9C_546/2022 28.08.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_546/2022  
 
 
Urteil vom 28. August 2023  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, 
Bundesrichterin Scherrer Reber, 
Gerichtsschreiberin Dormann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Michel Czitron, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Schweizerische Ausgleichskasse SAK, Avenue Edmond-Vaucher 18, 1203 Genf, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Alters- und Hinterlassenenversicherung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil 
des Bundesverwaltungsgerichts 
vom 26. Oktober 2022 (C-3413/2020). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der im Dezember 1971 geborene A.________ ist schweizerischer Staatsangehöriger und lebt seit seiner Geburt in Israel. Die Schweizerische Ausgleichskasse SAK (nachfolgend: SAK) schloss ihn ab dem 1. Dezember 1992 der schweizerischen freiwilligen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (nachfolgend: freiwillige Versicherung) an. 
Mit Verfügung vom 28. Mai 2019 verpflichtete die SAK A.________, ihr innert 30 Tagen einen Versicherungsbeitrag (einschliesslich Verwaltungskostenbeitrag) für das Jahr 2018 von Fr. 1'337.70 zu zahlen. Mit Mahnungen vom 27. Juli und 28. September 2019 erinnerte die SAK an die ausstehende Beitragsforderung; gleichzeitig wies sie darauf hin, dass die fehlende oder verspätete Bezahlung insbesondere zum Ausschluss aus der freiwilligen Versicherung führen könne. Schliesslich schloss die SAK A.________ mit Verfügung vom 13. Januar 2020 resp. Einspracheentscheid vom 4. Juni 2020 mangels rechtzeitiger Beitragszahlung rückwirkend auf den 1. Januar 2018 aus der freiwilligen Versicherung aus. 
 
B.  
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 26. Oktober 2022 ab. 
 
C.  
A._______ lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen, das Urteil vom 26. Oktober 2022 und der Einspracheentscheid vom 4. Juni 2020 seien aufzuheben und er sei als Versicherter in der freiwilligen Versicherung zu belassen; eventuell sei die Sache zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an das Bundesverwaltungsgericht zurückzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Eine qualifizierte Rügepflicht gilt hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht. Das Bundesgericht prüft eine solche Rüge nur insofern, als sie in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 136 I 49 E. 1.4.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig (d.h. unhaltbar, willkürlich: BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 144 V 50 E. 4.2; 135 II 145 E. 8.1) ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Art. 2 AHVG enthält insbesondere folgende Vorgaben zur freiwilligen Versicherung: Schweizer Bürger, die nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Freihandelsassoziation leben, können der freiwilligen Versicherung beitreten, falls sie unmittelbar vorher während mindestens fünf aufeinander folgenden Jahren obligatorisch versichert waren (Art. 2 Abs. 1 AHVG). Versicherte, welche die nötigen Auskünfte nicht erteilen oder ihre Beiträge nicht fristgerecht bezahlen, werden aus der freiwilligen Versicherung ausgeschlossen (Art. 2 Abs. 3 AHVG). Der Bundesrat erlässt ergänzende Vorschriften über die freiwillige Versicherung; er bestimmt insbesondere die Frist und die Modalitäten des Beitritts, des Rücktritts und des Ausschlusses (Art. 2 Abs. 6 Satz 1 AHVG).  
 
2.2. In der Verordnung vom 26. Mai 1961 über die freiwillige Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (VFV; SR 831.111) wird der Ausschluss u.a. wie folgt geregelt: Die Versicherten werden aus der freiwilligen Versicherung ausgeschlossen: a. wenn sie die für das Beitragsjahr (Art. 14 Abs. 1) geschuldeten Beiträge bis zum 31. Dezember des folgenden Kalenderjahres nicht vollständig bezahlen; b. wenn sie die Verzugszinsen (Art. 18) nicht bis zum 31. Dezember des Jahres bezahlen, das auf dasjenige folgt, in dem diese Verzugszinsen mit einer Verfügung rechtskräftig festgesetzt wurden; c. wenn sie der Ausgleichskasse die verlangten Belege nicht bis zum 31. Dezember des Jahres einreichen, das auf das Beitragsjahr folgt (Art. 13 Abs. 1 VFV). Vor Ablauf der Frist stellt die Ausgleichskasse den Versicherten eine eingeschriebene Mahnung mit Androhung des Ausschlusses zu (Art. 13 Abs. 2 Satz 1 VFV). Der Ausschluss aus der Versicherung tritt nicht ein, wenn der Versicherte die Beiträge infolge höherer Gewalt nicht rechtzeitig entrichten kann oder die Überweisung der Beiträge in die Schweiz unmöglich ist (Art. 13 Abs. 4 VFV).  
 
3.  
Die Vorinstanz hat festgestellt, die SAK habe den Beschwerdeführer bereits mit der Beitragsverfügung vom 28. Mai 2018 (recte: 2019) daraufhin gewiesen, dass die verspätete Beitragszahlung den Ausschluss von der freiwilligen Versicherung zu Folge haben könne. Mit Mahnungen vom 27. Juli 2019 und vom 28. September 2019 habe sie ihm jeweils eine Zahlungsfrist von 30 Tagen angesetzt und für die Säumnis den Ausschluss angedroht. Die Ausschlussverfügung vom 13. Januar 2020 sei ergangen, weil keine Zahlung eingegangen sei. Mit diesem Vorgehen habe die SAK das in der VFV geregelte Mahnverfahren eingehalten. Der Beschwerdeführer sei nicht aus objektiven Gründen an der rechtzeitigen Zahlung gehindert worden, weshalb ke in Ausnahmetatbestand gemäss Art. 13 Abs. 4 VFV vorliege. 
Weiter hat das Bundesverwaltungsgericht erwogen, Art. 13 VFV sei nicht als Kann-Vorschrift formuliert, weshalb die SAK verpflichtet sei, Versicherte aus der freiwilligen Versicherung auszuschliessen, wenn - wie hier - die Voraussetzungen dafür erfüllt seien. Eine Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips (Art. 5 Abs. 3 und Art. 36 Abs. 3 BV) hat es unter Hinweis auf die klaren rechtlichen Bestimmungen und die Aufklärungen über die Folgen der nicht rechtzeitigen Bezahlung verneint. Sodann hat es offengelassen, ob die SAK die Verfügung betreffend den Ausschluss der Ehefrau (bei der laut Behauptung des Beschwerdeführers die genau gleich gelagerte Konstellation vorliege) zu Unrecht aufgehoben hatte. Für den Fall, dass dies zutrifft, hat es festgestellt, die SAK habe sich die Wiedererwägung des entsprechenden Einspracheentscheids vorbehalten und nicht die Absicht, einer rechtswidrigen Praxis zu folgen. Dementsprechend hat es einen Anspruch des Beschwerdeführers auf Gleichbehandlung im Unrecht verneint und schliesslich den Ausschluss des Beschwerdeführers aus der freiwilligen Versicherung bestätigt. 
 
4.  
 
4.1. Der Beschwerdeführer hält den Ausschluss aus der freiwilligen Versicherung für unverhältnismässig, willkürlich, überspitzt formalistisch, treuwidrig und übermässig hart. Er macht im Wesentlichen geltend, er habe die Beiträge während des Einspracheverfahrens, mithin vor Rechtskraft des Ausschlusses, beglichen. Der Versicherungsausschluss stelle einen schwerwiegenden Eingriff in seine Rechtsstellung dar, während der freiwilligen Versicherung nichts passiere, wenn er in dieser belassen werde. Die SAK habe denn auch im genau gleich gelagerten Fall seiner Ehefrau deren Einsprache gutgeheissen und vom Ausschluss abgesehen. Selbst wenn dies zu Unrecht erfolgt wäre, wäre in der gegebenen besonderen Konstellation (Ungleichbehandlung zweier Ehegatten) das Interesse an der Gleichbehandlung gewichtiger als das Gesetzmässigkeitsprinzip und Egalität hätte vor Legalität zu kommen. Es sei die Praxis der SAK gewesen, bei nachträglicher Einzahlung (während des Einspracheverfahrens) vom Versicherungsausschluss abzusehen.  
Ob die Beschwerde damit überhaupt den qualifizierten Anforderungen an die Begründung genügt (vgl. vorangehende E. 1), kann offenbleiben, wie sich aus dem Folgenden ergibt. 
 
4.2. Bundesgesetze und Völkerrecht sind für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend (Art. 190 BV). Anders als der Beschwerdeführer glauben machen will, ist der Ausschluss aus der freiwilligen Versicherung bei fehlender Mitwirkung oder nicht fristgerechter Beitragszahlung in Art. 2 Abs. 3 AHVG und damit im formellen Gesetz statuiert. Dass die hier interessierenden Bestimmungen der VFV (vgl. vorangehende E. 2) aus dem Rahmen der im Gesetz (Art. 2 Abs. 6 Satz 1 AHVG) delegierten Kompetenzen fallen oder aus andern Gründen gesetzes- oder verfassungswidrig sein sollen (vgl. Urteil 9C_531/2020 vom 17. Dezember 2020 E. 3.2.2.2, nicht publ. in: BGE 147 V 70, aber in: SVR 2021 AHV Nr. 13 S. 39), ist nicht ersichtlich und wird auch nicht vorgebracht.  
 
4.3. Dem Verhältnismässigkeitsprinzip wurde insofern Rechnung getragen, als der Ausschluss bei verspäteter Beitragszahlung mehrfach angedroht wurde. Der Beschwerdeführer liess indessen nicht nur die in den entsprechenden Mahnungen angesetzten Fristen, sondern auch jene von Art. 13 Abs. 1 lit. a VFV unbenutzt verstreichen. Weshalb die Annahme einer verspäteten Zahlung die Rechtskraft des Ausschlusses voraussetzen soll, leuchtet nicht ein und wird auch nicht näher begründet.  
Soweit der Beschwerdeführer ein Interesse der Verwaltung am Ausschluss säumiger Versicherter von der freiwilligen Versicherung verneint, ist ihm zu widersprechen: Da Personen mit Wohnsitz im Ausland nicht betrieben werden können, rechtfertigt es sich, Versicherte, welche ihrer Pflicht zur Zahlung der Beiträge oder ihrer Auskunftspflicht innert Frist nicht nachkommen, von der Versicherung auszuschliessen. Vor Inkrafttreten von Art. 2 Abs. 3 AHVG auf den 1. Januar 2001 blieben Versicherte, selbst wenn sie ihre Beiträge nicht mehr entrichteten, noch während drei Jahren versichert. Die aktuelle Regelung will verhindern, dass die Versicherten die Bezahlung der Beiträge vom Eintritt des versicherten Ereignisses abhängig machen (Botschaft vom 28. April 1999 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung [Revision der freiwilligen Versicherung], BBl 1999 5009 Ziff. 221 Erläuterung zu Art. 2 AHVG). 
 
4.4. Der blosse - behauptete - Umstand, wonach die SAK im Fall der Ehefrau des Beschwerdeführers zu Recht vom Ausschluss abgesehen habe, lässt keine Bundesrechtswidrigkeit des hier (allein) angefochtenen Urteils (vgl. Art. 86 Abs. 1 lit. a BGG) erkennen.  
 
4.5. Soweit im Fall der Ehefrau ebenfalls ein Ausschluss angezeigt gewesen wäre (was weiterhin offenbleiben kann), gilt Folgendes: Grundsätzlich kann sich der Rechtsuchende der korrekten Rechtsanwendung in seinem Fall nicht mit dem Argument entziehen, das Recht sei in anderen Fällen falsch oder gar nicht angewendet worden. Weicht die Behörde jedoch nicht nur in einem oder in einigen Fällen, sondern in ständiger Praxis vom Gesetz ab, und gibt sie zu erkennen, dass sie auch in Zukunft nicht gesetzeskonform entscheiden werde, so kann der Bürger gestützt auf Art. 8 Abs. 1 BV verlangen, gleich behandelt, d.h. ebenfalls gesetzwidrig begünstigt zu werden. Nur wenn eine Behörde nicht gewillt ist, eine rechtswidrige Praxis aufzugeben, überwiegt das Interesse an der Gleichbehandlung der Betroffenen gegenüber demjenigen an der Gesetzmässigkeit. Äussert sich die Behörde nicht über ihre Absicht, so ist anzunehmen, sie werde aufgrund der Erwägungen des bundesgerichtlichen Urteils zu einer gesetzmässigen Praxis übergehen (BGE 146 I 105 E. 5.3.1 mit Hinweisen). Dass zwei Ehepartner in der gleichen Konstellation unterschiedlich behandelt werden, wie der Beschwerdeführer vorbringt, ist kein ernsthafter Grund für eine Abkehr von dieser Rechtsprechung (vgl. zu den entsprechenden Voraussetzungen BGE 145 V 304 E. 4.4; 141 II 297 E. 5.5.1).  
Ein konkreter Anhaltspunkt dafür, dass die SAK nicht gewillt sein soll, eine allfällige rechtswidrige Praxis aufzugeben, ist nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer legt denn auch nicht (substanziiert) dar, dass die vorinstanzliche Feststellung betreffend die diesbezügliche Absicht der SAK offensichtlich unrichtig sein soll (vgl. vorangehende E. 1). Damit kann auch nicht von einer Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes gesprochen werden. Die Beschwerde ist auch in diesem Punkt unbegründet. 
 
5.  
Dem Prozessausgang entsprechend hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bundesverwaltungsgericht und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 28. August 2023 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Die Gerichtsschreiberin: Dormann