8C_346/2022 14.02.2023
Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_346/2022  
 
 
Urteil vom 14. Februar 2023  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichter Maillard, Abrecht, 
Gerichtsschreiber Grünenfelder. 
 
Verfahrensbeteiligte 
IV-Stelle Basel-Stadt, Aeschengraben 9, 4051 Basel, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Procap Schweiz, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 29. März 2022 (IV.2021.179). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die 1972 geborene A.________ ist gelernte psychiatrische Pflegefachfrau und arbeitet seit dem Jahr 2009 in einem Teilzeitpensum bei der Stiftung B.________ (Wohnbegleitung). Im November 2019 meldete sie sich unter Hinweis auf einen im Juni des gleichen Jahres diagnostizierten primären Immundefekt (Antikörpermangelsyndrom) bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Basel-Stadt führte medizinische sowie erwerbliche Abklärungen durch und zog die Akten der Krankenpflegeversicherung bei. Daraufhin sprach sie A.________ Frühinterventionsmassnahmen in Form eines individuellen Coachings zu. Eine am 16. April 2021 durchgeführte Haushaltsabklärung ergab keine Einschränkung. Mit Verfügung vom 5. Oktober 2021 verneinte die IV-Stelle einen Rentenanspruch in Anwendung der gemischten Methode, wobei sie beim Invalideneinkommen das in der bisherigen Tätigkeit erfüllte Pensum von 52,5 % berücksichtigte (Invaliditätsgrad: 38 %). 
 
B.  
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt mit Urteil vom 29. März 2022 gut, hob die Verfügung vom 5. Oktober 2021 auf und sprach A.________ ab 1. November 2020 eine Viertelsrente zu. 
 
C.  
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des angefochtenen Urteils sei ihre Verfügung vom 5. Oktober 2021 zu bestätigen. Sodann ersucht sie um Gewährung der aufschiebenden Wirkung. 
A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen, soweit darauf eingetreten werde. Das kantonale Gericht beantragt ebenfalls die Beschwerdeabweisung, während das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
D.  
Mit Verfügung vom 4. Oktober 2022 hat der Instruktionsrichter der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) in Kraft (Weiterentwicklung der IV [WEIV]; Änderung vom 19. Juni 2020, AS 2021 705, BBl 2017 2535). 
Die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende Verfügung erging vor dem 1. Januar 2022. Nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts und des zeitlich massgebenden Sachverhalts (statt vieler: BGE 144 V 210 E. 4.3.1; 129 V 354 E. 1 mit Hinweisen) sind daher die Bestimmungen des IVG und diejenigen der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV; SR 831.201) sowie des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) in der bis 31. Dezember 2021 gültig gewesenen Fassung anwendbar (BGE 148 V 174 E. 4.1). 
 
3.  
 
3.1. Es steht fest, dass im konkreten Fall die gemischte Methode (Art. 28a Abs. 3 IVG und Art. 27bis Abs. 2-4 IVV) zur Anwendung gelangt (Status: 80 % Erwerb, 20 % Haushalt), wobei im Haushalt keine Einschränkung vorliegt. Betreffend den Erwerbsbereich ist unbestritten, dass die Beschwerdegegnerin nach der Anmeldung zum Leistungsbezug an ihrer bisherigen Arbeitsstelle in einem reduzierten Pensum von 52,5 % eines Vollzeitpensums von 42 Wochenstunden (nämlich: 22,05 Stunden) weitergearbeitet hat und dabei optimal eingegliedert ist.  
 
3.2. Hinsichtlich der Invaliditätsbemessung hat das kantonale Gericht erwogen, der behandelnde Psychiater PD Dr. med. C.________ habe am 7./8. Januar 2021 zum Ausdruck gebracht, seiner Ansicht nach gelte in Bezug auf den bisherigen Arbeitsplatz bei der Stiftung B.________ eine dauerhafte Einschränkung von 50 %. Da es sich bei der Bestimmung des Grades der Arbeitsfähigkeit um eine unter medizinischen Gesichtspunkten durchzuführende Schätzung handle, hafte einem prozentgenauen Vorgehen etwas Willkürliches und Zufälliges an, was sachlich kaum vertretbar wäre. Daher sei der mit Verfügung vom 5. Oktober 2021 auf 52,5 % festgelegte Grad der Arbeitsfähigkeit nicht einschlägig. Gestützt darauf hat das kantonale Gericht im erwerblichen Bereich eine Arbeitsunfähigkeit von 50 % anerkannt, einen Invaliditätsgrad in gleicher Höhe ermittelt und der Beschwerdegegnerin, gewichtet mit 80 %, eine Viertelsrente zugesprochen (Invaliditätsgrad: 40 %).  
 
