12T_4/2023 21.11.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
12T_4/2023  
 
Das Schweizerische Bundesgericht vertreten durch die Verwaltungskommission 
 
in Sachen administrative Aufsicht über 
 
das Bundesverwaltungsgericht, Verwaltungskommission, Kreuzackerstrasse 12, 9000 St. Gallen 
 
betreffend 
 
Rechtsverzögerung 
(Aufsichtsanzeige von Frau A.A.________ vom 7. August 2023) 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die minderjährige A.A.________ aus dem Irak reichte gemeinsam mit ihren Eltern am 1. Dezember 2015 in der Schweiz ein Asylgesuch ein. Am 29. November 2018 lehnte das Staatssekretariat für Migration (SEM) das Asylgesuch ab und verfügte die Wegweisung. Gegen diese Verfügung erhob die Familie A.________ am 28. Dezember 2018 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Am 4. Dezember 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ab; die Vorinstanz habe den Wegweisungsvollzug zu Recht als zulässig, zumutbar und möglich bezeichnet. A.A.________ wird in der Folge drei Mal in eine Klinik wegen Suizidgefahr eingewiesen (11. August 2022, 1. September 2022, 15. Juni 2023). Am 2. Oktober 2022 reichte die Familie A.________ ein Wiedererwägungsgesuch beim SEM ein. Am 29. Dezember 2022 erfolgte eine Ablehnungsverfügung durch das SEM. Am 30. Januar 2023 reichte die Familie erneut eine Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht ein.  
 
1.2. Mit Eingabe vom 7. August 2023 reichte die minderjährige A.A.________ beim Bundesgericht Aufsichtsanzeige ein. Sie macht Rechtsverzögerung im Verfahren D-600/2023 geltend und fordert, dass das Beschwerdeverfahren umgehend abgeschlossen werde. Am 26. August 2023 reicht A.A.________ dem Bundesgericht ein weiteres Schreiben ein, in dem sie neue Tatsachen mitteilt. Sie verlangt nicht mehr, dass das Beschwerdeverfahren umgehend abzuschliessen sei, ersucht aber um Feststellung, dass die Prioritätsordnung des Bundesverwaltungsgerichts im vorliegenden Beschwerdeverfahren dysfunktional sei. Verfahren mit Suizidgefahr bei Kindern oder Jugendlichen seien absolut oder hoch prioritär zu behandeln.  
 
1.3. Die Verwaltungskommission lud das Bundesverwaltungsgericht mit Verfügung vom 28. September 2023 zur Stellungnahme ein. Am 26. Oktober 2023 reichte das Bundesverwaltungsgericht diese ein.  
 
2.  
 
2.1. Beim vorliegenden Verfahren handelt es sich um eine Aufsichtsanzeige im Sinne von Art. 1 Abs. 2 des Bundesgerichtsgesetzes (BGG; SR 173.110) und Art. 3 lit. f des Aufsichtsreglements des Bundesgerichts (AufRBGer; SR 173.110.132) i.V.m. Art. 71 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVG; SR 172.021). Das Einreichen von Aufsichtseingaben begründet keine Parteirechte (Art. 9 Abs. 2 AufRBGer; Art. 71 Abs. 2 VwVG). Die vom Anzeiger in eigener Sache vorgebrachten Anliegen sind demnach unzulässig.  
 
2.2. Die Aufsicht des Bundesgerichts über das Bundesverwaltungsgericht ist administrativer Art (vgl. Art. 1 Abs. 2 BGG; Art. 3 Abs. 1 VGG; Art. 1 Abs. 1 AufRBGer); die Rechtsprechung ist gemäss Art. 2 Abs. 2 AufRBGer von der Aufsicht ausgenommen. Das Bundesgericht als administrative Aufsichtsbehörde greift im Falle einer Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung nur ein, wenn ein strukturelles Problem organisatorischer oder administrativer Natur festgestellt wird (BGE 144 II 486). Im Übrigen kann eine Aufsichtsanzeige nicht als Ersatz-Rechtsmittel für gesetzlich nicht vorgesehene Beschwerden gegen Urteile in Asylsachen dienen.  
 
2.3. Ob strukturelle Mängel organisatorischer oder administrativer Natur vorliegen, respektive der Geschäftsgang generell den Anforderungen entspricht, ist zwar anhand der beanstandeten konkreten Fälle zu beleuchten; diese müssen aber klare Anhaltspunkte enthalten, dass es sich nicht um einen Einzelfall, sondern um ein allgemeines Problem handelt (vgl. Entscheide 12T_2/2022 vom 23. Dezember 2022 E. 3.1; 12T_1/2022 vom 26. September 2022 E. 2.1).  
 
3.  
 
