22. Januar 2014 E. 2.1). 
 
2.2. Die Beschwerde an das Bundesgericht ist zu begründen (Art. 42 Abs. 1 BGG). In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 143 I 377 E. 1.2). Die Begründung muss sachbezogen sein und erkennen lassen, dass und weshalb nach Auffassung der beschwerdeführenden Partei Recht verletzt ist (BGE 142 I 99 E. 1.7.1). Die beschwerdeführende Partei kann in der Beschwerdeschrift nicht bloss erneut die Rechtsstandpunkte bekräftigen, die sie im kantonalen Verfahren eingenommen hat, sondern hat mit ihrer Kritik an den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz anzusetzen (BGE 146 IV 297 E. 1.2 mit Hinweisen). Eine qualifizierte Begründungspflicht besteht, soweit die Verletzung von Grundrechten einschliesslich Willkür behauptet wird (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 148 IV 39 E. 2.3.5). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 114 E. 2.1; je mit Hinweisen).  
 
2.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 148 V 366 E. 3.3; 148 IV 409 E. 2.2; 147 IV 73 E. 4.1.2; je mit Hinweisen).  
 
2.4. Die Vorinstanz erwägt im Wesentlichen was folgt:  
Weder aus den glaubhaften Ausführungen des amtlichen Verteidigers in dessen Vernehmlassung noch aus der angefochtenen Verfügung ergebe sich, dass dieser im Untersuchungsverfahren der Staatsanwaltschaft in irgendeiner Weise sozusagen ausgeliefert wäre und sich veranlasst sähe, nach deren Willen bzw. Instruktionen handeln zu müssen. Der Beschwerdeführer habe sich mit der Ernennung von Rechtsanwalt B.________ zu seinem amtlichen Verteidiger einverstanden erklärt. Dieser sei durch die Staatsanwaltschaft gestützt auf Art. 130 f. StPO als amtlicher Verteidiger eingesetzt worden, weshalb er berechtigt bzw. bevollmächtigt sei, den Beschwerdeführer im Strafverfahren amtlich zu verteidigen. Zudem spreche "das vorgängige Nichtkennen bzw. das Nichtkennen-Können des amtlichen Verteidigers" in keiner nachvollziehbaren Weise für eine erhebliche Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem amtlichen Verteidiger und dem Beschwerdeführer. Wie der Vernehmlassung des amtlichen Verteidigers entnommen werden könne, sei dieser im Strafverfahren nicht untätig geblieben. Er zeige nachvollziehbar auf, in welchen rechtlichen Belangen und wie er den Beschwerdeführer beraten, welche Unterlagen (Strafbefehl, Einsprache, Einstellungsverfügungen) er ihm zugestellt sowie welche rechtlichen Vorkehren er getroffen habe. Ferner sei nicht zu beanstanden, dass der amtliche Verteidiger mehrere Fristerstreckungsgesuche gestellt habe. Diese seien offenbar auch darauf zurückzuführen, dass der Beschwerdeführer für eine Besprechung nicht verfügbar gewesen sei. Sollte sich der Beschwerdeführer weigern, mit dem amtlichen Verteidiger sachgerecht zu kooperieren, ergäbe sich daraus kein grundrechtlicher oder bundesgesetzlicher Anspruch des Beschuldigten auf Auswechslung des Verteidigers. Insgesamt bestünden weder subjektive noch objektive Gründe, die einen Verteidigerwechsel nahelegen würden. 
 
2.5. Dem Beschwerdeführer gelingt es nicht, die tatsächlichen Feststellungen als willkürlich oder deren rechtliche Beurteilung als bundesrechtswidrig auszuweisen. Insbesondere kommt er seiner Rüge- und Begründungsobliegenheit nicht nach, wenn er über weite Strecken die vorinstanzlichen Erwägungen pauschal "bestreitet" und seinerseits behauptet, "ein allfälliges Wirken dieses RA B.________" sei ihm "absolut unbekannt". Zur vorinstanzlichen Feststellung etwa, er habe nicht bestritten, dass der amtliche Verteidiger mit ihm betreffend den Strafbefehl telefonischen Kontakt aufgenommen und ihm mit Schreiben vom 13. Februar 2023 die eingereichte Einsprache, den Strafbefehl und die beiden Teileinstellungsverfügungen zugestellt habe, äussert sich der Beschwerdeführer nicht rechtsgenüglich. Sodann ist nicht festgestellt, dass er den amtlichen Verteidiger mehrmals vergebens angeschrieben hätte, ohne eine Antwort darauf zu erhalten. Seine - weitschweifige - Kritik ist unbegründet, soweit sie überhaupt zulässig ist.  
 
2.6. Schliesslich ist nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz den Beschwerdeführer im angefochtenen Entscheid darauf hinweist, dass Verfahrensakten Laien grundsätzlich nicht ausgehändigt bzw. zugestellt würden. Akten sind am Sitz der betreffenden Strafbehörde oder rechtshilfeweise bei einer anderen Strafbehörde einzusehen. Anderen Behörden sowie den Rechtsbeiständen der Parteien werden sie in der Regel zugestellt (Art. 102 Abs. 2 StPO). Will der Beschwerdeführer Einsicht in die (vorinstanzlichen) Verfahrensakten nehmen, hat er bei der Vorinstanz ein entsprechendes Gesuch zu stellen.  
 
3.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Der Beschwerdeführer wird ausgangsgemäss kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist abzuweisen, da die Beschwerde von vornherein aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 BGG e contrario). Seiner finanziellen Lage ist durch eine reduzierte Gerichtsgebühr Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Abteilung 2 Emmen, der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern, B.________ und dem Kantonsgericht Luzern, 1. Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 6. Mai 2023 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Stadler