8C_1/2024 10.06.2024
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_1/2024  
 
 
Urteil vom 10. Juni 2024  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Métral, 
Gerichtsschreiber Hochuli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Visana Versicherungen AG, Weltpoststrasse 19, 3015 Bern, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (unfallähnliche Körperschädigung), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 2. November 2023 (725 23 114 / 250). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________, geboren 1994, erlitt am 1. Dezember 2014 beim Volleyballspiel eine vordere Kreuzbandruptur am linken Knie sowie Begleitläsionen am medialen Meniskus und am Aussenmeniskus, welche Prof. Dr. med. B.________ am 19. Dezember 2014 operativ behandelte. Kostenträgerin war damals die Krankenkasse Helsana (fortan: Helsana). Jeweils im Frühjahr 2016 und 2018 hatten linksseitige Kniebeschwerden weitere spezialärztiche Konsultationen in der Klinik C.________ zur Folge. 
Seit 1. September 2019 arbeitete A.________ als Assistenzpsychologin in einem 60%-Pensum bei Dr. med. D.________ und war in dieser Eigenschaft bei der Visana Versicherungen AG (fortan: Visana oder Beschwerdeführerin) gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten versichert. Am 8. April 2021 liess sie der Visana melden, sie habe sich am 4. April 2021 beim Outdoor-Konditionstraining das linke Knie verrenkt und dabei einen Meniskusriss zugezogen. Nach der Erstuntersuchung der Dr. med. E.________ vom 4. April 2021 in der hausärztlichen Notfallpraxis des Spitals F.________ folgte am 7. April 2021 eine MRT-Untersuchung, wonach der festgestellte Korbhenkelriss des medialen Meniskus am linken Knie am 9. April 2021 durch Prof. Dr. med. B.________ und PD Dr. med. G.________ im Spital H.________ operativ saniert wurde. Unter Verweis auf die Zuständigkeit des obligatorischen Krankenpflegeversicherers verneinte die Visana am 25. Juni 2021 eine Leistungspflicht für die am 8. April 2021 angemeldeten Beschwerden am linken Knie, indem sie sowohl einen Unfall als auch eine unfallähnliche Körperschädigung verneinte. Daran hielt sie mit Verfügung vom 17. August 2021 und Einspracheentscheid vom 24. März 2023 fest. Die Helsana, welcher in ihrer Eigenschaft als zuständige obligatorische Krankenpflegeversicherung sowohl die Verfügung als auch der Einspracheentscheid eröffnet wurden, äusserte sich nicht dazu. 
 
B.  
Die hiergegen erhobene Beschwerde der A.________ hiess das Kantonsgericht Basel-Landschaft gut, indem es den Einspracheentscheid aufhob und die Visana verpflichtete, für das Ereignis vom 4. April 2021 die gesetzlichen Leistungen zu erbringen (Urteil vom 2. November 2023). 
 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die Visana, das kantonale Urteil sei aufzuheben und der Einspracheentscheid zu bestätigen. 
A.________ und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht im Beschwerdeverfahren (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1; 138 I 274 E. 1.6).  
 
1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).  
 
2.  
 
2.1. Strittig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie den Einspracheentscheid vom 24. März 2023 aufhob und die Visana verpflichtete, für die Listenverletzung vom 4. April 2021 im Sinne von Art. 6 Abs. 2 lit. c UVG die gesetzlichen Leistungen zu erbringen.  
 
2.2. Vor Bundesgericht ist hingegen unbestritten, dass der Unfallbegriff gemäss Art. 4 ATSG mangels eines ungewöhnlichen äusseren Faktors nicht erfüllt ist. Nach Angaben der Beschwerdeführerin steht sodann fest, dass sich die Beschwerdegegnerin am 4. April 2021 beim Outdoor-Konditionstraining das linke Knie verrenkte und und einen Meniskusriss zuzog. Laut Aktenbeurteilung vom 21. März 2023 des die Visana beratenden Orthopäden Dr. med. I.________, zeigte die Magnetresonanztomographie vom 7. April 2021 eine dislozierte Korbhenkelläsion am medialen Meniskus des linken Kniegelenks im Sinne eines Meniskusrisses gemäss Art. 6 Abs. 2 lit. c UVG.  
 
3.  
 
3.1. Die Vorinstanz hat die rechtlichen Grundlagen und die Rechtsprechung betreffend die hier anwendbare, am 1. Januar 2017 in Kraft getretene Bestimmung von Art. 6 Abs. 2 UVG über die Leistungen des Unfallversicherers aus unfallähnlicher Körperschädigung (zu deren zeitlichem Anwendungsbereich: BGE 146 V 51 E. 2.3) richtig dargelegt. Gleiches gilt hinsichtlich des Beweisgrads der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 146 V 271 E. 4.4) und des Beweiswerts ärztlicher Berichte oder Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1, 125 V 351 E. 3b/ee). Darauf wird verwiesen.  
 
3.2. Hervorzuheben ist, dass gemäss der zu Art. 6 Abs. 2 UVG (in Kraft seit 1. Januar 2017) ergangenen Rechtsprechung in BGE 146 V 51 grundsätzlich bereits die Tatsache, dass eine in Art. 6 Abs. 2 lit. a-h UVG genannte Körperschädigung vorliegt, nunmehr zur Vermutung führt, es handle sich hierbei um eine unfallähnliche Körperschädigung, die vom Unfallversicherer übernommen werden muss. Dieser kann sich aber von seiner Leistungspflicht befreien, wenn er den Nachweis erbringt, dass die Verletzung vorwiegend auf Abnützung oder Erkrankung zurückzuführen ist. Dies setzt voraus, dass er im Rahmen seiner Abklärungspflicht (vgl. Art. 43 Abs. 1 ATSG) nach Eingang der Meldung einer Listenverletzung die Begleitumstände der Verletzung genau abklärt. Bei der in erster Linie von medizinischen Fachpersonen zu beurteilenden Abgrenzungsfrage ist das gesamte Ursachenspektrum der in Frage stehenden Körperschädigung zu berücksichtigen. Nebst dem Vorzustand sind somit auch die Umstände des erstmaligen Auftretens der Beschwerden näher zu beleuchten. Die verschiedenen Indizien, die für oder gegen Abnützung oder Erkrankung sprechen, müssen aus medizinischer Sicht gewichtet werden. Damit der Entlastungsbeweis gelingt, hat der Unfallversicherer gestützt auf beweiskräftige ärztliche Einschätzungen - mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit - nachzuweisen, dass die fragliche Listenverletzung vorwiegend, d.h. im gesamten Ursachenspektrum zu mehr als 50 %, auf Abnützung oder Erkrankung zurückzuführen ist (E. 8.6 und E. 9.2 mit weiteren Hinweisen; SVR 2022 UV Nr. 37 S. 146, 8C_593/2021 E. 2.3).  
 
4.  
 
