1C_495/2022 07.11.2023
Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_495/2022  
 
 
Urteil vom 7. November 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Chaix, Haag, Müller, Merz, 
Gerichtsschreiberin Gerber. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwälte 
Johanna Rusca und Nicolas Riedo, 
 
gegen  
 
1. B.________ und C.________, 
2. D.________ und E.________, 
Beschwerdegegnerschaft, 
alle vertreten durch Rechtsanwälte 
Valentin Aebischer und/oder Guillaume Hess, 
 
Oberamt des Seebezirks, 
Schlossgasse 1, Postfach 226, 3280 Murten. 
 
Gegenstand 
Baubewilligung, Unterniveaubaute, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts 
des Kantons Freiburg, II. Verwaltungsgerichtshof, 
vom 14. Juli 2022 (602 2022 154, 602 2022 155). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ ist Eigentümer des Grundstücks Nr. 591 in Courtepin. Dieses befindet sich in der Wohnzone schwacher Dichte und ist mit einem Einfamilienhaus überbaut. Am 16. März 2021 erteilte ihm das Oberamt des Seebezirks (nachfolgend: Oberamt) die Bewilligung für den Neubau eines Ateliers, eines beheizten Schwimmbads, einer Gartenmauer und einer Wärmepumpe mit Erdsonden. Am 7. Oktober 2021 verfügte das Oberamt die Einstellung der Bauarbeiten, weil diese nach geänderten, nicht bewilligten Plänen ausgeführt worden seien. 
 
B.  
Daraufhin reichte A.________ am 21. September 2021 ein Baugesuch zur Bewilligung der (teilweise bereits ausgeführten) Planänderungen ein. Dieses sieht anstelle des Ateliers eine Zweizimmerwohnung, ein kleineres Schwimmbad sowie eine Garage im südlichen Bereich der Parzelle vor. Gegen das Bauvorhaben erhoben C.________ und B.________ sowie E.________ und D.________ als Eigentümer und Eigentümerin der Anrainerparzellen Nrn. 592 bzw. 598 Einsprache. 
Am 3. Mai 2022 wies das Oberamt die Einsprache ab und bewilligte die Planänderung. 
 
C.  
Dagegen gelangten die Einsprechenden an das Kantonsgericht Freiburg. Dieses hiess die Beschwerde am 14. Juli 2022 gut und hob die angefochtenen Entscheide vom 3. Mai 2022 auf. 
 
D.  
Gegen den kantonsgerichtlichen Entscheid hat A.________ am 14. September 2022 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht erhoben. Er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Entscheide des Oberamts vom 3. Mai 2022 seien zu bestätigen. Eventualiter sei die Sache zu neuem Urteil im Sinne der Erwägungen an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. 
 
E.  
C.________ und B.________ sowie E.________ und D.________ (nachfolgend: die Beschwerdegegnerschaft) schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Kantonsgericht verzichtet auf eine Stellungnahme und verweist auf die Erwägungen des angefochtenen Entscheids. 
Im weiteren Schriftenwechsel halten die Parteien an ihren Vorbringen und Anträgen fest. 
 
F.  
Das Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der aufschiebenden Wirkung wurde am 13. Oktober 2022 abgewiesen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Gegen den kantonal letztinstanzlichen Endentscheid des Kantonsgerichts steht grundsätzlich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht offen (Art. 82 lit. a, 86 Abs. 1 lit. d und 90 BGG). Der Beschwerdeführer ist als Baugesuchsteller zur Beschwerde gegen die Aufhebung der ihm erteilten Baubewilligung legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Auf die rechtzeitig erhobene Beschwerde (Art. 100 Abs. 1 BGG) ist daher grundsätzlich einzutreten, vorbehältlich genügend begründeter Rügen (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. dazu unten, E. 4). 
 
2.  
Das Kantonsgericht erteilte den Bauabschlag, weil die projektierte Garage in nur 9 cm Abstand von der Grenze der Parzelle Nr. 592 errichtet werde und damit den Grenzabstand nicht einhalte. Dies wäre nach Art. 82 Abs. 2 des Ausführungsreglements vom 1. Dezember 2009 (RPBR; SGF 710.11) zum kantonalen Raumplanungs- und Baugesetz vom 2. Dezember 2008 (RPBG; SGF 710.1) einzig zulässig, wenn es sich bei der Garage um eine Unterniveaubaute i.S.v. Art. 75 RPBR handeln würde. 
Nach dieser Bestimmung gelten als Unterniveaubauten Gebäude, die nicht mehr als 1 m über das massgebende oder tiefer gelegte Terrain hinausragen. Weil Abgrabungen vorgenommen worden seien, sei auf die Höhe über dem tiefergelegten Terrain abzustellen. Dies ergebe sich auch aus den Skizzen zu Ziff. 2.5 in Anh. 2 der Interkantonalen Vereinbarung vom 22. September 2005 über die Harmonisierung der Baubegriffe (IVHB; SGF 710.7; für den Kanton Freiburg in Kraft seit 1. Januar 2010) und den dazu vom interkantonalen Organ publizierten Erläuterungen (OIHB, Stand 3. September 2013). 
Vorliegend überschreite die Garage das zulässige Mass. Gemäss den Bauplänen überschreite die im südöstlichen Teil der Parzelle Nr. 591 projektierte Garage an der Grenze zum Grundstück Nr. 592 das natürliche Terrain um bis zum 119 cm und das tiefer gelegte Terrain um maximal 251 cm (angefochtener Entscheid S. 7), auch unter Berücksichtigung der noch vorzunehmenden Umgebungsarbeiten (vorinstanzlicher Entscheid S. 8). 
 
3.  
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat, sofern dieser nicht offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 und Art. 97 Abs. 1 BGG). 
Der Beschwerdeführer macht in sachverhaltlicher Hinsicht geltend, der Weg im Grenzbereich der Parzellen Nrn. 591 und 592 sei nur für die Dauer der Bauarbeiten entfernt worden; anschliessend solle das ursprüngliche Terrain wiederhergestellt werden, so dass nur noch der Teil der seitlichen Fassadenfläche der Garage sichtbar sei, welcher das maximale Höhenmass von 1 m nicht übersteige. Er legt jedoch nicht dar, inwiefern die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung offensichtlich unrichtig und damit willkürlich ist (Art. 105 Abs. 2 BGG). Dies liegt auch nicht auf der Hand. 
 
4.  
In rechtlicher Hinsicht rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Ziff. 2.5 Anh. 1 IVHB. Die dazu publizierten Erläuterungen stellten zwar grundsätzlich auf die Höhe über dem tiefergelegten Terrain ab, wenn Abgrabungen vorgenommen worden seien. Eine Ausnahme gelte jedoch, wenn - wie hier - die Abgrabungen ausschliesslich dem Zugang oder der Zufahrt dienten; diesfalls sei nicht auf den tiefergelegten, sondern auf das "massgebende Terrain" i.S.v. Ziff. 1.1 IVHB, d.h. grundsätzlich auf den natürlichen Boden, abzustellen. 
Das Kantonsgericht erachtete diese Ausnahme im vorliegenden Fall als nicht einschlägig, weil die Abgrabungen nicht ausschliesslich dem Zugang oder der Zufahrt dienten. 
Die Beschwerdegegnerschaft ist der Auffassung, anwendbar sei das kantonale Recht. Die IVHB-Erläuterungen hätten keine Gesetzeskraft; im Übrigen handle es sich um eine blosse Soll-Vorschrift. 
 
4.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann die Verletzung der in Art. 95 BGG genannten Rechtsbestimmungen gerügt werden. Dazu zählt das interkantonale Recht (Art. 95 lit. e BGG); dieses umfasst namentlich Konkordate (Art. 48 Abs. 1 BV) und von interkantonalen Organen erlassene rechtsetzende Bestimmungen (Art. 48 Abs. 4 BV). Keinen Beschwerdegrund stellt dagegen (von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen) die Verletzung von kantonalem Recht dar. Diesbezüglich kann mit Beschwerde einzig geltend gemacht werden, dessen Auslegung und Anwendung verletze das Willkürverbot (Art. 9 BV) oder anderes übergeordnetes Recht.  
Das Bundesgericht wendet das Bundesrecht grundsätzlich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Die Verletzung von Grundrechten sowie von kantonalem und interkantonalem Recht prüft es dagegen nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und genügend begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG); hierfür gelten qualifizierte Begründungsanforderungen (BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254 mit Hinweisen). 
 
4.2. Die Unterscheidung von kantonalem und interkantonalem Recht ist nicht leicht, wenn es sich - wie bei der IVHB - um eine nur mittelbar rechtsetzende Vereinbarung handelt, die erst mit dem Erlass entsprechender kantonaler Bestimmungen Gültigkeit für die Rechtsunterworfenen erlangt (vgl. dazu BEAT STALDER/NICOLE TSCHIRKY, in: Griffel/Liniger/Rausch/Thurnherr [Hrsg.], Fachhandbuch Öffentliches Baurecht, 2016, Rz. 3.352).  
Unter der Herrschaft des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG; BS 3 531) konnten derartige Konkordate in aller Regel nicht angerufen werden, weil es an der für die staatsrechtliche Beschwerde erforderlichen direkten Berechtigung oder Verpflichtung fehlte (vgl. Rechtsprechungsübersicht bei WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, Bern 1994, S. 86, und speziell zum damaligen IVHB-Entwurf DANIELA IVANOV, Die Harmonisierung des Baupolizeirechts unter Einbezug der übrigen Baugesetzgebung, Diss. Freiburg 2006, S. 471). KÄLIN (a.a.O., S. 86 f.) schlug schon damals vor, die Konkordatsbeschwerde ausnahmsweise zuzulassen, wenn die angerufene Bestimmung den Gesetzgebungsauftrag inhaltlich konkret umschreibe und spezifische Garantien zugunsten oder Pflichten zulasten Privater vorsehe. Im Urteil 2P.366/1992 vom 7. Februar 1995 (in: ZBl 96/1995 422 E. 5a) wurde offengelassen, ob die Auslegung des kantonalen Rechts ausnahmsweise frei geprüft werden könne, wenn diese sich massgeblich auf nicht unmittelbar anwendbares Konkordatsrecht stütze. 
Seit Inkrafttreten des BGG, der für die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten die tatsächliche Betroffenheit genügen lässt, tritt das Bundesgericht auch auf Beschwerden ein, mit denen geltend gemacht wird, das anwendbare kantonale Recht verletze die Vorgaben bzw. den Rahmen eines nur mittelbar rechtsetzenden Konkordats; dies prüft das Bundesgericht frei (vgl. z.B. Urteile 2C_757/2020 vom 9. April 2021; 2C_817/2021 vom 24. Juni 2022; beide zur Interkantonalen Vereinbarung über die Zusammenarbeit im Bereich der Sonderpädagogik vom 25. Oktober 2007; speziell zur IVHB vgl. Urteil 1C_540/2018 vom 9. Mai 2019 E. 3.1; anders noch Urteil 2C_301/2015 vom 3. November 2015 E. 2.2, wo auf die unmittelbare Anwendbarkeit der VKF-Brandschutznormen abgestellt wurde. 
Eine Verletzung von interkantonalem Recht setzt voraus, dass dem Kanton bei der Umsetzung, Auslegung und Anwendung des harmonisierten Rechts im Einzelfall kein Gestaltungsspielraum zusteht (zu den Regelungsspielräumen der IVHB-Kantone vgl. STALDER/TSCHIRKY, a.a.O., Rz. 3.356 ff.). Andernfalls kann die Anwendung des kantonalen Recht nur auf Willkür und die Verletzung anderer verfassungsmässiger Rechte überprüft werden (zur analogen Situation im Rahmen der bundesrechtlichen Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden vgl. Urteil 2C_1094/2018 vom 9. Dezember 2019 E. 2.4, in: ASA 88/654 E. 2). Die Beschwerdebegründung (gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG) muss daher auch diesen Aspekt mitumfassen. 
 
4.3. Vorliegend genügt die Beschwerdeschrift schon diesen Anforderungen nicht. Der Beschwerdeführer beruft sich einzig auf die Erläuterungen zu Ziff. 2.5 IVHB. Diese bestätigen, dass grundsätzlich ab dem tiefsten Punkt des massgebenden oder tiefer gelegten Terrains zu messen sei, d.h. ab dem tiefer gelegten Terrain, wenn Abgrabungen vorgenommen würden. Zwar wird hinzugefügt, dass die kantonale Messvorschrift das Maximalmass nicht ab dem tiefer gelegten Terrain messen "sollte", wenn die Abgrabung ausschliesslich dem Zugang oder der Zufahrt diene, weil sonst ein nicht erklärbarer Unterschied zu den unterirdischen Bauten (Ziff. 2.4) entstehe. Diese Ausnahme ist aber nur als Sollvorschrift formuliert, was für das Bestehen eines Regelungsspielraums spricht. Ohnehin wird ein Abweichen von der Regel (Messung ab dem tiefergelegten Terrain) nur empfohlen, um Wertungswidersprüche zu den unterirdischen Bauten zu vermeiden. Der Beschwerdeführer legt jedoch nicht dar, inwiefern vorliegend ein derartiger Widerspruch auftreten könnte. Dies ist auch nicht ersichtlich:  
Ziff. 2.4 Anh. 1 IVHB sieht vor, dass unterirdische Bauten mit Ausnahme ihrer Erschliessung (Zufahrt und/oder Zugang) unter dem massgebenden oder tiefer gelegten Terrain liegen müssten. Beispiele seien ein oberirdisch sichtbarer Treppenzugang (Skizze 2.4 Anhang 2) oder eine Zufahrt, bei der nur das Zufahrtstor zum unterirdischen Bau an der Erdoberfläche sichtbar sei (vgl. Erläuterungen zu Ziff. 2.4). Ein Wertungswiderspruch könnte daher allenfalls auftreten, wenn eine Unterniveaubaute verneint wird, obwohl einzig das Garagentor mehr als 1 m über das tiefergelegte Terrain hinausragt. Vorliegend überschreiten jedoch (nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz; vgl. oben E. 3) auch grosse Teile der seitlichen Fassade das zulässige Mass. 
 
5.  
Der Beschwerdeführer rügt schliesslich, das Kantonsgericht sei in unzulässiger Weise vom Amtsbericht des Bau- und Raumplanungsamtes (BRPA) vom 17. Februar 2022 abgewichen. Diese Rüge ist offensichtlich unbegründet: Ob die streitige Garage als Unterniveaubaute i.S.v. Art. 75 RPBR zu qualifizieren ist, ist eine Rechtsfrage, die vom Kantonsgericht grundsätzlich frei zu prüfen ist, ohne Bindung an die Rechtsauffassung kantonaler Exekutivbehörden. Die Rechtsprechung, wonach das Gericht von einem schlüssigen Gutachten nicht ohne triftige Gründe abweichen darf (vgl. BGE 145 II 70 E. 5.5 mit Hinweisen), bezieht sich auf Fach- und nicht auf Rechtsfragen (BGE 132 II 257 E. 4.4.1 mit Hinweisen). 
 
6.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 und 68 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Der Beschwerdeführer hat die Beschwerdegegnerschaft mit insgesamt Fr. 4'000.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Oberamt des Seebezirks und dem Kantonsgericht des Kantons Freiburg, II. Verwaltungsgerichtshof, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 7. November 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Die Gerichtsschreiberin: Gerber