8C_401/2022 31.01.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_401/2022  
 
 
Urteil vom 31. Januar 2023  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Viscione, 
Gerichtsschreiber Hochuli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Keller, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Rechtsabteilung, Fluhmattstrasse 1, 6002 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Invalidenrente; versicherter Verdienst), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 6. Mai 2022 (VBE.2021.483). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________, geboren 1956, arbeitete seit April 1976 als kaufmännischer Angestellter in der Bauunternehmung B.________ AG und war in dieser Eigenschaft bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten versichert. Am 15. Juni 1977 zog er sich auf dem Weg zur Arbeit als Motorfahrrad-Fahrer infolge des Überholmanövers eines entgegenkommenden Personenwagens bei einer Frontalkollision unter anderem eine Oberschenkel-Querfraktur links zu. Die Suva übernahm die Heilbehandlung und richtete ein Taggeld aus. Dieselben Leistungen erbrachte sie bei mehreren Rückfällen. Für die dauerhaft verbleibende Unfallfolge einer mässigen Coxarthrose links sprach die Suva A.________ eine Integritätsentschädigung von 20 % zu (Verfügung vom 27. September 2004). Nach Durchführung einer Hüfttotalendoprothese links richtete ihm die Suva infolge einer zusätzlichen Integritätseinbusse eine weitere Integritätsentschädigung von 20 % aus (Verfügung vom 18. Juli 2008). 
Wegen zunehmender Schmerzen und Gleichgewichtsstörungen liess A.________, welcher seit Februar 2008 als Personalleiter in der C.________ AG arbeitete, am 29. Februar 2012 erneut einen Rückfall anmelden. Von der Invalidenversicherung bezog A.________ ab 1. Juli 2015 eine ganze und seit 1. Juli 2017 eine halbe Rente. Nach weiteren Operationen und Abklärungen schloss die Suva den Fall - insbesondere gestützt auf das Gutachten des Prof. Dr. med. F.________ vom 15. April 2019 (fortan: Gutachten) und dessen Ergänzungen vom 10. November 2020 - per 31. Dezember 2020 ab. Dabei sprach sie A.________ ab 1. Januar 2021 basierend auf einer unfallbedingten Erwerbseinbusse von 70 % und einem versicherten Jahresverdienst von Fr. 85'191.- eine Invalidenrente von monatlich Fr. 3'975.60 zu (Verfügung vom 12. Januar 2021) und hielt mit Einspracheentscheid vom 29. September 2021 daran fest. 
 
B.  
Die hiegegen erhobene Beschwerde des A.________ wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau ab (Urteil vom 6. Mai 2022). 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ beantragen, ihm sei unter Aufhebung des angefochtenen Urteils eine Invalidenrente von monatlich Fr. 9'880.- auszurichten. Eventuell sei die Sache zu weiteren Abklärungen und zur Erstellung eines bidisziplinären, allenfalls auch nur eines Schmerzgutachtens an die Suva zurückzuweisen. 
 
Während die Suva auf Beschwerdeabweisung schliesst, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 mit Hinweisen).  
 
1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).  
 
2.  
Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die von der Suva verfügte und mit Einspracheentscheid vom 29. September 2021 geschützte Zusprache einer Invalidenrente ab 1. Januar 2021 bei einer unfallbedingten Erwerbseinbusse von 70 % und einem versicherten Jahresverdienst von Fr. 85'191.- bestätigte. 
 
3.  
 
3.1. In formeller Hinsicht macht der Beschwerdeführer zunächst geltend, die Vorinstanz habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (zur Begründungspflicht als Ausfluss des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV vgl. BGE 145 IV 99 E. 3.1 mit Hinweisen; Urteil 8C_322/2021 vom 19. Oktober 2022 E. 2.1). Er habe im vorinstanzlichen Verfahren ausführlich formale Kritik am Gutachten geübt. Mit dieser Kritik habe sich das kantonale Gericht mit keinem Wort auseinandergesetzt.  
 
3.2. Im Rahmen der Begründungspflicht ist es nicht erforderlich, dass sich die Behörde mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken (BGE 146 II 335 E. 5.1 mit Hinweisen). Inwiefern das im Verfahren nach Art. 44 ATSG eingeholte Gutachten den praxisgemässen Anforderungen an eine Expertise nicht genüge, nicht lege artis erstellt worden sei oder konkrete Indizien gegen dessen Zuverlässigkeit sprächen (vgl. BGE 135 V 465 E. 4.4 mit Hinweisen), legt der Beschwerdeführer nicht substanziiert dar. Zudem ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die medizinische Folgenabschätzung notgedrungen eine hohe Variabilität aufweist und unausweichlich Ermessenszüge trägt (BGE 145 V 361 E. 4.1.2 mit Hinweisen). Im Übrigen befasste sich das kantonale Gericht eingehend mit der Kritik des Beschwerdeführers am Gutachten und gelangte - auch gestützt auf die Beantwortung der Ergänzungsfragen vom 11. November 2020 - zur Überzeugung, auf die Einschätzungen des Prof. Dr. med. F.________ sei vollumfänglich abzustellen. Von einer Verletzung der Begründungspflicht kann keine Rede sein.  
 
4.  
Was der Beschwerdeführer im Übrigen gegen die Beweiskraft des Gutachtens vorbringt, ist unbegründet. Dass die schmerztherapeutisch behandelnde Anästhesiologin Dr. med. D.________ auf Grund der geklagten Schmerzen zu einer im Vergleich zum Gutachten abweichenden Einschätzung hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit gelangte, vermag das Gutachten entgegen dem Beschwerdeführer nicht in Zweifel zu ziehen. Gleiches gilt für das hausärztliche Attest vom 25. Januar 2021 des Dr. med. E.________. Die Suva-Fachärztin für Allgemeinchirurgie und Traumatologie hielt mit Blick auf die neuesten medizinischen Berichte am 12. Mai 2021 fest, die für die chronische Schmerzsituation verantwortlichen somatischen Unfallfolgen hätten sich nicht verändert. Schmerzmittelanpassungen gehörten zum normalen Verlauf bei chronischen Schmerzpatienten. Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes sei nicht ausgewiesen. Im Übrigen ist bei der Beweiswürdigung der Erfahrungstatsache Rechnung zu tragen, dass behandelnde Ärzte im Hinblick auf ihre auftragsrechtliche Vertrauensstellung in Zweifelsfällen mitunter eher zugunsten ihrer Patienten aussagen. Dies gilt grundsätzlich nicht nur für Hausärzte (vgl. BGE 135 V 465 E. 4.5; 125 V 351 E. 3a/cc), sondern auch für spezialärztlich behandelnde Medizinalpersonen (Urteil 8C_226/2022 vom 27. Oktober 2022 E. 4.2.2 mit Hinweisen). Soweit die Vorinstanz bei gegebener Aktenlage nach bundesrechtskonformer Beweiswürdigung gestützt auf das Gutachten von der verbleibenden Restarbeitsfähigkeit in leidensangepasster Tätigkeit auf eine dauerhafte unfallbedingte Erwerbseinbusse von 70 % schloss, erhebt der Beschwerdeführer zu Recht keine Einwände. 
 
5.  
 
5.1. Schliesslich macht der Beschwerdeführer seit der Rentenzusprache vom 12. Januar 2021 geltend, es sei nicht von dem zu Grunde gelegten versicherten Jahresverdienst von Fr. 85'191.-, sondern vom Höchstbetrag des versicherten Verdienstes von Fr. 148'200.- auszugehen, weil er im Zeitpunkt der Rückfallanmeldung als Personalleiter seiner damaligen Arbeitgeberfirma viel mehr verdient habe als im Zeitpunkt des Unfalles.  
 
5.2. Weshalb der für die Rente massgebende Lohn beim Beschwerdeführer nicht nach der Sonderregel von Art. 24 Abs. 2 UVV und der entsprechenden Praxis festzusetzen sei, legt er nicht dar. Das kantonale Gericht hat die erst jüngst bestätigte bundesgerichtliche Rechtsprechung zutreffend wiedergegeben. Demnach gelangt Art. 24 Abs. 2 UVV nicht nur bei verzögertem Rentenbeginn nach langdauernder Heilbehandlung und entsprechendem Taggeldbezug, sondern auch bei Rückfällen (oder Spätfolgen) zur Anwendung, die mehr als fünf Jahre nach dem Unfall eingetreten sind (BGE 147 V 213 E. 3.4.1 mit Hinweisen). Bei der Festsetzung des versicherten Verdienstes ist beim angestammten Arbeitsverhältnis anzuknüpfen und haben Arbeitsverhältnisse, die erst nach dem Unfallereignis angetreten wurden, unbeachtlich zu bleiben (vgl. BGE 147 V 213 E. 3.4.4 mit Hinweis). Triftige Gründe für eine Abkehr von dieser konstanten Rechtsprechung sind nicht ersichtlich und werden in der Beschwerde auch nicht (substanziiert) dargelegt (zu den Voraussetzungen für eine Praxisänderung vgl. BGE 148 III 1 E. 2.4.1 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 141 II 297 E. 5.5.1; 140 V 538 E. 4.5; 137 V 417 E. 2.2.2; Urteil 8C_264/2020 vom 17. August 2020 E. 3.2.2).  
 
6.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde unbegründet und das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden. 
 
7.  
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 31. Januar 2023 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Der Gerichtsschreiber: Hochuli