1B_75/2023 16.05.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_75/2023  
 
 
Urteil vom 16. Mai 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Müller, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Chaix, Kölz, 
Gerichtsschreiber Baur. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Andrea Taormina, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich, Schwere Gewaltkriminalität, Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; amtliche Verteidigung, 
 
Beschwerde gegen die Präsidialverfügung des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 4. Januar 2023 (SB220562-O/Z2/bs). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Urteil vom 17. Mai 2022 sprach das Bezirksgericht Meilen A.________ der Schändung und der mehrfachen versuchten Schändung schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je Fr. 30.--. Zudem ordnete es ein lebenslängliches Tätigkeitsverbot an. Mit Schreiben vom 18. Oktober 2022 kündigte der Wahlverteidiger von A.________, Rechtsanwalt Taormina, dem Obergericht die fristgerechte Einreichung der Berufungserklärung gegen dieses Urteil an. Zugleich ersuchte er das Obergericht, ihn als amtlichen Verteidiger einzusetzen. Am 1. November 2022 reichte er dem Obergericht die Berufungserklärung ein. Die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich und der Privatkläger verzichteten auf Anschlussberufung und beantragten die Bestätigung des bezirksgerichtlichen Urteils. Mit Präsidialverfügung vom 4. Januar 2023 wies das Obergericht das Gesuch um Einsetzung der erbetenen Verteidigung als amtliche Verteidigung ab. 
 
B.  
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 6. Februar 2023 an das Bundesgericht beantragt A.________, die Präsidialverfügung des Obergerichts aufzuheben und Rechtsanwalt Taormina rückwirkend auf den 18. Oktober 2022 als amtlichen Verteidiger einzusetzen. 
Die Staatsanwaltschaft und das Obergericht haben auf eine Vernehmlassung verzichtet. A.________ hat sich nicht mehr geäussert. 
Mit prozessleitender Verfügung vom 22. Februar 2023 wurde das Obergericht auf Antrag von A.________ angewiesen, das hängige Berufungsverfahren bis zum Abschluss des vorliegenden Beschwerdeverfahrens zu sistieren. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Fristgerecht (vgl. Art. 100 Abs. 1 BGG) angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid, mit dem die Einsetzung der erbetenen Verteidigung als amtliche Verteidigung im Berufungsverfahren abgelehnt worden ist (vgl. Art. 78 Abs. 1 und Art. 80 BGG). Es handelt sich um einen selbständig eröffneten Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 Abs. 1 BGG, gegen den die Beschwerde nach lit. a dieser Bestimmung nur zulässig ist, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann. Die Variante von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG kommt nicht in Betracht. Erforderlich ist ein drohender nicht wieder gutzumachender Nachteil rechtlicher Natur; ein lediglich tatsächlicher Nachteil, wie die Verlängerung oder Verteuerung des Verfahrens, genügt nicht (BGE 144 IV 127 E. 1.3.1; 141 IV 289 E. 1.2 mit Hinweis). Die beschwerdeführende Person hat die Tatsachen darzulegen, aus denen sich ein nicht wieder gutzumachender Nachteil ergeben soll, sofern dies nicht offensichtlich ist (BGE 141 IV 284 E. 2.3; 289 E. 1.3).  
 
1.2. Der Beschwerdeführer bringt vor, müsste er das Berufungsverfahren ohne Beistand eines Anwalts bestreiten, könnte er seine Interessen nicht genügend wahrnehmen. Durch den angefochtenen Entscheid drohe ihm deshalb ein nicht wieder gutzumachender Nachteil. Er verweist dabei auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts, wonach Zwischenentscheide, mit denen die amtliche Verteidigung verweigert wird, in der Regel einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken können (BGE 140 IV 202 E. 2.2; 133 IV 335 E. 4 mit Hinweisen).  
 
1.3. Die vom Beschwerdeführer zitierte Rechtsprechung trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die Nachteile, welche der beschuldigten Person durch eine fehlende Verbeiständung im Strafverfahren entstehen können, im Nachhinein kaum je gänzlich beheben lassen (vgl. die vorstehenden Verweise). Sie gilt auch für das Berufungsverfahren (siehe Urteile 1B_19/2022 vom 21. März 2022 E. 1; 1B_195/2021 vom 12. Mai 2021 E. 2; 1B_152/2020 vom 28. Mai 2020 E. 1). Vorliegend ist der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren erbeten verteidigt. Dass er nicht über die erforderlichen Mittel verfügen würde, das Honorar seines Wahlverteidigers zu bezahlen, bringt er nicht vor, auch wenn er geltend macht, die Finanzierung des Berufungsverfahrens bereite ihm grosse Sorgen. Ebenso wenig stellt er die Beurteilung der Vorinstanz in Frage, wonach angesichts seines - in der Schlusseinvernahme gegenüber der Staatsanwaltschaft erwähnten - Erbvorbezugs von Fr. 290'000.-- nicht von prozessualer Bedürftigkeit ausgegangen werden könne. Er begründet die beantragte Einsetzung seines Wahlverteidigers als amtlicher Verteidiger vielmehr mit der im Berufungsverfahren seiner Ansicht nach geltenden notwendigen Verteidigung. Wieso die Abweisung des fraglichen Gesuchs durch die Vorinstanz dennoch zur Folge haben sollte, dass er das Berufungsverfahren ohne anwaltlichen Beistand bestreiten müsste und dadurch seine Interessen nicht genügend wahrnehmen könnte, legt der Beschwerdeführer nicht dar und ist auch nicht erkennbar. Er vermag daher aus der erwähnten Rechtsprechung für das Bestehen eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils von vornherein nichts zu seinen Gunsten abzuleiten.  
Die Beschwerde wäre somit nur zulässig, wenn dem Beschwerdeführer durch den angefochtenen Zwischenentscheid sonst wie ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG drohen würde. Auch dies ist jedoch weder dargetan noch ersichtlich. Insbesondere kann die Frage, ob der Beschwerdeführer das Honorar seines Wahlverteidigers selber bezahlen muss oder dieser aus den von ihm genannten Gründen als amtlicher Verteidiger einzusetzen gewesen wäre und daher entsprechend zu entschädigen ist, gegebenenfalls noch zu einem späteren Zeitpunkt durch Beschwerde gegen den Endentscheid und Mitanfechtung des strittigen Zwischenentscheids geklärt werden (vgl. Art. 93 Abs. 3 BGG). Damit mangelt es vorliegend am Erfordernis des drohenden nicht wieder gutzumachenden Nachteils gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG. Die Beschwerde gegen den angefochtenen Zwischenentscheid ist unzulässig. 
 
2.  
Demnach kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden. 
Bei diesem Verfahrensausgang ist der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind keine zuzusprechen (Art. 68 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 16. Mai 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Müller 
 
Der Gerichtsschreiber: Baur