1C_126/2023 07.03.2024
Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_126/2023  
 
 
Urteil vom 7. März 2024  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Müller, Merz, 
Gerichtsschreiberin Dillier. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau, Kantonspolizei Aargau, Rechtsdienst, Tellistrasse 85, Postfach, 5004 Aarau. 
 
Gegenstand 
Wegweisung und Fernhaltung gemäss Art. 34 PolG sowie Kontakt- und Annäherungsverbot gemäss Art. 34b PolG, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 2. Kammer, vom 6. Februar 2023 (WPR.2023.3). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 14. Dezember 2022 ordnete die Kantonspolizei Aargau gegenüber A.________ ein Kontakt- und Annäherungsverbot betreffend die von ihm getrenntlebende Ehefrau B.________ sowie eine Wegweisung und Fernhaltung betreffend deren Wohnort an. Die gestützt auf das kantonale Gesetz über die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit vom 6. Dezember 2005 (Polizeigesetz, PolG/AG; SAR 531.200) erlassenen Schutzmassnahmen wurden für eine Dauer von drei Monaten, d.h. vom 14. Dezember 2022 (9.30 Uhr) bis 14. März 2023 (9.30 Uhr), festgelegt. 
 
B.  
Die dagegen erhobene Beschwerde von A.________ hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau mit Urteil des Einzelrichters vom 6. Februar 2023 teilweise gut, indem es die von der Kantonspolizei angeordnete Wegweisung und Fernhaltung aufhob. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht beantragt A.________ sinngemäss, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben, soweit seine Beschwerde abgewiesen worden sei. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. 
Die Kantonspolizei und das Verwaltungsgericht haben sich nicht vernehmen lassen. Der Beschwerdeführer ersucht zweimal um prioritäre Behandlung seiner Beschwerde. Als Begründung führt er einerseits eine längere Auslandabwesenheit und andererseits eine auf den 12. Dezember 2023 angesetzte Anhörung im hängigen Eheschutzverfahren beim Bezirksgericht Laufenburg an. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid betreffend eine Schutzmassnahme (Kontakt- und Annäherungsverbot). Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht offen (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 sowie Art. 90 BGG); ein Ausnahmegrund gemäss Art. 83 BGG ist nicht gegeben. Die Beschwerde wurde fristgerecht erhoben (Art. 100 Abs. 1 BGG).  
 
1.2. Gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten legitimiert, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit dazu erhalten hat (lit. a), durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt ist (lit. b) und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat (lit. c). Das erforderliche schutzwürdige Interesse muss nicht nur bei der Beschwerdeeinreichung, sondern auch noch im Zeitpunkt der Urteilsfällung aktuell und praktisch sein. Fällt es im Laufe des Verfahrens dahin, wird die Sache als erledigt erklärt; fehlte es schon bei der Beschwerdeeinreichung, ist auf die Eingabe nicht einzutreten (BGE 142 I 135 E. 1.3.1 mit Hinweisen). Das Bundesgericht verzichtet ausnahmsweise auf das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses, wenn sich die aufgeworfenen Fragen unter gleichen oder ähnlichen Umständen jederzeit wieder stellen können, eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre und die Beantwortung wegen deren grundsätzlicher Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt (BGE 149 V 49 E. 5.1; 137 I 23 E. 1.3.1; Urteil 1C_4/2021 vom 27. April 2021 E. 1.2; je mit Hinweisen).  
 
1.3. Vorliegend galten die angeordneten Massnahmen nach kantonalem Polizeigesetz bis am 14. März 2023 (9.30 Uhr). Die auf den 13. März 2023 datierte Beschwerde wurde am 14. März 2023 (um 9.55 Uhr) elektronisch via eGov (PrivaSphere) eingereicht (vgl. Abholquittung von PrivaSphere). Das aktuelle Interesse des Beschwerdeführers hat damit im Zeitpunkt der Beschwerdeeinreichung bereits nicht mehr bestanden. Damit erübrigt es sich auch, auf seine Gesuche um prioritäre Behandlung der Sache einzugehen. Ob ausnahmsweise vom Erfordernis des aktuellen Interesses abgesehen werden kann, braucht mit Blick auf die nachfolgenden Erwägungen nicht beurteilt zu werden (vgl. in diesem Sinne auch Urteil 1C_4/2021 vom 27. April 2021 E. 1.2).  
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV). Er macht im Wesentlichen geltend, die vom 13. Dezember 2022 datierte Verfügung sei ihm von Herrn Wm mbV C.________ im Anschluss an seine Einvernahme vom 14. Dezember 2022 und anschliessender Durchsicht des Einvernahme-Protokolls lediglich pro forma zur Gewährung des rechtlichen Gehörs vorgelegt worden. Herr C.________, welcher an der Einvernahme gar nicht teilgenommen habe, das Einvernahme-Protokoll mit den Ergänzungen des Beschwerdeführers gar nicht habe lesen und würdigen können, habe damit vor der Eröffnung der bereits am Vortag von einer Drittperson vorgefertigten Verfügung gar nicht beurteilen können, ob und inwiefern gestützt auf seine Befragung eine Anpassung der Verfügung oder ein Verzicht darauf angezeigt gewesen wäre. Das rechtliche Gehör sei ihm nur zum Schein gewährt worden, da die verfügende Behörde gar nie in Erwägung gezogen habe, auf seine Stellungnahme einzugehen. Dies zeige sich auch darin, dass die Schutzmassnahmen per 14. Dezember 2022 um 9.30 Uhr angeordnet worden seien, also zum Zeitpunkt des Beginns seiner Befragung, welche mehrere Stunden gedauert habe. Die Annahme der Vorinstanz, die Verfügung sei fälschlicherweise auf den 13. Dezember 2022 datiert worden, sei offensichtlich unrichtig.  
 
2.1.1. Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör. Das rechtliche Gehör stellt ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheides dar, der in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Dazu gehört insbesondere das Recht der betroffenen Person, sich vor Erlass eines solchen Entscheides zur Sache zu äussern, damit sie im Verfahren ihren Standpunkt wirksam zur Geltung bringen kann (BGE 143 V 71 E. 4.1; 135 II 286 E. 5.1). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist zwar formeller Natur, womit seine Verletzung grundsätzlich ungeachtet der materiellen Begründetheit des Rechtsmittels zur Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids führt (BGE 148 IV 22 E. 5.5.2 mit Hinweisen). Eine nicht besonders schwerwiegende Verletzung des rechtlichen Gehörs kann jedoch ausnahmsweise als geheilt gelten, wenn die betroffene Person die Möglichkeit erhält, sich vor einer Beschwerdeinstanz zu äussern, die sowohl den Sachverhalt wie die Rechtslage frei überprüfen kann. Unter dieser Voraussetzung ist darüber hinaus - im Sinne einer Heilung des Mangels - selbst bei einer schwerwiegenden Verletzung des rechtlichen Gehörs von einer Rückweisung der Sache an die Vorinstanz abzusehen, wenn und soweit die Rückweisung zu einem formalistischen Leerlauf und damit zu unnötigen Verzögerungen führen würde (BGE 147 IV 340 E. 4.11.3 mit Hinweisen). Auch ohne Heilung der Gehörsverletzung kann zur Verhinderung eines Leerlaufs von einer Rückweisung abgesehen werden, wenn an der Rückweisung kein schützenswertes Interesse besteht. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Partei, deren Gehör verletzt wurde, nicht darlegt, dass sie in den Punkten, in denen ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt wurde, bei Gewährung desselben überhaupt Ausführungen hätte machen können, die zufolge der Verletzung nicht berücksichtigt werden konnten (Urteil 1C_128/2022 vom 19. Januar 2023 E. 3.5 mit Hinweisen). Dasselbe muss gelten, wenn aus prozessualen Gründen die Ausübung des rechtlichen Gehörs von Vornherein nichts am Prozessausgang ändern könnte (Urteil 4A_27/2018 vom 3. Januar 2019 E. 3.2.4).  
 
2.1.2. Ob der Beschwerdeführer vorliegend vor Erlass der strittigen Verfügung rechtsgenüglich angehört worden ist, ist höchst fraglich, zumal die Schutzmassnahmen bereits zu einem Zeitpunkt Wirkung entfalten sollten, an welchem die Befragung des Beschwerdeführers noch gar nicht stattgefunden hatte. Darüber braucht allerdings nicht abschliessend entschieden zu werden. Eine Rückweisung an die verfügende Behörde käme im zu beurteilenden Fall nämlich einem formalistischen Leerlauf gleich, da die angeordneten Schutzmassnahmen bereits im Zeitpunkt der Beschwerdeeinreichung ausser Kraft waren und damit kein aktuelles Interesse an der Beschwerdeerhebung mehr bestanden hat (vgl. E. 1.3 hiervor). Zudem konnte sich der Beschwerdeführer in der von ihm erhobenen kantonalen Beschwerde umfassend zur Sache äussern. Das Verwaltungsgericht hat die Verfügung der Kantonspolizei in Kenntnis der dagegen vorgebrachten Einwände des Beschwerdeführers geschützt. Ausserdem bestätigt der Beschwerdeführer die von seiner Ehefrau geschilderten Vorfälle und damit auch den Sachverhalt grösstenteils, auch wenn er diesen anders als die Vorinstanz würdigt. Angesichts der grossen Anzahl an Vorfällen ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz seine Versuche, die Zusammentreffen mit der Ehefrau als Zufälligkeiten darzustellen, als nicht glaubhaft gewertet hat und von einem wiederholten Nachstellen ausgegangen ist. Im Übrigen zeigt der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde vor Bundesgericht nicht ansatzweise auf, welche Vorbringen er in das kantonale Verfahren bei Gewährung des rechtlichen Gehörs eingeführt hätte und inwiefern diese hätten erheblich sein können (vgl. BGE 143 IV 380 E. 1.4.1; Urteil 5A_732/2021 vom 29. März 2022 E. 2.1.2; je mit Hinweisen).  
 
2.2. In Bezug auf die vom Beschwerdeführer erhobenen Sachverhaltsrügen fehlt es bereits an einer hinreichenden Begründung. Nach Art. 42 Abs. 2 BGG ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt. Dies setzt voraus, dass sich die beschwerdeführende Person wenigstens kurz mit den Erwägungen des angefochtenen Entscheids auseinandersetzt (BGE 140 III 86 E. 2; 134 II 244 E. 2.1). Vorliegend findet jedoch keine Auseinandersetzung mit den Ausführungen der Vorinstanz statt. Der Beschwerdeführer begnügt sich im Wesentlichen damit, seine eigene Auffassung derjenigen der Rechtsmittelinstanz gegenüberzustellen, ohne anhand der vorinstanzlichen Erwägungen des angefochtenen Urteils im Einzelnen aufzuzeigen, weshalb dieses offensichtlich unhaltbar sein soll. Inwiefern die Sachverhaltsrügen für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens entscheiderheblich sein sollen (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 137 III 226 E. 4.2; 135 I 19 E. 2.2.2), wird weder dargelegt noch ist dies ersichtlich. Dies betrifft insbesondere auch das angeblich falsch datierte Schreiben von Rechtsanwalt D.________ vom 22. Juni 2022, mit dem der Beschwerdeführer aufgefordert wurde, das belästigende Verhalten gegenüber seiner getrenntlebenden Ehefrau B.________ zu unterlassen.  
 
3.  
Nach dem Ausgeführten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Es rechtfertigt sich unter den vorliegenden Umständen, auf die Auferlegung von Gerichtskosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Damit wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau und dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 7. März 2024 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Die Gerichtsschreiberin: Dillier