3.3. Die Beschwerdeführerin rügt im Wesentlichen, zur Bestimmung des Invalideneinkommens müsse auf das bei der bisherigen und aktuellen Arbeitgeberin effektiv noch geleistete Arbeitspensum von 52,5 % abgestellt werden. Konkrete Hinweise, dass ein solches der Beschwerdegegnerin aufgrund ihres Gesundheitszustands dauerhaft unzumutbar wäre, lägen nicht vor.  
 
4.  
 
4.1. Wie in der Beschwerde zu Recht geltend gemacht, sind sämtliche Voraussetzungen für die Anrechnung des tatsächlich erzielten Verdienstes auf Seiten des Invalideneinkommens erfüllt (vgl. BGE 148 V 174 E. 6.2; 135 V 297 E. 5.2; SVR 2014 IV Nr. 37 S. 130, 8C_7/2014 E. 7.1; Urteil 8C_269/2020 vom 15. Februar 2021 E. 3.2 mit Hinweis) : Die Beschwerdegegnerin arbeitet bereits seit Sommer 2009 bei der Stiftung B.________ als Wohnbegleiterin. Damit ist ein besonders stabiles Arbeitsverhältnis zu bejahen. Anhaltspunkte für einen Soziallohn sind nicht ersichtlich. Sodann erfüllte die Beschwerdegegnerin - wie im angefochtenen Urteil verbindlich (vgl. E. 1 hievor) festgestellt - laut ihrem behandelnden Psychiater PD Dr. med. C.________ bis zum 23. Juli 2019 das vertraglich vereinbarte Pensum (70 % oder 29,4 Stunden), bevor sie bis zum 30. August 2019 "ganz, also zu 70 %" krank geschrieben worden sei. In der Folge habe das Arbeitspensum vom 31. August bis zum 19. November 2019 bis auf 22,05 Wochenstunden gesteigert werden können. Die Beschwerdegegnerin arbeite verglichen mit dem vorherigen 70 %-Pensum 7,35 Wochenstunden weniger. Dies bedeute eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit von ca. 25 %. Seither habe die Arbeitsfähigkeit nicht mehr erhöht werden können. Die Prognose für eine Steigerung sei sehr ungünstig (vgl. Bericht vom 12. Juli 2020). Die verbleibende Arbeitsfähigkeit ist somit, was sich unter anderem aus den bestätigenden Arztzeugnissen des PD Dr. med. C.________ vom 2./24. September und 26. Oktober 2020 ergibt, als dauerhaft anzusehen und wird in zumutbarer Weise voll ausgeschöpft.  
 
4.2. Demzufolge ist die Beschwerdegegnerin nur, aber immerhin in der Lage, ein rentenausschliessendes Erwerbseinkommen von 52,5 % eines mit 42 Wochenstunden veranschlagten Vollzeitpensums zu erzielen. Vorinstanz und Beschwerdegegnerin lassen vor diesem Hintergrund ausser Acht, dass das Invalideneinkommen nach der Rechtsprechung (E. 4.1 hievor) so konkret wie möglich bestimmt werden soll, weshalb in erster Linie von der beruflich-erwerblichen Situation auszugehen ist, in welcher die versicherte Person konkret steht. Mit anderen Worten muss der tatsächlich erzielte Verdienst zwingend als Invalideneinkommen angerechnet werden, wenn und soweit die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind, was hier der Fall ist. Den Ausführungen im angefochtenen Urteil kann insbesondere deshalb nicht gefolgt werden, weil es sich bei der vom behandelnden Psychiater PD Dr. med. C.________ anschaulich aufgezeigten Prozentzahl von 52,5 % um keine rein medizinisch-theoretische Einschätzung der Arbeitsfähigkeit handelt. Vielmehr entspricht sie exakt dem von der Beschwerdegegnerin effektiv erzielten Verdienst, welcher betragsmässig ohne Weiteres bestimmbar ist (vgl. vorinstanzliche Erwägung 2.3). Ein Abweichen durch Anrechnung eines bloss 50%igen Pensums beim Invalideneinkommen liegt damit - entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin - nicht im Ermessen des kantonalen Gerichts, sondern stellt eine Rechtsverletzung nach Art. 95 lit. a BGG dar (vgl. E. 1 hievor). Daran ändern sämtliche Vorbringen in den Vernehmlassungen nichts. Demnach bleibt es bei einem Invaliditätsgrad von 38 % und die Beschwerde ist begründet.  
 
5.  
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Die obsiegende Beschwerdeführerin hat als mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betraute Institution keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG). Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens an das kantonale Gericht zurückgewiesen (Art. 67 und Art. 68 Abs. 5 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 29. März 2022 wird aufgehoben und die Verfügung der IV-Stelle Basel-Stadt vom 5. Oktober 2021 bestätigt. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.  
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt zurückgewiesen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 14. Februar 2023 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder