7B_434/2024 21.05.2024
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_434/2024  
 
 
Urteil vom 21. Mai 2024  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichterin Koch, 
Bundesrichter Hurni, Kölz, Hofmann, 
Gerichtsschreiber Stadler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
handelnd durch B.________, 
vertreten durch Advokat Christian Möcklin-Doss, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Jugendanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, 
Innere Margarethenstrasse 14, 4051 Basel, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Vollzug der Schutzmassnahme / Nichtentlassung aus der vorsorglich geschlossenen Unterbringung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Jugendgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 14. März 2024 (J.2024.3, J.2024.6 und J.2024.7). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Das Jugendgericht Basel-Stadt verurteilte A.________ am 30. September 2022 unter anderem wegen mehrfachen Raubes (teilweise versuchte Begehung), mehrfachen Angriffs sowie mehrfacher versuchter einfacher Körperverletzung und ordnete über ihn eine offene Unterbringung gemäss Art. 15 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 20. Juni 2003 über das Jugendstrafrecht (JStG; SR 311.1) an. Während einzelne Punkte dieses Urteils mittels Berufung angefochten wurden, erwuchs die Anordnung der Massnahme in Rechtskraft.  
 
A.b. Nachdem die (offene) Unterbringung am 13. Februar 2023 wegen Aussichtslosigkeit unterbrochen worden war, wurde A.________ am 25. Februar 2023 in die Jugendstation des Untersuchungsgefängnisses Basel-Stadt (nachfolgend: UG Waaghof) verbracht. Mit Verfügung vom 4. Mai 2023 versetzte die Jugendanwaltschaft A.________ in das Massnahmenzentrum Uitikon (nachfolgend: MZU), wo er vom 8. Mai 2023 bis zu seiner Flucht vom 2. Juli 2023 geschlossen untergebracht war. Zwischenzeitlich ordnete das Jugendgericht mit Beschluss vom 29. Juni 2023 auf Antrag der Jugendanwaltschaft Basel-Stadt auf Massnahmenänderung eine geschlossene Unterbringung gemäss Art. 15 Abs. 2 JStG an. Auch hiergegen erklärte A.________ Berufung beim Appellationsgericht Basel-Stadt. Am 4. Juli 2023 wurde er erneut in die Jugendstation des UG Waaghof versetzt. Mangels geeigneter Anschlusslösung wurde die Unterbringung vorübergehend sistiert und A.________ am 24. August 2023 nach Hause entlassen.  
 
B.  
 
B.a. Am 8. Januar 2024 erliess die Jugendanwaltschaft eine Verfügung, wonach A.________ gestützt auf Art. 15 JStG und § 4 und 8 des basel-städtischen Gesetzes vom 13. Oktober 2010 über den Vollzug von jugendstrafrechtlichen Sanktionen (Jugendstrafvollzugsgesetz, JStVG; SG 258.400) am 10. Januar 2024 von der elterlichen Wohnung in das MZU versetzt wird. Hiergegen erhob A.________ am 19. Januar 2024 Beschwerde beim Jugendgericht.  
Am 12. Februar 2024 wurde A.________ aufgrund der nach der Verfügung vom 8. Januar 2024 erfolgten Ausschreibung festgenommen und bis zum Eintritt im MZU in der Jugendabteilung des UG Waaghof untergebracht. Gleichentags ersuchte er die Jugendanwaltschaft um sofortige Entlassung "aus der Festnahme/der Haft/der vorsorglichen Unterbringung im MZU". Mit Verfügung vom 19. Februar 2024 wies die Jugendanwaltschaft das Entlassungsgesuch ab. Gegen diese Verfügung erhob A.________ Beschwerde beim Appellationsgericht, welches die Eingabe am 1. März 2024 zuständigkeitshalber an das Jugendgericht überwies. 
 
B.b. Mit Entscheid vom 14. März 2024 wies das Jugendgericht die Beschwerden von A.________ gegen die jugendanwaltschaftliche Versetzungsverfügung vom 8. Januar 2024 sowie die Abweisung auf Entlassung aus der Massnahme vom 19. Februar 2024 ab.  
 
C.  
A.________ gelangt mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht und beantragt, der Entscheid des Jugendgerichts vom 14. März 2024 sei aufzuheben, er sei per sofort aus dem MZU zu entlassen und es sei festzustellen, dass ihm die Freiheit ab dem 12. Februar 2024, eventualiter ab dem 17. Februar 2024 bis zum Tag der Entlassung aus dem MZU bzw. bis zum Erreichen seines 17. Geburtstags widerrechtlich entzogen sei bzw. gewesen sei. Eventualiter sei die gesamte Sache zum Entscheid im Sinne der Erwägungen des Bundesgerichts an die Vorinstanz zurückzuweisen. Weiter sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu bewilligen bzw. sei er bis zu einem rechtskräftigen Entscheid des Bundesgerichts aus dem MZU zu entlassen. Ausserdem ersucht A.________ um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
Sowohl die Jugendanwaltschaft als auch das Jugendgericht beantragen, der Beschwerde sei keine aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und in der Sache sei sie abzuweisen. A.________ hat eine Replik eingereicht. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein Rechtsmittel zulässig ist (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 148 IV 155 E. 1.1; 143 IV 357 E. 1; je mit Hinweisen).  
 
1.2. Der Beschwerde in Strafsachen unterliegen unter anderem Entscheide über den Vollzug von Strafen und Massnahmen (Art. 78 Abs. 2 lit. b BGG). Die Beschwerde ist zulässig gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen und gegen Entscheide der Beschwerdekammer und der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts. Die Kantone setzen als letzte kantonale Instanzen obere Gerichte ein. Diese entscheiden als Rechtsmittelinstanzen. Ausgenommen sind die Fälle, in denen nach der Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO) ein Zwangsmassnahmengericht oder ein anderes Gericht als einzige kantonale Instanz entscheidet (Art. 80 Abs. 1 und 2 BGG).  
 
1.3. Angefochten ist ein Entscheid des Jugendgerichts des Kantons Basel-Stadt betreffend den Vollzug einer (offenen) Schutzmassnahme bzw. die Nichtentlassung aus einer vorsorglich geschlossenen Unterbringung nach Jugendstrafrecht. Das Jugendgericht hat als erste und einzige kantonale Rechtsmittelinstanz die vom Beschwerdeführer angefochtene Versetzungsverfügung bzw. Abweisung auf Entlassung aus der Massnahme beurteilt. Zu prüfen ist, ob damit ein letztinstanzlicher Entscheid im Sinne von Art. 80 Abs. 2 BGG vorliegt, der ausnahmsweise direkt vor Bundesgericht angefochten werden kann.  
 
1.4. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung weist eine kantonale richterliche Behörde dann die Merkmale eines oberen Gerichts auf, wenn gegen deren Entscheide kein ordentliches Rechtsmittel auf kantonaler Ebene erhoben werden kann und sie hierarchisch keiner anderen kantonalen Gerichtsinstanz unterstellt ist (vgl. BGE 136 II 470 E. 1.1; 135 II 94 E. 4.1; 134 I 125 E. 3.5; je mit Hinweisen). Massgebend ist dabei nicht nur, dass der Gerichtsbehörde im gerade fraglichen Sachbereich Letztinstanzlichkeit zukommt, sondern, dass ihre Entscheide allgemein, also auch in den übrigen Zuständigkeitsbereichen, nicht an eine höhere kantonale Instanz weitergezogen werden können (BGE 135 II 94 E. 4.1 mit Hinweis).  
 
1.5. Die Schweizerische Jugendstrafprozessordnung vom 20. März 2009 (Jugendstrafprozessordnung, JStPO; SR 312.1) regelt den Vollzug jugendstrafrechtlicher Sanktionen (Art. 1). Enthält sie keine besondere Regelung, sind die Bestimmungen der StPO anwendbar (Art. 3 Abs. 1 JStPO). Nach Art. 439 Abs. 1 StPO bestimmen Bund und Kantone die für den Vollzug von Strafen und Massnahmen zuständigen Behörden sowie das entsprechende Verfahren. Art. 42 Abs. 1 JStPO sieht im Speziellen vor, dass für den Vollzug von Strafen und Schutzmassnahmen (des Jugendstrafrechts) die Untersuchungsbehörde zuständig ist.  
Im Kanton Basel-Stadt regelt das JStVG den Vollzug der im Jugendstrafgesetz aufgeführten Sanktionen (Strafen und Schutzmassnahmen) und Begleitungen sowie der vorsorglich angeordneten Schutzmassnahmen (§ 1 Abs. 1 JStVG). Die zuständige Behörde für den Vollzug ist die Jugendanwaltschaft (§ 2 Abs. 1 JStVG). Die verurteilte Person und deren gesetzliche Vertretung können analog zum Verfahren gemäss Art. 393 ff. StPO die in § 20 Abs. 1 JStVG genannten Verfügungen über den Vollzug mit Beschwerde beim Jugendgericht anfechten. Entscheide über solche Beschwerden im Vollzug sind gemäss § 20 Abs. 5 JStVG "endgültig". 
Gerichtliche Befugnisse im Jugendstrafverfahren haben unter anderem das Jugendgericht sowie die Beschwerde- und die Berufungsinstanz in Jugendstrafsachen (Art. 7 Abs. 1 lit. b-d JStPO). Gemäss § 5 Abs. 1 des basel-städtischen Gesetzes vom 3. Juni 2015 betreffend die Organisation der Gerichte und der Staatsanwaltschaft (Gerichtsorganisationsgesetz, GOG; SG 154.100) amtet das Jugendgericht als erstinstanzliches Gericht in Jugendstrafsachen (Ziff. 3) und das Appellationsgericht als Rechtsmittelinstanz in Strafsachen (Ziff. 6). Damit einhergehend bestimmt § 4 Abs. 1 des kantonalen Gesetzes vom 13. Oktober 2010 über die Einführung der Schweizerischen Jugendstrafprozessordnung (EG JStPO; SG 257.500), dass in Jugendstrafsachen das Jugendgericht als erstinstanzliches Gericht (lit. b) und das Appellationsgericht als Beschwerde- bzw. Berufungsgericht (lit. c und d) fungiert. 
 
1.6. Aus der gesetzlichen Konzeption erhellt, dass im Kanton Basel-Stadt das Jugendgericht dem Appellationsgericht hierarchisch unterstellt ist. § 20 Abs. 3 JStVG bestimmt denn auch, dass die Beschwerde gegen eine Verfügung über den Vollzug "im Sinne von § 4 Abs. 1 lit. c EG JStPO an das Appellationsgericht zu richten" ist, wenn die Verfügung durch das Jugendgericht oder durch ein Mitglied des Jugendgerichtspräsidiums getroffen wurde. Gleichzeitig sieht die Strafprozessordnung nicht vor, dass in einer (Jugend-) Strafvollzugssache ein unteres kantonales Gericht als einzige kantonale Instanz entscheidet. Soweit die kantonale Bestimmung von § 20 Abs. 5 JStVG generell und damit auch für das unterinstanzliche Jugendgericht vorschreibt, dass Entscheide über Beschwerden im Vollzug "endgültig" seien, steht sie im Widerspruch zu Art. 80 Abs. 2 BGG (vgl. Urteil 2C_270/2011 vom 20. April 2011 E. 3). Die vom Beschwerdeführer erhobene Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht erweist sich mithin als unzulässig.  
 
2.  
 
2.1. Im Ergebnis ist auf die Beschwerde nicht einzutreten und die Sache an das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt weiterzuleiten. Damit wird das Gesuch des Beschwerdeführers um "aufschiebende Wirkung" gegenstandslos.  
Mit Blick auf das Beschleunigungsgebot (Art. 5 StPO) sind die Akten dem Appellationsgericht direkt zukommen zu lassen. Nach Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs steht die Beschwerde an das Bundesgericht grundsätzlich offen. 
 
2.2. Bei diesem Ausgang unterliegt der Beschwerdeführer. Entsprechend hat er grundsätzlich für die Gerichtskosten aufzukommen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er konnte sich jedoch aufgrund der unklaren Rechtslage sowie der unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Entscheids zur Beschwerde an das Bundesgericht veranlasst sehen. Den besonderen Umständen des Falles wegen ist daher auf die Erhebung der Kosten zu verzichten. Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers ist zudem zu Lasten des Kantons Basel-Stadt eine angemessene Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Damit erweist sich das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung als gegenstandslos.  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. Die Sache wird an das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt überwiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Basel-Stadt hat den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Advokat Christian Möcklin-Doss, mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Jugendgericht des Kantons Basel-Stadt und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 21. Mai 2024 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Stadler