6B_928/2023 08.11.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_928/2023  
 
 
Urteil vom 8. November 2023  
 
I. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Muschietti, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Keine Berufungserklärung eingereicht (Vernachlässigung von Unterhaltspflichten), Verfahrenskosten, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 25. Mai 2023 (SB230299-O/U/cwo). 
 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerdeführerin meldete mit Eingabe vom 9. Juni 2022 fristgerecht Berufung gegen das Urteil des Bezirksgerichts Andelfingen vom 31. Mai 2022 an. Am 29. März 2023 erhob sie eine Rechtsverzögerungsbeschwerde an das Obergericht des Kantons Zürich, weil sie das begründete Urteil bis zu diesem Zeitpunkt nicht erhalten hatte. Noch während des laufenden Beschwerdeverfahrens wegen Rechtsverzögerung stellte das Bezirksgericht den Parteien das begründete Urteil zu, weshalb die Rechtsverzögerungsbeschwerde in der Folge am 10. Mai 2023 als gegenstandslos erledigt abgeschrieben wurde. Das begründete Urteil ging der Beschwerdeführerin am 21. April 2023 zu. Mit der Urteilszustellung begann die Frist von 20 Tagen für die Einreichung der Berufungserklärung bis zum 11. Mai 2023 zu laufen. Weil innert dieser Frist keine Berufungserklärung eingereicht wurde, trat das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 25. Mai 2023 auf die Berufung nicht ein und auferlegte der Beschwerdeführerin eine Gerichtsgebühr von Fr. 600.--.  
 
1.2. Die Beschwerdeführerin beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, der obergerichtliche Beschluss sei aufzuheben und ihr seien keine Gerichtskosten für das obergerichtliche Verfahren aufzuerlegen. Zur Begründung bringt sie im Wesentlichen vor, dem Obergericht im Zusammenhang mit dem Rechtsverzögerungsverfahren in ihrem Schreiben vom 12. Mai 2023 mitgeteilt zu haben, auf eine Berufung zu verzichten, weil eine solche wegen der Verjährung keinen Sinn mehr mache. Sie habe mit der Nichteinreichung der Berufungserklärung auf die Berufung verzichtet. Damit eine Berufung "rechtskräftig" werde, müsse (nach der Berufungsanmeldung) explizit eine Berufungserklärung an das Berufungsgericht eingereicht und die Berufung nicht innert gleicher Frist zurückgezogen werden. Das entspreche auch der Ansicht des Bundesgerichts, welches die Pflicht der die Berufung erhebenden Prozesspartei betone, den (Rechtsmittel-) Willen zwei Mal kundtun zu müssen, ein Mal mit der Berufungsanmeldung und ein zweites Mal mit der Berufungserklärung. Das Obergericht ignoriere, dass sie willentlich keine Berufungserklärung eingereicht habe. Es fehle damit an der Grundlage für die Eröffnung eines Berufungsverfahrens, weshalb sich die Frage eines Obsiegens oder Unterliegens nicht stelle und eine Kostenauflage ausser Betracht falle.  
 
2.  
Die StPO sieht für die Einlegung der Berufung ein zweistufiges Verfahren vor. Nach Art. 399 Abs. 1 StPO ist die Berufung dem erstinstanzlichen Gericht innert 10 Tagen seit Eröffnung des Urteils schriftlich oder mündlich zu Protokoll anzumelden. Nach Ausfertigung des begründeten Urteils übermittelt das erstinstanzliche Gericht die Anmeldung zusammen mit den Akten dem Berufungsgericht (Art. 399 Abs. 2 StPO). Damit wird das Verfahren beim Berufungsgericht rechtshängig und die Verfahrensleitung geht vom erstinstanzlichen Gericht auf das Berufungsgericht über. Die Partei, die Berufung angemeldet hat, reicht dem Berufungsgericht gemäss Art. 399 Abs. 3 StPO innert 20 Tagen seit Zustellung des begründeten Urteils eine schriftliche Berufungserklärung ein. Folgt innert Frist keine Berufungserklärung, tritt das Berufungsgericht in einem schriftlich begründeten Entscheid nicht auf die Berufung ein (Art. 403 Abs. 1 lit. a und Abs. 3 StPO; Urteil 6B_968/2013 vom 19. Dezember 2013 E. 2.1 mit Hinweisen). 
Gemäss Art. 428 Abs. 1 StPO tragen die Parteien die Kosten des Rechtsmittelverfahrens nach Massgabe ihres Obsiegens oder Unterliegens. Als unterliegend gilt auch die Partei, auf deren Rechtsmittel nicht eingetreten wird oder die das Rechtsmittel zurückzieht. 
 
3.  
Die Beschwerdeführerin meldete mit Eingabe vom 9. Juni 2022 Berufung gegen das bezirksgerichtliche Urteil vom 31. Mai 2022 an. Das begründete Urteil wurde ihr am 21. April 2023 zugestellt. Mit der Urteilszustellung begann die 20-tägige Frist für die Einreichung der Berufungserklärung bis zum 11. Mai 2023 zu laufen. Innert der Frist hat die Beschwerdeführerin keine Berufungserklärung eingereicht, weshalb die Vorinstanz zu Recht einen Nichteintretensbeschluss erlassen hat. Hätte die Beschwerdeführerin innert dieser Frist rechtzeitig einen Verzicht auf das Rechtsmittel der Berufung gemäss Art. 386 Abs. 1 StPO erklärt, hätte die Vorinstanz das Verfahren als gegenstandslos abschreiben müssen. Anders als die Beschwerdeführerin meint, hätte folglich nur dann kein Grund bzw. Anlass zur Eröffnung eines Berufungsverfahrens mit Erlass eines Entscheides bestanden, wenn und soweit eine Berufung von vornherein gar nicht angemeldet bzw. die Berufungsanmeldung zurückgezogen worden wäre, solange das Bezirksgericht die Verfahrensherrschaft noch inne hatte und das begründete Urteil noch nicht ausgefertigt und den Parteien zugestellt worden war. Dies ist augenscheinlich so nicht geschehen. Die Beschwerdeführerin hat die mit der Zustellung des begründeten bezirksgerichtlichen Urteils ausgelöste Frist von 20 Tagen für die Einreichung der Berufungserklärung vielmehr (ungenutzt) ablaufen lassen; dies, obwohl sie in der Rechtsmittelbelehung des bezirksgerichtlichen Urteils ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass auf eine verspätete Berufungserklärung nicht eingetreten werde. Im Übrigen kann entgegen ihrer (vermeintlichen) Auffassung im (blossen) Ablaufenlassen der Frist kein formgültiger Verzicht auf eine Berufung im Sinne von Art. 386 Abs. 1 StPO erblickt werden. Von vornherein unbeachtlich bleibt zudem das in der Beschwerde referenzierte Schreiben vom 12. Mai 2023, mit welchem die Beschwerdeführerin auf eine Berufung verzichtet haben will; dieses Schreiben wurde der Post erst am 24. Mai 2023, d.h. nach Ablauf der Frist von 20 Tagen übergeben und erweist sich damit als verspätet (vgl. kantonale Akten, act. 98, postalische Sendungsverfolgung). Der vorinstanzliche Nichteintretensbeschluss ist somit nicht zu beanstanden; ebenso wenig verletzt die in Anwendung von Art. 428 Abs. 1 StPO erfolgte Kostenauflage Bundesrecht. Ob die der Beschwerdeführerin auferlegte Gerichtsgebühr von Fr. 600.-- angemessen ist, ist im Übrigen nicht zu prüfen, weil sich die Beschwerde lediglich gegen die Auferlegung der Kosten an sich und nicht gegen deren Höhe richtet. 
 
4.  
Die Beschwerde ist damit im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist in Anwendung von Art. 64 BGG abzuweisen, weil die Rechtsbegehren aussichtslos erschienen. Der finanziellen Lage der Beschwerdeführerin und dem verhältnismässig geringen Aufwand ist durch eine herabgesetzte Gerichtsgebühr Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 8. November 2023 
 
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill