8C_117/2023 09.02.2024
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_117/2023  
 
 
Urteil vom 9. Februar 2024  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichter Maillard, 
Bundesrichterin Heine, 
Bundesrichterin Viscione, 
Bundesrichter Métral, 
Gerichtsschreiber Grünenfelder. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Roger Vago, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
SOLIDA Versicherungen AG, 
Saumackerstrasse 35, 8048 Zürich, 
vertreten durch Rechtsanwalt Martin Bürkle und/oder Rechtsanwalt Nicola Orlando, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (versicherter Verdienst), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 16. Dezember 2022 (VBE.2022.155). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Die 1960 geborene A.________, ausgebildete Juristin, war ab 1. Januar 2003 bei der B.________ AG als Treuhandsachbearbeiterin bzw. -kundenbetreuerin angestellt und dadurch bei der Concordia Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung AG (nachfolgend: Concordia) gegen die Folgen von Unfällen versichert. Am 21. November 2003 stürzte sie bei Reinigungsarbeiten rund drei Meter vom Dachboden in das darunterliegende Obergeschoss hinunter. Dabei zog sie sich hauptsächlich Verletzungen an der rechten Schulter zu (wahrscheinliche Schulterluxation, posttraumatische Instabilität mit Labrumabriss und Bankart-Läsion), welche am 18. Mai 2004 in der Klinik C.________ operativ versorgt wurden. Die Concordia erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung und Taggeld).  
 
A.b. Ende Februar 2014 meldete A.________ einen Rückfall. Die Concordia erteilte Kostengutsprache für die im April 2014 in der Klinik D.________ durchgeführte arthroskopische Reoperation der unfallbetroffenen rechten Schulter. Aufgrund der anhaltenden Schmerzen wurde Anfang November 2014 eine Schultertotalarthroplastik vorgenommen. Anfang Juni 2017 erfolgte ein Schulterprothesenwechsel. Die Concordia veranlasste daraufhin beim Zentrum E.________ AG ein polydisziplinäres Gutachten vom 11. Juli 2019 (samt Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit [EFL]). Mit Verfügung vom 24. Juni 2021 stellte sie, nun unter dem Namen SOLIDA Versicherungen AG (nachfolgend: SOLIDA), ihre Taggeldleistungen und die Kostenübernahme für Heilbehandlungen per 30. Juni 2021 ein. Die Arbeitsfähigkeit im angestammten Beruf legte sie auf 80 % (Invaliditätsgrad: 20 %) fest und ermittelte für das Jahr 2021 einen versicherten Verdienst von Fr. 45'282.- (Invalidenrente: Fr. 604.- pro Monat). Einen Anspruch auf Integritätsentschädigung verneinte sie. Daran hielt die SOLIDA mit Einspracheentscheid vom 7. März 2022 fest.  
 
B.  
Die dagegen erhobene Beschwerde der A.________ wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 16. Dezember 2022 ab. 
 
C.  
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erheben und beantragen, in Aufhebung des versicherungsgerichtlichen Urteils und des Einspracheentscheids vom 7. März 2022 sei die Sache bezüglich der Rentenberechnung zurückzuweisen. Dabei sei der versicherte Verdienst anhand des Medianwerts "Salarium des Bundes für Juristinnen" auf Fr. 128'700.- festzulegen und die Rentenberechnung für ein 100 %-Pensum rückwirkend ein Jahr vor Rentenbeginn vorzunehmen. 
Das Bundesgericht holt die vorinstanzlichen Akten ein. Einen Schriftenwechsel führt es nicht durch. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Vorbringen, sofern allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 147 I 73 E. 2.1; 145 V 304 E. 1.1; je mit Hinweis).  
 
1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).  
 
2.  
 
2.1. Das kantonale Gericht hat die massgeblichen Grundsätze über das anwendbare Recht (BGE 141 V 657 E. 3.5.1; Abs. 1 der Übergangsbestimmungen zur Änderung des UVG vom 25. September 2015, AS 2016 4375, 4387), wonach im Zusammenhang mit dem Unfallereignis vom 21. November 2003 die bis 31. Dezember 2016 gültig gewesenen Bestimmungen des UVG zur Anwendung gelangen (vgl. BGE 146 V 51 E. 2.3), zutreffend dargelegt. Gleiches gilt für das Verordnungsrecht zum versicherten Verdienst (Art. 22 ff. UVV). Darauf wird verwiesen.  
 
2.2. Im angefochtenen Urteil findet sich sodann eine zutreffende Darstellung der einschlägigen Rechtsgrundlagen. Dies betrifft hauptsächlich die allgemeinen Voraussetzungen der Leistungspflicht (Art. 6 Abs. 1 UVG), den Anspruch auf eine Invalidenrente der Unfallversicherung (Art. 18 UVG) und deren Bemessung nach Massgabe des versicherten Verdienstes (Art. 15 Abs. 1 und 2 UVG), insbesondere in Sonderfällen (Art. 15 Abs. 3 UVG in Verbindung mit Art. 24 UVV).  
 
2.3. Hat der Versicherte im Jahre vor dem Unfall wegen Militärdienst, Zivildienst, Zivilschutzdienst, Unfall, Krankheit, Mutterschaft, Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit einen verminderten Lohn bezogen, so wird gemäss Art. 24 Abs. 1 UVV der versicherte Verdienst nach dem Lohn festgesetzt, den der Versicherte ohne Militärdienst, Zivildienst, Zivilschutzdienst, Unfall, Krankheit, Mutterschaft, Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit erzielt hätte.  
Art. 24 Abs. 2 UVV bestimmt, dass im Falle eines Rentenbeginns mehr als fünf Jahre nach dem Unfall oder dem Ausbruch der Berufskrankheit der Lohn massgebend ist, den der Versicherte ohne den Unfall oder die Berufskrankheit im Jahr vor dem Rentenbeginn bezogen hätte, sofern er höher ist, als der letzte vor dem Unfall oder dem Ausbruch der Berufskrankheit erzielte Lohn. 
 
3.  
Die Vorinstanz hat die Berechnung der Beschwerdegegnerin übernommen. Demnach beläuft sich der versicherte Verdienst der Beschwerdeführerin anhand des in einem Pensum von 40 % bei der B.________ AG vor dem Unfall erzielten Einkommens (Fr. 37'960.-), indexiert für das Jahr 2021, auf Fr. 45'282.- (Invalidenrente: Fr. 604.- pro Monat). Eine Hochrechnung auf ein Vollzeitpensum im erlernten Beruf als Juristin hat das kantonale Gericht mit der Begründung verneint, im Rahmen des Art. 24 Abs. 2 UVV dürfe einzig der Teuerung Rechnung getragen werden. Wolle die Beschwerdeführerin hingegen andere Faktoren berücksichtigt wissen, so bestehe dafür kein Raum. Unmassgeblich seien in diesem Zusammenhang vor allem die (mutmassliche) Ausdehnung ihres im Zeitpunkt des Unfalles vom 21. November 2003 ausgeübten Teilzeitpensums auf 100 % sowie die Wiederaufnahme der vollzeitlichen selbstständigen Erwerbstätigkeit als Juristin nach dem Unfall bzw. Rückfall. 
 
4.  
Was die Beschwerdeführerin dagegen vorbringt, verfängt nicht. 
 
4.1. Kein Erfolg beschieden ist ihrem Einwand, die im Unfallzeitpunkt ausgeübte teilzeitliche Erwerbstätigkeit sei nur vorübergehend gewesen, womit ein Ausnahmefall im Sinne von Art. 24 Abs. 1 UVV vorliege. Dem ist entgegenzuhalten, dass Erziehungs- und Betreuungspflichten für die im Unfallzeitpunkt minderjährige (und kranke) Tochter, worauf sich die Beschwerdeführerin einzig beruft, in Art. 24 Abs. 1 UVV nicht erwähnt werden. Die dortige Aufzählung ist denn auch abschliessend (BGE 139 V 161 E. 4.2.3; bestätigt in: BGE 139 V 473 E. 4.2; ferner: DOROTHEA RIEDI HUNOLD, in: Hürzeler/Kieser [Hrsg.], Kommentar zum Schweizerischen Sozialversicherungsrecht, UVG, 2018, N. 31 zu Art. 15 UVG; DORIS VOLLENWEIDER/ANDREAS BRUNNER, in: Basler Kommentar, Unfallversicherungsgesetz, 2019, N. 90 zu Art. 15 UVG).  
 
4.2. Anhaltspunkte für eine Auslegung über den Wortlaut des Art. 24 Abs. 1 UVV hinaus bestehen entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin keine. Es fehlt insbesondere an einer Überschreitung (bzw. Unterschreitung) des Gestaltungsspielraums, welcher dem Verordnungsgeber in diesem Zusammenhang zusteht (vgl. BGE 139 V 161 E. 4.2.3). Inwieweit eine durch Pflege- und Betreuungsaufgaben begründete teilzeitliche Erwerbstätigkeit mit den in Art. 24 Abs. 1 UVV genannten Tatbeständen (Militärdienst, Zivildienst, Zivilschutzdienst, Unfall, Krankheit, Mutterschaft, Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit; vgl. E. 2.3 hievor) gleichgesetzt werden könnte, leuchtet dementsprechend nicht ein. Vorab betreffen die in dieser Bestimmung erwähnten Faktoren stets die versicherte Person selber. Schon deshalb kann das durch Pflege und Betreuung des eigenen Kindes (oder einer anderen Person) verminderte Einkommen, selbst wenn krankheitsbedingt von einem erhöhten Aufwand ausgegangen werden müsste, nicht berücksichtigt werden. Hält Art. 24 Abs. 1 UVV, wie erwähnt, abschliessend fest, welche vorübergehenden Einkommenseinbussen bei der Ermittlung des massgeblichen versicherten Verdienstes miteinzubeziehen sind, so dient dies nicht zuletzt der Rechtssicherheit. Die rechtsprechungsgemäss enge Umschreibung dieser Ausnahmen bestätigt das von Gesetz- und Verordnungsgeber vorgesehene Grundprinzip, wonach ein reduziertes Erwerbseinkommen in der Regel zu einem geringeren versicherten Verdienst führt. Darin liegt der entscheidende Unterschied zum Valideneinkommen, dessen Bestimmung sich in der Unfallversicherung nicht danach richtet, ob die versicherte Person ihre Arbeitskraft ganz oder nur teilweise einsetzt (BGE 135 V 287 E. 3.2 mit Hinweisen). Eine gewisse Glättung von Lohnungleichheiten erfolgt darüber hinaus durch das Abstellen auf eine Jahresperiode, was auch bei Teilzeittätigkeit gilt (vgl. Art. 15 Abs. 2 UVG in Verbindung mit Art. 22 Abs. 4 UVV; Urteil U 282/03 vom 19. November 2004 E. 3.3 mit Hinweis). Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, inwiefern mit der Auslegung des Art. 24 Abs. 1 UVV nach dem Wortlaut - soweit die entsprechende Rüge nicht ohnehin zu pauschal und zu unsubstanziiert ist (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG) - eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes einhergehen soll. Nichts zu ihren Gunsten ableiten kann die Beschwerdeführerin ferner aus dem Umstand, dass die Invalidenversicherung Einschränkungen der versicherten Person im Haushalt durch die gemischte Methode miteinbezieht (vgl. Art. 27bis Abs. 1 lit. a und b IVV). Abgesehen davon, dass die zur Diskussion stehenden Betreuungspflichten keine Haushaltseinschränkungen darstellen, ist die obligatorische Unfallversicherung grundsätzlich an die Ausübung einer Erwerbstätigkeit geknüpft (vgl. Art. 1a UVG). Nach dem Gesetz nicht versicherte oder nicht entlöhnte Tätigkeiten sind damit irrelevant, weshalb in der Unfallversicherung zum Vornherein keine gemischte Methode zur Anwendung kommt (zum Ganzen: Urteil 8C_664/2007 vom 14. April 2008 E. 7.2.3 mit Hinweis). Auch anderweitig deutet nichts darauf hin, dass die durch Rechtsprechung und Lehre gefestigte Auslegung des Art. 24 Abs. 1 UVV willkürlich oder sonstwie rechtsverletzend wäre.  
 
