8C_350/2023 05.06.2024
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_350/2023  
 
 
Urteil vom 5. Juni 2024  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Viscione, 
Gerichtsschreiberin Durizzo. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Christe, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 27. März 2023 (IV.2022.00280). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________, geboren 1980, im Verkauf tätig, meldete sich im April 2020 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an, nachdem sie sich am 19. Dezember 2019 der Operation eines Hirntumors (Meningeom) hatte unterziehen müssen. Die IV-Stelle des Kantons Zürich holte die Berichte der behandelnden Ärzte des Spitals B.________ sowie ein Gutachten der Dres. med. C.________, Neurologie FMH, und D.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH vom 28. Juni 2021 ein. Mit Verfügung vom 5. April 2022 lehnte sie den Anspruch auf eine Invalidenrente ab. 
 
B.  
Die dagegen von A.________ erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 27. März 2023 ab. 
 
C.  
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zu weiteren medizinischen Abklärungen an die Vorinstanz oder an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen.  
 
Nach Beizug der vorinstanzlichen Akten verzichtet das Bundesgericht auf einen Schriftenwechsel. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Da die Beschwerde an das Bundesgericht grundsätzlich ein reformatorisches Rechtsmittel ist (Art. 107 Abs. 2 BGG), muss sie einen Antrag in der Sache (vgl. Art. 42 Abs. 1 BGG) enthalten; ein blosser Antrag auf Rückweisung genügt nicht, ausser wenn das Bundesgericht ohnehin nicht reformatorisch entscheiden könnte (BGE 136 V 131 E. 1.2 S. 135 f. mit Hinweis; Urteil 8C_673/2016 vom 10. Januar 2017 E. 1). Aus der Beschwerdebegründung, die in diesem Zusammenhang zur Interpretation beigezogen werden kann, ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin der Sache nach auf einen Rentenanspruch abzielt. Daher und weil das Bundesgericht im vorliegenden Fall bei Gutheissung der Beschwerde mit Blick auf den geltend gemachten Abklärungsbedarf nicht reformatorisch entscheiden könnte, ist darauf einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 mit Hinweisen).  
 
2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 145 V 57 E. 4).  
 
3.  
Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die rentenablehnende Verfügung vom 5. April 2022 bestätigte. Zur Frage steht die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit gestützt auf das von der IV-Stelle eingeholte Gutachten mit neurologischer und psychiatrischer Abklärung.  
 
4.  
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze zur Invalidtät (Art. 8 Abs. 1 ATSG; Art. 4 Abs. 1 IVG), zum Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 28 IVG in der bis 31. Dezember 2021 gültig gewesenen Fassung bei Entstehung eines allfälligen Anspruchs vor diesem Zeitpunkt; vgl. Urteile 8C_435/2023 vom 27. Mai 2024 E. 2.2 und 3.1; 8C_385/2023 vom 30. November 2023 E. 2 mit Hinweisen) sowie zum Beweiswert von ärztlichen Berichten und Gutachten im Allgemeinen (BGE 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3a mit Hinweis) zutreffend dargelegt. Zu ergänzen ist, dass auf ein versicherungsexternes Gutachten praxisgemäss abzustellen ist, sofern nicht konkrete Indizien gegen dessen Zuverlässigkeit sprechen (BGE 137 V 210 E. 1.3.4; 135 V 465 E. 4.4; 125 V 351 E. 3b/bb). Hervorzuheben ist dazu, dass es die unterschiedliche Natur von Behandlungsauftrag der therapeutisch tätigen (Fach-) Person einerseits und Begutachtungsauftrag des amtlich bestellten fachmedizinischen Experten anderseits (BGE 124 I 170 E. 4) rechtsprechungsgemäss nicht zulässt, ein Administrativ- oder Gerichtsgutachten stets in Frage zu stellen und zum Anlass weiterer Abklärungen zu nehmen, wenn die behandelnden Arztpersonen beziehungsweise Therapiekräfte zu anderslautenden Einschätzungen gelangen. Vorbehalten bleiben Fälle, in denen sich eine abweichende Beurteilung aufdrängt, weil diese wichtige - und nicht rein subjektiver Interpretation entspringende - Aspekte benennen, die bei der Begutachtung unerkannt oder ungewürdigt geblieben sind (BGE 135 V 465 E. 4.5; 125 V 351 E. 3b/cc; SVR 2017 IV Nr. 7 S. 19, 9C_793/2015 E. 4.1; Urteile 8C_630/2020 vom 28. Januar 2021 E. 4.2.1; 8C_370/2020 vom 15. Oktober 2020 E. 7.2).  
 
