2C_509/2022 22.03.2023
Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
2C_509/2022  
 
 
Urteil vom 22. März 2023  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin, 
Bundesrichter Donzallaz, 
Bundesrichterin Hänni, 
Gerichtsschreiber Hongler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, Türkei, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marc Spescha, 
 
gegen  
 
Staatssekretariat für Migration, 
Quellenweg 6, 3003 Bern. 
 
Gegenstand 
Schengen-Visum zu Besuchszwecken, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung VI, 
vom 27. Mai 2022 (F-1803/2021). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der türkische Staatsangehörige A.________ (geb. 1965) war in zweiter Ehe in der Schweiz mit einer Landsfrau (geb. 1977) verheiratet. Aus der Ehe gingen zwei Söhne hervor (geb. 1997 und 2005), die beide inzwischen über die Schweizerische Staatsangehörigkeit verfügen. Am 26. Juli 2005 erteilte der Kanton Zürich A.________ die Niederlassungsbewilligung. Das Migrationsamt des Kantons Zürich widerrief diese am 26. Juli 2010 und wies A.________ aus der Schweiz weg, da er hier straffällig geworden und unter anderem wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden war. Das Bundesgericht bestätigte diesen Entscheid am 25. August 2011 (Urteil 2C_296/2011).  
 
A.b. Im Jahr 2017 stellte A.________ ein Gesuch um Familiennachzug; dieses wurde abgewiesen. Am 13. Januar 2020 stellte die Schweizer Vertretung in Istanbul A.________ ein Schengen-Visum - gültig vom 20. Januar 2020 bis zum 18. April 2020 - aus zwecks Besuchs seiner Familie. Am 20. Januar 2020 reiste A.________ in die Schweiz ein, wo er am 28. Februar 2020 ein zweites Mal um einen Familiennachzug nachsuchte. Das Migrationsamt des Kantons Zürich trat am 29. April 2020 auf das Gesuch nicht ein; gleichzeitig setzte es A.________ (aufgrund der Corona-Pandemie) eine Frist zur Ausreise bis zum 30. Juni 2020 an, welche er einhielt.  
 
B.  
Am 25. November 2020 ersuchte A.________ auf der Schweizer Vertretung in Istanbul (erneut) darum, ihm ein Schengen-Visum auszustellen, um seine Familie in der Schweiz besuchen zu können. Das Generalkonsulat lehnte dies am 27. November 2020 ab. Hiergegen erhob A.________ am 22. Dezember 2020 Einsprache. Das Staatssekretariat für Migration wies diese am 19. März 2021 ab, da die Wiederausreise nicht als gesichert gelten könne. Die hiergegen gerichtete Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht blieb am 27. Mai 2022 ohne Erfolg. 
 
C.  
A.________ beantragt vor Bundesgericht mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2022 aufzuheben und das Staatssekretariat für Migration zuhanden der Schweizer Vertretung in Istanbul anzuweisen, ihm ein Visum für einen Besuchsaufenthalt in der Schweiz zu erteilen. 
Das Bundesverwaltungsgericht verzichtet darauf, sich zur Beschwerde vernehmen zu lassen; das Staatssekretariat beantragt, die Beschwerde abzuweisen. A.________ hat an seinen Ausführungen und Anträgen festgehalten. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die weiteren Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen (Art. 29 Abs. 1 BGG) und mit freier Kognition (vgl. BGE 146 II 276 E. 1; 141 II 113 E. 1). Streitgegenstand bildet vorliegend die Verweigerung eines Visums zu Besuchszwecken. Es ist vorab zu prüfen, ob die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht in diesem Zusammenhang zulässig ist. 
 
2.  
 
2.1. Nach Art. 83 lit. c Ziff. 1 BGG ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ausgeschlossen gegen Entscheide auf dem Gebiet des Ausländerrechts betreffend die Einreise. Diese Ausnahmeregelung erfasst neben der Verweigerung der Einreise und dem Einreiseverbot (vgl. die Urteile 2C_1052/2022 vom 16. Januar 2023 E. 2.1; 2C_1020/2019 vom 31. März 2020 E. 1.2; 2C_859/2018 vom 24. September 2018 E. 2.2; 2C_236/2011 vom 2. September 2011 E. 1.4) auch die Visumserteilung (vgl. die Urteile 2C_127/2011 vom 7. Februar 2011; 2C_46/2007 vom 8. März 2007 und 2A.483/2005 vom 18. August 2005, sowie THOMAS HÄBERLI, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2015, N. 55 zu Art. 83 BGG; HANSJÖRG SEILER, in: Stämpflis Handkommentar, Bundesgerichtsgesetz (BGG), 2. Aufl. 2015, N. 20 zu Art. 83 BGG; UEBERSAX/SCHLEGEL, in: HAP Ausländerrecht, 3. Aufl. 2022, Rz. 9.476 [S. 542]). Nach Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zudem auf dem Gebiet des Ausländerrechts ausgeschlossen betreffend Bewilligungen, auf die weder das Bundes- noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumen.  
 
2.2. Der Beschwerdeführer beruft sich in seiner Eingabe in Bezug auf die Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten sowohl auf Art. 83 lit. c Ziff. 1 BGG als auch auf Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG. In Bezug auf die Ausnahmeregelung von Art. 83 lit. c Ziff. 1 BGG stellt er sich insbesondere auf den Standpunkt, dass dabei die Situation vorbehalten bleibe, in welcher die Einreiseverweigerung einen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Familienleben darstelle, namentlich wenn jeglicher Besuchsaufenthalt bei Angehörigen der Kernfamilie in der Schweiz verwehrt werde. Dass die Vorinstanz das Urteil ohne Rechtsmittelbelehrung erlassen habe, ändere nichts daran, dass die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vorliegend zulässig sei.  
 
2.3. Die Argumentation des Beschwerdeführers überzeugt nicht:  
 
2.3.1. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet eine Visumserteilung und damit eine Frage betreffend die Einreise im Sinne von Art. 83 lit. c Ziff. 1 BGG. Es handelt sich nicht um ein Verfahren betreffend die Erteilung einer ausländerrechtlichen Bewilligung im Sinne von Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG. Während diese Bestimmung ausdrücklich vorsieht, dass die Beschwerde gegen Entscheide auf dem Gebiet des Ausländerrechts ausnahmsweise zulässig ist, wenn Bundes- oder Völkerrecht einen Anspruch auf eine ausländerrechtliche Bewilligung einräumen, ist eine solche Gegenausnahme (von der grundsätzlichen Unzulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten im Anwendungsbereich des Ausnahmekatalogs von Art. 83 BGG) in Art. 83 lit. c Ziff. 1 BGG nicht vorgesehen.  
 
2.3.2. Hieran ändern die Verweise des Beschwerdeführers auf die Doktrin und Rechtsprechung nichts: Im Unterschied zu anderen Fallkonstellationen, in welchen die Visumserteilung in direktem Zusammenhang mit der Erteilung einer ausländerrechtlichen Bewilligung steht, die sich auf einen bundes- resp. völkerrechtlichen Anspruch stützen kann (wie namentlich im Fall der Erteilung einer Einreisebewilligung zwecks Heirat und anschliessendem Aufenthalt in der Schweiz, vgl. auch das in der Beschwerde angerufene Urteil 2C_400/2011 vom 2. Dezember 2011), geht es vorliegend ausschliesslich um die Erteilung eines Einreisevisums zu Besuchszwecken für einen Aufenthalt von weniger als 90 Tagen. Für einen solchen benötigen ausländische Staatsangehörige keine ausländerrechtliche Bewilligung (Art. 10 Abs. 1 AIG).  
 
2.3.3. Die Gegenausnahme in Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG bezieht sich - nach ihrem klaren Wortlaut - ausschliesslich auf Bewilligungen (und verweist damit auf die in Art. 32 ff. AIG genannten Bewilligungskategorien). So ist auch die in der Doktrin vertretene Auffassung zu verstehen, dass die Ausnahmebestimmung in Art. 83 lit. c Ziff. 1 BGG dann nicht zur Anwendung kommt, wenn es der Sache nach um einen Rechtsanspruch auf einen bewilligungsrechtlichen Aufenthalt in der Schweiz geht (HÄBERLI, a.a.O., N. 55 zu Art. 83 BGG). In diesen Fällen richtet sich die Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG, da die Einreise vom Bewilligungsanspruch miterfasst wird (vgl. Urteil 2C_962/2013 vom 13. Februar 2015 E. 1.3; in diesem Sinne auch die Urteile 2C_60/2021 vom 8. Juni 2021 E. 1; 2C_1085/2016 vom 9. März 2017 E. 1.2; 2C_134/2016 vom 4. April 2016 E. 2.1). Weil das vorliegende Verfahren nur die Einreise - und eben keine allenfalls auf einen Anspruch abgestützte Aufenthaltsbewilligung; entsprechende Gesuche des Beschwerdeführers wurden bereits rechtskräftig abgewiesen - betrifft, kommt die Ausnahmeregelung von Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG nicht zur Anwendung. Stattdessen ist für die Eintretensfrage ausschliesslich Art. 83 lit. c Ziff. 1 BGG zu berücksichtigen.  
 
2.3.4. Diese Regelung ist grundsätzlich abschliessend zu verstehen. Eine Gegenausnahme besteht nur bei Personen, die in den Anwendungsbereich des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA; SR 0.142.112.681) fallen. Ihnen kommt aufgrund von Art. 11 Abs. 1 und Abs. 3 FZA ein Anspruch auf ein zweistufiges Beschwerdeverfahren zu, weshalb das Bundesgericht in solchen Konstellationen auf entsprechende Beschwerden gegen Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts auf dem Gebiet der Einreise trotz der (grundsätzlich ausschliesslichen) Ausnahmeklausel von Art. 83 lit. c Ziff. 1 BGG eintritt (vgl. Urteil 2C_1052/2022 vom 16. Januar 2023 E. 2.1 mit Hinweisen; FLORENCE AUBRY GIRARDIN, in: Commentaire de la LTF, 3. Aufl. 2022, N. 42 zu Art. 83 BGG). Dabei handelt es sich um eine ausdrückliche prozedurale Vorschrift im Freizügigkeitsabkommen, die anderslautenden bundesgesetzlichen Regelungen (vorliegend Art. 83 lit. c Ziff. 1 BGG) vorgeht (vgl. BGE 148 II 169 E. 5.2 mit Hinweisen). Im Anwendungsbereich der EMRK - namentlich auch hinsichtlich des vom Beschwerdeführer angerufenen Art. 8 - existiert keine vergleichbare prozedurale Vorschrift. Ob der Beschwerdeführer gestützt auf das in Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Familienleben über einen Anspruch auf Erteilung eines Visums - und damit Einreise in die Schweiz - verfügt (vgl. BVGE 2011/48 E. 6), ist nach dem Gesagten im innerstaatlichen Verfahren deshalb abschliessend durch das Bundesverwaltungsgericht zu beurteilen.  
 
3.  
 
3.1. Auf die vorliegende Eingabe ist somit weder als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten noch als subsidiäre Verfassungsbeschwerde einzutreten, da diese gegen Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts unzulässig ist (Art. 113 BGG e contrario).  
 
3.2. Dem Verfahrensausgang entsprechend wird der unterliegende Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). In Anbetracht der Umstände sind die Gerichtskosten zu reduzieren (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). Es sind keine Parteientschädigungen geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung VI, mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 22. März 2023 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin 
 
Der Gerichtsschreiber: Hongler