4.3. Zutreffend begründet hat das kantonale Gericht, weshalb eine Aufrechnung auf ein Vollzeitpensum als Juristin (auch) gestützt auf Art. 24 Abs. 2 UVV ausscheidet (vgl. vorinstanzliche Erwägung 6.4). Darauf kann verwiesen werden. Sind somit die effektiven Lohnverhältnisse innerhalb eines Jahres vor dem Unfall für die Bemessung des versicherten Verdienstes massgeblich (vgl. BGE 147 V 213 E. 3.4.2 mit Hinweisen), so bleibt entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin unbeachtlich, ob das damalige (teilzeitliche) Einkommen ihrem Ausbildungsniveau als Juristin entsprach oder nicht. Ebenso wenig drängt sich eine Handhabung "analog zu Lehrlingen" auf, wie beschwerdeweise gefordert wird. Denn dafür müsste die im Unfallzeitpunkt versicherte Tätigkeit im Treuhandbereich dieselbe gewesen sein wie die zukünftige Erwerbstätigkeit nach vollendeter (hier: juristischer) Ausbildung (vgl. Art. 24 Abs. 3 UVV; BGE 148 V 84 E. 4.1). Das ist vorliegend nicht der Fall. Ausserdem kommt der im Unfallzeitpunkt ausgeübten Tätigkeit der Beschwerdeführerin im Treuhandbereich unbestritten kein Ausbildungscharakter zu. Fraglich erscheint zudem, ob in der nach eigenen Angaben seit Abschluss des Studiums im Jahr 1997 aufgebauten selbstständigen juristischen Erwerbstätigkeit tatsächlich konstant höhere Einkommen erzielt worden wären als in der über elf Monate unmittelbar vor dem Unfall ausgeübten Teilzeittätigkeit. Dies gilt umso mehr, als sich die während des Studiums der Beschwerdeführerin geborene Tochter (Jahrgang: 1995) dannzumal noch im Kleinkindalter befand. Davon ausgehend lässt sich vor der Aufnahme der versicherten Tätigkeit per 1. Januar 2003 ein eher höherer Betreuungsaufwand vermuten als danach, was die vorinstanzliche Sichtweise stützt. Mit Blick auf die korrekten Darlegungen im angefochtenen Urteil betreffend die grundsätzliche Unabänderlichkeit des versicherten Verdienstes helfen die übrigen Vorbringen der Beschwerdeführerin gleichermassen nicht weiter.  
 
5.  
Insgesamt ist die vorinstanzliche Schlussfolgerung, eine Aufrechnung des Einkommens auf ein Vollzeitpensum als Juristin sei unzulässig, im Ergebnis nicht zu beanstanden. Nachdem die übrige Rentenberechnung wie auch der zu berücksichtigende Invaliditätsgrad von 20 % letztinstanzlich nicht (substanziiert) in Abrede gestellt werden (dazu: Gutachten des Zentrums E.________ AG vom 11. Juli 2019), hat es damit sein Bewenden. Die Beschwerde ist unbegründet und daher abzuweisen. 
 
6.  
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 9. Februar 2024 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder