6B_152/2023 06.07.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_152/2023  
 
 
Urteil vom 6. Juli 2023  
 
I. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Denys, 
Bundesrichter Rüedi, 
Gerichtsschreiber Matt. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Simon Krauter, Zürcherstrasse 96, 8500 Frauenfeld, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Maurerstrasse 2, 8510 Frauenfeld, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Mengenmässig qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, Raub, fortgesetzte Erpressung, Übertretung gemäss Art. 106 Abs. 2 AVIG; Willkür, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 14. Juli 2022 (SBR.2022.16). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Das Obergericht des Kantons Thurgau verurteilte A.________ am 14. Juli 2022 zweitinstanzlich wegen mengenmässig qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, Raubs, fortgesetzter Erpressung, mehrfacher Nötigung, mehrfacher teilweise versuchter Körperverletzung, mehrfacher Drohung und Übertretung gemäss Art. 106 Abs. 2 AVIG (Dispositiv-Ziffer 3a). Es belegte ihn mit einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren (Dispositiv-Ziffer 3b) und verhängte eine Landesverweisung von 7 Jahren samt Ausschreibung im Schengener Informationssystem (Dispositiv-Ziffer 4). Es auferlegte ihm Kosten von Fr. 23'117.-- für die Strafuntersuchung und das erstinstanzliche Verfahren sowie Fr. 3'000.-- für das Berufungsverfahren (Dispositiv-Ziffer 6). 
 
B.  
A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, die Dispositiv-Ziffern 3a, 3b, 4 und 6 des obergerichtlichen Urteils seien aufzuheben. Er sei von den Vorwürfen der mengenmässig qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, des Raubs, der fortgesetzten Erpressung und der Übertretung gemäss Art. 106 Abs. 2 AVIG freizusprechen. Es sei höchstens eine bedingte Freiheitsstrafe von 12 Monaten auszufällen. Von einer Landesverweisung sei abzusehen. Die Verfahrenskosten seien zu mindestens 80 % auf die Staatskasse zu nehmen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Beschwerde ist zu begründen, wobei anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids in gedrängter Form darzulegen ist, inwiefern dieser Recht verletzt (Art. 42 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BGG). Hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten einschliesslich Willkür in der Sachverhaltsfeststellung bestehen qualifizierte Rügeanforderungen (Art. 106 Abs. 2 BGG). 
Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht, und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 147 IV 73 E. 4.1.2). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1). Dies ist der Fall, wenn der angefochtene Entscheid geradezu unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht. Dass eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht. Erforderlich ist, dass der Entscheid nicht nur in der Begründung, sondern auch im Ergebnis willkürlich ist (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 88 E. 1.3.1). Für die Willkürrüge gelten erhöhte Begründungsanforderungen (Art. 97 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 2 BGG). Es genügt nicht, einen von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu behaupten oder die eigene Beweiswürdigung zu erläutern (BGE 148 V 366 E. 3.3; 137 II 353 E. 5.1 mit Hinweisen). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 148 IV 356 E. 2.1; 148 IV 205 E. 2.6; 146 IV 88 E. 1.3.1). Dem Grundsatz "in dubio pro reo" als Beweiswürdigungsregel kommt im Verfahren vor Bundesgericht keine über das Willkürverbot hinausgehende Bedeutung zu (BGE 148 IV 409 E. 2.2; 146 IV 88 E. 1.3.1). 
 
2.  
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Schuldsprüche wegen mengenmässig qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, Raubs, fortgesetzter Erpressung und Übertretung gemäss Art. 106 Abs. 2 AVIG
 
2.1.  
 
2.1.1. Die Vorinstanz begründet ausführlich, weshalb sie den Beschwerdeführer wegen mengenmässig qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz in Mittäterschaft verurteilt. Sie hält fest, der Beschwerdeführer und B.________ hätten gemeinsam den Entschluss gefasst, Drogen zu erwerben, zu lagern und zu verkaufen, um damit Geld zu verdienen. Diesen Entschluss hätten sie in die Tat umgesetzt, indem der Beschwerdeführer 330 Gramm Kokaingemisch bzw. 276 Gramm reines Kokain erworben habe, welches B.________ danach portioniert habe. In zwei Fällen sei das Kokain veräussert worden.  
 
2.1.2. Ebenso sorgfältig begründet die Vorinstanz die Schuldsprüche wegen Raubs und fortgesetzter Erpressung. Sie hält fest, der Beschwerdeführer habe im Januar 2020 in der Familienwohnung von seinem Sohn Geld gefordert unter der Androhung, sonst "alle umzubringen". Aus Angst habe der Sohn dem Beschwerdeführer widerwillig Fr. 400.-- in bar gegeben. Der Sohn habe die Todesdrohung ernst genommen, nachdem der Beschwerdeführer, der seine Ehefrau seit Jahren auch vor den Kindern verprügelt habe, mitten in der Nacht in die Familienwohnung gestürmt sei. In der Folge habe der Beschwerdeführer den Sohn gezwungen, zu einem Bankomaten zu fahren, um weitere Fr. 600.-- für ihn abzuheben. Zudem habe der Beschwerdeführer seinen Sohn von 2015 bis 2020 unter Androhung von Schlägen gezwungen, ihm einen Teil seines Lohns abzugeben. So habe er rund Fr. 9'000.-- erbeutet. Der Beschwerdeführer brachte im kantonalen Verfahren vor, bei den verlangten Geldbeträgen habe es sich um Darlehen gehandelt. Diese Behauptung verwirft die Vorinstanz. Sie stellt fest, dass der Beschwerdeführer weder willens noch fähig gewesen sei, dem Sohn das Geld zurückzugeben.  
 
2.1.3. Was die Übertretung gemäss Art. 106 Abs. 2 AVIG betrifft, nimmt die Vorinstanz zu Gunsten des Beschwerdeführers an, er habe mit der Arbeit in der Bar keinen Reingewinn oder Lohn erwirtschaftet und er habe nicht gewusst, dass seine Arbeit zu einer Reduktion des Anspruchs auf Arbeitslosentaggelder führen könne. Deswegen sei er mangels Vorsatzes vom Vorwurf des unrechtmässigen Bezugs von Leistungen einer Sozialversicherung gemäss Art. 148a StGB freizusprechen. Hingegen sei er verpflichtet gewesen, seine Arbeit in der Bar der Arbeitslosenkasse zu melden. Diese Meldepflicht habe er in den Formularen von November 2017 bis August 2018 und von Mai 2019 bis Februar 2020 verletzt. Daher habe er sich nach Art. 106 Abs. 2 AVIG strafbar gemacht.  
 
2.2. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, verfängt nicht.  
 
2.2.1. Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten, soweit der Beschwerdeführer in unzulässige appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil verfällt. Dies ist etwa der Fall, wenn er zum Vorwurf des Kokainhandels vorträgt, dass er konstante Aussagen gemacht habe; dass auf seinem Mobiltelefon "nur sehr wenige Mitteilungen" gefunden worden seien, die eine Beteiligung am Kokainhandel belegen; dass er das Kokain versteckt hätte, wenn er darum gewusst hätte; dass seine Spuren weder auf dem Rucksack noch auf dem verpackten Kokain gefunden worden seien; dass B.________ seinen Verwandten C.________ schütze und dass die Aussagen von B.________ "nicht sonderlich glaubwürdig" seien. Gleiches gilt beispielsweise, wenn der Beschwerdeführer zu den Vorwürfen des Raubs und der fortgesetzten Erpressung vorbringt, die Vorinstanz habe die Desinteresseerklärungen ungenügend berücksichtigt.  
 
