7B_176/2023 24.05.2024
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_176/2023  
 
 
Urteil vom 24. Mai 2024  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Kölz, Hofmann, 
Gerichtsschreiberin Kern. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Gregor Münch, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich, Schwerpunktkriminalität, Cybercrime und besondere Untersuchungen, Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich. 
 
Gegenstand 
Erstellung DNA-Profil, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 25. Mai 2023 (UH230027-O/U/BEE). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich führt eine Strafuntersuchung gegen A.________ wegen schwerer Geldwäscherei, gewerbsmässiger Datenbeschädigung, Pornografie und weiterer Delikte. Sie wirft ihm insbesondere Besitz mehrerer tausend kinderpornografischer Darstellungen vor. Zudem soll er Cyberangriffe verübt haben, um dann die geschädigten Gesellschaften mithilfe von "Ransomware" zu erpressen. 
 
B.  
Mit Verfügung vom 12. Januar 2023 ordnete die Staatsanwaltschaft seine erkennungsdienstliche Erfassung und die Abnahme eines Wangenschleimhautabstrichs zur Erstellung eines DNA-Profils an. 
Gegen diese Verfügung erhob A.________ Beschwerde an die III. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich. Diese wies die Beschwerde mit Beschluss vom 25. Mai 2023 ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________ vor Bundesgericht, der Beschluss vom 25. Mai 2023 sei aufzuheben und der Staatsanwaltschaft sei zu untersagen, einen Wangenschleimhautabstrich vorzunehmen und ein DNA-Profil zu erstellen, bzw. eine allenfalls bereits abgenommene DNA-Probe sei zu vernichten und das allenfalls bereits erstellte DNA-Profil zu löschen. Eventualiter sei die Sache zur neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen, allenfalls mit der verbindlichen Anweisung, der Staatsanwaltschaft zu untersagen, einen Wangenschleimhautabstrich vorzunehmen und ein DNA-Profil zu erstellen, bzw. sei eine allenfalls bereits abgenommene DNA-Probe zu vernichten und ein allenfalls bereits erstelltes DNA-Profil zu löschen. 
Die Vorinstanz hat auf Vernehmlassung verzichtet. Die Staatsanwaltschaft hat sich nicht vernehmen lassen. 
Der Beschwerde wurde mit Verfügung vom 27. Juli 2023 die aufschiebende Wirkung zuerkannt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid in einer strafrechtlichen Angelegenheit, gegen den die Beschwerde in Strafsachen grundsätzlich offensteht (Art. 78 Abs. 1 und Art. 80 BGG). Die verfahrensgegenständliche Zwangsmassnahme dient nicht der Aufklärung der Straftaten, deren der Beschwerdeführer im laufenden Strafverfahren verdächtigt wird, sondern wurde vielmehr mit Blick auf allfällige andere - bereits begangene oder künftige - Delikte angeordnet. Ihr kommt somit eine über das Strafverfahren hinausgehende eigenständige Bedeutung zu. Der vorinstanzliche Entscheid ist deshalb praxisgemäss als Endentscheid zu behandeln, der nach Art. 90 BGG anfechtbar ist (Urteile 1B_259/2022 vom 23. Juni 2023 E. 1; 1B_217/2022 vom 15. Mai 2023 E. 1; je mit Hinweisen). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.  
 
1.2. Die per 1. Januar 2024 in Kraft getretene Gesetzesänderung betreffend DNA-Probenahme und -Profilerstellung hat keine Auswirkungen auf das vorliegende Urteil. Das Bundesgericht prüft im Rahmen der strafrechtlichen Beschwerde nämlich nur, ob die kantonale Instanz das Bundesrecht richtig angewendet hat, mithin jenes Recht, welches die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid anwenden musste (vgl. Urteil 7B_152/2024 vom 19. Februar 2024 E. 1.2 mit Hinweisen). Massgebend für die Beurteilung der bundesgerichtlichen Beschwerde sind damit weiterhin die DNA-Probenahme und -Profilerstellungsbestimmungen, wie sie bis zum 31. Dezember 2023 galten.  
 
