2D_32/2022 25.11.2022
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
2D_32/2022  
 
 
Urteil vom 25. November 2022  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin, 
Gerichtsschreiberin Ivanov. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.A.________, 
2. B.________, 
3. C.A.________, 
4. D.A.________, 
Beschwerdeführer 
alle vier vertreten durch Rechtsanwalt Gianni Rizzello und/oder 
Rechtsanwalt Pascal Sieger, 
 
gegen  
 
Amt für Migration des Kantons Luzern, Fruttstrasse 15, 6002 Luzern, 
Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern, 
Bahnhofstrasse 15, 6003 Luzern. 
 
Gegenstand 
Ausländerrecht, Härtefallbewilligung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 4. Abteilung, vom 14. Oktober 2022 (7H 21 212). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. A.A.________ (geb. 1975), Staatsangehöriger von Belarus, reiste am 15. Januar 2010 in die Schweiz ein und erhielt gestützt auf Art. 30 Abs. 1 lit. b AIG (SR 142.20) i.V.m. Art. 32 Abs. 1 lit. c der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE; SR 142.201) eine Aufenthaltsbewilligung zur Wahrung von erheblichen, kantonalen fiskalischen Interessen.  
Am 12. Oktober 2010 heiratete er in der Schweiz seine Landsfrau B.________ (geb. 1985), welcher daraufhin ebenfalls eine Aufenthaltsbewilligung erteilt wurde. Das Paar hat zwei in der Schweiz geborene Kinder: den Sohn C.A.________ (geb. 2010) und die Tochter D.A.________ (geb. 2013). 
 
1.2. Am 27. Dezember 2013 eröffnete die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern ein Strafverfahren gegen A.A.________ wegen gewerbsmässigen Betrugs, Veruntreuung, Urkundenfälschung und Geldwäscherei. A.A.________ wurde am 25. Juni 2015 in Russland verhaftet und mit Urteil vom 16. Oktober 2016 von einem Regionalgericht in Moskau wegen Betrugs zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt, die er in Moskau verbüsste. Am 22. Juni 2021 wurde er aufgrund des gegen ihn vorliegenden internationalen Haftbefehls in Ungarn verhaftet und am 28. September 2021 an die Schweiz ausgeliefert, wo er gleichentags in Untersuchungshaft versetzt wurde. Per 11. Januar 2022 wurde er in den vorzeitigen Strafvollzug versetzt.  
 
1.3. Mit Verfügung des Amtes für Migration des Kantons Luzern vom 23. November 2018 wurde das Erlöschen der Aufenthaltsbewilligung von A.A.________ festgestellt und die Wiedererteilung einer neuen Aufenthaltsbewilligung abgelehnt. Gleichzeitig wurden die Aufenthaltsbewilligungen seiner Ehefrau und Kinder nicht verlängert. Dagegen erhoben sie Beschwerde vor dem Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern (nachfolgend: Departement).  
Noch während des laufenden Rechtsmittelverfahrens stellten die Ehegatten zusammen mit den Kindern am 17. Januar 2019 beim Amt für Migration ein Gesuch um Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen wegen eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalls. Das Amt für Migration leitete das Gesuch dem Departement zur Beurteilung im Rahmen des Beschwerdeverfahrens weiter. Nachdem das Departement auf die Beschwerde zufolge verpasster Rechtsmittelfrist nicht eingetreten war, hiess das Kantonsgericht Luzern die dagegen gerichtete Beschwerde insofern teilweise gut, als das vom Departement unbehandelt gebliebene Gesuch um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung wegen eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalls zur umgehenden Behandlung an das Amt für Migration überwiesen wurde. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab. Auf die gegen dieses Urteil erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten trat das Bundesgericht nicht ein; die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wies es ab (Urteil 2C_1032/2019 vom 11. März 2020). 
 
1.4. Mit Verfügung vom 10. Dezember 2020 wies das Amt für Migration das Gesuch aller vier Familienmitglieder um Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen wegen eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalls ab und wies sie aus der Schweiz weg. Die dagegen erhobenen Rechtsmittel wiesen das Departement am 10. August 2021 und das Kantonsgericht Luzern, 4. Abteilung, am 14. Oktober 2022 ab.  
 
1.5. Dagegen gelangen A.A.________, B.________ und ihre beiden Kinder mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde vom 18. November 2022 (Postaufgabe) an das Bundesgericht. Sie beantragen, es sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei den Beschwerdeführern eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. Prozessual ersuchen sie um aufschiebende Wirkung.  
Es wurden keine Instruktionsmassnahmen angeordnet. 
 
2.  
 
2.1. Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ausgeschlossen gegen Entscheide, welche Bewilligungen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumt oder Abweichungen von den Zulassungsvoraussetzungen betreffen (Art. 83 lit. c Ziff. 2 und Ziff. 5 BGG).  
Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens war die Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen wegen eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalls (Art. 30 Abs. 1 lit. b AIG i.V.m. Art. 31 Abs. 1 VZAE). Dagegen ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ausgeschlossen, da Art. 30 Abs. 1 lit. b AIG keinen Rechtsanspruch einräumt, sondern die Abweichungen von den Zulassungsvoraussetzungen betrifft, die unter den Ausnahmetatbestand von Art. 83 lit. c Ziff. 5 BGG fallen (vgl. Urteile 2C_682/2021 vom 3. November 2021 E. 1.2.3; 2C_564/2021 vom 3. Mai 2022 E. 1.1; 2C_580/2021 vom 4. Oktober 2021 E. 1.1). 
Ein anderweitiger potenzieller Bewilligungsanspruch wird nicht in vertretbarer Weise geltend gemacht. Soweit die Beschwerdeführer in ihrer Eingabe Art. 11 BV und Art. 3 des Übereinkommens vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes (Kinderrechtskonvention, KRK; SR 0.107) erwähnen, ist der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmungen keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung vermitteln (vgl. betreffend Art. 11 BV BGE 144 II 1 E. 5 und betreffend Art. 3 KRK BGE 144 I 91 E. 5.2; jeweils mit Hinweisen). 
Somit erheben die Beschwerdeführer zu Recht subsidiäre Verfassungsbeschwerde (Art. 113 ff. BGG). 
 
2.2. Mangels Aufenthaltsanspruchs in der Schweiz sind im Rahmen der subsidiären Verfassungsbeschwerde ausschliesslich Rügen bezüglich verfahrensrechtlicher Punkte zulässig, deren Verletzung einer formellen Rechtsverweigerung gleichkommt und die das Gericht von der Prüfung der Sache bzw. der Bewilligungsfrage getrennt beurteilen kann ("Star"-Praxis; vgl. BGE 141 IV 1 E. 1.1; 137 II 305 E. 2; Urteil 2D_24/2022 vom 16. Juni 2022 E. 5.2). Unzulässig sind Vorbringen, die im Ergebnis wiederum auf eine materielle Überprüfung des angefochtenen Entscheids abzielen, wie die Behauptung, die Begründung sei unvollständig oder zu wenig differenziert bzw. die Vorinstanz habe sich nicht oder in willkürlicher Weise mit den Argumenten der Partei auseinandergesetzt und Beweisanträge in offensichtlich unhaltbarer antizipierter Beweiswürdigung abgelehnt (vgl. BGE 137 II 305 E. 2; Urteile 1C_456/2021 vom 6. Januar 2022 E. 2.2; 2D_50/2018 vom 11. Dezember 2018 E. 4.2 mit Hinweisen).  
 
2.3. Die Beschwerdeführer rügen verschiedene Verletzungen des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV). Sie machen zunächst geltend, die Vorinstanz habe ihre Begründungspflicht verletzt, indem sie ihre Vorbringen betreffend die (fehlende) Mutwilligkeit der Verschuldung nicht hinreichend beachtet bzw. diese Frage nicht geprüft habe, obwohl dies ein zentrales Element bei der Beurteilung der Härtefallkriterien darstelle. Eine weitere Verletzung des rechtlichen Gehörs erblicken die Beschwerdeführer in der ihrer Auffassung nach fehlenden Auseinandersetzung der Vorinstanz mit ihren Vorbringen betreffend die Interessenabwägung. So habe das Kantonsgericht eine individuelle Interessenabwägung statt einer Gesamtwürdigung der unterschiedlichen Interessen vorgenommen und damit insbesondere die Interessen der Kinder (Beschwerdeführer 3 und 4) zu wenig berücksichtigt.  
 
2.4. Die Frage, ob und inwieweit der Mutwilligkeit einer Verschuldung Rechnung zu tragen sei, hängt mit der Erfüllung der Integrationskriterien gemäss Art. 31 Abs. 1 lit. a VZAE i.V.m. Art. 58a Abs. 1 AIG zusammen, die im Rahmen der Erteilung einer Härtefallbewilligung nach Art. 30 Abs. 1 lit. b AIG zu berücksichtigen sind. Die Beschwerdeführer begründen ihren Standpunkt, die Vorinstanz habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, im Wesentlichen mit Ausführungen zur Sache selbst. Mit ihren Vorbringen, die Vorinstanz habe ihre Argumente betreffend die Mutwilligkeit der Verschuldung nicht hinreichend gewürdigt bzw. diese Frage zu Unrecht offen gelassen, üben sie primär Kritik an der vorinstanzlichen Rechtsanwendung im Zusammenhang mit dem Vorliegen eines Verstosses gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung i.S.v. Art. 62 Abs. 1 lit. c AIG. Die erhobenen Rügen, die auf eine materielle Überprüfung des angefochtenen Entscheids abzielen, können nicht getrennt von der Bewilligungsfrage geprüft werden (vgl. E. 2.2 hiervor).  
Gleich verhält es sich mit den Vorbringen, die Vorinstanz habe ihre Begründungspflicht verletzt, weil sie keine Gesamtwürdigung der verschiedenen Interessen der Beschwerdeführer vorgenommen und insbesondere der überdurchschnittlichen Integration und der fehlenden Eingliederungsmöglichkeiten der Kinder in Belarus ungenügend Rechnung getragen habe. Diese Argumentation zielt ebenfalls auf eine materielle Überprüfung der Rechtmässigkeit der Verweigerung der Härtefallbewilligung bzw. der vorinstanzlichen Interessenabwägung ab, sodass die entsprechenden Rügen unzulässig sind. 
 
2.5. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführer keine Rügen formeller Natur erheben, die von der Prüfung der Sache getrennt werden können (vgl. E. 2.2 hiervor).  
 
3.  
 
3.1. Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde erweist sich als unzulässig. Es ist darauf mit Entscheid der Abteilungspräsidentin als Einzelrichterin im vereinfachten Verfahren nach Art. 108 Abs. 1 lit. a BGG nicht einzutreten. Damit wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung für das bundesgerichtliche Verfahren gegenstandslos.  
 
3.2. Bei diesem Verfahrensausgang werden die Gerichtskosten den Beschwerdeführern 1 und 2 unter solidarischer Haftung auferlegt (Art. 66 Abs. 1 und 5 BGG). Es sind keine Parteientschädigungen geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).  
 
 
Demnach erkennt die Präsidentin:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens von Fr. 800.-- werden den Beschwerdeführern 1 und 2 unter solidarischer Haftung auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Kantonsgericht Luzern, 4. Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 25. November 2022 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin 
 
Die Gerichtsschreiberin: D. Ivanov