2.2.2. Der Beschwerdeführer anerkennt, dass er seine Ehefrau mehrfach geschlagen hat, "wobei keine gravierenden Körperverletzungen aktenkundig" seien, weshalb von Tätlichkeiten auszugehen sei, welche teilweise verjährt sein dürften. Auch hier genügen die Ausführungen des Beschwerdeführers den Anforderungen an eine Willkürrüge nicht. Abgesehen davon beantragt er vor Bundesgericht ohnehin keinen Freispruch vom Vorwurf der mehrfachen teilweise versuchten Körperverletzung.  
 
2.2.3. Der Beschwerdeführer rügt, dass die Vorinstanz seine Ehefrau, seinen Sohn und C.________ nicht befragt hat.  
Die Vorinstanz weist darauf hin, dass der Beschwerdeführer die einzige Person sei, die eine Beteiligung von C.________ am Kokainhandel behaupte. Seine Aussagen dazu seien widersprüchlich und wenig glaubhaft. Demgegenüber verneine B.________ glaubhaft eine Beteiligung von C.________. Auch in den Akten fänden sich keine Anhaltspunkte für die Behauptungen des Beschwerdeführers. Aus den Nachrichten zwischen dem Beschwerdeführer und B.________ ergebe sich eher, dass C.________ über den Kokainhandel im Dunkeln gelassen worden sei. Unter diesen Umständen sei nicht ersichtlich, inwiefern die Aussagen von C.________ etwas zur Erstellung des Sachverhalts beitragen könnten. Diesen überzeugenden Erwägungen hält der Beschwerdeführer im Wesentlichen bloss entgegen, es wäre ein Leichtes gewesen, Informationen über C.________ einzuholen. 
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass seine Ehefrau und sein Sohn mehrfach befragt wurden. Er legt nicht ansatzweise dar, inwiefern die Vorinstanz seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt oder in Willkür verfällt, indem sie auf eine weitere Befragung verzichtet. Er macht bloss geltend, er sei "von dieser Argumentation nicht überzeugt, insbesondere weil das Gericht dadurch keinen persönlichen Eindruck erhält". 
 
2.2.4. Soweit der Beschwerdeführer die rechtliche Würdigung beanstandet, geht er von einem Sachverhalt aus, der von den willkürfreien Feststellungen der Vorinstanz abweicht. Gleiches gilt für seine Ausführungen zur Strafzumessung. Hier kommt hinzu, dass der Beschwerdeführer im Wesentlichen auf seine Ausführungen vor der Erstinstanz und der Vorinstanz verweist. Damit ist er nicht zu hören. Die Begründung der Beschwerde muss in der Beschwerdeschrift selbst enthalten sein. Der blosse Verweis auf Ausführungen in anderen Rechtsschriften oder auf die Akten reicht nicht aus (BGE 143 IV 122 E. 3.3 mit Hinweisen). Seine Anträge zu den Verfahrenskosten begründet der Beschwerdeführer nicht.  
 
2.2.5. Den Verzicht auf die Landesverweisung begründet der Beschwerdeführer im Wesentlichen mit den vergeblich beantragten Freisprüchen von den Katalogtaten. Darüber hinaus trägt er nur vor, es sei wegen eines Härtefalls von einer Landesverweisung abzusehen. Mit der ausführlichen Begründung der Vorinstanz setzt er sich nicht ansatzweise auseinander. Insbesondere scheint er zu übersehen, dass es nicht genügt, bloss zu behaupten, es liege ein Härtefall vor. Vielmehr müsste er darlegen, dass die Vorinstanz das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung zu Unrecht höher gewichtete als seine persönlichen Interessen am Verbleib in der Schweiz. Gegen die sorgfältige vorinstanzliche Interessenabwägung bringt er allerdings kein Wort vor.  
 
2.3. Nach dem Gesagten ist das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden.  
 
3.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist durch reduzierte Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2, Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 6. Juli 2023 
 
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Der Gerichtsschreiber: Matt