5.  
 
5.1. Gemäss Vorinstanz ist gestützt auf das voll beweiskräftige Gutachten der Dres. med. C.________ und D.________ vom 28. Juni 2021 eine um 20 % eingeschränkte Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit als Filialleiterin im Verkauf (beziehungsweise in einer anderen leidensangepassten Tätigkeit) ausgewiesen, dies bedingt durch einen vermehrten Pausenbedarf und eine verminderte Belastbarkeit bei vermehrter Ermüdbarkeit und diskreter bis leicht ausgeprägter kognitiver Störung, intermittierend auch Kopfschmerzen. Mit dem neurologischen Gutachter berücksichtigte das kantonale Gericht dabei insbesondere, dass aufgrund der Grösse und Lage des operierten Meningeoms sowie des Umstands, dass dieses in einem verhältnismässig kleinen operativen Eingriff komplett habe entfernt werden können, von vornherein nicht von einer verbleibenden ausgeprägten Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit auszugehen gewesen sei. Die Berichte der behandelnden Ärzte des Spitals B.________, namentlich auch über die dort durchgeführte Fahreignungsabklärung, sowie der Klinik E.________ über den dortigen Aufenthalt vom 30. August bis 10. Oktober 2021, könnten daran nichts ändern. Im Haushalt bestünden keine relevanten Einschränkungen. Sowohl unter der von der Beschwerdegegnerin getroffenen Annahme einer 80%igen Erwerbstätigkeit als Gesunde als auch einer vollzeitlichen Berufstätigkeit, wie von der Beschwerdeführerin geltend gemacht, resultiere, bei gleicher Bemessungsgrundlage für das hypothetische (Validen-) Einkommen als Gesunde wie auch für den zumutbarerweise nach Eintritt der Gesundheitsschädigung noch erzielbaren Verdienst (Invalideneinkommen), ein rentenausschliessender Invaliditätsgrad.  
 
5.2. Die Beschwerdeführerin erneuert ihre bereits vorinstanzlich vorgetragenen Einwände unter Berufung auf die Berichte ihrer behandelnden Ärzte. Diese seien zu diametral anderen Ergebnissen gelangt als die Gutachter und gingen von erheblichen neuropsychologischen Defiziten und einer ausgeprägten Fatigue-Symptomatik aus. Auf das Gutachten könne daher nicht abgestellt werden, sondern vielmehr hätten weitere Abklärungen, insbesondere eine ergänzende neuropsychologische Testung erfolgen und der nach dem Rehabilitationsaufenthalt erstattete psychiatrische Bericht zumindest dem Gutachter zur Stellungnahme vorgelegt werden müssen.  
 
6.  
 
6.1. Inwiefern die Vorinstanz offensichtlich unrichtige Feststellungen in sachverhaltlicher Hinsicht getroffen oder die zu beachtenden Beweiswürdigungsregeln verletzt haben sollte, ist nicht erkennbar. Dies gilt insbesondere insoweit, als das kantonale Gericht erkannte, der von der Beschwerdeführerin geklagte und von ihr auf die Tumoroperation zurückgeführte körperliche Schwächezustand mit Gangstörungen und einhergehend mit neuropsychologischen Ausfällen habe vom Gutachter gestützt auf die eigenen Untersuchungen sowie auch mittels Validierungsverfahren nicht bestätigt werden können, sondern beruhe weitgehend auf Aggravation. Inwiefern sich diesbezüglich bei der nach der Untersuchung durch die Gutachter vorgenommenen Fahreignungsabklärung im Spital B.________ bisher unerkannte objektive Aspekte ergeben haben sollten, die namentlich auch gegen die vom Gutachter erkannte Aggravation sprächen, lässt sich nicht ersehen. Daran kann der Einwand der Beschwerdeführerin, dass eine Aggravation auch bei diesem Anlass gar nicht in ihrem Interesse gelegen hätte, nichts ändern. Wie aus dem Bericht vom 10. Juni 2021 hervorgeht, beschränkte sich die Abklärung auf die Fahreignung, stützte sich aber massgeblich auch auf die früheren im Spital B.________ erfolgten neuropsychologischen Untersuchungen vom Juli 2020 und Januar 2021. Weshalb diese letzteren für die gutachtliche Beurteilung wenige Monate später nicht hinreichend aussagekräftig gewesen wären, sondern hätten aktualisiert werden müssen, ist nicht zu erkennen.  
 
6.2. Beschwerdeweise wird des Weiteren auch nicht aufgezeigt, welche neuen objektiven Gesichtspunkte sich bei der ebenfalls nach der Begutachtung erfolgten Rehabilitation in der Klinik E.________ vom 30. August bis 10. Oktober 2021 ergeben hätten, die hinreichende Indizien gegen die Einschätzung durch die Gutachter zu begründen vermöchten. Zunächst kann nicht von einer längerfristigen Verschlechterung aus psychiatrischer Sicht ausgegangen werden, nachdem die Beschwerdeführerin bei zwar deutlich depressiver Symptomatik zu Beginn des stationären Aufenthalts in teilremittiertem Zustand entlassen werden konnte. Welche gegenüber der Begutachtung weitergehenden neurologischen Abklärungen anlässlich der Rehabilitation vorgenommen worden wären, die zu einer von den Experten abweichenden Beurteilung der Arbeitsfähigkeit Anlass hätten geben können, lässt sich ebenfalls nicht ersehen. Die behandelnden Ärzte gehen zwar von einer postoperativen neuralbedingten Gangstörung aus, ohne diese Einschätzung jedoch zu begründen oder sich mit dem Gutachten auseinanderzusetzen. Gleiches gilt insoweit, als im Rehabilitationsbericht vom 14. Oktober 2021 die Ausübung der bisherigen Tätigkeit als nicht mehr zumutbar erachtet wird.  
 
6.3. Dass die Vorinstanz zur Einschätzung gelangte, es lägen keine Gründe vor, die das von der IV-Stelle eingeholte Gutachten als unzuverlässig beziehungsweise weitere Abklärungen als angezeigt erscheinen liessen, ist damit insgesamt nicht zu beanstanden. Zu Unrecht macht die Beschwerdeführerin geltend, dass die vom kantonalen Gericht angewendete, oben (E. 4 a.E.) dargelegte Rechtsprechung nur für Hausärzte und nicht für die behandelnden Spezialärzte gelte, betrifft diese doch gerade die unterschiedliche Natur des Behandlungsauftrags der therapeutisch tätigen (Fach-) Person einerseits und des Begutachtungsauftrags des amtlich bestellten fachmedizinischen Experten anderseits. Mit Blick darauf vermag die Beschwerdeführerin insbesondere auch mit ihrem Einwand nicht durchzudringen, dass die vom Gutachter erkannte Aggravation nicht nachvollziehbar sei, weil die behandelnden Ärzte die geklagten neurologischen Ausfälle und neuropsychologischen Defizite als authentisch erachtet hätten.  
 
6.4. Die vorinstanzlichen Feststellungen zu den erwerblichen Auswirkungen der Gesundheitsschädigung werden beschwerdeweise nicht beanstandet und geben keinen Anlass zu Weiterungen.  
 
6.5. Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet und ist abzuweisen.  
 
7.  
Die Gerichtskosten werden der unterliegenden Beschwerdeführerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 5. Juni 2024 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Die Gerichtsschreiberin: Durizzo