3.1. Im Asyl- und Ausländerwesen ist über eine grosse Anzahl von Fällen zu entscheiden. Die Beschwerdebehörde hat zwangsläufig gewisse Prioritäten zu setzen. Das Bundesverwaltungsgericht weist in seiner Stellungnahme vom 26. Oktober 2023 darauf hin, dass es in einer Behandlungsstrategie bestimme, welche Beschwerdeverfahren prioritär behandelt würden. Die Abteilungen IV und V würden zu Beginn des Jahres ihre Jahresziele festlegen und berücksichtigten dabei einerseits die gesetzlichen Rechtsmittel- und Behandlungsfristen nach Art. 108 und 109 AsylG und andererseits die Behandlungsstrategie des SEM (Art. 109a AsylG). Der Abbau der Altfälle sei auch ein Ziel des Bundesverwaltungsgerichts und werde regelmässig kontrolliert.  
 
3.2. Weiter betont das Bundesverwaltungsgericht, dass weder seine Behandlungsstrategie noch die des SEM explizit Beschwerdeverfahren mit Kinderbeteiligung berücksichtigten. Gemäss Art. 17 Abs. 2bis AsyIG würden aber Asylverfahren von unbegleiteten Minderjährigen prioritär behandelt. Dies gelte grundsätzlich auch für Beschwerden von unbegleiteten Minderjährigen unabhängig vom Gesundheitszustand. Wenn aber minderjährige Kinder mit ihrer gesetzlichen Vertretung in der Schweiz um Asyl ersucht hätten und eine Beschwerde einreichten, sehe das Bundesverwaltungsgericht keine Priorisierung der Behandlung der Beschwerde vor. Die zeitliche Anhandnahme liege in der Kompetenz des/r vorsitzenden Richter/in. Dies gelte auch für Beschwerden von Personen mit gesundheitlichen Problemen, von welchen im Asylverfahren nicht wenige betroffen seien. Dies schliesse jedoch nicht aus, dass der/die vorsitzende Richter/in den Gesundheitszustand bei der Priorisierung einer Beschwerde berücksichtige, insbesondere wenn dies aus Arztberichten eindeutig hervorgehe.  
 
4.  
 
4.1. Das vorliegende Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hat bis zum Datum der Aufsichtsanzeige vor Bundesgericht und nachträglichem Zusatzschreiben rund 7 Monate gedauert.  
 
4.2. In dieser Zeit erteilte das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde mit Verfügung vom 7. Februar 2023 die aufschiebende Wirkung und setzte den Vollzug der Wegweisung für die Dauer des Beschwerdeverfahrens aus. Dem Gesuch um unentgeltliche Prozessführung wurde entsprochen und auf die Erhebung eines Kostenvorschusses verzichtet. Das Gesuch um amtliche Rechtsverbeiständung wurde abgelehnt. Die Vorinstanz wurde zur Einreichung einer Vernehmlassung eingeladen. Diese liess sich - nach erstreckter Frist - am 10. März 2023 vernehmen.  
 
4.3. Das Bundesverwaltungsgericht macht in seiner Stellungnahme schliesslich darauf aufmerksam, dass die letzten Eingaben der Beschwerdeführenden am 6. April und am 28. Juni 2023 erfolgten, jeweils mit weiteren Beweismitteln. Am 18. Juli 2023 habe A.A.________ aus dem Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie, in dem sie hospitalisiert gewesen sei, um beförderliche Behandlung ihrer Beschwerde gebeten. Daraufhin habe das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführenden mit Schreiben vom 20. Juli 2023 mitgeteilt, dass leider keine verbindlichen Angaben über die voraussichtliche Dauer des Verfahrens gemacht werden könnten. Es sei aber nachvollziehbar, dass die Prüfung neuer Beweismittel für das Gericht eine gewisse Zeit in Anspruch nehme, weshalb das Beschwerdeverfahren D-600/2023 noch hängig sei.  
 
5. Aufgrund der Akten und der obigen Ausführungen kann im vorliegenden Aufsichtsverfahren keine auf einen strukturellen Mangel des Bundesverwaltungsgerichts zurückzuführende Rechtsverzögerung festgestellt werden. Der Anzeige wird daher keine Folge gegeben.  
 
6. Das Aufsichtsverfahren ist - besondere Umstände vorbehalten, die hier nicht vorliegen - kostenlos (Art. 10 der Verordnung über Kosten und Entschädigungen im Verwaltungsverfahren; SR 172.041.0).  
 
 
Demnach stellt das Schweizerische Bundesgericht fest:  
 
1.  
Die Anliegen in Bezug auf das Verfahren D-600/2023 sind unzulässig. 
 
2.  
Der Anzeige wird keine Folge geleistet. 
 
3.  
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
4. Diese Feststellung wird der Verwaltungskommission des Bundesverwaltungsgerichts schriftlich mitgeteilt. Der Anzeigerin wird eine Orientierungskopie zugestellt.  
 
 
Lausanne, 21. November 2023 
 
Im Namen der Verwaltungskommission 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Donzallaz 
 
Der Generalsekretär: Lüscher