2.  
Die DNA-Probenahme und die Erstellung eines DNA-Profils berühren das Recht auf persönliche Freiheit bzw. körperliche Integrität (Art. 10 Abs. 2 BV) und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 13 Abs. 2 BV und Art. 8 EMRK; BGE 147 I 372 E. 2.2 ff.; 145 IV 263 E. 3.4; je mit Hinweisen). Einschränkungen von Grundrechten bedürfen gemäss Art. 36 Abs. 1 bis 3 BV einer gesetzlichen Grundlage und müssen durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt und verhältnismässig sein, also geeignet, erforderlich und angemessen, um das angestrebte Ziel zu erreichen (vgl. auch Art. 197 Abs. 1 StPO). 
Nach aArt. 255 Abs. 1 lit. a StPO kann von der beschuldigten Person zur Aufklärung eines Verbrechens oder eines Vergehens eine Probe genommen und ein DNA-Profil erstellt werden. Die Strafbehörden können diese Zwangsmassnahmen aber nicht nur zur Aufklärung bereits begangener und ihnen bekannter Delikte anordnen. Wie aus aArt. 259 StPO in Verbindung mit der bis 31. Juli 2023 gültigen Fassung von Art. 1 Abs. 2 lit. a des Bundesgesetzes vom 20. Juni 2003 über die Verwendung von DNA-Profilen im Strafverfahren und zur Identifizierung von unbekannten oder vermissten Personen (DNA-Profil-Gesetz; SR 363) hervorgeht, soll die Erstellung eines DNA-Profils vielmehr auch erlauben, Täterinnen und Täter von Delikten zu identifizieren, die den Strafbehörden noch unbekannt sind. Dabei kann es sich um vergangene oder künftige Delikte handeln. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts dient aArt. 255 Abs. 1 lit. a StPO auch bei solchen Straftaten als gesetzliche Grundlage für die DNA-Probenahme und DNA-Profilerstellung (BGE 147 I 372 E. 2.1; 145 IV 263 E. 3.3; Urteil 7B_119/2022 vom 21. August 2023 E. 3; je mit Hinweisen). Die Bestimmung ermöglicht aber nicht bei jedem hinreichenden Tatverdacht die routinemässige Entnahme und Analyse von DNA-Proben (BGE 147 I 372 E. 2.1; 145 IV 263 E. 3.4; je mit Hinweisen). 
Nach der Rechtsprechung ist die Erstellung eines DNA-Profils, soweit sie nicht der Aufklärung der Straftaten eines laufenden Strafverfahrens dient, nur dann verhältnismässig, wenn erhebliche und konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die beschuldigte Person in andere - auch künftige - Delikte verwickelt sein könnte. Es muss sich zudem um Delikte von einer gewissen Schwere handeln (BGE 145 IV 263 E. 3.4 mit Hinweisen; vgl. BGE 147 I 372 E. 4.2). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die beschuldigte Person vorbestraft ist; trifft dies nicht zu, schliesst das die Erstellung des DNA-Profils jedoch nicht aus, sondern es fliesst als eines von vielen Kriterien in die Gesamtabwägung ein und ist entsprechend zu gewichten (BGE 145 IV 263 E. 3.4; Urteile 1B_230/2022 vom 7. September 2022 E. 2.2; 1B_171/2021 vom 6. Juli 2021 E. 4.1; je mit Hinweisen). Bei der Beurteilung der erforderlichen Deliktsschwere kommt es weder einzig auf die Ausgestaltung als Antrags- bzw. Offizialdelikt noch auf die abstrakte Strafdrohung an. Vielmehr sind das betroffene Rechtsgut und der konkrete Kontext miteinzubeziehen. Eine präventive Erstellung eines DNA-Profils erweist sich insbesondere dann als verhältnismässig, wenn die besonders schützenswerte körperliche bzw. sexuelle Integrität von Personen bzw. unter Umständen auch das Vermögen (Raubüberfälle, Einbruchdiebstähle) bedroht ist. Es müssen mithin ernsthafte Gefahren für wesentliche Rechtsgüter drohen (Urteile 1B_259/2022 vom 23. Juni 2023 E. 4.3; 1B_171/2021 vom 6. Juli 2021 E. 4.3 mit Hinweisen). 
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer wehrt sich vor Bundesgericht nicht mehr gegen seine erkennungsdienstliche Erfassung und die Bejahung des hinreichenden Tatverdachts, er bestreitet aber die Verhältnismässigkeit der DNA-Probenahme und -Profilerstellung. Hierzu macht er zunächst geltend, es bestünden keine erheblichen und konkreten Anhaltspunkte dafür, dass er noch in andere Delikte, als ihm zurzeit vorgeworfen werden, verwickelt sein könnte. So lasse der alleinige Besitz von Kinderpornografie, entgegen der Auffassung der Vorinstanz, nicht auf "weitere Begehungsformen" (wie etwa das Herstellen, Einführen, Lagern, in Verkehr bringen etc. von Kinderpornografie) schliessen. D ie Vorinstanz habe ihn zu solchen Vorwürfen auch nicht angehört. Des Weiteren könne der Vorinstanz nicht gefolgt werden, wenn sie betreffend die ihm vorgeworfene Erpressung und Datenbeschädigung erwäge, es bestünden nebst den drei Fällen von Erpressung inländischer Gesellschaften auch konkrete Hinweise für eine Beteiligung an zahlreichen weiteren Cyberangriffen auf ausländische Unternehmen, denn solche angeblichen Straftaten seien nicht Gegenstand des vorliegenden Strafverfahrens. Der Beschwerdeführer bringt zudem vor, es sei nicht ersichtlich, wie die Erstellung seines DNA-Profils zur Aufklärung von weiteren klassischen "Internetdelikte[n]" beitragen solle, denn virtuelle Straftaten hinterliessen keine "analogen Spuren". Die Vorinstanz sei auf dieses Argument "nur indirekt" eingegangen und habe damit ihre Begründungspflicht verletzt.  
 
3.2. Die Beschwerde ist begründet: Zwar bestehen gemäss dem angefochtenen Entscheid durchaus konkrete und erhebliche Anhaltspunkte für weitere Delikte einer gewissen Schwere. Dabei handelt es sich aber, wie der Beschwerdeführer zutreffend vorbringt, ausschliesslich um Cyberkriminalität. So hält die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid auch ausdrücklich fest, trotz unbestrittener sachlicher Nähe des Konsums von Kinderpornografie und des Kindesmissbrauchs lasse sich empirisch offenbar nicht (rechtsgenügend) nachweisen, dass Kinderpornografienutzer mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ("hands-on"-) Kindesmissbrauchsdelikte begingen. Zur Frage, wie die DNA-Profilerstellung zur Aufklärung solcher Cyberdelikte beitragen soll, äussert sie sich nicht. Dies ist auch nicht ersichtlich, zumal für die Ermittlung von Cyberdelikten in der Regel keine DNA-Spuren, sondern vielmehr digitale Daten ausgewertet werden (IT-Forensik). Da die streitgegenständliche Zwangsmassnahme somit nicht dazu geeignet ist, ihren Zweck zu erreichen, verletzt ihre Anordnung das Verhältnismässigkeitsprinzip (vgl. Urteil 1B_381/2020 vom 15. März 2021 E. 4.2 f.; GRAF/HANSJAKOB, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung StPO, 3. Aufl. 2020, N. 11a zu aArt. 255 StPO mit Hinweis).  
 
4.  
Die Beschwerde ist gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben. Seine Dispositiv-Ziffer 1 ist dahingehend zu ersetzen, dass die kantonale Beschwerde teilweise gutzuheissen und die Verfügung vom 12. Januar 2023 aufzuheben ist, soweit die Staatsanwaltschaft damit die Abnahme eines Wangenschleimhautabstrichs und die Erstellung eines DNA-Profils des Beschwerdeführers angeordnet hat, allfällig bereits abgenommene DNA-Proben zu vernichten und ein allfällig bereits erstelltes DNA-Profil sowie ein allfälliger Eintrag in der DNA-Profil-Datenbank (CODIS) zu löschen sind und die Beschwerde im Übrigen abzuweisen ist. Die Vorinstanz wird über die Kosten- und Entschädigungsfolgen ihres Verfahrens neu zu befinden haben (Art. 67 und Art. 68 Abs. 5 BGG). 
Der Kanton Zürich trägt keine Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 4 BGG), hat dem Beschwerdeführer aber die durch den Rechtsstreit verursachten notwendigen Kosten zu ersetzen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Da der Beschwerdeführer um unentgeltliche Rechtspflege ersucht, ist die Entschädigung praxisgemäss seinem Rechtsvertreter zuzusprechen. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird damit gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. 
 
2.  
Der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 25. Mai 2023 wird aufgehoben. Dispositiv-Ziffer 1 wird wie folgt ersetzt: 
 
"1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 12. Januar 2023 zur Abnahme eines Wangenschleimhautabstrichs und Erstellung eines DNA-Profils wird aufgehoben. Allfällige ber eits abgenommene DNA-Proben sind zu vernichten und ein allfällig bereits erstelltes DNA-Profil sowie ein allfällig bereits erfolgter Eintrag in der DNA-Profil-Datenbank (CODIS) zu löschen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen." 
 
3.  
Die Sache wird zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des vorinstanzlichen Verfahrens an das Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, zurückgewiesen. 
 
4.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
5.  
Der Kanton Zürich hat den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Gregor Münch, für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
 
6.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 24. Mai 2024 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Die Gerichtsschreiberin: Kern