8C_496/2023 22.02.2024
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_496/2023  
 
 
Urteil vom 22. Februar 2024  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichterin Viscione, Bundesrichter Métral, 
Gerichtsschreiber Jancar. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Evalotta Samuelsson, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Rechtsabteilung, Fluhmattstrasse 1, 6002 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (HWS-Schleudertrauma, Kausalzusammenhang), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 16. Mai 2023 (UV.2022.00178). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die 1947 geborene A.________ arbeitete bei der B.________ GmbH und war dadurch bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) obligatorisch unfallversichert. Am 12. Juni 2020 erlitt sie einen "seitlichen Autoauffahrunfall". Dr. med. C.________, Facharzt für Neurologie FMH, diagnostizierte im Bericht vom 9. Juli 2020 ein posttraumatisches cervicocephales Schmerzsyndrom mit Überdehnungstrauma der Halswirbelsäule (HWS) und leichter Commotio cerebri. Die Suva kam für die Heilbehandlung und das Taggeld auf. Mit Verfügung vom 16. Februar 2022 stellte sie die Leistungen per 16. Dezember 2021 ein und verneinte die Ansprüche auf eine Invalidenrente und eine Integritätsentschädigung. Dies bestätigte sie mit Einspracheentscheid vom 31. August 2022. 
 
B.  
Die hiergegen von der Versicherten erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 16. Mai 2023 ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, in Aufhebung des kantonalen Urteils sei die Suva zu verpflichten, die gesetzlichen Leistungen zu erbringen. Eventuell sei die Sache an die Suva zur Vornahme weiterer beweisrechtlicher Abklärungen (Gutachten) zurückzuweisen, damit sie hernach neu entscheide. 
Das Bundesgericht verzichtet auf den Schriftenwechsel. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 145 V 57 E. 4.2). Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2, Art. 105 Abs. 3 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Streitig ist, ob die vorinstanzlich bestätigte Leistungseinstellung per 16. Dezember 2021 vor Bundesrecht standhält.  
 
2.2. Die Vorinstanz hat die rechtlichen Grundlagen und die Rechtsprechung betreffend den für die Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers erforderlichen natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Gesundheitsschaden im Allgemeinen (BGE 134 V 109 E. 2.1; vgl. auch BGE 147 V 161) sowie bei Folgen eines Unfalls mit Schleudertrauma der HWS oder äquivalenter Verletzung ohne organisch objektiv nachweisbare Funktionsausfälle im Besonderen (BGE 134 V 109) richtig dargelegt. Gleiches gilt betreffend den Fallabschluss mit Einstellung von Heilbehandlung und Taggeld sowie gleichzeitiger Prüfung des Anspruchs auf Invalidenrente und Integritätsentschädigung (Art. 19 Abs. 1 UVG; BGE 143 V 148 E. 3.1.1, 134 V 109 E. 4.3; SVR 2020 UV Nr. 24 S. 95, 8C_614/2019 E. 5.2 f.), den massgebenden Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 146 V 271 E. 4.4) und den Beweiswert von Arztberichten (BGE 145 V 97 E. 8.5, 142 V 58 E. 5.1, 134 V 231 E. 5.1, 125 V 351 E. 3a). Darauf wird verwiesen.  
 
3.  
Die Vorinstanz erwog im Wesentlichen, im Zeitpunkt des Fallabschlusses per 16. Dezember 2021 hätten keine strukturell objektivierbaren Unfallfolgen (mehr) vorgelegen. Der Neurologe Dr. med. D.________, Suva Versicherungsmedizin, habe in der Stellungnahme vom 15. Oktober 2021 festgehalten, von weiterer Behandlung der Unfallfolgen könne keine namhafte Besserung des Gesundheitszustands mehr erwartet werden. Auch die Beschwerdeführerin mache nicht geltend, der Fallabschluss habe verfrüht stattgefunden. Somit sei der Fallabschluss per 16. Dezember 2021 nicht zu beanstanden und es sei die Adäquanzprüfung nach der sog. Schleudertrauma-Praxis vorzunehmen. 
 
4.  
 
4.1. Die Beschwerdeführerin bringt im Wesentlichen vor, indem die Vorinstanz das ganze Verletzungsbild unter die HWS-Adäquanzpraxis subsumiere, würdige sie den Sachverhalt falsch und verletze Bundesrecht. Ihr Beschwerdebild sei äusserst komplex und lasse sich nicht nur als ein HWS-Schleudertrauma interpretieren. Die vorinstanzliche Schlussfolgerung, sie habe lediglich eine leichte Distorsion der HWS erlitten, finde in den Akten keine Stütze. Weiter masse sich die Vorinstanz medizinisches Wissen an, indem sie festhalte, dass eine Augenverletzung keine typische Folge der HWS-Distorsion sei, zumal sie verkenne, dass es sich nicht um eine strukturelle Augenverletzung handle, sondern um eine Einschränkung des Sichtfeldes. Sie leide an dreifachem Sehen und milchiger Sicht. Sie dürfe auch nicht mehr Auto fahren. Die Sehstörungen seien Folge der HWS-Distorsion und nicht des Katarakts. Am 9. Juli 2020 habe die erste neurologische Untersuchung stattgefunden, wobei ein Tinnitus diagnostiziert worden sei. Entsprechend sei eine MR-tomografische Untersuchung als indiziert erachtet worden. Die neurologischen Beschwerden seien ebenfalls klassische Folgen von Anpralltraumen des kraniozervikalen Übergangs und in der Bildgebung bleibe in aller Regel eine strukturelle Läsion aus. Die vorinstanzlichen Erwägungen dazu seien fachüberschreitend und daher willkürlich. Die Vorinstanz masse sich - ohne Einholung einer entsprechenden neutralen externen Expertenmeinung - eine medizinische Würdigung an. Sie verkenne, dass die Beschwerdeführerin komplexe Beschwerden beklage, die evidenzbasiert unfallkausal sein könnten. Ob es sich bei den Schwindelbeschwerden und bei der Gesichtsfeldeinschränkung um eine organische Verletzung handle, hätte fachärztlich abgeklärt werden müssen. Die Vorinstanz habe ohne Einholung eines Gutachtens mit einer konsensualen Gesamtwürdigung jede Disziplin einzeln gewürdigt. Dies stelle eine Verletzung des Anspruchs auf eine gesamtheitlich konsensuale Würdigung dar und verzerre das Gesamtbild zu Ungunsten der Beschwerdeführerin.  
 
4.2.  
 
4.2.1. Der Beschwerdeführerin ist entgegenzuhalten, dass das kantonale Gericht in eingehender Würdigung der bei den Akten liegenden medizinischen Berichte zum Schluss kam, ihre Augenverletzung sei weder organisch objektivierbar noch unfallkausal. Die durch den Unfall verursachte cochleo-vestibuläre Störung sei im Zeitpunkt des Fallabschlusses wieder abgeheilt gewesen. Im Übrigen hätten keine Unfallfolgen vorgelegen, die objektiv ausgewiesen gewesen wären.  
 
4.2.2. Die Beschwerdeführerin setzt sich mit den entsprechenden vorinstanzlichen Erwägungen nicht substanziiert auseinander. Sie zeigt auch keine Arztberichte auf, welche die vorinstanzlichen Schlussfolgerungen zu entkräften vermöchten.  
Soweit sie sich auf die Berichte des Dr. E.________, Chiropraktor SCG/ECU, vom 7. August 2023 und des Prof. Dr. med. F.________, Leitender Arzt, Klinik für Ohren-, Nasen-, Hals- und Gesichtschirurgie, Spital G.________, vom 9. August 2023 beruft, handelt es sich, da erst nach dem angefochtenen Urteil vom 16. Mai 2023 entstanden, um unzulässige echte Noven. Sie und die darauf basierenden Vorbringen der Beschwerdeführerin können vom Bundesgericht somit nicht berücksichtigt werden (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 148 V 174 E. 2.2; Urteil 8C_529/2022 vom 6. Februar 2023 E. 4 mit Hinweisen). 
 
4.2.3. Insgesamt gibt die Beschwerdeführerin mit ihren letztinstanzlichen Vorbringen im Wesentlichen die eigene Sichtweise wieder, wie die medizinischen Akten zu würdigen und welche rechtlichen Schlüsse daraus zu ziehen seien. Dies genügt nicht, um das vorinstanzliche Ergebnis als bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen (Art. 97 Abs. 2 BGG; BGE 144 V 50 E. 4.2; SVR E. 2020 UV Nr. 27 S. 110, 8C_518/2019 E. 5.1; Urteil 8C_101/2023 vom 2. Juni 2023 E. 7).  
 
4.2.4. Da von weiteren medizinischen Abklärungen keine entscheidrelevanten Resultate zu erwarten sind, durfte die Vorinstanz davon absehen. Dies verstösst weder gegen den Untersuchungsgrundsatz noch gegen die Ansprüche auf freie Beweiswürdigung sowie Beweisabnahme (Art. 61 lit. c ATSG) und rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV; antizipierte Beweiswürdigung; BGE 144 V 361 E. 6.5; SVR 2023 UV Nr. 48 S. 169, 8C_1/2023 E. 12).  
 
5.  
Umstritten ist weiter, ob der Fallabschluss per 16. Dezember 2021 zu Recht erfolgte. 
 
5.1. Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Unfallfolgen seien im Zeitpunkt der Leistungseinstellung nicht vollends abgeklungen gewesen. Diese sei zu früh erfolgt. In diesem Zusammenhang sei ihr fortgeschrittenes Alter zu berücksichtigen, das sich erschwerend ausgewirkt habe. Dieser Umstand sei prädisponierend. Sie habe mit einem Teil der persistierenden Schwindelbeschwerden gelernt zu leben. Dies könne aber nicht mit der Heilung gleichgesetzt werden. Sie kompensiere diese Beschwerden mit Physiotherapie, die sie seit dem Unfall wöchentlich absolviere. Von einer Heilung könne keine Rede sein. Dabei dürfe entgegen der Vorinstanz nicht angenommen werden, die Therapie tue der Beschwerdeführerin einfach nur gut. Vielmehr könne eine Verbesserung erreicht werden, vor allem was die vestibuläre Situation anbelange.  
 
5.2. Diese Einwände sind nicht stichhaltig. Denn der Umstand, dass die Beschwerdeführerin von weiterer Physiotherapie hätte profitieren können, genügt - wie die Vorinstanz richtig erkannt hat - praxisgemäss nicht, um den Fallabschluss hinauszuzögern (Urteile 8C_640/2022 vom 9. August 2023 E. 4.3.1 und 8C_604/2021 vom 25. Januar 2022 E. 9.2, je mit Hinweisen).  
 
6.  
 
6.1. Im Rahmen der Adäquanzprüfung qualifizierte die Vorinstanz den Autounfall vom 12. Juni 2020 als mittelschwer im Grenzbereich zu den leichten Unfällen. Dies ist unbestritten. Folglich kann die adäquate Unfallkausalität des Gesundheitsschadens der Beschwerdeführerin nur bejaht werden, wenn mindestens vier der sieben Kriterien (BGE 134 V 109 E. 10.3) in einfacher Form erfüllt sind oder eines besonders ausgeprägt vorliegt (SVR 2023 UV Nr. 43 S. 152, 8C_441/2022 E. 3.2 mit Hinweisen).  
 
6.2.  
 
6.2.1. Die Vorinstanz hat sich eingehend mit den massgebenden Adäquanzkriterien auseinandergesetzt und gestützt auf ihre Sachverhaltsfeststellungen dargelegt, weshalb einzig das Kriterium der erheblichen Beschwerden erfüllt sei, aber nicht besonders ausgeprägt.  
 
6.2.2. Die Beschwerdeführerin beruft sich auf die vier Kriterien der Schwere oder besonderen Art der erlittenen Verletzungen (es liege bei ihr nicht nur eine "einfache HWS-Distorsion" vor), der fortgesetzt spezifischen, belastenden ärztlichen Behandlung (Physio- und Cranialatherapie, psychiatrische Behandlung), der erheblichen Beschwerden (Schwindel) und der erheblichen Arbeitsunfähigkeit trotz ausgewiesener Anstrengungen (sie habe jegliche Therapien absolviert und grosse Anstrengungen unternommen, um wieder arbeiten zu können; es liege auch ein gescheiterter Arbeitsversuch vor).  
Die Beschwerdeführerin setzt sich indessen mit den vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen und schlüssigen Erwägungen zu den einzelnen Adäquanzkriterien nicht substanziiert auseinander. Sie belegt ihre Behauptungen, soweit sie den vorinstanzlichen Darlegungen widerprechen, auch nicht konkret. Insgesamt wird beschwerdeweise nicht aufgezeigt und ist auch nicht ersichtlich, inwiefern die vorinstanzliche Adäquanzbeurteilung im Ergebnis gegen Bundesrecht verstossen soll. Auch diesbezüglich erübrigen sich weitere Abklärungen (vgl. E. 4.2.4 hiervor). Somit hat es bei der Verneinung des adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen dem Unfall vom 12. Juni 2020 und den seit 16. Dezember 2021 weiterhin geltend gemachten Beschwerden sein Bewenden. 
 
7.  
Die unterliegende Beschwerdeführerin trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 22. Februar 2024 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Der Gerichtsschreiber: Jancar