8C_457/2023 27.12.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_457/2023, 8C_469/2023  
 
 
Urteil vom 27. Dezember 2023  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichterin Viscione, Bundesrichter Métral, 
Gerichtsschreiber Hochuli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
8C_457/2023 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Rechtsabteilung, Fluhmattstrasse 1, 6002 Luzern, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Advokat Erik Wassmer, 
Beschwerdegegner, 
 
und 
 
8C_469/2023 
A.________, 
vertreten durch Advokat Erik Wassmer, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Rechtsabteilung, Fluhmattstrasse 1, 6002 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (versicherter Verdienst), 
 
Beschwerden gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 27. April 2023 (725 23 23 / 103). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. A.________, geboren 1964, führte seit 1997 eine Einzelunternehmung für die Montage von Fenstern (seit Ende Dezember 2003: "B.________ GmbH") und war in dieser Eigenschaft - zuerst freiwillig und ab 1. Januar 2004 obligatorisch - bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten versichert. Am 26. April 2000 rutschte er bei der Arbeit aus, wobei er sich eine Meniskusläsion am rechten Knie zuzog. Die Suva erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung und Taggeld). Ab Ende September 2000 war er - trotz verbleibender Restbeschwerden - wieder voll arbeitsfähig. Die Suva übernahm sodann auch die ab August 2018 angemeldete Verschlimmerung des Gesundheitszustandes als Rückfall. Für die dauerhaft verbleibende mässige Gonarthrose im oberen Bereich des rechten Kniegelenks richtete die Suva A.________ eine Integritätsentschädigung von 25 % aus (unangefochten in Rechtskraft erwachsene Verfügung vom 27. Mai 2019). Mit Verfügung vom 2. März 2020 sprach sie ihm ab 1. April 2020 basierend auf einer unfallbedingten Erwerbseinbusse von 50 % und einem versicherten Jahresverdienst von Fr. 48'600.- eine Invalidenrente zu. Auf Einsprache des A.________ hin hielt die Suva an der Verfügung vom 2. März 2020 fest (Einspracheentscheid vom 22. Oktober 2020).  
Die hiergegen erhobene Beschwerde des A.________ hiess das Kantonsgericht Basel-Landschaft am 1. Juli 2021 in dem Sinne gut, als es den angefochtenen Einspracheentscheid vom 22. Oktober 2020 aufhob und die Angelegenheit zur weiteren Abklärung im Sinne der Erwägungen und zum Erlass einer neuen Verfügung an die Suva zurückwies. Die dagegen geführte Beschwerde der Suva wies das Bundesgericht ab (Urteil 8C_701/2021 vom 4. Mai 2022, auszugsweise publiziert in BGE 148 V 286). 
 
A.b. Laut Verfügung der IV-Stelle Basel-Landschaft vom 12. Februar 2021 hat A.________ ab 1. November 2019 basierend auf einem Invaliditätsgrad von 50 % Anspruch auf eine halbe Rente der Invalidenversicherung, welche seit 1. März 2021 zusammen mit vier Kinderrenten monatlich Fr. 2'684.- beträgt. Mit Verfügung vom 12. Juli 2022, bestätigt durch Einspracheentscheid vom 14. Dezember 2022, sprach die Suva A.________ rückwirkend ab 1. April 2020 basierend auf einer unfallbedingten Erwerbsunfähigkeit von 50 % bei einem neu auf Fr. 58'693.- ermittelten versicherten Jahresverdienst eine monatliche Komplementärrente von Fr. 1'738.- zu.  
 
B.  
Die hiergegen erhobene Beschwerde des A.________ hiess das Kantonsgericht Basel-Landschaft teilweise gut, indem es den Einspracheentscheid vom 14. Dezember 2022 insoweit abänderte, als es feststellte, der Beschwerdeführer habe ab 1. April 2020 Anspruch auf eine Invalidenrente basierend auf einem Invaliditätsgrad von 50 % und einem versicherten Jahresverdienst von Fr. 59'751.-. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab (Urteil vom 27. April 2023). 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die Suva im Verfahren 8C_457/2023, das Urteil vom 27. April 2023 sei insoweit abzuändern, als von einem massgebenden versicherten Jahresverdienst von Fr. 58'729.- auszugehen sei. Ebenfalls mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ im Verfahren 8C_469/2023 beantragen, das Urteil vom 27. April 2023 sei aufzuheben und die Suva zu verpflichten, ihm ab 1. April 2020 eine monatliche Invalidenrente aus UVG im Betrag von Fr. 4'760.-, mindestens aber Fr. 2'733.- auszurichten. Eventualiter sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an die Suva, eventualiter an die Vorinstanz, zurückzuweisen, "auf dass diese den vor dem Unfall bezogenen Lohn bzw. den versicherten Verdienst bestimme". 
Während beide Beschwerde führenden Parteien auf Abweisung der jeweils entgegen gesetzten Beschwerde schliessen, verzichten die Vorinstanz und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) in beiden Beschwerdeverfahren auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Da den Beschwerden der Suva (8C_457/2023) und des Versicherten (8C_469/2023) der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt, sich konnexe Rechtsfragen stellen und die Rechtsmittel sich gegen den nämlichen vorinstanzlichen Entscheid richten, rechtfertigt es sich, die beiden Verfahren zu vereinigen und in einem Urteil zu erledigen (vgl. BGE 144 V 173 E. 1.1 mit Hinweis; Urteil 8C_316/2022 vom 31. Januar 2023 E. 1 mit Hinweis). 
 
2.  
 
2.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 145 V 57 E. 4.2 mit Hinweisen).  
 
2.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).  
 
3.  
 
3.1. Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie den für die Rentenbemessung ausschlaggebenden versicherten Verdienst (vgl. Art. 15 Abs. 2 UVG) - bei einem im Übrigen unbestritten basierend auf einer unfallbedingten Erwerbseinbusse von 50 % mit Wirkung ab 1. April 2020 zugesprochenen Anspruch auf eine Invalidenrente - auf Fr. 59'751.- ermittelte (vgl. dazu auch BGE 148 V 286 E. 4).  
 
3.2. Soweit nachfolgend Art. 15 Abs. 1 und 2 UVG, Art. 24 Abs. 2 sowie Art. 138 UVV erwähnt werden, finden sich diese Bestimmungen im angefochtenen Urteil zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.  
 
4.  
Auch wenn hier der Rentenanspruch unbestritten erst im Rückfall mit Wirkung ab 1. April 2020 entstand, steht fest, dass die ursprünglich abgeschlossene freiwillige Versicherung auch für die Folgen des Rückfalles leistungspflichtig bleibt (BGE 148 V 286 E. 6 mit Hinweisen). Im Rahmen dieser freiwilligen Versicherung hatte sich der Beschwerdeführer 1997 für die von der Suva offerierte Deckungsvariante A mit einem versicherten Jahresverdienst von Fr. 48'600.- entschieden. Diese Deckungsvariante entsprach dem damals für Selbstständigerwerbende in der freiwilligen Versicherung minimal vorgeschriebenen versicherten Verdienst (vgl. BGE 148 V 286 E. 8.1; siehe hiernach auch E. 4.2.1). In grundsätzlich zutreffender Umsetzung der mit BGE 148 V 286 geänderten Rechtsprechung passte die Vorinstanz den vereinbarten Vorunfallverdienst von Fr. 48'600.- unter den hier ausnahmsweise gegebenen besonderen Umständen zu Recht in analoger Anwendung von Art. 24 Abs. 2 UVV an die Nominallohnentwicklung im angestammten Tätigkeitsbereich an (vgl. BGE 148 V 286 E. 9.4 mit Hinweisen). 
 
4.1.  
 
4.1.1. Die Vorinstanz stellte bei der Lohnanpassung auf die Indexwerte zur Nominallohnentwicklung im Baugewerbe (Zeile F 45) gemäss Tabelle T1.93 (Index 1993=100) des vom Bundesamt für Statistik (BFS) nach Sektoren erfassten Schweizerischen Lohnindexes ab. Gestützt darauf ermittelte sie ausgehend vom vereinbarten Vorunfallverdienst von Fr. 48'600.- einen für die Rentenbemessung in Anwendung von BGE 148 V 286 angepassten versicherten Verdienst von Fr. 59'751.-.  
 
4.1.2. Hiergegen beanstandet die Suva im Verfahren 8C_457/2023 zu Recht, das kantonale Gericht habe bei dieser Anpassung an die Nominallohnentwicklung entgegen der Rechtsprechung (BGE 148 V 286 E. 9.4 mit Hinweisen) auf die geschlechtsspezifische Differenzierung verzichtet und deshalb einen zu hohen versicherten Verdienst errechnet. In bundesrechtskonformer - hier nach BGE 148 V 286 ausnahmsweise gebotener analoger - Anwendung von Art. 24 Abs. 2 UVV ermittelte die Suva basierend auf dem Ausgangswert des vereinbarten Vorunfallverdienstes unter Berücksichtigung der zwischen dem Unfalljahr (2000) und dem Jahr vor dem Rentenbeginn (2019) ausgewiesenen geschlechtsspezifischen Nominallohnentwicklung im angestammten Tätigkeitsgebiet einen für die Rentenbemessung ausschlaggebenden versicherten Verdienst von Fr. 58'729.-. Diese Anpassung an die Nominallohnentwicklung beruht auf den statistisch erhobenen Männerlöhnen im Baugewerbe gemäss BFS-Tabellen T1.1.93 (Index 1993=100) für die Dauer von 2000 bis 2010 sowie T1.1.10 (Index 2010=100) von 2010 bis 2019 und entspricht somit den praxisgemässen Anforderungen (BGE 148 V 286 E. 9.4 mit Hinweisen). Nach der entsprechenden Anpassung des vereinbarten Vorunfallverdienstes im Sinne der geänderten Rechtsprechung (BGE 148 V 286) resultierte zutreffend der für die Rentenbemessung massgebende Jahresverdienst von Fr. 58'729.-. Was der Versicherte hiergegen vorbringt, ist nicht stichhaltig. In Gutheissung der Beschwerde der Suva ist das angefochtene Urteil insoweit abzuändern.  
 
4.2. Demgegenüber ist unbegründet, was der Beschwerdeführer im Verfahren 8C_469/2023 gegen das angefochtene Urteil vorbringt.  
 
4.2.1. Insbesondere trifft nicht zu, dass laut Vorinstanz "bereits im Jahr vor dem Unfall vom April 2000 gemäss Art. 22 in Verbindung mit Art. 138 UVV ein zwingend zu versichernder Mindestverdienst von CHF 66'690.-" gegolten habe. Weder ist diese Aussage dem angefochtenen Urteil zu entnehmen, noch entspricht sie der damaligen Rechtslage. Der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Mindestverdienst für Selbstständigerwerbende in der freiwilligen Versicherung ist vielmehr erst seit der per 1. Januar 2016 in Kraft getretenen Fassung von Art. 22 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 138 UVV massgebend (vgl. BGE 148 V 286 E. 8.1 mit Hinweisen). Als versicherter Verdienst gilt für die Rentenbemessung grundsätzlich der innerhalb eines Jahres vor dem Unfall bezogene Lohn (Art. 15 Abs. 2 UVG). Bei Selbstständigerwerbenden in der freiwilligen Versicherung betrug der minimal zu versichernde Verdienst nach Art. 22 aAbs. 1 (in der hier anwendbaren, vom 1. Januar 1991 bis zum 31. Dezember 1999 gültig gewesenen Fassung; vgl. dazu BGE 148 V 286 E. 8.1) in Verbindung mit aArt. 138 UVV (in der bis zum 31. Dezember 2015 gültig gewesenen Fassung) im Jahr vor dem Unfall (1999) jedoch bloss Fr. 48'600.-. Dieser Betrag entsprach der Deckungsvariante A, welche die Suva dem Beschwerdeführer 1997 angeboten und Letzterer damals ausgewählt hatte.  
 
4.2.2. Mit Blick auf die besonderen Umständen des hier zu beurteilenden Sachverhalts entschied das Bundesgericht, dass dieser vereinbarte Vorunfallverdienst von Fr. 48'600.- unter den - hier erfüllten - Voraussetzungen von BGE 148 V 286 E. 9.3.8 an die geschlechtsspezifisch ausgewiesene Nominallohnentwicklung im angestammten Tätigkeitsbereich in analoger Anwendung von Art. 24 Abs. 2 UVV auf die freiwillige Versicherung anzupassen sei. Dass die Suva bei der Ermittlung des für die Rentenbemessung massgebenden versicherten Verdienstes von Fr. 58'729.- in Anwendung der neuen Rechtsprechung Bundesrecht verletzt hätte, ist nicht ersichtlich und legt der Beschwerdeführer nicht dar. Zudem zeigt er nicht auf und finden sich keine Anhaltspunkte dafür, weshalb die Voraussetzungen erfüllt sein sollten, von der erst jüngst geänderten Rechtsprechung (BGE 148 V 286) abzuweichen (vgl. zu den Voraussetzungen einer Praxisänderung: BGE 145 V 304 E. 4.4 mit Hinweisen).  
 
4.3. Nach dem Gesagten ist die Beschwerde des Versicherten unbegründet und folglich abzuweisen. Demgegenüber ist die Beschwerde der Suva gutzuheissen und das angefochtene Urteil entsprechend abzuändern.  
 
5.  
Der in beiden Beschwerdeverfahren (8C_457/2023 und 8C_469/2023) unterliegende Versicherte hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Verfahren 8C_457/2023 und 8C_469/2023 werden vereinigt. 
 
2.  
Die Beschwerde der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) wird gutgeheissen (8C_457/2023). Das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, vom 27. April 2023 und der Einspracheentscheid der Suva vom 14. Dezember 2022 werden insoweit abgeändert, als der für die Bemessung der mit Wirkung ab 1. April 2020 basierend auf einer unfallbedingten Erwerbsunfähigkeit von 50 % zugesprochenen Invalidenrente massgebende versicherte Jahresverdienst auf Fr. 58'729.- festgesetzt wird. 
 
3.  
Die Beschwerde des Versicherten wird abgewiesen (8C_469/2023). 
 
4.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'600.- werden dem Versicherten auferlegt. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 27. Dezember 2023 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Der Gerichtsschreiber: Hochuli