6B_747/2022 09.11.2022
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_747/2022  
 
 
Urteil vom 9. November 2022  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
nebenamtlicher Bundesrichter Kölz, 
Gerichtsschreiber Clément. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Carl Ulrich Mayer, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, 
Maurerstrasse 2, 8510 Frauenfeld, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Grobe Verletzung der Verkehrsregeln; rechtliches Gehör, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 11. April 2022 (SBR.2021.49). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Entscheid vom 11. April 2022 sprach das Obergericht des Kantons Thurgau A.________ der fahrlässigen groben Verletzung der Verkehrsregeln nach Art. 90 Abs. 2 SVG schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 55 Tagessätzen zu je Fr. 410.-- und einer Busse von Fr. 4'510.--, Ersatzfreiheitsstrafe 11 Tage. Die von A.________ gegen das erstinstanzliche Urteil des Bezirksgerichts Weinfelden vom 8./23. Juni 2021 erhobene Berufung beurteilte es als unbegründet. 
Das Obergericht geht in tatsächlicher Hinsicht davon aus, dass A.________ am 10. April 2019 um 11.08 Uhr ausserorts auf der Hauptstrasse H470 in Fahrtrichtung Sulgen mit seinem Personenwagen 119 km/h und damit 39 km/h über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h gefahren sei, wobei er aus Unaufmerksamkeit die Geschwindigkeit nicht im Auge behalten habe. 
 
B.  
A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache sei zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Zudem stellt er den Beweisantrag, "das angegriffene Beweisergebnis gutachterlich überprüfen zu lassen", wobei das Gutachten nicht beim METAS erstellen zu lassen sei, weil das Institut für Metrologie die zu überprüfenden Messgeräte selber geeicht und überprüft habe und deshalb nicht unbefangen sein könne. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Beschwerde in Strafsachen ist in erster Linie ein reformatorisches Rechtsmittel (Art. 107 Abs. 2 BGG). Die Beschwerdeschrift muss einen Antrag in der Sache enthalten (Art. 42 Abs. 1 BGG). Diesen Vorgaben genügt das Hauptbegehren des Beschwerdeführers auf Aufhebung des angefochtenen Urteils und Rückweisung der Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz grundsätzlich nicht. Aus der Beschwerdebegründung, die zur Interpretation des Rechtsbegehrens beigezogen werden darf, ergibt sich jedoch zweifelsfrei, dass er einen Freispruch von der Anklage der fahrlässigen groben Verletzung der Verkehrsregeln nach Art. 90 Abs. 2 SVG anstrebt, womit sich die Beschwerde als zulässig erweist (vgl. BGE 137 III 617 E. 6.2; 137 II 313 E. 1.3; 134 III 235 E. 2; Urteile 6B_364/2021 und 6B_438/2021 vom 5. Oktober 2022 E. 3; 6B_301/2022 vom 26. August 2022 E. 1.2; 6B_1116/2021 vom 22. Juni 2022 E. 1; je mit Hinweisen). 
 
2.  
 
2.1. Das Bundesgericht ist keine Appellationsinstanz, die eine freie Prüfung in tatsächlicher Hinsicht vornimmt oder die vorinstanzliche Beweiswürdigung mit freier Kognition überprüft. Es legt seinem Urteil vielmehr den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann die Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 145 IV 154 E. 1.1; 143 IV 241 E. 2.3.1; 141 IV 317 E. 5.4 mit Hinweisen). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).  
Willkür bei der Beweiswürdigung liegt vor, wenn diese schlechterdings unhaltbar ist. Dies ist dann der Fall, wenn das Gericht Sinn und Tragweite eines Beweismittels offensichtlich verkannt, wenn es ohne sachlichen Grund ein wichtiges und entscheidwesentliches Beweismittel unberücksichtigt gelassen oder wenn es auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen unhaltbare Schlussfolgerungen gezogen hat (BGE 140 III 264 E. 2.3 mit Hinweisen). Dass eine andere Würdigung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht. Erforderlich ist ausserdem, dass der Entscheid nicht nur in der Begründung, sondern auch im Ergebnis willkürlich ist. Dem Grundsatz "in dubio pro reo" kommt in seiner Funktion als Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor dem Bundesgericht keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung zu. Die Willkürrüge muss nach Art. 106 Abs. 2 BGG explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden. Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid, wie sie im Berufungsverfahren vor einer Instanz mit voller Kognition vorgebracht werden kann, tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 146 IV 88 E. 1.3.1; 144 V 50 E. 4.2; 143 IV 500 E. 1.1; je mit Hinweisen). Die Beschwerde ist in diesem Punkt nur gutzuheissen, wenn der Entscheid auch bei objektiver Würdigung des gesamten Beweisergebnisses offensichtlich unhaltbar und damit willkürlich ist. Die beschwerdeführende Partei, die vor Bundesgericht eine willkürliche Beweiswürdigung rügt, darf sich daher nicht darauf beschränken aufzuzeigen, wie einzelne Indizien willkürfrei zu würdigen gewesen wären. Sie muss sich vielmehr mit der gesamten Beweislage befassen und darlegen, inwiefern aus ihrer Sicht auch der aus der Gesamtheit der verschiedenen Indizien gezogene Schluss geradezu willkürlich ist (Urteile 6B_1029/2021 vom 24. August 2022 E. 2.1.1; 6B_1302/2020 vom 3. Februar 2021 E. 1.2.4, nicht publ. in: BGE 147 IV 176; 6B_1031/2019 vom 1. September 2020 E. 1.2.2, nicht publ. in: BGE 146 IV 311; je mit Hinweisen). 
 
2.2. Der Beschwerdeführer verkennt diese Grundsätze, soweit er die "unrichtige Feststellung des Sachverhalts" rügt, aber nicht geltend macht, dass die Beweiswürdigung der Vorinstanz geradezu willkürlich sein soll. Dadurch erhebt er keine vor dem Bundesgericht zulässige Rüge und es ist von vornherein nicht weiter darauf einzugehen. Ausserdem beantragt er dem Bundesgericht, ihm seien "die Rohmessdaten der gegenständlichen Messung zur Stellungnahme zu übergeben", ohne darzutun, dass er bereits im kantonalen Verfahren einen dahingehenden Beweisantrag gestellt hat und dieser in Verletzung von Bundesrecht abgewiesen worden wäre oder dass er nach Art. 99 Abs. 1 BGG dazu berechtigt ist, diesen Antrag vor Bundesgericht erstmals zu stellen.  
 
2.3. Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe in Verletzung von Art. 107 Abs. 1 lit. e sowie Art. 139 Abs. 1 StPO, Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK seinen Antrag abgewiesen, das Ergebnis der Geschwindigkeitsmessung durch ein Gutachten überprüfen zu lassen.  
 
2.3.1. Die Vorinstanz weist den Antrag des Beschwerdeführers auf Erstellung eines Gutachtens in antizipierter Beweiswürdigung ab. Zur Begründung führt sie zusammengefasst aus, die Messung sei ordnungsgemäss mit einem frisch geeichten Lasergeschwindigkeitsmessgerät und von einem geschulten Polizeibeamten durchgeführt worden. Anhaltspunkte dafür, am Ergebnis der Messung zu zweifeln, bestünden - entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers - nicht.  
 
2.3.2. Gemäss ständiger Rechtsprechung können die Strafbehörden ohne Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO) und des Untersuchungsgrundsatzes auf die Abnahme weiterer Beweise verzichten, wenn sie in Würdigung der bereits abgenommenen Beweise zur Überzeugung gelangen, der rechtlich erhebliche Sachverhalt sei genügend abgeklärt, und sie überdies in antizipierter Würdigung zum Schluss kommen, ein an sich taugliches Beweismittel vermöge ihre aufgrund der bereits abgenommenen Beweismittel gewonnene Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer strittigen Tatsache nicht zu ändern. Das Bundesgericht prüft die Rüge unzulässiger antizipierter Beweiswürdigung nur unter dem Aspekt der Willkür (BGE 147 IV 534 E. 2.5.1;146 III 73 E. 5.2.2; 144 II 427 E. 3.1.3).  
 
2.3.3. Inwiefern die Beurteilung der Vorinstanz geradezu unhaltbar sein soll, wird in der Beschwerde nicht dargetan und ist auch nicht erkennbar:  
Es wurde gemäss Art. 9 der Verordnung des ASTRA zur Strassenverkehrskontrollverordnung (VSKV-ASTRA) vom 22. Mai 2008 (SR 741.013.1) eine Videoaufzeichnung der fraglichen Geschwindigkeitsmessung gemacht und diese liegt vor. Die Vorinstanz ermittelt die Geschwindigkeit allerdings nicht gestützt auf eine Weg-Zeit-Messung aufgrund dieser Aufzeichnung, sondern plausibilisiert durch die im Urteil angestellten Berechnungen lediglich die massgebende Lasermessung. Dieses Vorgehen ist nicht zu beanstanden. Dass die gefahrene Geschwindigkeit allein gestützt auf das Video nicht mit Sicherheit ermittelt werden kann, hat nicht zur Folge, dass auf die Messwerte nicht abgestellt werden dürfte (vgl. Urteile 6B_884/2021 vom 10. Januar 2022 E. 2.6.3; 6B_1013/2017 vom 13. April 2018 E. 2.5 mit Hinweis). Angesichts dieser Umstände ist aber jedenfalls unter Willkürgesichtspunkten nicht erkennbar, weshalb zusätzlich zum Lasergeschwindigkeitsmessgerät selber auch das Bilddokumentationsgerät hätte geeicht gewesen sein müssen, wie der Beschwerdeführer argumentiert. 
Im Einzelnen gelangt die Vorinstanz zum Schluss, auf der Videoaufzeichnung seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, die auf eine nicht fachgemässe Durchführung der Messung hindeuten würden. Entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers - so die Vorinstanz weiter - vermöge auch die Nachrechnung anhand der gemessenen und aufgezeichneten Daten keine Zweifel am Ergebnis der Geschwindigkeitsmessungen zu wecken, sondern plausibilisiere diese Ergebnisse vielmehr. Die anhand des Videos geschätzten durchschnittlichen Geschwindigkeiten wichen von der aufgrund der tatsächlich gemessenen Geschwindigkeiten berechneten Durchschnittsgeschwindigkeit nur unerheblich ab. Nichts anderes ergebe sich aus dem Abstand zum LKW, der während der Messung hinter dem Beschwerdeführer gefahren sei. 
Der Beschwerdeführer kann die nachvollziehbaren Ausführungen der Vorinstanz nicht als willkürlich ausweisen, indem er seinerseits behauptet, die Vorinstanz sei bei ihren Berechnungen von falschen Abständen der weiss-schwarzen Begrenzungspfosten am Strassenrand und der Fahrbahntrennungsstriche ausgegangen. Was die Pfosten angeht, lässt die Vorinstanz selbst ausdrücklich offen, welchen Abstand diese tatsächlich hatten. Insofern stösst die Kritik ins Leere. Hinsichtlich der Leitlinie moniert der Beschwerdeführer, die Annahme der Vorinstanz, eine Linie mit Abstand sei 9 Meter lang, sei falsch, "weil der Tatort auf einer kommunalen Nebenstrasse zu finden ist, welche vermutlich keine 5 Meter breit ist und eher den Charakter eines Feldwegs hat". Derartiges ist jedoch im angefochtenen Urteil nicht festgestellt und findet auch in den Akten keine Stütze. 
 
2.4. Nach dem Gesagten ist der Verzicht der Vorinstanz auf die Einholung des beantragten Gutachtens nicht willkürlich. Damit liegen aber auch die vom Beschwerdeführer gerügten Rechtsverletzungen nicht vor.  
 
3.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind dem Beschwerdeführer die Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 9. November 2022 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Der Gerichtsschreiber: Clément