4.1. Vor Bundesgericht ist unbestritten, dass die Beurteilung des Dr. med. I.________ vom 21. März 2023 die Anforderungen an den Beweiswert einer versicherungsinternen Aktenbeurteilung erfüllt. Das kantonale Gericht schloss gestützt darauf, bei gegebener Aktenlage sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der am 4. April 2021 erlittene Meniskusriss vorwiegend auf die bereits im Jahre 2014 erlittene Verletzung zurückzuführen sei. Für die aus dem damaligen Unfall beim Volleyballspiel resultierenden Gesundheitsschäden habe offenbar die Helsana die Heilbehandlungsleistungen erbracht. Aus der Logik der in Art. 6 Abs. 2 UVG vorgesehenen Möglichkeit des Entlastungsbeweises folge, dass es sich beim Erfordernis der "Abnützung und Erkrankung" um das ergänzende Gegenstück zu einem spezifischen Ereignis handeln müsse (BGE 146 V 51 E. 8.2.3). Da hier der Vorzustand ausschliesslich auf der traumatischen Pathogenese des Gesundheitsschadens von 2014 und der daran anschliessenden Entwicklung beruhe, sei der Meniskusriss Folge einer unfallbedingten Ursache und nicht auf "Abnützung oder Erkrankung" zurückzuführen. "Damit [sei] der Entlastungsbeweis gemäss Art. 6 Abs. 2 UVG ausgeschlossen". Dass die aktuell zur Diskussion stehenden Beschwerden allenfalls eine indirekte Spätfolge der ursprünglich im Dezember 2014 erlittenen Kniedistorsion darstellen könnten, vermöge die Leistungspflicht der Beschwerdeführerin ebenso wenig auszuschliessen. Deshalb sei die Beschwerdeführerin zu verpflichten, für das Ereignis vom 4. April 2021 die gesetzlichen Leistungen zu erbringen.  
 
4.2. Hiergegen wendet die Beschwerdeführerin ein, die Vorinstanz habe Bundesrecht verletzt, indem sie den von der Visana erbrachten Entlastungsbeweis gemäss Art. 6 Abs. 2 UVG ausgeschlossen habe. Die Argumentation des kantonalen Gerichts sei widersprüchlich und nicht nachvollziehbar. Zu Recht habe es erkannt, dass auf die beweiswertige versicherungsinterne Aktenbeurteilung des Dr. med. I.________ vom 21. März 2023 abzustellen sei. So habe Dr. med. I.________ gemäss angefochtenem Urteil nachvollziehbar dargelegt, dass der erneut erlittene Meniskusschaden eine Folge progredienter Veränderungen darstelle, welche ihrerseits auf einen bereits im Jahr 2014 erlittenen Knieschaden zurückzuführen seien. Die auf den neuesten MRT-Bildern vom 7. April 2021 sichtbare Umschlagstelle im medialen Meniskus verlaufe genau entlang der bereits auf den Voraufnahmen von 2014 und 2018 erkennbaren Delle bzw. Risslinie. Gestützt darauf habe die Vorinstanz bei gegebener Aktenlage zutreffend erkannt, dass der am 4. April 2021 entstandene Meniskusriss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vorwiegend auf die bereits im Jahr 2014 erlittene Verletzung zurückzuführen sei. Nicht nachvollziehbar sei demgegenüber, weshalb das kantonale Gericht gleichzeitig die Möglichkeit des Entlastungsbeweises verneint habe mit der Begründung, Dr. med. I.________ habe die progredienten Veränderungen im linken Knie als eine ausschliessliche Folge des von der Beschwerdegegnerin zuvor erlittenen Unfalles dargestellt.  
 
5.  
 
5.1. Im angefochtenen Urteil findet sich keine Begründung für den von der Vorinstanz sinngemäss vertretenen Standpunkt, wonach sich an der Leistungspflicht der Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 6 Abs. 2 lit. c UVG auch dann nichts ändern würde, wenn die hier zu beurteilenden, seit April 2021 geklagten Beschwerden im linken Knie eine indirekte Spätfolge der ursprünglich im Dezember 2014 erlittenen Kniedistorsion darstellen würden. Mit der Beschwerdeführerin ist diese Einschätzung nicht nachvollziehbar. Zutreffend verweist sie darauf, dass der ursprünglich zuständige Unfallversicherer auch dann für die natürlich und adäquat kausalen Gesundheitsschädigungen im Rahmen von Rückfällen und Spätfolgen nach Art. 11 UVV leistungspflichtig ist, wenn die versicherte Person im Zeitpunkt des Wiederaufflackerns einer vermeintlich geheilten Krankheit bzw. der Entstehung von organischen oder psychischen Veränderungen im Verlaufe längerer Zeit nach einem scheinbar geheilten Leiden (vgl. BGE 118 V 293 E. 2c und Urteil 8C_171/2023 vom 17. Januar 2023 E. 3.1, je mit Hinweisen) bei einem anderen Unfallversicherer gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten nach UVG versichert war. Zudem ist unbestritten, dass die Helsana, welcher die Verfügung vom 17. August 2021 und der Einspracheentscheid vom 24. März 2023 eröffnet wurden, gegen die Verneinung der Leistungspflicht der Beschwerdeführerin keine Einwände erhob. Gemäss angefochtenem Urteil hatte die Helsana offenbar bereits für die ursprünglichen Folgen des Volleyballunfalles vom 1. Dezember 2014 die gesetzlichen Leistungen erbracht und war nach dem Behandlungsprinzip (vgl. SVR 2007 KV Nr. 8 S. 31, K 114/05 E. 1 mit Hinweis) auch 2021 nach wie vor zuständig für die Erbringung der obligatorische Krankenpflegeleistungen.  
 
5.2. Mit der Beschwerdeführerin ist nicht nachvollziehbar, weshalb ihr laut angefochtenem Urteil der Entlastungsbeweis gemäss Art. 6 Abs. 2 UVG verschlossen bleiben sollte. Wie die Vorinstanz gestützt auf die beweiswertige Aktenbeurteilung des Dr. med. I.________ zutreffend erkannte, steht ausser Frage, dass der im April 2021 festgestellte Meniskusschaden im Sinne einer Listenverletzung gemäss Art. 6 Abs. 2 lit. c UVG eine Folge progredienter Veränderungen darstellt, welche ihrerseits auf den bereits im Jahr 2014 erlittenen Knieschaden zurückzuführen sind. Nach Angaben des Dr. med. I.________ war diese Pathologie schon 2014 im Zusammenhang mit der damals erlittenen vorderen Kreuzbandruptur erstmals zu erkennen und entwickelte sich im Verlauf kontinuierlich weiter, gut erkennbar an der begleitenden Baker-Zyste als Zeichen eines chronischen intraartikulären Prozesses. Ungeachtet dessen, dass am Anfang dieses unbestritten ursächlichen und progredienten Verlaufs die unfallbedingte Knieverletzung von 2014 mit weiteren Phasen von ärztlicher Behandlungsbedürftigkeit jeweils im Frühling 2016 und 2018 stand, war die Beschwerdegegnerin jedenfalls erst seit Antritt der neuen Arbeitsstelle vom 1. September 2019 (vgl. Art. 3 Abs. 1 UVG) bei der Beschwerdeführerin nach UVG gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten versichert. Unter den gegebenen Umständen steht gestützt auf die unbestritten beweiswertige Aktenbeurteilung des Dr. med. I.________ offensichtlich fest, dass die im April 2021 symptomatisch gewordene Listenverletzung nach Art. 6 Abs. 2 lit. c UVG mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vorwiegend auf Einflussfaktoren zurückzuführen ist, die - unabhängig von der Pathogenese der ursprünglichen Gesundheitsschädigung - zu mehr als 50% des gesamten Ursachenspektrums auf Abnützung beruhen (E. 3.2 i.f.). Soweit die Vorinstanz bei dieser Beweislage den Entlastungsbeweis der Beschwerdeführerin verneinte, verletzte sie Bundesrecht.  
 
5.3. Nach dem Gesagten ist die Beschwerde begründet. Das angefochtene Urteil ist folglich aufzuheben und der Einspracheentscheid der Beschwerdeführerin vom 24. März 2023 zu bestätigen.  
 
6.  
Die unterliegende Beschwerdegegnerin trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die obsiegende Visana hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 2. November 2023 wird aufgehoben und der Einspracheentscheid der Visana Versicherungen AG vom 24. März 2023 bestätigt. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 10. Juni 2024 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Der Gerichtsschreiber: Hochuli